Quebecer Französisch

Unterklasse des Frankokanadischen (auch als Synonym gebraucht)

Als Quebecer Französisch (französisch français québécois) bezeichnet man den Regiolekt des Französischen, der in Québec, Ontario und den westlichen Provinzen Kanadas gesprochen wird. Die traditionelle Bezeichnung Frankokanadisch (kanadisches Französisch; französisch le canadien, le canayen) wird heute immer mehr durch die Bezeichnung Quebecer Französisch ersetzt, die allerdings unterschlägt, dass diese Variante des Französischen auch westlich der Provinz Québec gesprochen wird (siehe Frankophone Kanadier, Französisch in Kanada).

Klar vom kanadischen bzw. Quebecer Französisch abgrenzen kann man das akadische Französisch, das in den Seeprovinzen New Brunswick, Nova Scotia, Prince Edward Island und in einem kleinen Teil der zu Québec gehörenden Gaspésie gesprochen wird, sowie das neufundländische Französisch, das an der Westküste (Port-au-Port-Halbinsel) Neufundlands gesprochen wird.

Aufgrund der räumlichen Isolierung vom Rest der Frankophonie weist das kanadische bzw. Quebecer Französisch wie die anderen Varianten des Französischen in Nordamerika (siehe Französisch in den USA, Haitianisch-Kreolisch) deutliche Unterschiede im Vergleich zum Französischen in Europa auf. Diese Unterschiede sind in der Umgangssprache besonders ausgeprägt. Bei formalen Anlässen nähern sich viele Sprecher dem français de Radio-Canada (dem Französisch des Kanadischen Rundfunks) an, das nicht so weit vom europäischen Standard entfernt ist.

Geschichte

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Das Französische wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts zur Amtssprache in der französischen Kolonie Neufrankreich. Die meisten französischen Kolonisten, die sich im 17. Jahrhundert im Sankt-Lorenz-Strom-Tal niederließen, kamen aus der Île-de-France sowie aus Provinzen im Westen und Nordwesten Frankreichs: der Normandie, dem Poitou, der Guyenne, der Bretagne, Saintonge und Aunis. Mit Ausnahme der Siedler aus der Île-de-France sprachen sie kein Standardfranzösisch, sondern ihre lokalen Patois. Die Gemeinsprache der Siedler war jedoch die Pariser Koine, was sich mit der Ankunft der Filles du roy noch verstärkte, sodass ihre Muttersprachen nur geringe Spuren im kanadischen Französisch hinterlassen haben.[1][2]

Spätestens mit der Abtretung Neufrankreichs an die Briten 1763 löste sich das kanadische bzw. Quebecer Französisch von der Entwicklung des Französischen in Europa: Es bewahrte auf der einen Seite viele Elemente eines älteren Sprachstandes, auf der anderen Seite nahm es auch viele neue Einflüsse aus seiner nordamerikanischen Umgebung auf. Prägend waren hierbei die unmittelbare Nachbarschaft zum Englischen und zu verschiedenen indigenen amerikanischen Sprachen sowie der Zustrom nicht-frankophoner Einwanderer nach Kanada.

Das kanadische bzw. Quebecer Französisch hat eine Reihe von Archaismen bewahrt, die heute in Frankreich veraltet sind:

  • frz. casserole ‚Topf, Kasserolle‘ : qc./can. chaudron (Standardfranzösisch ‚Kochkessel‘)
  • frz. très froid : qc./can. frette ‚bitterkalt‘
  • frz. pull ‚Pulli‘ : qc./can. chandail
  • frz. pomme de terre ‚Kartoffel‘ : qc./can. patate

Viele Wörter wurden aus dem Englischen entlehnt oder analog zum Englischen gebildet (es ist Ziel der Sprachpolitik, dies zurückzudrängen):

  • frz. annuler ‚absagen, auflösen‘ | eng. cancel | qc./can. canceller
  • frz. dentifrice ‚Zahnpasta‘ | eng. toothpaste | qc./can. pâte à dents (Lehnübersetzung)
  • frz. fève ‚Saubohne‘, haricot ‚(grüne) Bohne‘ | eng. bean | qc./can. bine ‚Bohne‘
  • frz. travail ‚Arbeit‘, boulot ‚Arbeit, Job‘ | eng. job | qc./can. job, djobe
  • frz. ventilateur ‚Ventilator‘ | eng. fan | qc./can. fanne
  • frz. voiture ‚Auto‘ | eng. car | qc./can. char

