Ai Khanoum

archäologische Stätte in Afghanistan

Koordinaten: 37° 10′ 0″ N, 69° 24′ 30″ O

Karte: Afghanistan
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Ai Khanoum
Lageplan von Ai Khanoum
Ai-Khanoum lag im äußersten Osten von Baktrien.

Ai Khanoum oder Ay Chānom (auch Ay Khanum und Ai Xanum)[1] ist eine archäologische Ausgrabungsstätte in der Provinz Tachar im Nordosten Afghanistans. Es handelt sich bis heute um die einzigen großflächig untersuchten Reste einer griechisch-baktrischen Stadt. Der Ort wurde um 145 v. Chr. durch die Invasion von Nomaden fast vollkommen zerstört. Da er danach verlassen und später nicht wieder besiedelt wurde, ist er in den Grundmauern besonders gut erhalten. Der antike Name dieser hellenistischen Stadt ist bislang unbekannt.

Nachdem Gholam Serwar Nasher, Khan der Kharoti, bei einer Jagd Relikte fand, beauftragte er den Archäologen Daniel Schlumberger mit den Ausgrabungen. Die Stätte wurde schließlich zwischen 1964 und 1978 von einem französischen Team unter der Leitung von Paul Bernard ausgegraben. Danach gab es auch vereinzelte sowjetische Grabungen.

Die Stadt

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Ai Khanoum, dessen antiker Name unbekannt bzw. umstritten ist, wurde wohl kurz nach Alexander dem Großen gegründet. Es gibt Vermutungen, dass es sich um das aus antiken Quellen bekannte Alexandria am Oxus und um das spätere Eukratideia handeln könnte. Die Stadt war ca. 2 km × 1,5 km groß, liegt am Oxus und wird im Osten von einem hohen Berg, auf dem sich die bisher wenig erforschte Oberstadt befindet, begrenzt.[2] Dieser Berg bietet dem Ort natürlichen Schutz. Andere Teile der Stadt waren von mächtigen Wallanlagen geschützt. Außerhalb der Mauern gab es eine Vorstadt und die Nekropolen. In der Stadt gab es ein griechisches Theater und ein Gymnasion. Beides legt nahe, dass der Ort als typisch hellenistische Polis organisiert war.

 
Griechische Herme aus Ai Khanoum

Lange Zeit war die Kultur der baktrischen Griechen nur durch ihre Münzprägungen bekannt. Die Ausgrabungen in Ai Khanoum bestätigten das durch die Münzen gewonnene Bild: Die griechisch-baktrische Kunst war weitestgehend griechisch geprägt, auch wenn es zunehmende lokale und persische Einflüsse, vor allem in der Architektur, aber auch in der lokalen Keramikproduktion, gab.

Ein großes Palastgebäude vereinigte griechische mit persischen Stilelementen. So besaß das Haus einen gewaltigen Hof mit Kolonnaden nach griechischem Vorbild. Ebenso ist der Bauschmuck rein griechisch mit korinthischen Kapitellen und Antefixen mit Palmetten. Ein Festsaal mit 18 Säulen (3 × 6) scheint dagegen eher achämenidischer Tradition entsprochen zu haben. Auch sind viele Säulenbasen eher persisch gestaltet. Es fand sich ein Heroon aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr., in dem ein gewisser Kineas begraben war, der als der Gründer der Stadt verehrt wurde. Eine ursprünglich dort angebrachte griechische Inschrift listet einige Weisheiten des delphischen Orakels auf[3] und gibt an, ein Mann mit dem griechischen Namen Klearchos sei selbst nach Delphi gereist, habe die Sprüche kopiert und sie dann nach seiner Rückkehr im Heroon anbringen lassen[4] – ein Beleg für direkte Kontakte zwischen der Stadt am Oxus und dem weit entfernten griechischen Mutterland.

Es konnten verschiedene Heiligtümer freigelegt werden; keiner dieser Tempel ist jedoch griechisch im Stil, was wiederum starke lokale Traditionen belegt. Wahrscheinlich lebten in der Stadt Griechen, Makedonen und Einheimische. Alle Gebäude fallen durch ihre großzügige Anlage auf. In einem Palast und an einem Wohngebäude im Süden der Stadt wurden die Grundmauern von zentral gelegenen Tempelräumen mit Umgangskorridor freigelegt. Solche Umgangstempel wurden auch in anderen griechisch-baktrischen Städten in Nordafghanistan gefunden. Hier liegt eine der Wurzeln dieses Bautyps; ein anderer Ursprung sind achämenidische Feuertempel. Beides gilt als Ausgangspunkt für den kuschanischen Feuertempel von Surch Kotal, und dieser wiederum bildet die Grundform der ersten buddhistischen Tempel und der späteren Hindutempel.

