Black Out – Anatomie einer Leidenschaft

Britisches Filmdrama von Nicolas Roeg (1980)

Black Out – Anatomie einer Leidenschaft (Bad Timing[2]) ist ein britisches Filmdrama von Nicolas Roeg aus dem Jahre 1980. Das Liebespaar stellen Theresa Russell in einem ihrer ersten Filme und Art Garfunkel von Simon and Garfunkel dar. Der Film spielt in Wien.

Film
Titel Black Out – Anatomie einer Leidenschaft
Originaltitel Bad Timing
Produktionsland Großbritannien
Originalsprache Englisch, Deutsch
Erscheinungsjahr 1980
Länge 122 Minuten
Altersfreigabe
Stab
Regie Nicolas Roeg
Drehbuch Yale Udoff
Produktion Jeremy Thomas
Musik Richard Hartley
Kamera Anthony B. Richmond
Schnitt Tony Lawson
Besetzung

Handlung

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1979 im jahrtausendealten Wien, als der Kalte Krieg gerade aufzutauen beginnt:[3] Eine junge Amerikanerin in ihren Zwanzigern, Milena, wird mit einer Überdosis in nahezu hoffnungsloser Verfassung vom Rettungswagen nachts um ein Uhr in die Notaufnahme eingeliefert. In ihrer Begleitung ist der wenige Jahre ältere Amerikaner Alex Linden, in Forschung und Lehre tätiger Psychoanalytiker. Milena bringt unter der Beatmungsmaske noch heraus: „Stefan, es tut mir leid…“

Alex hatte sie in ihrer Wohnung aufgefunden, sein Auto steht dort noch vor der Tür. Alex bezeichnet sich als „Freund“; er legt Wert darauf, dass sie auch nicht seine Patientin war. Die Polizisten bestehen bei der minutiösen Protokollierung der Ereignisse insbesondere auf genaue Zeitangaben. In nichtchronologischer Form und in kleinteiligen Erinnerungen wird die Beschaffenheit der Amour fou und deren Verlauf deutlich, während Milena auf der Intensivstation liegt, einen Endotrachealtubus und einen Luftröhrenschnitt bekommt und bei Herzstillstand defibrilliert wird.

Milena ist freundlich, extravertiert, „normal“, unordentlich, neigt dem Alkohol zu und ist mit dem älteren Tschechen Stefan in Bratislava verheiratet, den sie immer noch sehr liebt. Sie pendelt durch den Eisernen Vorhang in die kalte Tschechoslowakei und verschwindet mitunter tagelang. Alex, der Intellektuelle, liebt sie mit Leidenschaft, aber bald ermüdet sie ihn auch. Gemeinsam besuchen sie eine Kunstausstellung. Der Psychiater wird zunehmend eifersüchtig, besitzergreifend und drängt auf Scheidung, zieht sich also eine Obsession zu. Alex doziert an der Universität Wien dieser Tage über Wahrnehmung und den archetypischen Beobachter. In Marokko macht er Milena, die zur Zeit Himmel über der Wüste liest, so etwas wie einen Heiratsantrag, aber sie legt zu viel Wert auf ihre Freiheit, und lehnt diesen gewissermaßen ab. Er macht Schluss mit ihr, da sie „genug andere Bekannte“ hat. Überraschenderweise verzweifelt Milena an der Trennung vollkommen und über Wochen hinweg. Sie trinkt sich nächtelang in den Stupor, volltrunken nimmt sie Tabletten und spricht ihm auf den Anrufbeantworter. Nach längerem Zögern setzt er sich ins Auto und fährt zu ihr.

Ein langhaariger Polizist, der selbst fanatische Züge an den Tag legt und akzentfreies Englisch spricht, Inspektor Netusil, nimmt Linden unter die Lupe. Kommunikation zwischen den beiden kann kaum zustande kommen. Netusil ahnt, dass etwas nicht stimmt, und bedrängt Linden immer mehr, mit der Wahrheit herauszurücken. Zuletzt stellt sich durch Zeitvergleich, wegen des überquellenden Aschenbechers und des Senders, der auf dem Autoradio eingestellt war, heraus, dass Alex schon bedeutend früher in der Wohnung eintraf, das Timing also nicht stimmt. Er zögerte so lange, den Rettungswagen zu rufen, da er sie in bewusstslosem Zustand vergewaltigt hat. Weil Milena dann doch überlebt, werden die Ermittlungen eingestellt.

Kritiken

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Verantwortliche bei The Rank Organisation waren von dem fertigen Film alles andere als begeistert. Die Äußerung „ein kranker Film von kranken Menschen für kranke Menschen“ machte die Runde. Rank zog dementsprechend das bekannte Logo vom Filmvorspann zurück,[4] und nahm ihn aus den eigenen Kinos. Dann wurde der Film in den Archiven begraben,[5] bis sich per Medium DVD die Criterion Collection der Sache annahm.

