Casimirianum Neustadt

Hochschule in Deutschland

Das Casimirianum im pfälzischen Neustadt an der Haardt (heute Neustadt an der Weinstraße, Rheinland-Pfalz) war eine calvinistische Universität, die 1578 durch den Pfalzgrafen Johann Casimir gegründet und nach ihm benannt wurde. Das Casimirianum bestand nur fünf Jahre lang. Heute wird der Name für das restaurierte historische Gebäude verwendet, das unter Denkmalschutz steht.[1]

Casimirianum Neustadt
Casimirianum in Neustadt

Casimirianum in Neustadt

Daten
Ort Neustadt an der Weinstraße
Bauherr Pfalzgraf Johann Kasimir
Baustil überwiegend Renaissance
Baujahr vor 1578
Koordinaten 49° 21′ 12,8″ N, 8° 8′ 3,6″ OKoordinaten: 49° 21′ 12,8″ N, 8° 8′ 3,6″ O
Casimirianum Neustadt (Rheinland-Pfalz)
Casimirianum Neustadt (Rheinland-Pfalz)
Besonderheiten
• 1578/79 Um- und Ausbau eines Teils des vormaligen Klosters der Augustinerinnen
• 1579–1584 calvinistische Universität

Den gleichen Namen, der allerdings von einem anderen Fürsten hergeleitet ist, trägt das Casimirianum Coburg, ein traditionsreiches Gymnasium im nordbayerischen Coburg.

Geographische Lage

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Das Casimirianum Neustadt liegt auf einer Höhe von 137 m[2] im Nordwesten des Stadtkerns links des Speyerbachs und direkt oberhalb des Floßbach-Abzweigs. In der Nähe befinden sich die Marienkirche, die Stiftskirche und der Marktplatz.

Geschichte

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Universität

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Universitätsgründer Johann Casimir
 
Tafel mit Widmung „1578“ am Rundturm

Nach dem Tod des calvinistischen Kurfürsten Friedrich III. (1576) setzte sein Sohn und Nachfolger Ludwig VI. in seinem Herrschaftsbereich kompromisslos das lutherische Bekenntnis durch. So wurden auch an der Universität Heidelberg alle Professoren und Studenten genötigt, die im Jahr 1577 im Kloster Berge endgültig beschlossene Konkordienformel zu unterschreiben, mit der sie dem reformierten Bekenntnis abschworen.

Als Ausweichuniversität für diejenigen, welche die Unterschrift verweigerten und deswegen Heidelberg verlassen mussten, schuf der Pfalzgraf Johann Casimir, welcher – im Gegensatz zu seinem kurfürstlichen älteren Bruder Ludwig VI. – der Reformierten Kirche angehörte, das Casimirianum.

Es wurde 1578/79 durch Um- und Ausbau der Weißen Klause im vormaligen Kloster der Augustinerinnen eingerichtet und enthält Bauelemente aus Gotik und Renaissance. Der Hochschule waren zur Vorbereitung auf das Studium eine Partikularschule und ein Pädagogium (auch Gymnasium illustre genannt) vorgeschaltet.

Die Universität blieb nur wenige Jahre in Neustadt; der Lehrbetrieb wurde bereits 1583/84 unter Kurfürst Friedrich IV., der noch nicht volljährig war und für den sein Onkel Johann Casimir als Administrator fungierte, zurück nach Heidelberg verlegt.

Pädagogium

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Das Pädagogium konnte sich mehr als 200 Jahre in Neustadt halten. Zwar ging 1635, während des Dreißigjährigen Krieges, das Gebäude des Casimirianums bei einem Angriff schwedischer Truppen in Flammen auf und wurde schwer beschädigt, doch erst 1797/98, als französische Revolutions­truppen die Pfalz eroberten, endete auch das Pädagogium. Seit 1759 wurden in der Kurpfalz nur noch Absolventen der Schulen in Heidelberg, Mannheim, Neustadt an der Haardt und Kreuznach zum Universitätsstudium zugelassen.[3]

Während der sich anschließenden französischen Besetzung der Pfalz wurde in dem Gebäude ab 1808 eine École secondaire betrieben. Neustadt gehörte damals als annektierter Bestandteil Frankreichs zum Departement Donnersberg. Nach Napoleons Niederlage in der Schlacht bei Waterloo (1815) endete die Besetzung. 1816 begann die Zeit der bayerischen Verwaltung; die École secondaire wurde aufgelöst.

