Purpur (Farbstoff)

chemische Verbindung

Purpur (männlich oder sächlich – der oder das; mittelhochdeutsch auch purper [männlich oder weiblich], althochdeutsch [weiblich] purpur[a] aus lateinisch purpura, dies entlehnt aus altgriechisch πορφύρα porphyra, „Purpurschnecke, Purpurfarbstoff“) nennt man einen Farbstoff, der ursprünglich von den im Mittelmeer lebenden Purpurschnecken (bevorzugt Hexaplex trunculus) gewonnen wurde. Auch seine leuchtstarke Farbe (Purpurrot) wird Purpur genannt. Chemisch handelt es sich um 6,6'-Dibromindigo, das dem Indigo eng verwandt ist.

Strukturformel
Strukturformel von Purpur
Allgemeines
Name 6,6'-Dibromindigo
Andere Namen
  • (2E)-6-Brom-2-(6-brom-3-oxo-1H-indol-2-yliden)-1H-indol-3-on
  • C.I. Natural Violet 1
  • C.I. 75800
Summenformel C16H8Br2N2O2
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
PubChem 5491378
Wikidata Q5180360
Eigenschaften
Molare Masse 420,05 g·mol−1
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[1]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
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Geschichte

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Video: Die Geschichte der Farbe Purpur (1:26 min)

Purpur ist aus antiken Texten seit der Frühgeschichte bekannt. Schon in Homers Odyssee werden kostbare Stoffe πορφύρεος „porphyreos“ gefärbt, an einer Stelle als ἁλιπόρφυρος „haliporphyros“ (d. h. verbunden mit dem Meer) charakterisiert.[2] Die Gewinnung des Farbstoffes aus den Murex genannten Schnecken wird in der Historia animalium des Aristoteles (Buch 5, Teil 15, 22-25.)[3] beschrieben. Archäologisch sind seit langer Zeit große Abfallhaufen aus Schneckenschalen, die als Beweis für eine Produktion des Farbstoffs in großem Stil gewertet werden, aus Minet el-Beida (dem Hafen der antiken Stadt Ugarit) aus dem 15. oder 14. Jahrhundert vor Christus, gefunden worden. Jüngere archäologische Befunde von dem Inselchen Koufonisi vor Kreta, Kastri auf der Insel Kythira und Knossos auf Kreta zeigen aber an, dass die Schnecken schon von den Minoern als Farbstofflieferanten genutzt wurden. Für die Verwendung spricht auch das auf mykenischen Linear B-Täfelchen überlieferte Wort po-pu-re-ia.[4] In der Antike wurde Purpur vor allem mit den Phöniziern (dem griechischen Namen für die kanaanitischen Stadtstaaten der Levante), vor allem der Stadt Tyros assoziiert, das bis in die römische Kaiserzeit der wichtigste Lieferant von Purpur war. Tatsächlich ist der Name „Phönizier“ (Phoinikes) und Phönizien (Phoinikê), wohl abgeleitet von der Farbe Purpur als wichtigem Handelsgut (schon in Linear b als ponika/ponikija überliefert).[5]

Auch in der bronzezeitlichen Siedlung von Coppa Nevigata (bei Manfredonia, Apulien) ist die Purpurgewinnung aus Purpurschnecken (Murex) nachgewiesen. Diese begann wahrscheinlich schon ab dem 19./18. Jahrhundert v. Chr., da Überreste von Purpurschnecken in beachtlicher Zahl (über 1400) bereits in den frühen Schichten der Bronzezeit gefunden wurden. Die mit Abstand meisten Relikte von Purpurschnecken (bisher über 30.000) stammen aus dem 15. und 14. Jahrhundert v. Chr., was allerdings auch forschungsbedingt sein kann.[6]

Der Legende nach soll der mit dem phönizischen Gott Melkart gleichgesetzte Herakles einst einer Nymphe namens Tyros nachgestellt haben. Als sein Hund in eine auf einer Klippe am Meer sitzende Purpurschnecke biss und seine Lefzen sich mit einem schönen Rot färbten, erklärte die Nymphe, Herakles erst wieder empfangen zu wollen, wenn er ihr ein Kleid mit dieser Farbe verschafft habe.[7][8][9]

Nach Achilleus Tatios[10] soll der Hund eines Fischers eine weggeworfene Purpurschnecke zerbissen haben. Als der Fischer die vermeintliche Wunde auswaschen wollte, entdeckte er die Beständigkeit der Farbe.

 
Leere Häuser von Purpurschnecken (Hexaplex trunculus)
 
Verschiedene Purpurfarbstoffe

Der Herstellungsprozess wird durch Plinius[11] am ausführlichsten beschrieben.

