Ottla Kafka

Schwester von Franz Kafka, Opfer des Holocaust

Ottilie „Ottla“ Kafka, verheiratet Ottilie Davidová (geboren 29. Oktober 1892 in Prag; ermordet 7. Oktober 1943 im KZ Auschwitz-Birkenau), war die jüngste Schwester von Franz Kafka. Sie stand ihm von seinen Verwandten am nächsten und unterstützte ihn in schwierigen Zeiten.

Foto von Ottila Davidová (* 29. Oktober 1892 in Prag; † 7. Oktober 1943 im Konzentrationslager Auschwitz) geb. Kafka (jüngste Schwester des Schriftstellers Franz Kafka)
Ottilie „Ottla“ Davidová, 1941

Ottilie Kafka, in ihrer Familie umgangssprachlich Ottla genannt, wurde am 29. Oktober 1892 in Prag in eine bürgerliche Familie aschkenasischer Juden geboren. Ihr Vater war der Kurzwarengroßhändler Hermann Kafka (1852–1931). Ihre Mutter war Julie Kafka, geborene Löwa (1855–1934). Sie hatte drei Geschwister: Franz, Valli und Elli.

Nach ihrer Schulausbildung verhalf Franz Kafka Ottla zu einer Ausbildung an einer Landwirtschaftsschule. Sie lebte und arbeitete auf einem landwirtschaftlichen Gut ihres Schwagers Karl Hermann im westböhmischen Zürau (heute Siřem, Gemeinde Blšany).[1] Zwischen September 1917 und April 1918 wohnte auch Franz Kafka auf dem Hof, der hier seine Die Zürauer Aphorismen verfasste.[2] Zu diesem Zeitpunkt war er bereits an Lungentuberkulose erkrankt.

Gegen den Willen ihres Vaters heiratete Ottla im Juli 1920 den tschechischen Katholiken Josef David (1891–1962), einen Kollegen Franz Kafkas, der in der Prager Arbeiter-Unfallversicherung tätig war. David war Jurist und übernahm später die Geschäftsführung des Verbandes der tschechischen Privatversicherungen.[3][4] Das Paar bekam zwei Kinder: Věra Saudková (1921–2015) und Helena Davidová (1923–2005).

Nach der Schilderung ihrer Tochter Věra Saudková hätte der Vater gerne ein „gutbürgerliches Leben“ geführt, wohingegen die Mutter sich einen Haushalt wünschte, in dem sozial Benachteiligte immer einen Teller Suppe bekommen konnten. Da Ottla einen Nichtjuden geheiratet hatte, war sie im Gegensatz zu ihren beiden Schwestern, die im Oktober 1941 zunächst ins Ghetto Litzmannstadt in Lodz deportiert wurden, vorübergehend geschützt.[3]

Allerdings war die Situation ihres Mannes Josef während des Protektorats nicht einfach. Da er laut der NS-Rassenideologie als „jüdisch versippt“ galt, musste er mit dem Verlust seiner Stelle rechnen. Zudem drohte ihm die Internierung in ein „Lager für arische Ehemänner jüdischer Frauen“ in Bystřice u Benešova (Bistritz bei Beneschau).[3] Im Februar 1940 reichte Josef David die Scheidung ein und im August 1942 wurde die Ehe zulasten von Ottilie geschieden. Die Töchter Věra und Helena erfuhren von der Scheidung nichts, was vermuten lässt, dass diese möglicherweise einvernehmlich erfolgte. Durch die Scheidung verlor Ottla ihren Schutz gegen die Judenverfolgung.[5]

 
Familiengrab von Franz Kafka und seinen Eltern auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag. Auf einer separaten Gedenktafel sind die Namen der drei jüngeren Schwestern „Elli“, „Valli“ und „Ottla“ mit unbekanntem Todesdatum vermerkt, die zwischen 1942 und 1943 im Vernichtungslager Kulmhof bzw. in Auschwitz-Birkenau ermordet wurden.

Wie viele andere Jüdinnen und Juden aus Prag wurde Ottla am 3. August 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie als Fürsorgerin in einem Säuglingsheim arbeitete. Mit Hilfe eines tschechischen Gendarmen konnte sie Briefe aus dem Ghetto an ihre Töchter schmuggeln. Ihre Töchter, denen als „Halbjüdinnen“ der Zugang nach Theresienstadt verboten war, waren zu Karel Projsa, einem Freund aus der kommunistischen Jugendorganisation und frühen Kafka-Bewunderer, gezogen und überlebten den Krieg.