Professoren

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Für wenige Jahre war das Casimirianum eine der bedeutendsten calvinistischen Hochschulen Europas, an der sich zahlreiche namhafte Gelehrte zusammenfanden. Sie sind in der Kategorie der Neustadter Hochschullehrer erfasst.

Zacharias Ursinus

Aus ihrer Reihe ragt Zacharias Ursinus (1534–1583), eig. Zacharias Baer, besonders heraus. Mit seinem Kollegen Caspar Olevian hatte er 1563 in Heidelberg den Heidelberger Katechismus herausgegeben, die wohl bedeutendste Bekenntnisschrift der Reformierten Kirche Deutschlands. Nach dem Tode seines Gönners Friedrich III. fand Ursinus in Neustadt am Casimirianum eine neue Lehrstätte als Theologe. Er eröffnete seine Tätigkeit am 26. April 1578 mit einer Vorlesung über den Propheten Jesaja.[5] Drei Jahre später erschien sein letztes größeres Werk, die Admonitio Christiana, eine scharfe Abrechnung mit der Konkordienformel.[6] Ursinus verstarb im Alter von nur 49 Jahren und wurde in der Neustadter Stiftskirche beigesetzt. Hauptsächlich ihm verdankt das Casimirianum seine damalige Bekanntheit.

David Pareus

Der gleichfalls von Heidelberg ans Casimirianum gewechselte Theologe David Pareus (1548–1622), eig. David Wängler, Schüler und geistiger Erbe von Zacharias Ursinus, gab 1587/88 die Neustadter Bibel heraus.[7] Auf der deutschen Übersetzung Martin Luthers in der Version von 1546 basierend, war sie von Pareus mit reformierten Kommentaren versehen worden.[8] Der Druck des Werkes erfolgte beim örtlichen Buchdrucker Matthäus Harnisch. Ein erhaltenes Exemplar der 3. Auflage (1594), zugleich der einzige Druck im Folio-Format, wird im Stadtmuseum Villa Böhm präsentiert.[9] Außerdem veröffentlichte Pareus ab 1591 die Auslegungen (in lateinischer Sprache) des Heidelberger Katechismus seines Lehrers Zacharias Ursinus.[10] Pareus kehrte 1598 an die Universität Heidelberg zurück und übernahm dort eine Professur zunächst für Altes, dann für Neues Testament.

Pareus’ Sohn, der Latinist Johann Philipp Pareus (1576–1648) war von 1610 bis 1622 Rektor am Pädagogium, dem Vorläufer des heutigen Kurfürst-Ruprecht-Gymnasiums in Neustadt.

Jakob Christmann

Der Orientalist Jakob Christmann (1554–1613), ein konvertierter Jude, betrieb seine Studien in Hebräisch und Arabisch zunächst ebenfalls in Heidelberg; wegen der Konkordienformel musste auch er seine Lehrtätigkeit am Casimirianum in Neustadt fortsetzen. Im Jahre 1582 widmete er dort dem Rektor und den Professoren seine arabische Grammatik Alphabetum arabicum, die offenbar als Lehrbuch für die Studenten gedacht war. 1584 konnte Christmann wieder – als Professor für Hebräisch – nach Heidelberg zurückkehren, wo ihn Kurfürst Friedrich IV. im Jahr 1602 zum Rektor der Universität ernannte.

Heutige Situation

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Casimirianum von Nordwesten

Aus der Tradition des Casimirianums entwickelte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts auf der Basis einer Lateinschule das Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium, das älteste Gymnasium der Stadt. Die anderen Gymnasien entstanden erst mehr als hundert Jahre später.

Nach seiner Restaurierung gegen Ende des 20. Jahrhunderts dient das Casimirianum als Gemeindehaus der Protestantischen Stiftskirchengemeinde und wird vor allem für kulturelle Veranstaltungen genutzt.

