Grenzwert (Chemie)

Zahlenangaben, die in der Chemie die Toleranz bezüglich einer gewünschten Beschaffenheit (Sollwert) festlegen

Grenzwerte sind Zahlenangaben in Spezifikationen, Normen, Verordnungen, Gesetzen, Verträgen und sonstigen Vereinbarungen, die in der Chemie die Toleranz bezüglich einer gewünschten Beschaffenheit (Sollwert) festlegen. Im Gegensatz zu den tatsächlich gemessenen Istwerten geben sie die akzeptablen Messwerte an.

Eigenschaften

Bearbeiten

Grenzwerte werden in untere Grenzwerte (Minimalwerte) und obere Grenzwerte (Maximalwerte) unterteilt. Beide Grenzwerte umfassen einen Sollwert-Bereich, z. B. einer Konzentration oder einer absoluten oder relativen (meistens in Prozentangaben) Masse oder Stoffmenge. Je nach Methode und begleitendem Messfehler können relative Grenzwerte auch Werte unter 0 % bzw. über 100 % erreichen. Dabei ist es wichtig, für jeden Grenzwert eine exakte Prüfmethode (inklusive Probenvorbereitung) festzulegen, da unterschiedliche analytische Messmethoden bei ein und derselben Probe oft verschiedene Istwerte ergeben.

Die American Chemical Society gibt regelmäßig ein Verzeichnis für derzeit ungefähr 500 Chemikalien in der Qualität „ACS Reagent Chemicals“ heraus, für die Grenzwerte und Prüfmethoden exakt beschrieben sind.[1] Pharmakopöen (z. B. Europäischen Arzneibuch und in der United States Pharmacopeia[2]) enthalten analog eine Vielzahl von Grenzwerten und Prüfmethoden für Stoffe, Materialien und Methoden zur Herstellung von Arzneimitteln. Bei der Bewertung der Prüfergebnisse sind stets die Rundungsregeln nach DIN 1333 zu beachten.

Beispiele für Grenzwerte

Bearbeiten
  • untere Grenzwerte bei Gehaltsangaben, z. B. ≥ 97,0 % Gehalt für Essigsäureanhydrid in der Qualität „ACS Reagent Chemicals“,[3]
  • untere und obere Grenzwerte bei tolerierten maximalen verschiedenen Abweichungen vom Sollwert (100 %), z. B. Arzneistoffreinheit von Acetylsalicylsäure vom unteren Grenzwert von 99,5 % bis zum oberen Grenzwert von 101,0 % (getrocknete Substanz),[4] Reinheit des Arzneistoffs Cortisonacetat 97,0 % bis 103,0 % (getrocknete Substanz),[5] dies entspricht 100,0 % (± 3,0 %),
  • untere und obere Grenzwerte zur Charakterisierung der Enantiomerenreinheit des chiralen Naturstoffs D-Glucose in der Qualität „ACS Reagent Chemicals“, z. B. durch Angabe des unteren Grenzwertes Gu und des oberen Grenzwertes Go für den optischen Drehwert α.[6]
     
    Schema zur Veranschaulichung einer beidseitig begrenzten Spezifikation (z. B. für den optischen Drehwert α). Der Toleranzbereich der Spezifikation ist grün markiert. Er beginnt mit dem unteren Grenzwert Gu und endet mit dem oberen Grenzwert Go.
  • Gemische aus brennbaren Gasen, Dämpfen oder Stäuben mit Luft und damit dem in ihr enthaltenen Sauerstoff sind bei bestimmten, stofftypischen Mischungsverhältnissen explosionsfähig. Diese Mischungsverhältnisse bestimmen den Explosionsbereich, der durch seine zwei Explosionsgrenzen, der oberen und der unteren Explosionsgrenze (OEG bzw. UEG), beschrieben wird. Diese Grenzen werden auch als Zündgrenzen bezeichnet.[7]
 

