Heil dir im Siegerkranz

patriotisches Lied in Preußen und Deutschland

Das Lied Heil dir im Siegerkranz war seit 1795 die preußische Volkshymne. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 wurde das Lied zur Kaiserhymne. Sie erklang bei patriotischen Gelegenheiten mit Bezug zum Kaiser, wie Thronjubiläen und Geburts- und Todestagen, gewöhnlich aber auch zu Anlässen wie dem Sedantag und zu den Reichsgründungsfeiern. Eine Nationalhymne im heutigen Sinne war es nicht, was insbesondere auf den bundesstaatlichen Aufbau des Deutschen Reichs zurückzuführen war. Vielmehr war es eines unter mehreren inoffiziellen oder halboffiziellen, zu derartigen Anlässen angestimmten Liedern wie beispielsweise auch der Wacht am Rhein. Insbesondere die süddeutschen Staaten standen dem Lied skeptisch gegenüber.

Heil dir im Siegerkranz. Textfassung bei Friedrich Silcher und Friedrich Erk in Schauenburgs Allgemeinem Deutschen Kommersbuch, um 1900

Entstehung und Geschichte

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Gedenkstein für den Dichter, Friedhof Brügge (Holstein)
 
Heil dir im Siegerkranz als „preußisches Volkslied“ in Die deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen, viertes Heft, 1843, mit Kommentar von Irmer/Erk
Heil Dir Im Siegerkranz, zeitgenössische Tonaufnahme

Die Urfassung des Liedes stammt von dem Pfarramtskandidaten Heinrich Harries, der sie in dem von ihm gegründeten und redigierten Flensburger Wochenblatt für Jedermann am 27. Januar 1790 unter dem Titel „Lied für den dänischen Untertan, an seines Königs Geburtstags zu singen in der Melodie des englischen Volksliedes God save George the King“ anlässlich des Geburtstags König Christians VII. veröffentlicht hatte. Sie begann mit den Worten: „Heil dir, dem liebenden Herrscher des Vaterlands! Heil, Christian, dir!“

In einer auf den preußischen König Friedrich Wilhelm II. umgedichteten Fassung von Balthasar Gerhard Schumacher erschien es am 17. Dezember 1793 als „Berliner Volksgesang“ in den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (kurz als Spenersche Zeitung bekannt) mit dem Untertitel „God Save the King“, womit auch hier die Melodie angegeben war. Das bald populär gewordene Lied erlangte staatsoffiziellen Charakter, nachdem es im Berliner Königlichen Nationaltheater in Gegenwart des Königs am 25. Mai 1795 gespielt worden war. Im ganzen 19. Jahrhundert war es nur eine von zahlreichen deutschen Fürsten- und Landeshymnen nach der Melodie der britischen Königshymne.

Während des Ersten Weltkriegs veranlasste der Umstand, dass es seine Melodie mit der britischen Königshymne und vielen anderen Hymnen teilte, den Berliner Komponisten Hugo Kaun zusammen mit dem Verleger, Kommerzienrat und Reichstagsabgeordneten Julius Heinrich Zimmermann zu dem Versuch, eine neue Melodie auf „Heil dir im Siegerkranz“ einzuführen.[1]

„God Save the King“ stellt einen Urtyp der Monarchen gewidmeten feierlichen patriotischen Lieder dar, weshalb auch andere Fürstenhymnen zu dieser Melodie gesungen wurden, wie im Kaiserreich Russland von 1816 bis 1833 Molitwa Russkich oder im Königreich Bayern die Hymne Heil unserm König, Heil!, und noch werden, so die liechtensteinische Hymne Oben am jungen Rhein. Von Fürstenhymnen abgesehen hatten auch Nationalhymnen wie die frühere Schweizer Hymne Heil Dir Helvetia und das US-amerikanische Repräsentationslied My Country, ’Tis of Thee dieselbe Melodie.