Zu den Funden gehören überdies zahlreiche rein griechische Kapitelle und Statuen, wobei diese wegen des Fehlens von geeignetem Stein meist aus Ton geformt waren. Bei einigen von ihnen sind nur einige Details in Marmor modelliert worden. Es fanden sich weitere Inschriften und zahlreiche Münzen, von denen keine später als Eukratides I. datiert, sowie Reste von griechischen Papyri mit bisher unbekannten philosophischen Texten.

Das Ende der Stadt

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Das Ende der Stadt wird traditionell auf die Zeit um 145 v. Chr. datiert.[5] Es kamen wohl Nomaden aus dem Nordosten, wahrscheinlich Saken, die die Stadt und vor allem den Palast plünderten und dort Feuer legten. Die griechischen Bewohner waren wahrscheinlich schon vor dem Angriff geflohen. In den letzten Jahren ist vorgeschlagen worden, die Vorgänge anders zu datieren; demnach soll Ai Khanoum noch bis etwa 50 v. Chr. eine griechische Stadt gewesen sein.[6]

Bald, nachdem die griechisch-makedonische Bevölkerung den Ort aufgegeben hatte, zogen jedenfalls Einheimische in die Stadt, die vorher außerhalb der Erdwälle gewohnt hatten. Die Häuser wurden nach allem Wertvollen, welches die letzten Bewohner zurückgelassen hatten, durchsucht und der Palast wurde dem Erdboben gleichgemacht. Kurze Zeit später kamen jedoch wiederum Angreifer, diesmal wahrscheinlich die Yuezhi, und plünderten die Stadt nochmals. Der Ort blieb von nun an unbewohnt; nur auf der Zitadelle gab es weiterhin eine Besiedlung bis ins Mittelalter.[7]

Funde aus Ai Khanoum

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Literatur

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  • Jochen Althoff, Jürgen Zeller (Hrsg.): Die Worte der Sieben Weisen. Griechisch und deutsch. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 978-3-534-19505-3.
  • Pierre Cambon, Jean-François Jarrige (Hrsg.): Gerettete Schätze. Afghanistan. Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland/Production Foundation De Nieuwe Kerk und Hermitage, Bonn/Amsterdam 2010, ISBN 978-90-78653-20-2, besonders S. 45–55 (Beitrag von Paul Bernard), S. 98 f. (Lageplan und Foto des Palastareals) und S. 123–151 (Exponatbeschreibungen zu Ai Khanoum).
  • Frank L. Holt: When did the Greeks abandon Ai Khanoum?. In: Anabasis. Band 3, 2012, S. 161–172.
  • Milinda Hoo: Eurasian Localisms. Towards a translocal approach to Hellenism and inbetweenness in central Eurasia, third to first centuries BCE (= Oriens et Occidens. Band 41). Franz Steiner, Stuttgart 2022, ISBN 978-3-515-13315-9, S. 73–108 (mit Zusammenfassung des Forschungsstandes zur Stätte).
  • Jeffrey D. Lerner: Correcting the Early History of Ây Kânom. In: Archäologische Mitteilungen aus Iran und Turan. Band 35/36, 2003/2004, S. 373–410.
  • Jeffrey D. Lerner: Revising the Chronologies of the Hellenistic Colonies of Samarkand-Marakanda(Afrasiab II-III) and Aï Khanoum (Northeastern Afghanistan). In: Anabasis. Band 1, 2010, S. 58–79.
  • Rachel Mairs: The Hellenistic Far East. Archaelogy, Language, and Identity in Greek Central Asia. University of California Press, Berkeley 2014, ISBN 978-0-520-28127-1.
  • Margherita Isnardi Parente: Il papiro filosofico di Aï Khanoum. In: Studi su codici e papiri filosofici. Platone, Aristotele, Ierocle. Olschki, Florenz 1992, ISBN 88-222-4005-7, S. 169–188.
  • Boris J. Stawiskij: Die Völker Mittelasien im Lichte ihrer Kunstdenkmäler. Keil, Bonn 1982, ISBN 3-921591-23-6, S. 42–48.

