Ikaria, auch Ikarion, war ein attischer Demos der griechischen Antike. Heute liegt das Gebiet des Demos, der wegen seines schon seit archaischer Zeit bestehenden Dionysos-Heiligtums bedeutsam war und immer wieder mit der Entstehung des attischen Theaters in Verbindung gebracht wurde, in der griechischen Gemeinde Dionysos.

Fragmente einer Dionysos-Statue des 6. Jahrhunderts v. Chr., gefunden im Dionysostempel von Ikaria, heute Archäologisches Nationalmuseum, Athen

In der griechischen Mythologie wurde der Name des Demos mit der Sage seines eponymen Heros, Ikarios, erklärt. Ikarios empfing hier von Dionysos die Kunst des Weinbaus. Der Demos gehörte seit den Kleisthenischen Reformen zur Phyle Aigeis. Bei der Neuzuteilung der Phylen 307/306 v. Chr. wurde er der Phyle Antigonis zugeschlagen, nach 201 v. Chr. gehörte er zu den Phylen Ptolemais und Attalis.[1] Der Demos war mit einer buleutischen Quote von fünf etwa mittelgroß. Er war, vielleicht durch Kultbetrieb (siehe unten), wohlhabend.[2]

Die moderne Forschung hat den Ort des Demos mit einem Tal am Nordostabhang des Berges Pentelikon identifiziert. Dort fand Arthur Milchhoefer 1887 in der Nähe des Dorfes Rapendosa ein Dionysos-Heiligtum, das offenbar den zentralen Kultort des Demos darstellte.[3] Das Heiligtum wurde 1888/1889 im Auftrag von Augustus C. Merriam, dem Leiter der damals noch jungen American School of Classical Studies at Athens, von Carl D. Buck ausgegrabe. Dabei traten neben einem der frühesten attischen Theater weitere Funde zutage, etwa einige für die Frühgeschichte der Demen bedeutende Inschriften. Das Heiligtum bildete wohl den zentralen Treffpunkt und Kultort des Demos. 1981 wurde die Stätte noch einmal archäologisch gesichtet.[4] In dem Heiligtum fand sich auch eine archaische (530–520 v. Chr.), kolossale Dionysosstatue aus Marmor.[5] Das Steintheater ist wohl ins 4. Jahrhundert v. Chr. zu datieren, auch wenn ähnliche Strukturen wahrscheinlich schon vorher bestanden.[6]

Neben Dionysos wurden in Ikaria auch der eponyme Heros Ikarios und der Apollon Pythios kultisch verehrt. Ein dem Apollon geweihtes, im Vergleich zum Dionysos-Tempel deutlich kleineres Pythion wurde teilweise ausgegraben; eine Inschrift von um das Jahr 525 v. Chr. weist auf den gemeinsamen Kult von Dionysos und Apollon in Ikaria hin.[7]

Ikaria wurde und wird immer wieder mit der eng mit dem Dionysos-Kult verbundenen Entstehung des griechischen Theaters verknüpft. Der Tragödiendichter und Schauspieler Thespis (6. Jahrhundert v. Chr.), der in der Antike als einer der Erfinder der griechischen Tragödie galt, stammte aus Ikaria. Sagenhaft wurde Ikaria später auch mit der Erfindung der griechischen Komödie durch Susarion in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. in Verbindung gebracht, was zuerst in der Parischen Chronik (264/263 v. Chr.) und später auch bei Clemens von Alexandria (2./3. Jahrhundert n. Chr.) belegt ist.[8] Allerdings gibt es keine sicheren archäologischen Belege für die Aufführung von Komödien in Ikaria.[9] Zwar tritt die Verknüpfung von Ikaria mit dem Ursprung des Theaters literarisch zuerst bei Eratosthenes im 3. Jahrhundert v. Chr. auf; der Anspruch Ikarias auf diese Rolle scheint aber deutlich älter zu sein.[10]

Durch eine Inschrift, die eine detaillierte „Gebrauchsanweisung“ für die Dionysien von Ikaria bietet, sind jedenfalls für um 440 v. Chr. dramatische Agone (Wettbewerbe) bezeugt. Die Inschrift ist auch der früheste Beweis für das Amt der Choregia in einem attischen Demos.[11]

Literatur

Bearbeiten
Bearbeiten
Commons: Ikarion – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

Bearbeiten
  1. Nach Walther Kolbe: Ikaria 1. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IX,1, Stuttgart 1914, Sp. 973.
  2. Dazu kurz Hans Lohmann: Ikarion 1. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 3, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01473-8, Sp. 927 (Digitalisat).
  3. Arthur Milchhoefer: Das Heiligtum des Dionysos in Ikaria. In: Berliner Philologische Wochenschrift. Band 7, 1887, S. 770–772 (Digitalisat).
  4. Die archäologischen Reports wurden zusammengefasst in Carl D. Buck: Discoveries in the Attic Deme of Ikaria, 1888. In: Papers of the American School of Classical Studies at Athens. Band 5, 1892, S. 43–125. Zu den neueren Studien William R. Biers, Thomas D. Boyd: Ikarion in Attica: 1888–1981. In: Hesperia: The Journal of the American School of Classical Studies at Athens. Band 51, Nr. 1, Januar 1982, S. 1–18.
  5. Zu ihr Irene Bald Romano: The Archaic Statue of Dionysos from Ikarion. In: Hesperia: The Journal of the American School of Classical Studies at Athens. Band 51, Nr. 4, Oktober 1982, S. 398–409.
  6. Jessica Paga: Deme Theaters in Attica and the Trittys System. In: Hesperia: The Journal of the American School of Classical Studies at Athens. Band 79, Nr. 3, Juli 2010, S. 351–384, hier S. 357, 373.
  7. Zu diesem Pythion siehe Ernst Meyer: Pythion 5. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XXIV, Stuttgart 1963, Sp. 561 f. (Digitalisat).
  8. Parische Chronik ep. 39 (angegeben für ein Jahr zwischen 581/582 v. Chr. und 561/562 v. Chr.); Clemens von Alexandria, Stromata 1,16,79. Vgl. Alfred Körte: Susarion. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IV A,1, Stuttgart 1931, Sp. 973 f. (Digitalisat).
  9. Peter Wilson: The Festival of Dionysos in Ikarion: A New Study of IG I³ 254. In: Hesperia: The Journal of the American School of Classical Studies at Athens. Band 84, Nr. 1, Januar 2015, S. 97–147, hier S. 99 mit Anm. 7.
  10. Peter Wilson: The Festival of Dionysos in Ikarion: A New Study of IG I³ 254. In: Hesperia: The Journal of the American School of Classical Studies at Athens. Band 84, Nr. 1, Januar 2015, S. 97–147, hier S. 140 mit Anm. 180. Vgl. Eratosthenes, Erigone Fragment 22.
  11. Inscriptiones Graecae I³ 254 (Digitalisat mit Übersetzung). Vgl. zu der Inschrift ausführlich Peter Wilson: The Festival of Dionysos in Ikarion: A New Study of IG I³ 254. In: Hesperia: The Journal of the American School of Classical Studies at Athens. Band 84, Nr. 1, Januar 2015, S. 97–147, zur Datierung S. 108.
  NODES