Heinrich Harries war ein Anhänger der Aufklärung. Seine Liebe zu Dänemark und zum Dänenkönig gründete in der Überzeugung, dass Freiheit, Recht und Wohlstand nirgends in Europa einen vergleichbaren Stand erreicht hätten wie im Herrschaftsgebiet der dänischen Krone[2] und dass die Forderungen der gerade angefangenen und von ihm begrüßten Französischen Revolution im Dänemark Christians VII. bereits weitgehend erfüllt seien. Dazu gehörten die Aufhebung des „Schollenbandes“ (der Bindung der leibeigenen Bauern an das Land ihres Grundherrn) im Jahr 1788, die Pressefreiheit und die Freiheit des Handels.[3] Diese Einstellung spiegelt sich besonders in seiner zweiten Strophe wider, die, nur leicht verändert, bis 1918 zum Grundbestand von Heil dir im Siegerkranz gehörte. Nach Franz Magnus Böhme (1895) kommt hier „zum erstenmal in deutscher Dichtung die seit der franz. Revolution sich geltend gemachte Anschauung zum Ausdruck […], daß dem Fürsten gegenüber das Volk eine gewisse Bedeutung hat: «Nicht Roß und Reisige sichern die steile Höh: Liebe des freien Manns gründet den Herrscherthron.»“[4]

Der ins Lied von Schumacher eingefügte „Siegerkranz“ bezog sich auf das Hinausdrängen des französischen Revolutionsheers aus der Pfalz und dem Rheinland während des ersten Koalitionskriegs durch die von Friedrich Wilhelm II. geführte preußische Armee. Nach der Reichsgründung, die dem preußischen König den Titel Deutscher Kaiser eingebracht hatte, ersetzte im Text der „Kaiser“ den „König“.

Liedtext

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Die folgende Textfassung veröffentlichten Friedrich Silcher und Friedrich Erk in Schauenburgs Allgemeinem Deutschen Kommersbuch.[5]

1.

Heil dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands!
Heil, Kaiser, dir!
Fühl in des Thrones Glanz
die hohe Wonne ganz,
Liebling des Volks zu sein!
Heil, Kaiser, dir!

2.

Nicht Ross und Reisige
sichern die steile Höh,
wo Fürsten stehn:
Liebe des Vaterlands,
Liebe des freien Manns
gründet den Herrscherthron
wie Fels im Meer.

3.

Heilige Flamme, glüh,
glüh und erlösche nie
fürs Vaterland!
Wir alle stehen dann
mutig für einen Mann,
kämpfen und bluten gern
für Thron und Reich!

4.

Handlung und Wissenschaft
hebe mit Mut und Kraft
ihr Haupt empor!
Krieger- und Heldenthat
finde ihr Lorbeerblatt
treu aufgehoben dort
an deinem Thron!

5.

Sei, Kaiser Wilhelm, hier
lang deines Volkes Zier,
der Menschheit Stolz!
Fühl in des Thrones Glanz
die hohe Wonne ganz,
Liebling des Volks zu sein!
Heil, Kaiser, dir!

Umdichtungen, Nachdichtungen, Parodien

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Aufgrund der eingängigen, weit verbreiteten Melodie kam es in verschiedenen deutschen Königs- und Fürstentümern zu zahlreichen Nachdichtungen, so in Bayern (Heil unserem König, Heil, lang leben sei sein Teil), in Württemberg (Heil unserm König, Heil. Heil, unserm Fürsten, Heil), in Sachsen (Den König segne Gott) und in Baden (Heil du mein Badnerland).[6] Während Emanuel Geibel nationale Verse auf Deutschland dichtete (Heil dir im Eichenkranz), schrieb der Schöpfer des Struwwelpeter, Heinrich Hoffmann, in seinem Bilderbuch König Nußknacker und der arme Reinhold (1851) eine Parodie auf das Huldigungslied des preußischen Königs, die zum zeitweiligen Verbot des Kinderbuches durch die preußische Justiz führte, vermutlich wegen Verdachts auf Majestätsbeleidigung.[7]

Heil Dir, Du Knusperhanns!
Hölzern in Pracht und Glanz!
Heil, Knacker, Dir!
Beißen, wie Du, wer kann’s?
Nüsse des Vaterlands
Lässt Du gewiss nicht ganz.
Heil Knacker, Dir!

Gegen absolutistische Herrscher und Arbeitsfron zum Hungerlohn hatten bereits 1825 Karl und Adolf Ludwig Follen das Lied nach einem irischen Freiheitslied umgedichtet:[8]

Brüder, so kann’s nicht gehn
Lasst uns zusammen stehn
Duldet’s nicht mehr!
Freiheit, dein Baum fault ab
Jeder am Bettelstab
Beißt bald ins Hungergrab
Volk ans Gewehr!

