Marianne Weber (Frauenrechtlerin)

deutsche Frauenrechtlerin und Rechtshistorikerin (1870–1954)

Marianne Weber, geborene Schnitger (* 2. August 1870 in Oerlinghausen, Fürstentum Lippe; † 12. März 1954 in Heidelberg, Baden-Württemberg), war eine deutsche Frauenrechtlerin und Rechtshistorikerin. Sie hielt die erste Rede als Frau im demokratisch neu gewählten Parlament vor der badischen verfassunggebenden Nationalversammlung in Karlsruhe am 15. Januar 1919.[1][2] 1926 veröffentlichte sie eine einflussreiche Biografie ihres Ehemanns Max Weber.

Marianne Weber (1896)

Leben und Werk

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Marianne Schnitger war die einzige Tochter des Landarztes Eduard Schnitger und dessen Frau Anna Schnitger, geborene Weber, Tochter des Leinenfabrikanten Carl David Weber.[3][4] Ihre Mutter Anna starb bei der Geburt ihrer zweiten Tochter, kurz danach starb auch das Kind.[3] Nach dem Tod der Mutter 1873 zog sie mit dem Vater in seinen Heimatort Lemgo und wohnte dort später bei Großmutter und Tante.

Sie besuchte von 1877 bis 1886 die Städtische Töchterschule in Lemgo (das heutige Marianne-Weber-Gymnasium) und bis 1889 die Höhere Töchterschule in Hannover.[5] Nach dem Tod der Großmutter 1889 wohnte sie als Haustochter bei Verwandten in Oerlinghausen. 1891 und 1892 verbrachte sie einige Zeit in Berlin und begann 1892 eine Ausbildung zur Zeichnerin.[5] In Berlin hatte sie engen Kontakt zu Verwandten ihrer verstorbenen Mutter, Max und Helene Weber, den Eltern ihres späteren Mannes.[6][7] Am 20. September 1893 heiratete sie Max Weber jun. im Alter von 23 Jahren in Oerlinghausen.[3] Anschließend zog sie mit ihm in eine eigene Wohnung nach Berlin. Nach ihrem Umzug nach Freiburg im Breisgau 1894 begann sie, sich in der Frauenbewegung zu engagieren. Ab 1896 studierte sie Philosophie und Nationalökonomie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.[5] Da Frauen damals nicht zum regulären Studium zugelassen waren (vgl. Frauenstudium im deutschen Sprachraum), studierte sie mit einer besonderen Genehmigung als Gasthörerin und konnte somit Vorlesungen und Seminare besuchen.[5]

1897 erhielt Max Weber einen Ruf an die Universität Heidelberg, was einen Umzug bewirkte. Ihr Engagement in der Frauenbewegung führte sie in Heidelberg weiter. Wie ihr Mann begann Marianne Weber mit dem Schreiben wissenschaftlicher Texte.[5] Nach ihrer ersten Buchveröffentlichung 1900, Fichtes Sozialismus und sein Verhältnis zur Marxschen Doktrin, erschien 1907 ihr Hauptwerk Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung. Max Weber erkrankte 1898 für fast sechs Jahre an schweren Depressionen und musste schließlich seine Hochschultätigkeit beenden.[4] In dieser Zeit reisten Marianne und Max Weber 1900 bis 1903 häufig innerhalb Europas und 1904, als Max Weber seine Krankheit überwunden hatte, in die USA.[5][4] Zu dieser Zeit war die Frauen-Emanzipation in Amerika schon weiter vorangeschritten, was bei Marianne einen bleibenden Eindruck hinterließ.[5]

Marianne Weber waren die gleiche Rechte von Männern und Frauen ein großes Anliegen. 1901 trat sie dem Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), der Dachorganisation der bürgerlichen Frauenbewegung, bei und gründete ebenfalls eine Rechtsschutzstelle für Frauen, vor allem für Dienstmädchen und Kellnerinnen.[5]

Als im Juli 1907 ihr Großvater mütterlicherseits starb, erbte sie ein beachtliches Vermögen. Dies ermöglichte den Eheleuten ein finanziell sorgenfreies Leben.[5] Im selben Jahr hielt sie einen Vortrag in Straßburg beim Evangelisch-sozialen Kongress über „Sexualethik und Prinzipienfragen“.[4] 1907 veröffentlichte Weber eine umfassende Untersuchung über das Recht der Frau. Ihr Werk Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung verfolgte den Zweck, Ehe und Familie nahezu aller bedeutenden Völker und Zeiten zu analysieren.[8]