Die Schnecken wurden zwischen Herbst und Frühjahr gefangen. Die Tiere wurden getötet, die Hypobranchialdrüse mit den Farbstoffvorprodukten entfernt und drei Tage in Salz eingelegt. Das Ganze wurde in Wasser erhitzt, jedoch nicht gekocht. Anschließend wurde die Masse von den Fleischresten gereinigt. Der sich schnell bildende Purpurfarbstoff war jedoch nicht zum Färben geeignet. Dazu musste er zuerst in seine Leukoform reduziert werden. Der mit der reduzierten Purpurfarbe getränkte Stoff (Wolle, Seide) wurde dem Licht oder dem Luftsauerstoff oder beidem ausgesetzt, damit durch eine Enzymreaktion die reduzierte, schwachgelbliche Färbung in die ursprüngliche Purpurfarbe umschlagen konnte. Durch Zusatz von Honig wurde die Färbung angeblich fixiert.[12][13] Zur Herstellung eines Gramms reinen Purpurs sind ungefähr 12.000 Schnecken erforderlich.

Im alten Rom war der purpurne Streifenbesatz der Toga den Senatoren vorbehalten. Später trugen der römische Kaiser und der Triumphator beim Triumphzug eine Toga, die ganz mit Purpur gefärbt war. Tatsächlich hat den von Privatleuten mit Purpur betriebenen Kleiderluxus kein Erlass je eindämmen können.[14] Es gab in Rom Gilden (collegia oder familiae) der purpuraii, in deren Hand der Fang der Purpurschnecken und die Produktion von Purpur lag. Titus Livius beschreibt den Geruch des rohen Farbstoffes als anstößig und seine Farbe als der stürmischen See ähnlich.

In der Spätantike war die Purpurchlamys/​das Paludamentum Vorrecht und Abzeichen der römischen und byzantinischen Kaiser.[15] Die Farbe war auch Statussymbol für die deutschen Kaiser, und ab 1468 war sie die offizielle Farbe der Kardinäle. Bemerkenswerterweise wurden die Gewänder allerdings meist mit Kermes als Ersatz für den originalen Purpur gefärbt.

Purpur wird heute nur noch bei kirchlich-traditionellen oder staatlich-offiziellen Anlässen, zum Beispiel von den britischen Königen, genutzt, wobei aber die Färbung nicht mehr mit dem Saft der Purpurschnecke erfolgt.

 
Aus der Purpurschnecke Hexaplex trunculus gewonnene Purpurküpe.

Die Struktur des Purpurs wurde 1909 von Paul Friedlaender als Dibromindigo bestimmt.[16]

Der Farbstoff 6,6'-Dibromindigo wurde erstmals 1903 chemisch synthetisiert.[17] Die Totalsynthese des Purpur bedurfte nach der Strukturaufklärung noch geraume Zeit. Der Einbau des Broms wird durch die weiteren Substituenten im Benzolring zur Substitutionstelle dirigiert. Dabei ist die Aminogruppe –NHR ortho-para-dirigierend, die Gruppe –CRO meta-dirigierend und somit die Bromsubstitution thermodynamisch nicht begünstigt. Bei direkter Bromierung von Indigo entsteht deshalb 5,5'-Dibromindigo oder 5,5′,7,7′-Tetrabromindigo (Cibablau G[18]), das auf Grund der π-Elektronenverhältnisse andere Farbeigenschaften besitzt.

Verwendung

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Ausfärbung von synthetischem Purpur auf einem Stoffstück

Heutzutage ist der teure Originalfarbstoff nur noch sehr selten im Einsatz. Meist wird er für liturgische Zwecke genutzt, wie zur Färbung von Gewändern für das jüdische Oberrabbinat. Einsatzgebiet ist auch die Restaurierung von ursprünglich mit Purpur gefärbten Stoffen. Bis heute ist dieser Farbstoff der teuerste, er wird zu einem Preis von zirka 3000 Euro pro Gramm angeboten.

Die Purpurschnecke

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Der Meeresbiologe Félix Joseph Henri de Lacaze-Duthiers fand 1858, dass drei Schnecken im Mittelmeer purpurblaue Farbstoffe produzieren. Eine Art, Murex trunculus (jetzt Hexaplex trunculus), wurde von ihm als die Quelle des blauen Purpurs in der Bibel (2 Mos 26 EU) bestimmt. In seiner Publikation Mémoire sur le pourpre (Paris 1859) behandelte er die antike Purpurfärberei.[19] Auch die Schneckenart Nucella lapillus, die im Atlantik vorkommt, liefert den Farbstoff.

Purpuroxide

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Eisenoxidpigmente, die beim Rösten von Pyrit zur Gewinnung von schwefliger Säure als Nebenprodukt anfallen, werden Purpuroxide genannt. Auch werden ihnen oft braune organische Pigmente zugefügt, um ihre Opazität zu steigern.[20]