Explosionsgrenzen
  • obere Grenzwerte (Maximalwerte), z. B. Chloridgehalt ≤ 0,15 % für Natriumcyanid in der Qualität „ACS Reagent Chemicals“,[8]
  • obere Grenzwerte (Maximalwerte) für Lösungsmittel-Rückstände in Arzneistoffen, Hilfsstoffen und Arzneimitteln, festgelegt in Arzneibüchern.
  • obere Grenzwerte für Stoffe in der Luft am Arbeitsplatz beim Arbeitsplatzgrenzwert (AGW),[9] früher auch der MAK-Wert.[10]
  • obere Grenzwerte für Stoffe in einem biologischen Material beim biologischen Grenzwert (BGW).[9]
  • obere Grenzwerte in der Analytischen Chemie: die Grenzkonzentration (in g·ml−1) ist die minimale Konzentration, bei der in einer qualitativen Nachweisreaktion der Nachweis positiv ausfällt,[11]
  • in der Physikalischen Chemie ist die Grenzkonzentration (Sättigungslöslichkeit) die maximale Konzentration, mit der eine feste Substanz in einer Flüssigkeit löslich ist,[12]
  • in der Lebensmittelindustrie müssen für die durch eine Gefahrenanalyse identifizierten kritischen Kontrollpunkte (CCP) Maximal- oder Minimalwerte (z. B. pH-Wert) festgelegt und überwacht werden, um vorbeugend eine Gefährdung des Verbrauchers abzuwenden, zu eliminieren oder auf ein erträgliches Niveau zu reduzieren. Diese Prinzipien sind im HACCP-Verfahren geregelt.
  • Im Baustoffatlas (Herausgeber Manfred Hegger) wird kritisiert, dass Grenz- und Zielwerte nach der Zumutbarkeit und höchstzulässigen Belastung und weniger nach technisch erreichbaren Tiefstwerten oder Resultaten naturwissenschaftlicher Verfahren vereinbart würden. Es wären im Grunde nur Versuche, Auslösemechanismen oder Wirkungen, über die man wenig weiß, abzuschätzen. Grenzwerte würden Umweltzustände nicht optimieren, sondern wären „bestenfalls die normative Festlegung von Erträglichkeit und Risiken eines scheinbar unabänderlichen Zustandes.“[13]
  • Bei Pestiziden sind für empfindliche Menschen selbst Konzentrationen problematisch, die bis zu 10.000-fach unter den heutigen Grenzwerten liegen.[14][15]

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Reagent Chemicals: Specifications and Procedures. 10. Auflage. American Chemical Society, Washington, DC 2006, ISBN 0-8412-3945-2.
  2. Mission and Preface. (PDF; 673 kB) USP, archiviert vom Original am 2. Dezember 2013; abgerufen am 19. Februar 2015 (englisch).
  3. Reagent Chemicals. 7. Auflage. American Chemical Society, Washington, DC 1986, ISBN 0-8412-0991-X, S. 76–78.
  4. Europäisches Arzneibuch. 6. Ausgabe. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-7692-3962-1, S. 1561–1562.
  5. Europäisches Arzneibuch. 6. Ausgabe. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-7692-3962-1, S. 2215–2217.
  6. Reagent Chemicals. 7. Auflage. American Chemical Society, Washington, DC 1986, ISBN 0-8412-0991-X, S. 309–314.
  7. Roy Bergdoll, Sebastian Breitenbach: Verbrennen und Löschen (= Die Roten Hefte. Heft 1). 18. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-17-026968-2.
  8. Reagent Chemicals. 7. Auflage. American Chemical Society, Washington, DC 1986, ISBN 0-8412-0991-X, S. 591–593.
  9. a b Gerhard Hilt, Peter Rinze: Chemisches Praktikum für Mediziner. Studienbücher Chemie. Springer-Verlag, 2009. ISBN 978-3-8348-0667-3. S. 6, 7.
  10. Norbert Hochheimer: Das kleine QM-Lexikon: Begriffe des Qualitätsmanagements aus GLP, GCP, GMP und EN ISO 9000. John Wiley & Sons, 2011. ISBN 978-3-527-33076-8. S. 105.
  11. Bernhard Adler u. a.: Analytikum – Methoden der analytischen Chemie und ihre theoretischen Grundlagen. VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1971, OCLC 256201747, S. 64.
  12. Hermann Kienitz: Bestimmung der Löslichkeit. In: Eugen Müller (Hrsg.): Methoden der Organischen Chemie (Houben-Weyl). Band 3: Physikalische Methoden. Teil 1, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1955, OCLC 310562623, S. 226.
  13. Manfred Hegger: Baustoff Atlas. Walter de Gruyter, 2006, ISBN 978-3-034-61448-1 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  14. Matthias Liess, Sebastian Henz, Saskia Knillmann: Predicting low-concentration effects of pesticides. In: Scientific Reports. 9, 2019, doi:10.1038/s41598-019-51645-4.
  15. Gefahren durch Pestizide unterschätzt. In: biooekonomie.de. 12. November 2019, abgerufen am 20. November 2019.
  NODES