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Engagementstrategie

Digitales Ehrenamt als Engagementform anerkannt – Förderung muss konkreter werden

Pünktlich zum internationalen Tag des Ehrenamts hat die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarte Engagementstrategie verabschiedet. Erstmals wird dort Digitales Ehrenamt als eigene Engagementform genannt. Das ist ein wichtiger Schritt, denn seit vielen Jahren engagieren sich tausende Ehrenamtliche in digitalen Projekten. Sie machen Wikipedia und ihre Schwesterprojekte erst möglich, aber auch Freie Software und digitale Infrastrukturen basieren auf Ehrenamt. Höchste Zeit also, dieses Engagement anzuerkennen!
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Stefan Kaufmann

6. Dezember 2024

Lange war die Engagementstrategie angekündigt, nun wurde sie im Kabinett beschlossen – trotz des Bruchs der Ampel-Koalition, denn die Strategie ist ein Beschluss der Bundesregierung, und diese besteht ja weiter.

In den Engagementberichten der vergangenen Jahre zeichnete sich immer mehr ab, dass Digitales Ehrenamt zunehmend als eigene Engagementform erkannt wurde – also nicht nur die Unterstützung klassischer Ehrenamtsformen durch digitale Werkzeuge, sondern eine ganz andere Art, sich zivilgesellschaftlich mit digitalen Projekten zu beschäftigen oder sich für diese einzusetzen.

Dass Digitales Ehrenamt in der Engagementstrategie nun eine angemessene Berücksichtigung findet, ist ein wichtiger Schritt. Denn egal ob Beiträge zu Wikipedia oder Wikimedia Commons, die Weiterentwicklung Freier Software, der selbstlose Betrieb digitaler Infrastrukturen, digitale Bildungsarbeit oder der Einsatz für mehr Open Data, all dies stützt sich auf den ehrenamtlichen Einsatz Tausender Aktiver in Deutschland, die täglich im Interesse der Allgemeinheit dazu beitragen.

Vielversprechende Leitlinien, aber unklarer Weg zur Umsetzung

Auch die Leitlinien für die Engagementpolitik der Bundesregierung wirken auf den ersten Blick vielversprechend. Freiwilliges Engagement wird dort als wesentliche Säule der Demokratie bezeichnet, das jedoch eigenständig und eigensinnig betrieben werden und keinesfalls zur Substitution staatlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge und des Sozialstaats herangezogen werden soll. Vielfalt im Ehrenamt, unabhängig von typischen Diskriminierungsfaktoren, wird als explizites Ziel genannt.

Grundlage künftiger Engagementpolitik soll eine solide, empirisch belegte Wissensbasis sein, um alle Facetten freiwilligen Engagements angemessen fördern zu können.

Verschiedene Maßnahmen könnten konkreter sein

An einzelnen Punkten macht die Strategie jedoch den Eindruck, bislang noch einen verengten Blick auf das gesamte Spektrum bürgerschaftlichen Engagements und vor allem des Digitalen Ehrenamts zu haben. Zwar wird der Einsatz gegen Mis- und Desinformation als Form ehrenamtlicher Betätigung genannt, der Beitrag von Projekten wie Wikipedia als Anlaufpunkte für gesichertes Wissen wird jedoch gar nicht erwähnt. Engagierte sollen off- und online gegen Anfeindungen und Angriffe geschützt werden, und mit Vorhaben im Rahmen des Projekts „Demokratie Leben!“ sind auch Maßnahmen hierfür angekündigt.

Der Entwurf für ein Digitale-Gewalt-Gesetz als wichtiger Beitrag für solch einen Schutz liegt jedoch auch über ein Jahr nach Veröffentlichung des ursprünglichen Eckpunktepapiers noch nicht vor – und wird auch in der Strategie nicht als Maßnahme genannt. Auch die aufgeführten Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt und Teilhabe wirken bislang noch unkonkret, ihre praktische Ausgestaltung unklar.

Digitales Ehrenamt hat deutlich mehr Facetten

Auch das Digitale Ehrenamt umfasst ein deutlich weiteres Spektrum, als die Engagementstrategie vermuten lässt. Richtig erkannt ist das enorme Transformations- und Innovationspotenzial von Engagement für die Gesellschaft. Die Beispiele dieses transformativen digitalen Engagements erschöpfen sich in der Strategie jedoch in der Aufzählung von „Social Innovation“, der Auseinandersetzung mit Fragen des Datenschutzes,  der Vermittlung digitaler Kompetenzen und wenigen anderen Beispielen. So wichtig diese Themen auch sind, werden wichtige andere Ausprägungen nur am Rande oder gar nur indirekt in der zitierten Literatur erwähnt.

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Auch das ist Digitales Ehrenamt: Freiwillige der Wikipedia-Community fotografieren in den von Wikimedia Deutschland geförderten lokalen Community-Räumen Gegenstände für das Medienarchiv Wikimedia Commons oder bieten Veranstaltungen und Workshops für die interessierte Öffentlichkeit an.

Jahrelange Beiträge des Digitalen Ehrenamts bleiben unbeachtet

Die Forderung, mehr Informationen als Freies Wissen und Open Data verfügbar zu machen, scheint sich beispielsweise nur auf die Erstellung von Apps und Anwendungen auf Basis dieser Daten zu beschränken, um die Bedürfnisse marginalisierter Gruppen besser zu befriedigen, die für marktübliche Lösungen zu wenig Relevanz haben. Einerseits wird damit übersehen, dass solche Anwendungen und Beispiele seit über zehn Jahren in Ehrenamtsgruppen wie dem Netzwerk Code for Germany entwickelt wurden und werden.

