Sidi Larbi Cherkaoui

belgischer Choreograph

Sidi Larbi Cherkaoui (arabisch سيدى لاربى تشيركاوى; * 10. März 1976 in Antwerpen) ist ein belgischer Tänzer und Choreograph flämisch-marokkanischer Abstammung. Cherkaouis Choreographien verwenden Elemente aus vielen Kulturen, Religionen und Kunststilen zugleich. Die gemeinsame Basis dieser Vielfalt ist für ihn die Bewegung.[1] Er hat über 50 choreographische Stücke geschaffen und erhielt zwei Olivier Pris für die beste neue Tanzproduktion, drei BallettTanz Preise (2008, 2011, 2017) und den KAIROS-Preis (2009).

Sidi Larbi Cherkaoui, Juni 2009, Schlussapplaus bei Apocrifu, Villa Adriana, Tivoli

Cherkaouis Vater ist Marokkaner und Muslim, der als Arbeitsmigrant nach Belgien kam, seine Mutter ist Belgierin und Katholikin. Er wurde französischsprachig erzogen, obwohl Französisch auch für die Eltern eine Fremdsprache war. Die Unterrichtssprache in seiner staatlich-laizistischen Schule war niederländisch, in der Koranschule lernte er den Koran kennen.[1] Sein Berufswunsch eines Tänzers entwickelte sich, als er im Fernsehen mit sieben Jahren den Tanzspielfilm Fame – Der Weg zum Ruhm gesehen hatte, später tanzte er auch Michael Jackson nach.[1] Cherkaouis Vater war gegen seine Berufswahl, da er den Tanz für eine brotlose Kunst hielt.[1] Von klassischem Ballett über Flamenco bis zum Breakdance belegte er alle Tanzkurse, die angeboten wurden.[2]

 
Cherkaoui (ganz links) mit der korsischen Sängergruppe A Filetta am Ende von Apocrifu, 2009, Villa Adriana

Sidi Larbi Cherkaouis Choreografien zeichnen sich aus durch eine Vereinigung von Elementen aus verschiedenen Kulturen, Religionen und Kunststilen.[3] In seinem Stück Sutra, das 2009 zur besten Aufführung des Jahres von der Zeitschrift ballet-tanz gewählt wurde, ließ er siebzehn junge Shaolin-Mönche auftreten. Diese wenden die Bewegungsabfolgen und Schlagsequenzen des Kung-Fu in einer Choreographie mit, auf, in, unter und gegen Holzkisten an.

Im Jahr 2010 wurde von ihm Babel (Words), ein Gesamtkunstwerk aus Live-Konzert, Theater, Tanz, Text und Skulptur, im Cirque Royal in Brüssel uraufgeführt.[4] Beim Movimentos-Festival in Wolfsburg im Mai 2011 tanzte Cherkaoui mit der Flamencotänzerin Maria Pagès in der Uraufführung seines Stückes Dunas.[5] In Het Muziektheater Amsterdam (Das Musiktheater Amsterdam) hatte im Juni 2011 Cherkaouis Ballettstück Labyrinth seine Uraufführung. Die nächste Uraufführung Cherkaouis folgte am 6. September 2011 im Londoner Sadler’s Wells Theater mit dem Tanzstück TeZukA, das sich mit dem Leben des Manga-Zeichners Osamu Tezuka befasst.[6]

2013 inszenierte Cherkaoui an der Pariser Garnier-Oper zusammen mit Damien Jalet den Boléro von Maurice Ravel. Die Kostüme zu diesem Ballet entwarf der für Givenchy arbeitende italienische Modedesigner Riccardo Tisci in Zusammenarbeit mit der serbischen Künstlerin Marina Abramović.[7] Im Dezember 2013 hatte sein Stück Genesis mit der chinesischen Tänzerin Yabin Wang in Peking die Uraufführung.[8][9] In der Spielzeit 2014/15 inszenierte er für das Stuttgarter Ballett Strawinskys erste Ballettkomposition Der Feuervogel, ein Ballettstück, das 1910 für das Ballets Russes entstand.

