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Artikel „Maimon, Salomon“ von Carl von Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 107–108, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Maimon,_Salomon&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 07:56 Uhr UTC)
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Band 20 (1884), S. 107–108 (Quelle).
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Maimon: Salomon M., geb. im J. 1754 auf einem Radziwil’schen Gute bei Mirz in polnisch Lithauen, † am 22. November 1800 in Nieder-Siegersdorf im Regierungsbezirk Liegnitz, Sohn eines armen Rabbiners, besuchte die Talmudistenschule zu Iwenez (im russischen Gouvernement Minsk), woselbst er in Folge hervorragender Begabung und glühenden Eifers den Talmud gründlich kennen lernte, so daß er bereits als elfjähriger Knabe in Moghilnia (ebendaselbst), wohin sein Vater umgesiedelt war, den Ruf eines ausgezeichneten Talmudisten genoß. Darum konnte sein Vater daran denken, ihn als Schwiegersohn bei reichen Leuten zu verschachern, und nach mancherlei Fahrnissen (er wurde z. B. von einem Branntweinfabrikanten entführt) wurde er in seinem zwölften Lebensjahre der Gatte einer Wirthstochter in Neschwitz (in Lithauen), worauf der Vierzehnjährige bereits Vater war. Da ihn aber die Gattin im Vereine mit ihrer Mutter äußerst schlecht behandelte, verließ er (1768) das Haus und nahm eine Hofmeisterstelle an. Nun lernte er (1770) die deutsche und die lateinische Buchstabenschrift kennen und übte sich mit größtem Fleiße an Sturm’s Physik und an medicinischen Schriften im Lesen deutscher Bücher. Da er einen ziemlich freisinnigen Commentar zu der bekannten Schrift des Moses Maimonides (Moreh Nebochim) schrieb, erregte er Anstoß bei den orthodoxen Juden und beschloß, nach Deutschland zu gehen und dort Medicin zu studiren. Nur durch die Beihilfe mitleidiger Menschen gelangte er nach Königsberg, dann nach Stettin und Berlin, wo er in äußerster Nothlage eintraf, aber von der dortigen Judengemeinde wegen seiner Freigeisterei nicht geduldet wurde. Somit bettelte er sich von da nach Posen durch, wo ihn der Oberrabbiner freundlich aufnahm und bald zu einer Hofmeisterstelle empfahl. Nachdem er hier einerseits wegen seiner Kenntnisse im Talmud geachtet und andererseits als Freigeist verlästert zwei Jahre zugebracht hatte, ging er (1773) wieder nach Berlin; hier stieß er zufällig auf ein Exemplar der Metaphysik Wolff’s, und indem er sofort hebräische Erörterungen über dieses Buch niederschrieb und dieselben an Mendelssohn schickte, fand er auf Empfehlung des Letzteren Aufnahme bei vornehmen reichen Juden. Nun beschäftigte er sich eifrig mit Locke, Spinoza, Helvetius, Hume und Leibniz; auch auf Kant wurde er durch Marcus Herz (s. Allg. deutsche Biogr. Bd. XII S. 260) hingewiesen. Um aber irgend einen Lebensberuf zu ergreifen, trat er (1775) als Lehrling in eine Apotheke ein, führte jedoch allmählich ein ziemlich lockeres Leben, so daß selbst Mendelssohn ihm rieth, Berlin zu verlassen. So ging er (1778) zunächst nach Hamburg, hielt sich dann beschäftigungslos fast ein Jahr in Amsterdam auf, kehrte dann nach Hannover und hierauf wieder nach Hamburg zurück, wo er den Gedanken faßte, zum Christenthum überzutreten, was jedoch an den Bedenken jenes Pastors scheiterte, an welchen er sich gewendet hatte. Vermögliche Juden Hamburgs setzten ihn in den Stand, das Gymnasium zu Altona zu besuchen, wo er tüchtig Latein lernte, aber die dem Griechischen gewidmeten Unterrichtsstunden nicht besuchte (daher er Zeit seines Lebens griechische Worte verfehlt schrieb, z. B. Kathegorien, Methaphisik, Empyrisch u. dgl.). Mit einem sehr günstigen Abgangszeugnisse kehrte er (um 1782) von Altona nach Berlin zurück, welches er jedoch bald wieder verließ, da der Plan, durch hebräische Uebersetzungen wissenschaftlicher Bücher auf die polnischen Juden zu wirken, sich zerschlug. Er ging nun über Dessau nach Breslau, um sich dem Studium der Medicin zu