Selbstlose Beiträge für die Verwaltungsdigitalisierung

Diese Anwendungen sollen aber ausdrücklich nicht allein auf dem Rücken der Ehrenamtlichen betrieben werden, die, wie die Strategie richtig herausstellt, vielfach gar nicht in klassischen Vereinsstrukturen arbeiten, mit denen sie die notwendigen Mittel für den Betrieb einwerben könnten.

Viele dieser Projekte wie die Portalsysteme politik-bei-uns.de oder Meine Stadt Transparent als niederschwellige Zugänge zu Ratsinformationsdokumenten wurden als Freie Software und als lebendes Beispiel entwickelt, wie offizielle Stellen diese Aufgaben selbst übernehmen und diese Anwendungen betreiben sollten.

Die Übernahme dieser selbstlos entwickelten Projekte scheitert bislang jedoch in der Regel an mangelnder strategischer Weitsicht der eigentlich zuständigen öffentlichen Stellen.

Mehr digitale Kulturdaten, mehr Wissenstransfer

Andererseits wird mit dieser Sichtweise auch der riesige Schatz Freien Wissens nicht berücksichtigt, der bislang noch gar nicht für die Wiederverwendung in Ehrenamtsprojekten zur Verfügung steht. Das betrifft beispielsweise Dokumente und Digitalisate von Kulturgedächtnisinstitutionen, deren Urheberrecht abgelaufen ist und die prinzipiell in Projekten wie Wikipedia, aber auch in Kulturvermittlungsprojekten einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden sollten.

Auch Beiträge Ehrenamtlicher in Form von Softwareprojekten oder Anregungen zur Modernisierung der öffentlichen IT-Infrastruktur, die eine umfassendere Veröffentlichung staatlicher Informationen als Open Data zum Ziel haben, wurden bislang in den Digitalisierungsstrategien von Bund, Ländern und vielen Kommunen kaum oder gar nicht berücksichtigt. Diese Fehlstellen sollten unbedingt adressiert und in konkreten Maßnahmen verbessert werden.

Digitales Ehrenamt lebt vom sozialen Miteinander: Mehr physische Orte für diesen Austausch!

Die digitalen Engagementformen werden in der Strategie vor allem für den ländlichen Raum als „Kompensationsfunktion für mangelnde Engagementformen vor Ort“ bezeichnet – so als würden sie allesamt rein vor dem persönlichen Rechner und entkoppelt von einem sozialen Zusammenkommen an physischen Orten stattfinden. Zwar ist es richtig, dass digitale Zugänge andere Formen ehrenamtlichen Miteinanders und Einsatzes ermöglichen, für die sich vor Ort keine kritische Masse fände. Diese Möglichkeiten sind wertvoll und erschließen Möglichkeiten, die sich früher nicht in dieser Form boten.

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Persönlicher Austausch wie hier in München ermöglicht es, Digitales Ehrenamt in seinen vielen Facetten auch weiteren Interessierten bei Veranstaltungen und Workshops zugänglich zu machen und zum Mitmachen einzuladen!

Warum Räume für das Ehrenamt unverzichtbar sind

Digitales Ehrenamt profitiert immens davon, wenn es als gemeinsame soziale Aktivität an physischen Orten stattfinden kann. Die Strategie hebt richtigerweise in ihrer Einleitung persönlichen Kontakt und sozialen Austausch als wichtigen Faktor für Zusammenhalt und gegenseitiges Lernen hervor und problematisiert den Rückgang von Orten der Begegnung insbesondere im ländlichen Raum.

Dem Bedarf aufsuchbarer Räume für gemeinsames Engagement misst die Strategie jedoch nicht die gebotene Wichtigkeit zu und verweist hier beispielsweise auf Quartierszentralen in kommunaler Hand. Ein Mangel selbstbestimmt von Ehrenamtlichen betriebener und verwalteter Räume wird nicht nur negative Folgen für Ehrenamt im Allgemeinen, sondern auch für digitales Engagement haben.

Mehr Förderung für Begegnungsorte

Wikimedia Deutschland fördert derzeit sechs lokale Räume in Deutschland, die explizit als solch ein Ort für gemeinsamen Austausch und die Förderung Freien Wissens dienen sollen. Neben der Artikelarbeit in der Wikipedia fotografieren dort Freiwillige beispielsweise auch Objekte und Gegenstände für die Mediendatenbank Wikimedia Commons, digitalisieren historische Dokumente oder richten sich mit Veranstaltungen und Workshops an die interessierte Öffentlichkeit.

In der Fläche und insbesondere an Orten, wo es aufgrund nur weniger Aktiver oder hohen Mietpreisen schwer fällt, Anlaufpunkte nach dem Muster von Hack- und Makespaces selbst zu tragen, können solche Räume nur durch eine angemessene Förderung entstehen. Wichtig ist hier, die Eigenständigkeit und Eigensinnigkeit dieses Engagements zu bewahren und eine Indienstnahme oder Vereinnahmung durch Förderer durch geeignete Strukturen von Anfang an auszuschließen.

Ein erster Schritt – jetzt müssen die Maßnahmen konkreter werden

Dass Digitales Ehrenamt überhaupt als eigene Ehrenamtsform in der Engagementstrategie vorkommt und als solche gewürdigt wird, ist ein wichtiger erster Schritt. Wichtig ist es nun, das Spektrum und die Bedürfnisse dieser Engagementform zu schärfen und in die in der Strategie angestrebten Wissensbasis aufzunehmen. Eine Reihe von Maßnahmen lässt sich bereits jetzt konkreter ausgestalten und auf diese Bedürfnisse anpassen.

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