Literatur

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  • Gustav Adolf Benrath: Neustadt an der Haardt und seine Hohe Schule (Casimirianum) vor 400 Jahren. In: Ders.: Reformation – Union – Erweckung. Beispiele aus der Kirchengeschichte Südwestdeutschlands, hrsg. von Klaus Bümlein, Irene Dingel, Wolf-Friedrich Schäufele (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte. Band 228). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 3-525-10110-4, S. 79–91.
  • Gustav Adolf Benrath: Reformation und Calvinismus in Neustadt an der Haardt. In: Ders.: Reformation – Union – Erweckung. Beispiele aus der Kirchengeschichte Südwestdeutschlands, hrsg. von Klaus Bümlein, Irene Dingel, Wolf-Friedrich Schäufele (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte. Band 228). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 3-525-10110-4, S. 57–77.
  • Das Casimirianum in Neustadt an der Weinstraße (= Der Turmhahn. Zeitschrift für Bauen und Kunst in der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche). Band 39, Heft 5/6). Evangelischer Presseverlag, Speyer 1995.
  • Lutz Frisch: Pfalzgraf Johann Casimir, seine "Hohe Schule" im Casimirianum und die Bürger von Neustadt an der Haardt. In: Klaus Frédéric Johannes (Hrsg.): Mobilitas. Fetschrift zum 70. Geburtstag Werner Schreiners (= Schriftenreihe der Bezirksgruppe Neustadt an der Weinstraße im Historischen Verein der Pfalz. Band N. F. 1). Llux, Neustadt an der Weinstraße 2017, ISBN 978-3-9816211-4-3, S. 37–70.
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Commons: Casimirianum Neustadt an der Weinstraße – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Nachrichtliches Verzeichnis der Kulturdenkmäler. (PDF; 4,9 KB) Kreisfreie Stadt Neustadt an der Weinstraße. Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, 24. Juni 2019, abgerufen am 29. November 2019.
  2. Standort des Casimirianums auf: Kartendienst des Landschaftsinformationssystems der Naturschutzverwaltung Rheinland-Pfalz (LANIS-Karte) (Hinweise), abgerufen am 30. Juni 2021.
  3. Hermann Wiegand: Der zweigipflige Musenberg. Studien zum Humanismus in der Kurpfalz. Hrsg.: Rhein-Neckar-Kreis (= Historische Schriften. Nr. 2). Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2000, S. 170.
  4. Handschriftliches Vorwort von Jakob Christmann zu De revolutionibus orbium coelestium von Nikolaus Kopernikus.
  5. Zur genannten Vorlesung und Ursinus’ weiterer Lehrtätigkeit am Casimirianum vgl. Boris Wagner-Peterson: Doctrina schola vitae. Zacharias Ursinus (1534–1583) als Schriftausleger (= Refo500 Academic Studies 13). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 978-3-525-55055-7.
  6. Boris Wagner-Peterson (Hrsg.): Doctrina schola vitae. Zacharias Ursinus (1534-1583) als Schriftausleger (= Refo500 Academic Studies 13). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 978-3-525-55055-7, S. 361 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. 1300 bis Ende 16. Jahrhundert. In: neustadt.eu. Stadt Neustadt, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Januar 2014; abgerufen am 23. November 2024.
  8. Zu Entstehung, Ausgestaltung, Inhalt, den verschiedenen Auflagen und der Rezeption der Neustadter Bibel siehe Traudel Himmighöfer: Die Neustadter Bibel von 1587/88, die erste reformierte Bibelausgabe Deutschlands (= Veröffentlichungen des Vereins für pfälzische Kirchengeschichte. Band 12), Evangelischer Presseverlag Pfalz, Speyer 1986, ISBN 3-925536-03-5.
  9. Raum 3. In: stadtmuseum-neustadt.de. Stadtmuseum Neustadt, abgerufen am 14. Januar 2014.
  10. Zu den genannten Auslegungen vgl. Boris Wagner-Peterson: Zacharias Ursinus und „seine“ Auslegung des Heidelberger Katechismus. In: Matthias Freudenberg und J. Marius J. Lange van Ravenswaay (Hrsg.): Geschichte und Wirkung des Heidelberger Katechismus. Neukirchen-Vluyn 2013, ISBN 978-3-7887-2738-3, S. 86–109, bes. 94–98.
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