1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, engagierte sie sich im Heidelberger „Nationalen Frauendienst“.[5]

Im Jahre 1918 war Marianne Weber Mitbegründerin der Deutschen Demokratischen Partei. Sie nahm aktiv am Wahlkampf teil[9][4] und wurde 1919 in den Landtag der Republik Baden gewählt. In der ersten Sitzung des Landtages hielt sie eine Ansprache. Das war das erste Mal, dass eine Frau im badischen Landtag sprach.[10] Das Mandat gab sie nach der Übersiedlung des Ehepaars Weber nach München anlässlich Max Webers Berufung an die Ludwig-Maximilians-Universität München auf. 1919 wurde sie in die Badische verfassunggebende Nationalversammlung gewählt und erste Schriftführerin in einem deutschen Parlament.[4] Von 1919 bis 1923 war sie Vorsitzende des Bundes deutscher Frauenvereine, anstelle der dafür ursprünglich vorgesehenen Alice Salomon, die aus Angst vor antisemitischer Propaganda übergangen wurde. So war Weber auch befreundet mit Gertrud Bäumer, einer führenden Repräsentantin der bürgerlichen Frauenbewegung, und teilte mit ihr das Ideal der asketischen Liebe.

 
Grabstätte mit Sandstein-Stele von Max Weber und Marianne Weber auf dem Heidelberger Bergfriedhof in der Abteilung E

Kurz nach dem Umzug des Ehepaars nach München 1919 starb ihr Mann dort 1920. Marianne Weber gab zunächst alle öffentlichen Ämter auf und kümmerte sich um die Veröffentlichung seiner Werke.[5] Sie gab 1921/1922 sein Hauptwerk Wirtschaft und Gesellschaft heraus, das bis zu ihrem Tod zwei zum Teil editorisch überarbeitete Neuauflagen erfuhr, und sorgte bis 1924 für die Sammlung eines Großteils seiner weitverstreuten Veröffentlichungen in den siebenbändigen Gesammelten Aufsätzen. 1936 folgte die Herausgabe einer Sammlung seiner Jugendbriefe. Eine anschließend geplante Veröffentlichung seiner Reisebriefe aus den 1890er Jahren wurde nicht verwirklicht. Nach ihrer Rückkehr nach Heidelberg 1921 wurde ihr 1922 für ihre Herausgebertätigkeit die Ehrendoktorwürde der Universität verliehen.[11]

Ihre einflussreiche Biografie Max Weber. Ein Lebensbild veröffentlichte sie 1926. Bis zu ihrem Tod 1954 war sie in Heidelberg als Wissenschaftlerin und Autorin tätig. Sie führte den privaten Gesprächskreis mit Heidelberger Gelehrten weiter, den ihr Mann begründet hatte, und an dem ihr Schwager Alfred Weber beteiligt war. Zudem kümmerte sie sich um die vier Kinder von Max Webers jüngster Schwester Lili, für die sie nach deren Freitod 1920 die Vormundschaft übernahm[12] und die sie 1928 adoptierte. Die eigene Ehe war kinderlos geblieben.[3]

Ehrungen

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Ansicht des Marianne-Weber-Gymnasiums in Lemgo