Literatur

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  • Hartmut Blum: Purpur als Statussymbol in der griechischen Welt (= Antiquitas. Reihe 1, Band 47). Habelt, Bonn 1998, ISBN 978-3-7749-2875-6.
  • Christopher J. Cooksey: Tyrian Purple: 6,6’-Dibromoindigo and Related Compounds. In: Molecules. 6, 2001, S. 736–769 (PDF; 302 kB).
  • John Edmonds: The mystery of imperial purple dye (= Historic dyes series. Band 7). John Edmonds, Little Chalfont 2000, ISBN 0-9534133-6-5.
  • Roland R. Melzer, Peter Brandhuber, Timo Zimmermann, Ulrich Smola: Farben aus dem Meer. Der Purpur. In: Biologie in unserer Zeit. 31, 2001. S. 30–39 (PDF; 802 kB), doi:10.1002/1521-415X(200101)31:1<30::AID-BIUZ30>3.0.CO;2-G.
  • Reinhold Meyer: History of purple as a status symbol in antiquity (= Collection Latomus. Band 116). Latomus, Brüssel 1970.
  • purpura. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Bd. 46. Alfred Druckenmüller Verlag, Stuttgart, 1959, Sp. 2000–2020.
  • Chryssa Ranoutsaki: Purpur in Byzanz: Privileg und Würdeformel. Reichert Verlag, Wiesbaden 2022, ISBN 978-3-95490-528-7.
  • Gösta Sanderg: The Red Dyes: Cocheneal, Madder and Murex Purple. Asheville 1997, ISBN 978-1-887374-17-0.
  • Ehud Spanier: The Royal Purple and the Biblical Blue. Jerusalem 1987, OCLC 640127534.
  • Gerhard Steigerwald: Purpurgewänder biblischer und kirchlicher Personen als Bedeutungsträger in der frühchristlichen Kunst (= Hereditas. Studien zur Alten Kirchengeschichte. Band 16). Bonn 1999, ISBN 3-923946-43-0.
  • Heinke Stulz: Die Farbe Purpur im frühen Griechentum, beobachtet in der Literatur und in der bildenden Kunst (= Beiträge zur Altertumskunde. Band 6). Teubner, Stuttgart 1990, ISBN 3-519-07455-9 (zugleich Dissertation, Universität zu Köln 1990).
  • Herbert Vogler: Die Spuren früher Färberei im Minoerreich auf Kreta. In: Deutscher Färberkalender. 88, 1984, S. 193–206.
  • Eva Wunderlich: Die Bedeutung der roten Farbe im Kultus der Griechen und Römer. Erläutert mit Berücksichtigung entsprechender Bräuche bei anderen Völkern (= Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten. Band 20, 1). Töpelmann, Giessen 1925 (zugleich Dissertation, Universität Halle-Wittenberg 1923).
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Einzelnachweise

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  1. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  2. Louise Hitchcock: Purple. In Margalit Finkelberg (editor): The Homer Encyclopedia. John Wiley & Sons, 2012, ISBN 978-1-4051-7768-9. Zugriff über onlinelibrary-wiley-com.
  3. History of Animals translated by D'Arcy Wentworth Thompson, Book V, Volltext bei Wikisource.
  4. Robert R. Stieglitz (1994): The Minoan Origin of Tyrian Purple. Biblical Archaeologist 57 (1): 46-54. JSTOR:3210395
  5. Michael C. Astour (1965): The Origin of the Terms "Canaan," "Phoenician," and "Purple". Journal of Near Eastern Studies 24 (4) (Erich F. Schmidt Memorial Issue, Part 2): 346-350. JSTOR:543644
  6. Claudia Minniti: Shells at the Bronze Age settlement of Coppa Nevigata (Apulia, Italy). In: Daniella E. Bar-Yosef Mayer (Hrsg.): Archaeomalacology Molluscs in former environments of human behaviour. Proceedings of the 9th Conference of the International Council of Archaeozoology, Durham August 2002, Oxbow Books, 2005, ISBN 978-1-84217-120-2, S. 71–81.
  7. Gregor von Nazianz Oratio 4.108.
  8. Cassiodor Variae 1.2.
  9. Iulius Pollux Onomastikon 1.45 ff.
  10. Achilleus Tatios Leukippe und Kleitophron 2.11.
  11. Plinius Naturalis historia 9,124–141.
  12. Plutarch Alexander 36.
  13. Vitruv De architectura 7.13.3.
  14. Walter Hatto Gross. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 4, Stuttgart 1972, Sp. 1243 f.
  15. Gerhard Steigerwald: Das kaiserliche Purpurprivileg in spätrömischer und byzantinischer Zeit. In: Jahrbuch für Antike und Christentum 33 (1990), S. 209–233.
  16. Paul Friedlander: Über den Farbstoff des antiken Purpurs aus Murex brandaris. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Bd. 42(1), 1909, S. 765–770, doi:10.1002/cber.190904201122.
  17. F. Sachs, R. Kempf: Über p-Halogen-o-nitrobenzaldehyde. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Bd. 36(3), 1903, S. 3299–3303, doi:10.1002/cber.190303603113.
  18. Hans Beyer: Lehrbuch der Organischen Chemie. Leipzig 1968, S. 632.
  19. Félix Joseph Henri de Lacaze-Duthiers: Mémoire sur la pourpre. Impr. de L. Danel, Lille 1860. (Extrait des: Mémoires de la Société des sciences, de l’agriculture et des arts de Lille).
  20. Wilfred M. Morgans: Pigments for Paints and Inks. Trade & Technical, Manchester 1980, ISBN 0-905716-02-7.
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