Seit September 2015 ist Cherkaoui Direktor des Koninklijk Ballet Vlaanderen in Antwerpen,[10] das im Januar 2014 mit der Vlaamse Opera in Antwerpen und Gent zum Kunsthuis vereint worden ist.[11]

In seinem Tanztheaterstück „Fractus V“ (2016) tanzen, agieren, sprechen und singen fünf Männer zum Thema Frakturen (Brüche) und Gewalt.[12] 2017 inszenierte er als – als Koproduktion des Theater Basel, der Komischen Oper Berlin und der Vlaamse Opera in Antwerpen und Gent – die Philip-Glass-Oper Satyagraha, die Gandhis frühen Jahre in Südafrika schildert.

2018 choreografierte er für The Carters (ein Musikprojekt von Beyoncé und Jay-Z) das Musikvideo zum Song Apeshit. Das Video wurde bei den MTV Video Music Awards achtmal nominiert, unter anderem in der Kategorie "Beste Choreografie".[13]

2019 folgte die Choreografie für Beyoncés Musikvideo Spirit, dem Song zur Neuverfilmung von Disneys Der König der Löwen.

Auszeichnungen (Auswahl)

Bearbeiten

Originalwerke

Bearbeiten

Debütierung

Bearbeiten
  • Iets op Bach (1995)
  • Anonymous Society (1999)

Les Ballets C de la B

Bearbeiten
  • Rien de Rien (2000)
  • OOK (2000)
  • It (2002)
  • D’Avant (2002)
  • Foi (2003)
  • Avignon (2004)
  • In Memoriam (2004)
  • Zero Degrees (2005)
  • Corpus Bach (2006)
  • Mea Culpa (2006)
  • End (2006)

Toneelhuis

Bearbeiten
  • Myth (2007)
  • L’homme de bois (2007)
  • Zon Mai (2007)
  • Origine (2008)
  • Sutra (2008)
  • Dunas (2009)
  • Orbo Novo (2009)
  • Babel(words) (2010)
  • Rein (2010)
  • Play (2010)
  • Shoes (2010)
  • Bound (2010)
  • Das Rheingold (2010)
  • Labyrinth (2011)
  • TeZukA (2011)
  • Constellation (2011)
  • Puz/zle (2012)
  • Automaton (2012)
  • Anna Karenina (2012)
  • Siegfried (2012)
  • 生长genesis (2013)
  • 4D (2013)

Andere Werke

Bearbeiten
  • Noetic (2014)
  • Mercy (2014)
  • Fall (2015)
  • Exhibition (2016)
  • Requiem (2017)
  • Qutb (2016)
  • Les Indes Galantes (2016)
  • Satyagraha (2017)
  • Icon (2016)
  • Mosaic (2017)

Tanzfilme

Bearbeiten
  • Puz / zle. Direktübertragung vom Theaterfestival Avignon, Frankreich, 2012, 90 Min., Regie: Don Kent, Produktion: arte France, La Compagnie des Indes, deutsche Erstsendung: 14. Juli 2012, Inhaltsangabe von arte, (Memento vom 2. März 2013 im Internet Archive).
  • Sutra. Partitur der Bewegungen. Tanztheater-Aufzeichnung, Großbritannien, 2008, 70 Min., Regie: Deborah May, deutsche Erstausstrahlung: 3. Dezember 2009, Inhaltsangabe (Memento vom 9. Juni 2012 im Internet Archive) von tanzsommer.at.
  • FOI / Glaube. Mitschnitt einer Tanztheater-Vorstellung bei der Tanzbiennale Lyon, Frankreich, 2004, 89 Min., Originalfassung mit Untertiteln, Regie: Andreas Morell, Produktion: ZDF, Erstausstrahlung: 21. Mai 2005, Ankündigung von arte, (Memento vom 18. April 2013 im Webarchiv archive.today).
  • Ballet Vlaanderen tanzt Ravel. Tanztheater-Aufzeichnung vom 3. und 4. Juni 2016 im Königlich Flämischen Opernhaus in Antwerpen, Deutschland, 2016, 80 Min., Produktion: 3sat, Reihe: Festivalsommer 2016, Erstsendung: 3. September 2016 bei 3sat, Inhaltsangabe von ARD.