widmen, welches ihn aber bald anwiderte; einige Unterstützung fand er bei Ephraim Kuh (s. Allg. d. Biogr. Bd. XVII S. 317) und dann besonders durch Garve, welcher ihn zu dem reichen [108] Bankier Sigman Meier als Hauslehrer empfahl, woneben er noch anderwärts Privatunterricht in der Mathematik ertheilte. Der Nahrungssorgen überhoben übersetzte er Mendelssohn’s „Morgenstunden“ ins Hebräische und verfaßte in gleicher Sprache eine Naturlehre nach Newton’s Grundsätzen. Nun aber traf seine von ihm verlassene Frau nebst ihrem Sohne in Breslau ein und forderte entweder Heimkehr oder Scheidung; M. wählte das letztere und gab ihr seine letzte Baarschaft, worauf er (1786) in kläglichem Zustande wieder nach Berlin ging, wo er, nachdem Mendelssohn unterdessen gestorben war, in der That vom Bettel lebte. Neben einer Betheiligung an dem von K. Ph. Moritz herausgegebenen „Magazin für Erfahrungsseelenlehre“ studirte er nun (um 1788) ernstlich Kant’s Kritik der reinen Vernunft, wobei er im Lesen sofort Anmerkungen und Einwände niederschrieb, welche Marcus Herz an Kant schickte, und da Letzterer sich über das Manuscript schmeichelhaft äußerte, kam dasselbe zum Druck unter dem Titel „Versuch über die Transscendentalphilosophie“ (1790). Unterdessen hatte M. endlich eine sorgenfreie Unterkunft im Hause des Grafen Kalkreuth in Nieder-Siegersdorf in Schlesien gefunden, so daß er sich einer weiteren schriftstellerischen Thätigkeit hingeben konnte. Er lieferte in verschiedene Zeitschriften kleinere Aufsätze, deren einige er wieder aufnahm in sein „Philosophisches Wörterbuch oder Beleuchtung der wichtigsten Gegenstände der Philosophie in alphabetischer Ordnung“ (1791 erstes und einziges Stück), woran sich in Folge einer von K. L. Reinhold geschriebenen Recension ein bitterer Briefwechsel knüpfte, welchen M. in seinen „Streifereien im Gebiete der Philosophie“ (1793) veröffentlichte. Außer Anmerkungen, welche er zu Bartholdy’s Uebersetzung des baconischen Novum Organon (1793) beifügte, verfaßte er in Folge einer Berliner Preisaufgabe (an welcher auch Kant sich betheiligte) „Ueber die Progresse der Philosophie“ (1793), worin er die skeptische Stellung kund gab, in welcher er sich sowol zu Wolff als auch zu Kant befand. Dann folgten: „Die Kathegorien des Aristoteles mit Anmerkungen erläutert und als Propädeutik zu einer neuen Theorie des Denkens dargestellt“ (1794) und „Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens nebst angehängtem Brief des Philaletes an Aenesidemus“ (1794, 2. Aufl. 1798), endlich wohl das bedeutendste seiner Werke: „Kritische Untersuchungen über den menschlichen Geist oder das höhere Erkenntnißvermögen“ (1797). Man darf annehmen, daß M. auf Grund einer ursprünglichen Begabung gerade durch seine Talmudstudien jenen haarspaltenden Scharfsinn erlangte, mittelst dessen er an jedes philosophische Buch sofort bei erster Lesung eine einschneidende Kritik anlegte und in solcher Weise auch innerhalb der kantischen Philosophie alle jene Punkte aufgriff, welche als bestreitbar oder irgendwie bedenklich erscheinen können; und zwar that er solches in einer Weise, daß Kant selbst ihn als den bedeutendsten unter seinen Gegnern anerkannte. M. bestritt die kantische Trennung zwischen Sinnlichkeit und Verstand, aber ebenso auch Reinhold’s Vorstellungsvermögen, er bestritt die ausschließliche Subjectivität der Raum- und Zeitanschauung, sowie den Begriff des Dinges an sich, er kritisirte die Kategorien, die Causalschlüsse und die auf das Unbedingte gerichteten Ideen, kurz er vertrat die Skepsis innerhalb des Kriticismus.

Sal. Maimons Lebensgeschichte von ihm selbst beschrieben, herausgegeben von K. Ph. Moritz (1792). Sal. Jos. Wolff, Maimoniana (1813). J. H. Witte, Sal. Maimon (1876). Ueber die Philosophie M’s s. insbesondere J. Ed. Erdmann, Gesch. d. neueren Philos., Bd. III, Abthl. 1, S. 510 ff., woselbst auch alle kleineren in Zeitschriften zerstreuten Aufsätze Maimon’s angeführt sind.
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