Auch aus anderen Sprachen wurden Wörter übernommen:

  • aus dem Baskischen oreinak ‚Hirsche, Geweihträger‘ kommt orignal ‚Elch‘ (dagegen Standardfranzösisch élan)
  • aus dem Algonquin caribou ‚Rentier‘ (dagegen Standardfranzösisch renne)

Französische Wörter wurden für das Leben in Kanada neu geschaffen (Neologismen), manche davon mit dem Ziel, Anglizismen zu vermeiden:

  • ein dépanneur ist ein Nachbarschaftsladen, in dem man außerhalb der Öffnungszeiten einkaufen kann
  • magasinage ‚Einkaufen, Shopping‘ ist ein Lehnübersetzung von englisch shopping, während Standardfranzösisch mehrere Wörter kennt, z. B. courses ‚Einkaufen von Lebensmittel‘, emplettes ‚persönliche Einkäufe‘ usw.
  • poudrerie bezeichnet einen Sturm, bei dem der Wind den bereits liegenden Schnee aufwirft
  • tuque ist eine große Wollmütze, die die Ohren bedeckt (in Erweiterung auch jede andere Mütze)

Anglizismen im Französisch Frankreichs wurden „französiert“:

  • frz. vol charter ‚Charterflug‘ : qc./can. vol nolisé
  • frz. week-end ‚Wochenende‘ : qc./can. fin de semaine
  • frz. ferry ‚Fähre‘ : qc./can. traversier

In der Umgangssprache gibt es die Fragepartikel -tu, die in direkten Fragesätzen verwendet wird.[3] Eine ähnliche Fragepartikel findet sich auch heute noch in einigen nordfranzösischen patois, wo sie ursprünglich als -ti auftritt, da sie aus der Inversionsfrage (Jean, est-il là? – „Ist Johann da?“) hervorgegangen ist.[4]

  • C'est-tu loin, ça ? – „Ist es weit?“
  • Ta mère est-tu là ? – „Ist deine Mutter da?“ (mit Schwund von „sein“)
  • J'ai-tu l'air fatigué ? – „Sehe ich müde aus?“
  • Y'en a-tu d'autres ? – „Gibt es andere?“
  • Ça vous tente-tu vraiment d'y aller ? – „Habt ihr wirklich Lust hinzugehen?“
  • M'as-tu aller là ? – „Werde ich da hingehen?“ (Vergleiche haitianisch-kreolisch /esk m a alé la?/)
  • Faut-tu être cave pas à peu près ! – „Muss man da nicht wirklich blöd sein?“
  • C'est-tu pas possible, ce qui arrive là ! – „Ist, was da vorkommt, möglich?“
  • Qu'est-ce que c'est qu'c'est ça ? – „Was ist das?“

In basilektalen Varianten wird das Imperfekt des Verbes être ‚sein‘ analytisch auseinandergelegt, mit agglutinierten Präsensformen.[1][2]

  • (moué) chu tà àprà manjé „ich war am Essen“ (aus j'suis'tais (j'étais) après manger)
  • (toué) té tà
  • (lui) i(é) tà
  • (èl) è tà
  • (nouzot) ouen tà (nouzot = nous-autres)
  • vouzot tà (vouzot = vous-autres)
  • (euzot) son tà/(euzot) i tà (euzot = eux-autres)

Weibliche Formen

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Die Québecer bzw. Kanadier bilden weibliche Formen für eine Reihe von Substantiven, die im Französischen in Frankreich keine weibliche Form haben:

  • l'auteur, l'auteure
  • le maire, la mairesse
  • le premier ministre, la première ministre
  • le professeur, la professeure

Regionale Varianten

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Auch innerhalb des kanadischen bzw. Quebecer Französisch gibt es regionale Varianten. Sprecher vom Lac Saint-Jean oder aus der Beauce sind auch für die anderen Sprecher nicht immer leicht zu verstehen.

Markantestes Kennzeichen der Montréaler Variante ist die besonders intensive Diphthongierung langer Vokale.[3][5] So würde ein Montréaler Sprecher das Wort père „Vater“ [paɛ̯ʁ] aussprechen, während ein Sprecher aus der Stadt Québec [pɛːʁ] sagen würde. Es gibt auch grammatische Unterschiede, z. B. im Genus: „der Bus“ heißt in Montréal und international „le bus“, in Québec umgangssprachlich „la bus“.