In ihren Briefen äußerte Ottla sich immer über eine geplante Austauschaktion von deutschen Gefangenen gegen Kinder aus dem Ghetto Bialystok, die sie begleiten sollte.[3] Ein solcher humanitärer Transport, schrieb sie, sei in die Schweiz oder nach Schweden geplant. Am 5. Oktober 1943 begleitete Ottla Davidová als freiwillige Helferin eine Gruppe polnisch-jüdischer Kinder auf ihrem Transport nach Auschwitz.[3] Als der Transport zwei Tage später, am 7. Oktober 1943, im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau eintraf, wurden alle Häftlinge, einschließlich der begleitenden 52 Krankenschwestern, in den Gaskammern ermordet. Auch Ottlas Schwestern Elli Kafka und Valli Kafka sowie weitere Verwandte wurden Opfer des Holocaust. Am Familiengrab auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag erinnert eine Gedenktafel an die drei Schwestern.

Briefwechsel mit Franz Kafka

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Der Briefwechsel zwischen Ottla und ihrem Bruder ist erhalten und wurde 1974 erstmals unter dem Titel Letters to Ottle & the Family von Hartmut Binder und Klaus Wagenbach veröffentlicht.

Im Januar 2011 wurde bekannt, dass die Originale dieser Briefe als „Konvolut“ im April 2011 in einem Berliner Auktionshaus versteigert werden sollten.[6] Daraufhin hoffte das Deutsche Literaturarchiv Marbach im Februar 2011, mit Unterstützung von privater Seite den Briefwechsel erwerben zu können.[7] Schließlich kaufte das Deutsche Literaturarchiv Marbach gemeinsam mit der Bodleian Library in Oxford den Briefwechsel im April 2011. Der Dank galt insbesondere den Erben von Ottla, die bereit waren, die Briefe vor der Auktion zu verkaufen, sowie allen, die bei der Beschaffung der nötigen Gelder halfen, darunter einem anonymen Spender.[8]

Literatur

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  • Franz Kafka: Briefe an Ottla und die Familie. Herausgegeben von Hartmut Binder und Klaus Wagenbach, 1989, ISBN 3-596-25016-1.
  • Deutsches Literaturarchiv Marbach (Hrsg.): Briefe an Ottla. Von Franz Kafka und anderen (Exponatverzeichnis mit allen Briefen).
  • Alena Wagnerová: Die Familie Kafka aus Prag. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-596-14355-1.
  • Peter Härtling: Für Ottla. Pfaffenweiler Presse, Pfaffenweiler 1983. (Auch: Radius, Stuttgart 1984).
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Einzelnachweise

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  1. Ernst Pawel: The nightmare of reason : a life of Franz Kafka. Vintage Books, New York 1985, ISBN 0-394-72948-X (archive.org [abgerufen am 22. März 2024]).
  2. Clayton Koelb: Kafka: A Guide for the Perplexed. A&C Black, 2010, ISBN 978-0-8264-9580-8 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. a b c d e Alena Wagnerová: «Franz gibt es uns» - Eine Begegnung in Prag mit Věra Saudková, der letzten Nichte Kafkas. In: Neue Zürcher Zeitung. Nr. 24. Zürich 30. Januar 2012, S. 35.
  4. SKC - Full View of Record. Abgerufen am 22. März 2024.
  5. In der Scheidungsakte erklärte David, der „rassische Unterschied“ zwischen ihm und seiner Frau habe zu schweren Differenzen geführt; sie sei fanatische Vegetarierin und habe ihn gezwungen, vegetarisch zu essen; sie beschimpfe ihn wüst in Anwesenheit der Kinder; verschwende Geld und schleppe manchmal bis zu sieben schmutzige Hunde nach Hause. Zitiert nach: Anna Hájková: Die Jahre der Verbitterung: Süddeutsche Zeitung vom 24. November 2015 S. 14.
  6. Hubert Spiegel: Die Frau, bei der Kafka ein anderer war, faz.net, 24. Januar 2011.
  7. FAZ vom 3. Februar 2011: Alle für Ottla
  8. Exponatverzeichnis Briefe an Ottla. Von Franz Kafka und anderen. Hrsg. vom Deutschen Literaturarchiv Marbach aus Anlass der Ausstellung vom 1. Juli bis 10. September 2011 im Literaturmuseum der Moderne, Marbach am Neckar, S. 159.
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