Fernsehsender Paul Nipkow

ehemaliger deutscher Fernsehsender in Berlin
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Fernsehsender "Paul Nipkow" hieß der erste deutsche Fernsehsender. Der Sender, der nach dem Erfinder der Nipkow-Scheibe benannt war, bestand von 1934 bis 1944. Als weltweit erste Einrichtung produzierte und übertrug er von 1936 an ein regelmäßiges Fernsehprogramm. Standort des Fernsehsenders „Paul Nipkow” war zunächst das Haus des Rundfunks gegenüber dem Berliner Funkturm und ab 1937 das Deutschlandhaus am Theodor-Heuss-Platz.

Geschichte

Die erste Übertragung des Fernsehsenders "Paul Nipkow" wurde am 18. April 1934 in der Berliner Krolloper vorgestellt. Die Aufnahme eines regelmäßigen Programmdienstes folgte am 22. März 1935. Das Höchstmaß an Publizität erlangte der Sender im August 1936, als während der Olympischen Sommerspiele mit einem Großaufgebot von Fernsehkameras live von den Sportveranstaltungen berichtet wurde.

Unmittelbar vor Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde der Sender auf Anordnung des Oberkommandos der Wehrmacht stillgelegt. Der Sendebetrieb wurde später aber wieder aufgenommen. Obwohl am 23. November 1943 die Sendeanlagen durch Bomben zerstört wurden, konnte der Fernsehbetrieb über Breitbandkabel noch bis zum 19. Oktober 1944 aufrechterhalten werden. Dann wurde er eingestellt. Am 2. Mai 1945 wurde das Berliner Funkhaus von der Roten Armee besetzt.

Organisation und Personal

Der Fernsehsender "Paul Nipkow" hatte auf dem Höhepunkt seiner Aktivität (1936) 14 Mitarbeiter und verfügte über einen Jahresetat von 300.000 Reichsmark. Seine Intendanten waren Carl Heinz Boese, Hans-Jürgen Nierentz (seit 22. April 1937) und Herbert Engler (seit 1939). Der Sender war dem Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky unterstellt, der seine Weisungen wiederum aus dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda erhielt. Die Kompetenzen des Intendanten und des Reichssendeleiters wurden von anderen Behörden beschnitten: Hermann Göring war als Oberbefehlshaber der Luftwaffe für die kriegswichtigen Aspekte der Bildübertragung verantwortlich und das Reichspostministerium für den technischen Ablauf. Hadamovsky und der jeweilige Indandant bestimmten letztlich nur die Programminhalte des Fernsehsenders, nicht jedoch sein weiteres Schicksal.

Publikum

Da das Programm des Fernsehsenders "Paul Nipkow" über UKW übertragen wurde, war es nur im Berliner Raum zu empfangen. Die Reichweite des Senders betrug 60 bis 80 Kilometer. Fernsehgeräte waren zwar bereits seit 1930 im Handel, wurden jedoch noch von Hand und nur in kleinen Stückzahlen gefertigt. Die Geräte waren mit einer Braunschen Röhre ausgestattet und kosteten zwischen 2500 und 3600 Reichsmark.

Um die Produktionen des Fernsehsenders einem größeren Publikum zugänglich zu machen, richtete die Reichspost in ihren Postämtern öffentliche Fernsehstuben ein, in denen sich 20 bis 40 Personen um zwei Fernsehgeräte scharten, deren Bildschirme anfangs nur 18 mal 22 Zentimeter groß waren und überdies sehr schlecht aufgelöste, kontrastarme Bilder boten. Die erste Fernsehstube wurde am 9. April 1935 im Reichspostmuseum eingerichtet, weitere folgten, und im Herbst öffnete auch eine Fernseh-Großbildstelle für 294 Zuschauer, in der die Bildfläche mit Hilfe eines Zwischenfilm-Projektionsgeräts auf 3 mal 4 Meter vergrößert wurde. Eine zweite Großbildstelle mit 120 Plätzen wurde 1936 eröffnet. Auf dem Höhepunkt der Aktivität des Senders, im August 1936, gab es in Berlin 27 Fernsehstuben. Wenn man die in Privathaushalten befindlichen „Heimempfänger” mitzählt, betrug die Zahl der Fernsehgeräte in ganz Berlin etwa 75. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges stieg diese Zahl auf ca. 500 an. Nach Kriegsbeginn wurden die Fernsehstuben geschlossen und die Empfangsgeräte in der Truppenbetreuung und in Lazaretten eingesetzt. Die Fernsehstuben nahmen ihren Betrieb jedoch schon bald wieder auf, und von 1941 bis 1943 war das Berliner Programm durch ein Breitbandkabel sogar in den neu eröffneten Hamburger Fernsehstuben zu empfangen. In Potsdam und Leipzig gab es einzelne Fernsehstuben bereits seit dem 13. Mai 1935. In Berliner Bechstein-Saal wurde 1941 eine dritte Großbildstelle mit 200 Plätzen eingerichtet. Da der Eintritt kostenlos war, dürften die Fernsehstuben während des Krieges von vielen Menschen auch deshalb gern besucht worden sein, weil sie beheizt waren.