Literatur

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in der Reihenfolge des Erscheinens

  • Henri Wittmann: Le joual, c'est-tu un créole ? In: La Linguistique, Jg. 9 (1973), Heft 2, S. 83–93. PDF (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive).
  • Lothar Wolf: Französische Sprache in Kanada. Verlag Ernst Vögel, München 1987, ISBN 3-920896-95-5.
  • Pierre Martel, Hélène Cajolet-Laganière: Le français québécois. Usages, standard et aménagement. Presses de l’Université Laval, Quebec 1996.
  • Claude Poirier (Hrsg.): Dictionnaire historique du français québécois. Monographies lexicographiques de québécismes. Herausgegeben vom Trésor de la Langue Française au Québec der Université Laval. Presses de l’Université Laval, Sainte-Foy 1998, ISBN 2-7637-7557-8; 2., überarbeitete und vermehrte Aufl., herausgegeben von Claude Poirier und Robert Vézina, 2023.
  • Lionel Meney: Dictionnaire Québécois Français. Guérin Universitaire, Montréal 1999.
  • Pierre Martel: Le bon usage au Québec. In: Elmar Schafroth, Walburga Sarcher, Werner Hupka (Hrsg.): Französische Sprache und Kultur in Québec (= Kanada-Studien, Band 29). ISL-Verlag, Hagen 2000, ISBN 3-933842-45-X, S. 11–40.
  • Commission des États généraux sur la situation et l’avenir de la langue française au Québec (Hrsg.): Le français, une langue pour tout le monde. Une nouvelle approche stratégique et citoyenne. Commission des États généraux sur la situation et l’avenir de la langue française au Québec, Montréal 2002, ISBN 2-550-37925-X (siehe zum Herausgeber das Lemma in der französischsprachigen Wikipedia, ebenso in der englischsprachigen).
  • Kristin Reinke: Sprachnorm und Sprachqualität im frankophonen Fernsehen von Québec: Untersuchung anhand phonologischer und morphologischer Variablen. Niemeyer, Tübingen 2004.
  • Kristin Reinke, Luc Ostiguy: La concurrence des normes au Québec, dans les médias, à l’école et dans les dictionnaires. In: Carsten Sinner (Hrsg.): Normen und Normkonflikte in der Romania. Peniope, München 2005.
  • Kristin Reinke, Luc Ostiguy: La langue à la télévision québécoise. Aspects sociophonétiques. Éditeur officiel du Gouvernement du Québec, Quebec 2005.
  • Britta Scheunemann: Québécois Slang. Das Französisch Kanadas. Reise-Know-How Verlag, Bielefeld 2006.
  • Stefanie Rudig: Language Dichotomy in Contemporary Montreal. A Review of the ‘Two Solitudes’ in Recent Fiction and Non-Fiction. In: Zeitschrift für Kanada-Studien, Jg. 34 (2014), S. 105–125 (Volltext) = gekürzte Fassung von dies.: Encounters avec l’Autre in Contemporary Montreal Literature: Aspects of Francophone-Anglophone Interactions at the Turn of the New Millennium. ibidem, Stuttgart 2011.
  • Marc Chalier: Les normes de prononciation du français. Une étude perceptive panfrancophone. De Gruyter, Berlin, Boston 2021, ISBN 978-3-11-070754-0.
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Einzelnachweise

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  1. a b Robert Fournier / Henri Wittmann: Le français des Amériques. Presses Universitaires de Trois-Rivières, Trois-Rivières 1995. 334 S.[1]
  2. a b Henri Wittmann: Le français de Paris dans le français des Amériques. Proceedings of the International Congress of Linguists 16.0416 (Paris, 20-25 juillet 1997). Pergamon, Oxford 1998 (CD edition). (PDF (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive))
  3. a b Denis Dumas: Nos façons de parler. Les prononciations en français québécois. Presses de l'Université du Québec, Sainte-Foy 1987.
  4. Gaston Paris: Ti, signe de l'interrogation. In: Romania 6/1887, S. 438–442
  5. Luc Ostiguy / Claude Tousignant: Le français québécois. Normes et usages. Guérin Universitaire, Montréal 1993.
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