Grabungsberichte

  • Paul Bernard: Première campagne de fouilles à Ai Khanoum. In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 110, 1966, S. 127–133 (online).
  • Paul Bernard: Deuxième campagne de fouilles à Ai Khanoum en Bactriane. In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 111, 1967, S. 306–324 (online).
  • Paul Bernard: Troisième campagne de fouilles à Ai Khanoum en Bactriane. In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 112, 1968, S. 263–279 (online).
  • Paul Bernard: Quatrième campagne de fouilles à Ai Khanoum (Bactriane). In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 113, 1969, S. 313–354 (online).
  • Paul Bernard: Campagne de fouilles 1969 à Ai Khanoum (Afghanistan). In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 114, 1970, S. 301–349 (online).
  • Paul Bernard: La campagne de fouilles de 1970 à Ai Khanoum (Afghanistan). In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 115, 1971, S. 385–452 (online).
  • Paul Bernard: Campagne de fouilles à Ai Khanoum (Afghanistan). In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 116, 1972, S. 605–632 (online).
  • Paul Bernard: Fouilles de Ai Khanoum (Afghanistan). Campagnes de 1972 et 1973. In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 118, 1974, S. 280–308 (online).
  • Paul Bernard: Campagne de fouilles 1974 à Ai Khanoum (Afghanistan). In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 119, 1975, S. 167–197 (online).
  • Paul Bernard: Campagne de fouilles 1975 à Ai Khanoum (Afghanistan). In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 120, 1976, S. 287–322 (online).
  • Paul Bernard: Campagne de fouilles 1976–1977 à Ai Khanoum (Afghanistan). In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 122, 1978, S. 421–463 (online).
  • Paul Bernard: Campagne de fouilles 1978 à Ai Khanoum (Afghanistan). In: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Band 124, 1980, S. 435–459 (online).
  • Paul Bernard: Campagnes 1965, 1966, 1967, 1968. Rapport préliminaire (= Fouilles d’Ai Khanoum. Band 1). Klincksieck, Paris 1973, ISBN 2-252-01420-2.
  • Olivier Guillaume: Les propylées de la rue principale (= Fouilles d’Ai Khanoum. Band 2). Boccard, Paris 1983.
  • Henri-Paul Francfort: Le sanctuaire du temple à niches indentées (= Fouilles d’Ai Khanoum. Band 3). Boccard, Paris 1984.
  • Paul Bernard: Les monnaies hors trésors. Questions d’histoire Gréco-Bactrienne (= Fouilles d’Ai Khanoum. Band 4). Boccard, Paris 1985.
  • Pierre Leriche: Les remparts et les monuments associés (= Fouilles d’Ai Khanoum. Band 5). Boccard, Paris 1986.
  • Serge Veuve: Le Gymnase. Architecture, céramique, sculpture (= Fouilles d’Ai Khanoum. Band 6). Boccard, Paris 1987.
  • Olivier Guillaume: Les petits objets (= Fouilles d’Ai Khanoum. Band 7). Boccard, Paris 1987.
  • Claude Rapin: La trésorerie du palais hellénistique d’Ai Khanoum (= Fouilles d’Ai Khanoum. Band 8). Boccard, Paris 1992, ISBN 2-9506459-0-9.
  • Guy Lecuyot: L’habitat (= Fouilles d’Ai Khanoum. Band 9). Boccard, Paris 2013, ISBN 978-2-7018-0348-7.
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Commons: Ai Khanoum – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

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  1. Zusammengesetzt aus dem turanischen Wort Ay für Mond als Symbol der Schönheit und dem Wort persisch خانم, bedeutet eigentlich „Dame des Hauses mit Mondgesicht“. In Usbekisch bedeutet persisch آی خانم ‌wörtlich „Monddame“, gemeint ist eine „schöne Prinzessin“.
  2. Für eine ausführliche Beschreibung der Stadt und ihrer Bauten siehe Rachel Mairs: The Hellenistic Far East. Berkeley 2014, S. 57–101.
  3. „Als Kind sei anständig / als Jugendlicher beherrscht / als Erwachsener gerecht / als Greis vernünftig / im Sterben ohne Kummer“. Vgl. Jochen Althoff, Dieter Zeller (Hrsg.): Die Worte der Sieben Weisen. Darmstadt 2006, S. 60.
  4. „᾿Ανδρῶν τοι σοΦὰ ταῦτα παλαιοτέρων ἀνάκειται / ῥήματα ἀριγνώντων Πυθοῖ ἐν ἠγαθέαι / ἔνθεν ταῦτα Κλέαρχος ἐπιφραδέως ἀναγράψας / ἕισατο τηλαυγῆ Κινέου ἐν τεμένει“. („Diese weisen Worte gar alter, weit berühmter Männer sind geweiht im hochheiligen Pytho; / Von dort hat Klearchos dies sachverständig aufgeschrieben / und weithin strahlend im Hain des Kineas hingesetzt“). Epigramm und Übersetzung: Jochen Althoff, Dieter Zeller (Hrsg.): Die Worte der Sieben Weisen. Darmstadt 2006, S. 59 f.
  5. Diskussion zum Fall Ai Khanoums in Rachel Mairs: The Hellenistic Far East. Berkeley 2014, S. 170–173.
  6. Vgl. zur Diskussion Frank L. Holt: When did the Greeks abandon Ai Khanoum?. In: Anabasis. Band 3, 2012, S. 161–172.
  7. Paul Bernard: Die griechische Kolonie Ai Khanum und der Hellenismus in Zentralasien. In: Pierre Cambon, Jean-François Jarrige (Hrsg.): Gerettete Schätze. Afghanistan. Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland/Production Foundation De Nieuwe Kerk und Hermitage, Bonn/Amsterdam 2010, ISBN 978-90-78653-20-2, S. 45–55, hier S. 55.
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