Programm

Gesendet wurde anfangs an drei Tagen in der Woche, vom Mai 1935 an täglich, jeweils von 20.30 bis 22.00 Uhr. Während der Olympischen Sommerspiele im August 1936 wurde die tägliche Sendezeit vorübergehend auf acht Stunden ausgedehnt. Im August 1937 wurden über Breitbandkabel auch Fernsehberichte vom Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP nach Berlin übertragen. Tagsüber, außerhalb der eigentlichen Sendezeit, liefen Versuchssendungen und Musik.

Das Programm bestand aus einer Mischung von Live-Moderation aus dem Studio, Fernsehspielen und eingespielten Filmausschnitten, Kurzfilmen und Wochenschauen. Daneben gab es eine regelmäßige Nachrichtensendung ("Bild des Tages"), einen "Aktuellen Bildbericht", eine Diskussionssendung ("Gesprächskreis"), eine Sendung "Künstler stellen sich vor", Tiersendungen, Varieté-Einlagen und eine populäre, von Ilse Werner moderierte Show mit dem Titel "Wir senden Frohsinn - wir spenden Freude", die ein- bis zweimal wöchentlich live aus dem Kuppelsaal des Berliner Reichssportfeldes übertragen wude. In der Sendung "Die Kriminalpolizei warnt!" wurde die Bevölkerung zur Fahndungshilfe bei der Verbrecherjagd aufgefordert. Die erste Ansagerin des deutschen Fernsehens war Ursula Patzschke. Sie meldete sich mit den Worten: "Achtung, Achtung! Fernsehsender Paul Nipkow. Wir begrüßen alle Volksgenossen und Volksgenossinnen in den Fernsehstuben Großberlins", und verabschiedete sich: "Auf Wiedersehen bei der nächsten Sendung. Heil Hitler! " Da die Fernsehaufnahmetechnik keine Möglichkeit der Aufzeichnung bot – alles wurde live gesendet -, ist von den meisten Produktionen heute nichts mehr erhalten.

Technik

Die Fernsehtechnik, an deren Entwicklung die Industrie gemeinsam mit der Reichspostforschungsanstalt arbeitete, war zum Zeitpunkt der überstürzten Eröffnung des Sendebetriebs noch zu unausgereicht, als dass dem Publikum gut aufgelöste, klare Bilder hätten geboten werden können. Übertragen wurden anfänglich 180 Zeilen pro Bild und 25 Bilder pro Sekunde, die stark flackerten und so kontrastarm waren, dass auf die Bilderläuterungen durch einen Radiosprecher kaum verzichtet werden konnte. Erst 1937, als Nipkows Spirallochscheibe in den Fernsehkameras durch elektronische Abtastsysteme ersetzt wurde, erhöhte sich die Zeilenzahl auf 441. Ton wurde von Anfang an parallel übertragen.

Die frühen Fernsehkameras waren äußerst Licht-unempfindlich, was sich im Studio durch Einsatz von starken Scheinwerfern und extremes Überschminken der Moderatoren und Darsteller ausgleichen ließ, Außenaufnahmen zunächst jedoch unmöglich machte. Abhilfe schuf schließlich das sogenannte Zwischenfilmverfahren, bei dem auf konventionellem Filmmaterial aufgenommen, in einem speziell ausgestatteten LKW (Zwischenfilmwagen) sofort entwickelt und in nassem Zustand mechanisch abgetastet wurde. Die Aufnahmen konnten damit bereits wenige Minuten nach dem Entstehen gesendet werden.