  • „ein Beispiel für einen Film, der seiner Zeit voraus war. Was 1980 obskur schien ist heute kristallklar, wir folgen Roegs nichtlinearer Montage mit Leichtigkeit […] die Apotheose des Autorenkinos der 70er“ (Glenn Erickson: Turner Classic Movies)[7]
  • „die Fragilität, die von einer Beziehung ausgeht; jede Unterbrechung […] lässt sie flüchtiger wirken. […] Stil und Chronologie springen zwischen Verliebtheit und Depression vor und zurück: Anfang und Ende einer Liebe. […] Nichts passt richtig zusammen, soll es auch nicht.“ (Not Coming to a Theater Near You, 2005)[8]
  • „Netusil hat sein eigenes Identitätspuzzle zu lösen. Zum Teil eine Doppelgängergeschichte, eine unvollständige. […] So viele Ambivalenzen im Dasein – so viele Verschiebungen von Operationen auf Wagnis, Wahl und Vorsehung – der vibrierende, fragmentierte Stil des Films entworfen, dieses Spiel zu verkörpern […] Das Fin de Siècle der Wiener Kunstwelt gehört zur emotionellen Textur von Bad Timing, der Kontrast zwischen dem romantischen Schimmer von Gustav Klimt und der psychologischen Dunkelheit von Egon Schiele.“ (Richard Combs: ‚Bad Timing: The Men Who Didn’t Know Something‘ in The Criterion Collection)[9]
  • „eine weitere exzellente Studie über die Natur des Menschen […] Der Film interessiert sich nicht dafür, mit Wiens wunderschöner Szenerie Gefühle zu schinden, vielmehr […] externalisiert er die Seelenzustände seiner Figuren damit“ (digitallyOBSESSED.com)[10]
  • „Der Film nimmt Züge einer Detektivgeschichte an, in der sich die Tat schrittweise enthüllt, während Roeg uns peinlichst durch die tränenreiche Beziehung geleitet […] die Enthüllung dann ist nicht schockierend, sondern unvermeidlich […] Garfunkel und Russell, in nahezu unmöglichen Rollen, sind außerordentlich eindrucksvoll […] Harvey Keitels Netusil mit einer intensiven Selbstgerechtigkeit, beunruhigend mehr Priester als Polizist, während Denholm Elliott unvorstellbar bewegend spielt“ (Mike Sutton: Screenonline)[11]
  • „Hinter allen Filmen steht die Frage nach der Landschaft. Wie können wir meinen, den Geliebten zu verstehen, wenn wir uns noch nicht mal an den Plätzen wohl fühlen? Zum Verdruss vieler Kritiker wagte er sich nie an dieses existentielle Paradoxon heran“ (Lee Hill: ‚Nicolas Roeg‘ in Senses of Cinema, 2002)[12]
  • „der Chic des Degenerierten […] Jede Szene aufgenommen mit mindestens einem Auge und einem Ohr auf dem Schneidetisch“ (Variety, 1980)[13]
  • „Je nach Toleranzschwelle für kreischende, bettlakenwälzende Performances werden die Hauptfiguren entweder grimmig faszinieren (vielleicht irgendwelche glückliche Erinnerungen an eigene dem Untergang geweihte Partnerschaften hervorrufen), vielleicht amüsieren oder mit aller Wahrscheinlichkeit unglaublich irritieren“ (Ali Catterall: Channel 4 Film)[14]

Autor Udoff strebte mehr Humor im Film an: „Ich wollte so etwas wie humorvoller Antonioni sein.“ Regisseur Roeg drängte hingegen auf mehr Intensität: „Es gab einen gewissen Druck, Garfunkel schwerer zu machen.“[9]

Roeg sagte bezüglich der ersten Begegnung der Protagonisten auf der Party: „Wenn er denn nur etwas früher oder später gegangen wäre. Das ist alles nur Bad Timing […]“[9] und zu Gesprächspartner Harlan Kennedy: „Es ist eines der Konzepte des Lebens, dass alle Geschichten nur eine große Geschichte sind und an dieser teilhaben.“ (It’s one of the basic concepts of living that stories are one great story of which all stories partake).[15]

An bereits existierender Filmmusik fanden unter anderem Billie Holiday (I’ll be seeing you), Tom Waits (An Invitation to the Blues), Keith Jarrett (The Köln Concert), The Who, Harry Partch[16] und Ludwig van Beethoven Verwendung. Zu Beginn ist am Grenzübergang auf der Brücke über die Donau der Kanon in D-Dur von Johann Pachelbel zu hören.

Die Szenen zu Milena Flahertys Apartment wurden in der Schönbrunner Schlossstraße 2 gedreht. Das Gebäude wurde im Jahr 2014 für ein geplantes Einkaufszentrum abgerissen.[17][18]

Im Krankenhaus herrscht Rauchverbot, trotzdem wird nicht nur dort fast durchgängig geraucht, was Anlass zu wenigstens einer bösen Kritik gab.[14]

Musiker Jim O’Rourke benannte ein Album nach dem Film.