Dann wird’s, dann bleibt’s nur gut
wann du an Gut und Blut
Wagst Blut und Gut.
Wann du Bogen und Axt,
Schlachtbeil und Sense packst,
Zwingherrn den Kopf zerhackst
Brenn, alter Mut!

Bruder in Gold und Seid’,
Bruder im Bauernkleid,
Reicht euch die Hand!
Allen ruft Teutschland’s Not
Allen des Herrn Gebot:
Schlagt eure Plager tot
Rettet das Land!

In Anspielung auf die rege Reisetätigkeit Kaiser Wilhelms II. – vor allem in seinem Hofzug – wird die Spottversion „Heil Dir im Sonderzug …“ kolportiert.[9]

Von den im Ersten Weltkrieg aus Kriegsmüdigkeit und Unzufriedenheit mit den Widrigkeiten an der Front entstandenen Parodien auf populäre Lieder sei hier folgendes Beispiel angeführt:[10]

Heil dir im Siegerkranz!
Kartoffeln mit Heringsschwanz.
Heil Kaiser dir!
Friss in des Thrones Glanz
Die fette Weihnachtsgans
Uns bleibt der Heringsschwanz
In Packpapier.

Auf einer Postkarte aus der Zeit der Weimarer Republik findet sich eine weitere Parodie, die gegen den ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert gerichtet war und so die erste deutsche Republik verächtlich machen sollte.[11]

Heil dir am Badestrand
Herrscher im Vaterland
Heil, Ebert, dir!
Du hast die Badebüx,
sonst hast du weiter nix
als deines Leibes Zier.
Heil, Ebert, dir!

Siehe auch

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Literatur

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  • Jörg Koch: Einigkeit und Recht und Freiheit. Die Geschichte der deutschen Nationalhymne. Kohlhammer, Stuttgart 2021, ISBN 978-3-17-040184-6, S. 38–44.
  • Harry D. Schurdel: Die Kaiserhymne. In: G – Geschichte: Menschen, Ereignisse, Epochen. Band 2, Nr. 3. Sailer, März 2002, ISSN 1617-9412, S. 53.
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Commons: Heil dir im Siegerkranz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Partitur und künstlich dargestellte Einspielung von Hugo Kauns alternative Musik zu Heil dir im Siegerkranz
  2. vgl. sein Dänen-Lied von 1797
  3. Lars N. Henningsen: Freiheitsfreund und dänischer Staatspatriot. Zum 250. Geburtstag des Flensburger Dichters Heinrich Harries. In: Grenzfriedenshefte. Zeitschrift für deutsch-dänischen Dialog 4/2012, S. 219–234 (online)
  4. Franz Magnus Böhme: Volksthümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert. Leipzig 1895, S. 13
  5. Allgemeines Deutsches Kommersbuch. 55.–58. Auflage, Moritz Schauenburg, Lahr o. J. [um 1900], S. 47.
  6. Heil dir im Siegerkranz | Volkslieder-Archiv (10.000 Lieder). Abgerufen am 5. November 2018 (deutsch).
  7. Lukasch Peter: Der Struwwelpeter. Abgerufen am 5. November 2018.
  8. Brüder so kann´s nicht gehn (1825) | Volkslieder-Archiv (10.000 Lieder). Abgerufen am 5. November 2018 (deutsch).
  9. Bettina Vaupel: Allerhöchste Eisenbahn. Von Kaiserbahnhöfen, Fürstenzimmern und Salonwagen. In: Monumente 23. Jg. (2013) Nr. 3, S. 13.
  10. Aus dem Kriegsjahr 1918 überliefert laut Seminar Freiheitsbewegungen – Freiheitslieder (Gustav-Heinemann-Bildungsstätte, Malente, 22. bis 26. Mai 1999).
  11. Niels Albrecht: Die Macht einer Verleumdungskampagne. Antidemokratische Agitationen der Presse und Justiz gegen die Weimarer Republik und ihren ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert vom „Badebild“ bis zum Magdeburger Prozeß. Dissertation. Bremen 2002, S. 45–88 (uni-bremen.de [PDF; 3,7 MB; abgerufen am 3. Juli 2010]).
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