Während der Olympischen Sommerspiele 1936 wurde darüber hinaus erstmals auch eine moderne Elektronen-Fernsehkamera (Ikonoskop) eingesetzt, die wegen ihrer ungeheuren Ausmaße auch „Fernseh-Kanone” genannt wurde.

Politische Bedeutung

Die überstürzte Eröffnung des ersten deutschen Fernsehsenders zu einem Zeitpunkt, als die Technik noch an zahllosen Kinderkrankheiten litt, muss man vor allem als Werbemaßnahme des nationalsozialistischen Staates verstehen, der im In- und Ausland gern auf seine Modernität und die Leistungen seiner Erfinder und Ingenieure hinwies. Der Fernsehsender "Paul Nipkow" nahm seinen Sendebetrieb zu einem Zeitpunkt auf, als auch in Großbritannien ein regelmäßiger Fernsehprogrammbetrieb vorbereitet wurde. Dort hatte die Firma Baird Television Ltd. in Zusammenarbeit mit der BBC bereits am 30. September 1929 ihre erste Fernsehsendung ausgestrahlt. Mit dem regelmäßigen Sendebetrieb begann die BBC zwar erst sieben Monate später als die deutsche Konkurrenz, dafür nutzte sie jedoch von Anfang an die verbesserte Technik, die in Deutschland erst 1937 zur Verfügung stand.

Abgesehen von der aufwändigen Publicity, mit der das neue Medium der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit ins Bewusstsein gebracht werden sollte, unternahm das nationalsozialistische Regime kaum Anstrengungen, um das Fernsehen selbst als Propagandainstrument auszubauen. Medienkritiker haben nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholt ein hypothetisches Szenario entworfen, bei dem die Verbreitung von Fernseh-Volksempfängern in allen Haushalten der nationalsozialistischen Propaganda die Möglichkeit totaler Manipulation eröffnet hätte. Hinter dem Verzicht der Politik auf einen Ausbau des Mediums zu Propagandazwecken mag jedoch ein genauer Vergleich mit dem Alternativmedium Film gesteckt haben. Während die propagandistische Wirkung der Vorführung eines Films in einem voll besetzten Kinosaal auf der Hand lag und bewährt war, hätte ein in die Privatsphäre der Haushalte getragenes Medium weniger Suggestivkraft entfaltet oder sogar die Möglichkeit einer skeptischen oder kritischen Rezeption eröffnet. Auch war der technische Standard beim Medium Film einfach viel höher.

Einen vorläufigen Schlussstrich unter die Entwicklung des Fernsehens als Massenmedium zog auch der Zweite Weltkrieg. Obwohl auf der Internationalen Funkausstellung Berlin (IFA) 1939 ein Fernseh-Volksempfänger („Einheits-Fernseh-Empfänger“, „E1“) vorgestellt wurde, von dem 10.000 Stück produziert werden sollten, fehlten zur Massenfertigung eines nicht kriegswichtigen Artikels bald die industriellen Kapazitäten. Bis zum Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurden tatsächlich nur noch 50 Geräte gefertigt.

Die technische Entwicklung des Fernsehens wurde nach Beginn des Krieges nur noch in den Forschungsstätten der Luftwaffe vorangetrieben, die die junge Technik später nutzte, um "V2"-Raketen ins Ziel zu lenken. Auch ein Fernmeldeturm, der 1937 auf dem Großen Feldberg errichtet wurde, um das Ballungsgebiet Frankfurt mit den Produktionen des Fernsehsenders „Paul Nipkow” zu versorgen, diente später als Radarturm lediglich militärischen Zwecken.

Während des Krieges, im August 1942, begann die deutsche Besatzungsmacht jedoch im besetzten Paris, Fernsehsendungen, die in einem improvisierten Studio produziert wurden, vom Eiffelturm aus auszustrahlen. Intendant des Senders war Kurt Hinzmann.

Siehe auch

Literatur

  • Klaus Winker, Fernsehen unterm Hakenkreuz. Organisation - Programm – Personal, Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 1996
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