Schriften

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  • Fichte’s Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin (= Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen. 4, 3, ZDB-ID 504177-6). Mohr, Tübingen u. a. 1900.
  • Beruf und Ehe. Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft. 2 Vorträge. Buchverlag der Hilfe, Berlin-Schöneberg 1906.
  • Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung. Eine Einführung. Mohr, Tübingen 1907, archive.org. Neudruck Aalen 1971.
  • Autorität und Autonomie in der Ehe. In: Logos, Band 3, Nr. 1, 1912, ISSN 1614-2470, S. 103–114, (Digitalisat).
  • Zur Frage der Bewertung der Hausfrauenarbeit. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. Bd. 19, 1911/1912, ZDB-ID 213934-0, S. 389–399.
  • Die Frau und die objektive Kultur. In: Logos. Bd. 4, Nr. 3, 1913, S. 328–363, (Digitalisat).
  • Die neue Frau. In: Centralblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine. Bd. 15, 1914, ZDB-ID 537135-1, S. 154–156.
  • Eheideal und Eherecht. In: Jahrbuch der Frauenbewegung. Bd. 3, 1914, ZDB-ID 217782-1, S. 175–187.
  • Vom Typenwandel der studierenden Frau. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. Bd. 24, 1916/1917, S. 514–530.
  • Die Formkräfte des Geschlechtslebens. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. Bd. 25, 1917/1918, S. 119–130, 141–149, 191–193.
  • Die besonderen Kulturaufgaben der Frau. In: Die Frau. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. Bd. 26, 1918/1919, S. 107–113, 137–143.
  • Frauenfragen und Frauengedanken. Gesammelte Aufsätze. Mohr, Tübingen 1919, (Digitalisat).
  • Max Weber. Ein Lebensbild. Mohr, Tübingen 1926 (mehrere Auflagen).
  • Die Frauen und die Liebe. Langewiesche, Königstein (Taunus) u. a. 1935.
  • Erfülltes Leben. Schneider, Heidelberg 1946.
  • Lebenserinnerungen. Storm, Bremen 1948.
  • Wege einer Freundschaft. Briefwechsel Peter Wust – Marianne Weber 1927–1939. Herausgegeben von Walter Theodor Cleve. Kerle, Heidelberg 1951.
  • Frauen auf der Flucht. Aus dem Nachlaß von Max und Marianne Weber herausgegeben vom Marianne-Weber-Institut e. V. in Oerlinghausen. Aisthesis-Verlag, Bielefeld 2005, ISBN 3-89528-517-X.

Literatur

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  • Der Marianne-Weber-Kreis. Festgabe für Georg Poensgen zu seinem 60. Geburtstag am 7. Dezember 1958. Kerle, Heidelberg 1958.
  • Guenther Roth: Marianne Weber und ihr Kreis. In: Marianne Weber: Max Weber. Ein Lebensbild (= Piper. Bd. 984). Mit einem Essay von Günther Roth. Piper, München u. a. 1989, ISBN 3-492-10984-5, S. IX–LXXII.
  • Ina Hochreuther: Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919. Im Auftrag des Landtags, herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung. Theiss, Stuttgart 1992, ISBN 3-8062-1012-8, S. 67–69.
  • Manfred Hellmann: Max und Marianne Weber in Oerlinghausen. „Diese Landschaft ist doch von ganz unglaublicher Schönheit.“ In: Der Minden-Ravensberger. Bd. 68, 1996, ISSN 0947-2444, S. 102–104.
  • Theresa Wobbe: Marianne Weber (1870–1954). Ein anderes Labor der Moderne. In: Claudia Honegger/Theresa Wobbe (Hrsg.): Frauen in der Soziologie. Neun Portraits. C.H. Beck, München 1998, ISBN 978-3-406-39298-6, S. 153–177, 305–311, 356–362.
  • Christa Krüger: Max und Marianne Weber. Tag- und Nachtansichten einer Ehe. Pendo, Zürich u. a. 2001, ISBN 3-85842-423-4.
  • Guenther Roth: Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950. Mit Briefen und Dokumenten. Mohr Siebeck, Tübingen 2001, ISBN 3-16-147557-7.
  • Bärbel Meurer (Hrsg.): Marianne Weber. Beiträge zu Werk und Person. Mohr Siebeck, Tübingen 2004, ISBN 3-16-148162-3.
  • Konrad Exner: Marianne Weber. Die erste Rednerin im badischen Parlament. In: Badische Heimat. Bd. 85, Nr. 2, 2005, ISSN 0930-7001, S. 277–280.
  • Jürgen Hartmann: Eine gescheiterte Ehrenbürgerschaft. Oerlinghausen und Marianne Weber. In: Rosenland. Zeitschrift für lippische Geschichte. Nr. 4, 2006, S. 26–28, rosenland-lippe.de (PDF; 1,05 MB).
  • Ilona Scheidle: „Wer zur Selbstverantwortlichkeit befähigt ist, ist auch dazu berufen“. Die Frauenrechtlerin Marianne Weber (1870–1954). In: Ilona Scheidle: Heidelbergerinnen, die Geschichte schrieben. Frauenporträts aus fünf Jahrhunderten. Hugendubel, Kreuzlingen u. a. 2006, ISBN 3-7205-2850-2, S. 101–113.
  • Bärbel Meurer: Marianne Weber. Leben und Werk. Mohr Siebeck, Tübingen 2010, ISBN 978-3-16-150452-5.
  • Marianne Weber, Max Weber et al.: Wer hat Angst vor Marianne Weber? e-enterprise, Lemgo 2015, ISBN 978-3-945059-19-7.
  • Bärbel Meurer: Marianne Weber (1870–1954) – Gastgeberin des Heidelberger Sonntagskreises. In: Angela Borgstedt, Sibylle Thelen und Reinhold Weber (Hrsg.): Mut bewiesen. Widerstandsbiographien aus dem Südwesten (= Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs. Bd. 46). Kohlhammer, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-945414-37-8, S. 411–418.
  • Sybille Oßwald-Bargende: Richtungsweisend. Die Frauenrechtlerin Marianne Weber als erste parlamentarische Rednerin. In: Sabine Holtz, Sylvia Schraut (Hrsg.): 100 Jahre Frauenwahlrecht im deutschen Südwesten. Eine Bilanz (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B. Bd. 228). Kohlhammer, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-17-039338-7, S. 169–186.
  • Romy Brüggemann (Hrsg.): Ihrer Zeit voraus – Marianne Weber im Blick unserer Schule. e-enterprise, Schleswig 2021, ISBN 978-3-945059-48-7.
  • Friedrich Wilhelm GrafWeber, Marianne. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 27, Duncker & Humblot, Berlin 2020, ISBN 978-3-428-11208-1, S. 477–479 (Digitalisat).
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Einzelnachweise