Dokumentarfilme

Bearbeiten
  • Sidi Larbi Cherkaoui. Babels-Träume. (OT: Sidi Larbi Cherkaoui – Rêves de Babel.) Fernseh-Dokumentation, Frankreich, 2009, 59 Min., Buch: Christian Dumais-Lvowski, Regie: Don Kent, Produktion: Bel Air Média, arte France, deutsche Erstausstrahlung: 31. Mai 2010, Inhaltsangabe von arte, (Memento vom 26. Mai 2010 im Internet Archive).
  • Klosterleben, Kung-Fu und modernes Tanztheater. Der Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui im Gespräch. Dokumentation, Deutschland, 2008, 25 Min., Regie: Birgit Adler-Conrad, Produktion: ZDF, Erstausstrahlung: 6. Dezember 2009, Inhaltsangabe von tv14.

Spielfilm

Bearbeiten
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b c d Anke Dürr: iDance In: KulturSpiegel, Nr. 6, 31. Mai 2010.
  2. Anke Dürr: Tanzstar Sidi Larbi Cherkaoui. Bruce Lee in Babylon. In: KulturSpiegel, 8. Januar 2011.
  3. Inhaltsangabe von: Klosterleben, Kung-Fu und modernes Tanztheater. (Memento vom 5. Februar 2015 im Internet Archive) In: ZDFtheaterkanal / tv14.
  4. Die Wohncontainer von Babylon. In: FAZ, 30. April 2010, S. 39, Artikelanfang.
  5. Wiebke Hüster: schlagen ihre Zelte auf. Deutsche Premieren von Cherkaoui, Martin-Gousset und Decouflé beim „Movimentos“-Festival in Wolfsburg. In: FAZ, 30. Mai 2011, S. 27.
  6. Wiebke Hüster: Millionen von Bakterien sind in dem drin. In: FAZ, 13. September 2011, S. 40, Artikelanfang.
      vgl. dies.: Kalligrafie und Manga-Ästhetik. In: Deutschlandradio, 8. September 2011.
  7. Knochenmänner bezirzen dich zart. In: FAZ, 7. Mai 2013, S. 29, Artikelanfang.
  8. Wiebke Hüster: Leben ist Information. In: FAZ, 12. Januar 2014.
    Lilo Weber: «Genesis» von Sidi Larbi Cherkaoui in Antwerpen. Stile, Formen und Kulturen verbinden. In: NZZ, 16. Januar 2014.
  9. Irmela Kästner, Annette Stiekele: Wir leben, um zu sterben. In: Die Welt, 5. Februar 2014.
  10. Sidi Larbi Cherkaoui appointed new artistic director of Royal Ballet Flanders. In: operaballet.be, 4. Februar 2015, (englisch).
  11. Koninklijk Ballet Vlaanderen worden ‘Kunsthuis’. In: Het Nieuwsblad, 22. Januar 2014, (flämisch).
  12. Ditta Rudle: „Fractus V“: Die Sollbruchstelle ertanzen. In: Die Presse, 12. Januar 2017.
  13. 2018 MTV VMA Winners: See The Full List. Abgerufen am 12. April 2023 (englisch).
  14. Sidi Larbi Cherkaoui – KAIROS-Preisträger 2009. In: Alfred Toepfer Stiftung F.V.S.
  15. Sidi Larbi Cherkaoui received the title of Commander from L’Ordre des Arts et des Lettres in France. In: east-man.be, 14. Mai 2013, abgerufen am 4. Februar 2015.
  16. XVII edizione: San Pietroburgo, 13–17 novembre 2018. Premio Europa per il Teatro, abgerufen am 13. Februar 2023 (italienisch).
  17. Wiebke Hüster: Von Gogo übers Mittelalter bis zu Yoga für Tolstoi. Der Belgier Sidi Larbi Cherkaoui ist der berühmteste und zugleich einer der jüngsten zeitgenössischen Choreographen. In: FAZ, Donnerstag, 6. Dezember 2012, S. 33, Interview mit dem Tänzer.
  NODES
INTERN 4