Klaviaturglockenspiel

Tastenglockenspiel ohne Resonanzboden

Das Klaviaturglockenspiel, Glockenklavier, in der weiteren Entwicklung Tastenglockenspiel genannt, ist ein Glockenspiel, das im Gegensatz zu anderen Metallophonen nicht direkt mit Schlägeln, sondern mit Tasten gespielt wird.[1] Das im 18. Jahrhundert als Nebenform des Carillons entstandene Instrument verfügt über eine klavierähnliche Mechanik, sowie über ein bis zwei Reihen freiliegende, chromatisch gestimmte Metallstäbe oder Metallplatten, die durch hammer- oder kugelförmige Klöppel mit Köpfen aus Metall oder Kunststoff angeschlagen werden.[2][3][4][5] In der Variante mit Metallplatten wird es auch als Schlagplattenspiel oder Stahlplattenklavier kategorisiert.[6] Das Klaviaturglockenspiel / Tastenglockenspiel ist ein Idiophon und gehört, da es vom Spieler über Tasten bedient wird, zu den Tasteninstrumenten. Im Gegensatz dazu gehört das mit Schlägeln handgeschlagene Glockenspiel zu den Perkussionsinstrumenten.

Carillion a Clavier oder Jeu de Timbres

Herkunft

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Seine erste Verwendung fand das Klaviaturglockenspiel 1738 in Händels Oratorium Saul (HWV 53).[7] Die Glockenspielmelodie des Papageno in Mozarts Zauberflöte (1791) wurde ebenfalls auf einem Klaviaturglockenspiel gespielt. Mozart hat hier in der Partitur ein strumento d’acciaio („Instrument aus Stahl“) gefordert.[8][1]

Ab dem 19. Jahrhundert geriet das Klaviaturglockenspiel wegen der 1886 eingeführten Celesta, auf der wegen ihres größeren Tonumfangs und modernerer Bauweise auch schwierigere Glockenspielparts gespielt werden können, in den Hintergrund.[9] Im Gegensatz zum sehr weichen Klang der Celesta (erzeugt durch die Filzhämmer der Spielmechanik) hatte das historische Klaviaturglockenspiel einen sehr klaren, metallischen Klang. Seine Klangplatten wurden mit Stahl- oder Hartkunststoffklöppeln angeschlagen. Es verfügte über keinen klangverstärkenden Resonanzboden und hatte in der Regel einen Umfang von 2 bis 2,5 Oktaven. Es gibt auch eine kleinere Anzahl historischer Instrumente mit einem Tonumfang von 3 1/3 Oktaven (c2–e5).[10]

Tastenglockenspiel Clavitimbre:

Um 1949 begann die französische Firma Société Mustel S. A. in Paris (Nachfahren des berühmten Erfinders der Celesta August Victor Mustel) mit der Entwicklung eines Tastenglockenspiels (jeu de timbre á clavier). Das Instrument erschien im Jahr 1950 und hatte Klangplatten aus Silberstahl, die von kleinen Hämmern mit Köpfen aus Bronze angeschlagen wurden. Um den Klang zu verbessern, wurden als völlige Neuheit über den Klangplatten zylindrische Aluminiumresonatoren montiert. Zusätzlich wurde, ähnlich wie bei einem Klavier, ein Dämpfungsmechanismus mit Holzpedal eingebaut. Die Verwendung des Pedals begrenzt den Hub der Hämmer und ermöglichte erstmals bei einem Klaviaturglockenspiel die Erzeugung sanfter Nuancen. Das Instrument besitzt einen klavierähnlichen Korpus und hat einen Tonumfang von c2 - e5. Mustel änderte die Bezeichnung des neu entwickelten Instruments von Klaviaturglockenspiel in Tastenglockenspiel und gab ihm den Namen die Clavitimbre.

Der Klang des Clavitimbre-Tastenglockenspiels ist deutlich ausgewogener, als der recht harte und kurze Klang der ersten kastenförmigen Klaviaturglockenspiele ohne Resonanzraum als Vorläufer. Dennoch klingt ein Tastenglockenspiel gänzlich anders als eine Celesta. Es wurden von der Firma Mustel in der Zeit von 1950 bis 1956 insgesamt 150 Clavitimbre angefertigt und nahezu ausnahmslos weltweit an große Orchester und berühmte Opernhäuser verkauft. Von diesen Instrumenten sind nur noch eine sehr kleine Anzahl vornehmlich in privaten Sammlungen und Museen existent.[11]

Basierend auf der Mechanik und dem Aufbau der Clavitimbre von Mustel, werden heutzutage die modernen Tastenglockenspiele gebaut. Begonnen hatte damit im Jahr 1970 die Firma Schiedmayer. Die Hersteller Kolberg Percussion, Yamaha und andere folgten.

Verwendung

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Die Klaviatur ermöglicht das Spielen auch akkordischer Sätze, weswegen einige Komponisten Glockenspielparts explizit für dieses Instrument geschrieben haben.[9] Folgende Werke aus der Spätromantik und Moderne schreiben ausdrücklich die Verwendung eines Klaviaturglockenspiels / Tastenglockenspiels vor (Auswahl):

Hersteller

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Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. a b Ines Pasz: SWR2 Musikstunde. (PDF; 175 kB) Stabspiele. In: „Gerührt, geschüttelt und geschlagen“ - Perkussionsinstrumente aus aller Welt. SWR2, 21. Oktober 2015, S. 7 f., abgerufen am 1. Februar 2021.
  2. Alexander Buchner: Handbuch der Musikinstrumente. 3. Auflage. Verlag Werner Dausien, Hanau 1995, ISBN 3-7684-4169-5, S. 161 f.
  3. Ulrich Michels: dtv-Atlas zur Musik. Historischer Teil, Von den Anfängen bis zur Renaissance. 13. Auflage. Band 1. dtv, München 1991, ISBN 3-423-03022-4, S. 29.
  4. Ferdinand Hirsch: Das große Wörterbuch der Musik. Seehamer Verlag, 1996, ISBN 3-929626-71-3, S. 240.
  5. Der Musikbrockhaus. Brockhaus, Wiesbaden 1982, ISBN 3-7653-0338-0, S. 216.
  6. Gretel Schwörer-Kohl: Schlagplatten und Schlagplattenspiele. II. Schlagplattenspiele. 2. Geschichte, Verbreitung und Funktion. In: MGG Online, November 2016
  7. name="SWR"
  8. Wiener Staatsoper: Papagenos Glockenspiel – Die Zauberflöte auf YouTube, 2. Dezember 2013, abgerufen am 3. Februar 2021.
  9. a b Glockenspiel – Bauweise. Vienna Symphonic Library, abgerufen am 1. Februar 2021.
  10. Celesta, Tastenglockenspiel / Papageno Glockenspiel / Klaviaturglockenspiel. Preissler Music (Instrumentenverleih), abgerufen am 8. März 2023.
  11. Clavitimbre. Collections du Musée de la musique - Philharmonie de Paris, abgerufen am 4. August 2024 (französisch).
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