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  1. Franziska Dunkel, Paula Lutum-Lenger: Vertrauensfragen. Der Anfang der Demokratie im Südwesten 1918–1924. Katalog zur Großen Landesausstellung Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart, 30. September 2018 bis 11. August 2019. Stuttgart 2018, ISBN 978-3-933726-58-2, S. 62.
  2. Verhandlungen des Badischen Landtags. I. Landtagsperiode (15.1.1919 bis 15.10.1919) I. Sitzungsperiode (15.1.1919 bis 15.10.1919): Protokollheft. Nr. 523. Karlsruhe 1920, S. 9 (blb-karlsruhe.de [abgerufen am 13. April 2019]).
  3. a b c d T Allert: Max und Marianne Weber. Die Gefährtenehe. In: H. Treiber, K. Sauerland (Hrsg.): Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 1995.
  4. a b c d e f Weber Marianne - Detailseite - LEO-BW. Abgerufen am 12. Dezember 2019.
  5. a b c d e f g h i j k Anja Tamm, Mirjam Kronschnabel: August 2015. Abgerufen am 12. Dezember 2019.
  6. Bärbel Meurer: Marianne Weber. Leben und Werk. Mohr Siebeck, Tübingen 2010, S. 54.
  7. Marianne Weber: Max Weber. Ein Lebensbild. 3. Auflage, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1926, ergänzt um Register und Verzeichnisse. Mohr, Tübingen 1984, ISBN 3-16-544820-5, S. 185 f.
  8. Stephan Meder: Die Rechtsstellung der Frau um 1900. Hrsg.: Stephan Meder, Arne Duncker, Andrea Czelk. Böhlau Verlag, Köln u. a., ISBN 978-3-412-20577-5, S. 862–916 (862 f.).
  9. Marianne Weber: Lebenserinnerungen. Storm, Bremen 1948, S. 82.
  10. Bärbel Meurer: Marianne Weber. Leben und Werk. Mohr Siebeck, Tübingen 2010, S. 399.
  11. a b Jürgen Albers: Heidelberger Profile. Universität Heidelberg. Lebensläufe prominenter Alumni der Ruperto Carola aus verschiedenen Jahrhunderten. Kurzporträts. In: uni-heidelberg.de. Abgerufen am 5. April 2016.
  12. Marianne Weber: Lebenserinnerungen. Storm, Bremen 1948, S. 127.
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