Der Kinetismus (vom griech. Wort kinesis für Bewegung) ist eine Kunstrichtung, die um etwa 1910 an der Wiener Kunstgewerbeschule, der heutigen Universität für angewandte Kunst, begann. Beim Kinetismus kommen in den Werken Bewegungen ohne äußere Einflüsse zum Ausdruck. Er „verkörpert eine Kunstrichtung, die das Dargestellte in Bewegungsabfolgen bzw. in rhythmische Elemente zerlegt“.

Ehrengrab von Franz Čižek, Begründer des Kinetismus, auf dem Wiener Zentralfriedhof
Universität für angewandte Kunst in Wien (frühere Wiener Kunstgewerbeschule), Entstehungsort des Kinetismus
Wien Museum (2017)
Metropolitan Museum of Art

Der Kinetismus gehört zur europäischen Moderne und erreichte seinen Höhepunkt Mitte der 1920er Jahre.

Geschichte

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Der österreichische Maler, Designer und Kunsterzieher Franz Čižek, der ab 1903 Dozent an der Wiener Kunstgewerbeschule war, leitete dort einen Kurs für Ornamentale Formenlehre, in dem die Studierenden die internationalen avantgardistischen Strömungen der Zeit, überwiegend Kubismus, Futurismus, Expressionismus und Abstraktion, kennen lernten. Die Kursthematik beschränkte sich nicht nur auf die bildende Kunst im engeren Sinne, sondern beinhaltete auch Rhythmus, Tanz und ganzheitliches Gestalten.[1]

Als anerkannter Reformpädagoge und Kunsterzieher hatte Čižek die Kinder- und Jugendkunst seit 1897 maßgeblich mitgeprägt. Seine Erfahrungen auf diesem Gebiet trugen dazu bei, dass er die Darstellung von Bewegungen als zentrales Thema in seine Lehren mit einbezog. Čižek betrachtete den Kinetismus als die Kunst, eine Bewegungsabfolge in ihre rhythmischen Elemente zu zerlegen.[2]

Ursprünglich wurde die Kunstrichtung als „Kinetische Übungen“ bezeichnet, wie aus einer von Ludwig Steinmetz stammenden Rezension von 1920 anlässlich einer Ausstellung in der Kunstgewerbeschule mit Werken von Čižeks Schülerinnen und Schülern hervorging. Erster Theoretiker des Kinetismus war der österreichische Journalist, Schriftsteller und Verleger Leopold Wolfgang Rochowanski, der auch zu Čižeks Schülern gehörte. In einer von Rochowanski publizierten Monografie von 1922 tauchte erstmals der Begriff „Kinetismus“ auf.

Zu den bedeutenden Vertreterinnen des Kinetismus, die von Čižeks Lehre geprägt waren, gehören Künstlerinnen wie Erika Giovanna Klien[3], My Ullmann und Elisabeth Karlinsky. Sie vermischten Elemente des Expressionismus, Kubismus und Futurismus miteinander, um gleichzeitig Gefühle und Bewegungen in ihren Werken zum Ausdruck zu bringen.

Ab 1930 war der Kinetismus innerhalb Österreichs zunehmend erschwerten Bedingungen ausgesetzt. Es gab keine namhaften Künstlergruppen, welche die in der Wiener Kunstgewerbeschule entstandenen Strömungen weiter aufrechterhielten. Auch das politisch-gesellschaftliche Klima ab den späten 1920er Jahren wirkte der Avantgarde entgegen. Als Folge dieser Umstände kam der Kinetismus noch vor dem Zweiten Weltkrieg zunächst zum Erliegen. Ausstellungen im Wien Museum und im Schloss Belvedere Wien seit Mitte der 1980er Jahre ließen jedoch den Kinetismus innerhalb der internationalen Avantgarde wieder aufleben.[4][5]

Abgrenzung zur kinetischen Kunst

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Kinetismus ist nicht zu verwechseln mit Kinetischer Kunst, bei der Bewegung in das Kunstobjekt integriert ist. Bei der kinetischen Kunst verändert sich das Objekt scheinbar, wenn sich der Betrachter bewegt, oder die Bewegungen werden durch Naturkräfte, Motoren oder Computersteuerungen erzeugt. Beim Kinetismus kommen die Bewegungen ohne äußere Einflüsse in den Werken zum Ausdruck.

Vertreter (Auswahl)

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Ausstellungen (Auswahl)

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Literatur

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  • Dieter Bogner: Wien 1920–1930: Es war als würde Utopia Realität werden. In: D. Bogner, G. Bogner, A. Hubin, M. Millautz (Hrsg.): Perspektiven in Bewegung. Sammlung Dieter und Gertraud Bogner, Wien, Köln 2017, S. 325–352.
  • Wolfgang Kos, Monika Platzer, Ursula Storch: Vorwort: Der Kinetismus – eine unwienerische Avantgarde. In: Monika Platzer, Ursula Storch (Herausgeberinnen): Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde. Ostfildern 2006, S. 6–7.
  • Ulrike Matzer: Die drei Stars der Klasse: Klien – Ullmann – Karlinsky. In: Platzer, Storch (Hrsg.): Kinetismus. S. 60–68.
  • Ludwig Steinmetz: Kunstschau 1920. In: Kunst und Kunsthandwerk. Jahrgang XXIII (1920), S. 189–206.
  • Patrick Werkner: Der Wiener Kinetismus – Ein Futurismo Viennese? In: Gerald Bast u. a. (Hrsg.): Wiener Kinetismus. Eine bewegte Moderne. Wien 2011, S. 56–67.
  • Hans Ankwicz-Kleehoven: Juliausstellungen. In: WZ, 1. August 1924, S. 4.
  • Wolfgang Born: Nachwuchs im Kunstgewerbe. In: Die Bühne 239 (1929), S. 18–19.
  • Wege und Ziele des modernen österreichischen Kunsthandwerkes. In: WZ, 3. Mai 1924, S. 1.
  • Hans Ankwicz-Kleehoven: 60 Jahre Wiener Kunstgewerbe-Schule. In: WZ, 14. Juli 1929, S. 1–3.
  • Kunstausstellungen. In: NFP, 17. Juni 1921, S. 21.
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Einzelnachweise

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  1. Arturo Larcati: Zur Rezeption des italienischen Futurismus in Wien während der 1920er und 1930er Jahre. In: Primus-Heinz Kucher (Hrsg.), Verdrängte Moderne, Vergessene Avantgarde. Diskurskonstellationen zwischen Literatur, Theater, Kunst und Musik in Österreich 1918-1938, Göttingen 2016, Seite 98
  2. Monika Platzer: Kinetismus = Pädagogik – Weltanschauung – Avantgarde. In: Dies., Ursula Storch (Hrsg.): Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde, Ostfildern 2006
  3. Erika Giovanna Klien, weblink: diving bird, bitte Urheberrechte beachten!
  4. Kinetismus aus litkult1920er.aau.at, abgerufen am 15. Juni 2022.
  5. Gerald Bast, Agnes Husslein-Arco, Herbert Krejci, Patrick Werkner (Hrsg.): Wiener Kinetismus – Eine bewegte Moderne. Edition Angewandte, Wien / New York 2011, ISBN 978-3-99043-295-2.
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