Auszeichnungen

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Einzelnachweise

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  1. Freigabebescheinigung für Black Out – Anatomie einer Leidenschaft. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, November 2004 (PDF; Prüf­nummer: 51 497 DVD).
  2. „verblüffend, mit welcher Konsequenz [..Roeg] Titel wählt, die seine Filme fast wieder auslöschen, sobald ihr Name auf der Leinwand erscheint. ‚Don’t Look Now‘ ist natürlich so ein Titel, aber eben auch ‚Bad Timing‘ oder ‚Insignificance‘.“ (Verena Lueken) Verena Lueken: Eyes Wide Shut: Nicolas Roegs ‚Bad Timing‘ – Fast tödlich. In: FAZ. 16. Oktober 2007, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 25. März 2009 (s. Eyes Wide Shut).@1@2Vorlage:Toter Link/www.faz.net (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  3. vgl. Criterion Collection: „Amid the decaying elegance of cold-war Vienna“, s. Weblinks. Catterall: „Wiege der Psychoanalyse“.
  4. James Kendrick: Bad Timing. In: QNetwork.com. Abgerufen am 24. März 2009 (englisch).
  5. Nick Hasted: Sick, sick, sick, said Rank. In: The Guardian. 15. August 2000, abgerufen am 25. März 2009 (englisch).
  6. Black Out – Anatomie einer Leidenschaft. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 28. Oktober 2018.
  7. Glenn Erickson: Nicholas Roeg’s Bad Timing. In: Turner Classic Movies. Abgerufen am 25. März 2009 (englisch): „a clear example of a film way ahead of its time. What seemed obscure in 1980 is now crystal clear, and we follow Roeg’s non-linear cutting patterns without the slightest confusion. […] the culmination of the 70s idea of a director’s picture“
  8. Rumsey Taylor: Bad Timing – A Sensual Obsession. In: Not Coming to a Theater Near You. 18. November 2005, abgerufen am 25. März 2009 (englisch): „the vulnerability that a relationship exploits, and any disruption, as a result, is rendered more volatile. […] The tone and chronology shift rapidly back-and-forth between infatuation and depression: love’s beginning and end. […] Nothing really fits together here, and nothing should“
  9. a b c Richard Combs: Bad Timing: The Men Who Didn’t Know Something. In: The Criterion Collection. Abgerufen am 25. März 2009 (englisch): „Netusil also has his own identity puzzle to solve. In part, this is a doppelgänger story, but an incomplete one. […] There are so many ambivalences in the scheme of things – so much shifting between the operations of hazard, choice, and predestination – and the dazzling, fragmented style of the film is designed to catch this play. […] The turn-of-the-century Viennese art world is part of the emotional texture of Bad Timing, the contrast between the romantic shimmer of Gustav Klimt and the psychological darkness of Egon Schiele“
  10. Nate Meyers: Bad Timing (1980). In: digitallyOBSESSED.com. 26. September 2005, abgerufen am 25. März 2009 (englisch): „another excellent study in human nature […] This is not a picture interested in utilizing Vienna’s beautiful scenery to achieve visceral effects; rather, Roeg and his crew prefer to externalize their characters through the film’s look and sound“
  11. Mike Sutton: Bad Timing (1980). In: Screenonline. BFI, abgerufen am 24. März 2009 (englisch): „The film takes the form of a detective mystery, in which the crime is only revealed gradually, as Roeg painstakingly guides us through the tortured relationship […] the revelations at the end of the film seem not merely shocking but inevitable. […] Garfunkel and Russell, given almost impossible roles, are extremely impressive […] Harvey Keitel’s Netusil has an intense self-righteousness which is unnerving, more priest than detective, and Denholm Elliott is unbearably moving“
  12. Lee Hill: Nicolas Roeg. In: Senses of Cinema. Mai 2002, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 25. Februar 2009; abgerufen am 25. März 2009 (englisch): „Behind all of these films is a question about landscape: how can we even think we can understand the ones we love, when we can’t even feel at ease in the places we live in? To the chagrin of many critics, Roeg did not delineate this existential paradox“
  13. Variety Staff: Bad Timing (UK). In: Variety. 1. Januar 1980, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 24. März 2009; abgerufen am 25. März 2009 (englisch): „degenerate chic […] Every scene is shot with at least one eye and one ear to the editing table“
  14. a b Ali Catterall: Bad Timing Review. In: Channel 4 Film. Abgerufen am 25. März 2009 (englisch): „This film is absolutely choking, fair reeking in ciggie smoke; over 40 fags have the life sucked out of them during the two-hour running time […] Depending on one’s tolerance for shouty, duvet-chewing acting, the lead performances will either grimly fascinate (perhaps evoking happy memories of past doomed relationships), possibly amuse, or most likely irritate beyond belief.“
  15. IMDb, „Soundtracks for Bad Timing“, s. Weblinks.
  16. Movie Locations (Memento vom 12. Dezember 2015 im Internet Archive)
  17. Baugeschichte.at
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