Stammmutter oder Ahnherrin (veraltet: Ahnfrau, Ahnmutter) bezeichnet die menschliche oder sagenhafte Begründerin einer Familie, Abstammungsgruppe, Sippe oder eines Geschlechts, Clans, Stamms oder Volks.[2][3]

Relief der mythologischen Stammmutter Eva am Maison d’Adam (Haus Adams), datiert 1491,[1] Angers, Frankreich (Foto: 2008)

Die Genealogie (Familiengeschichtsforschung) versteht als Stammmutter die frühest belegte Vorfahrin (Ahnin), von der eine familiäre Gruppe von Nachkommen blutsverwandt abstammt; sie steht an der Wurzel eines Stammbaums oder zuoberst einer Stammliste. Während nach der Väterlinie geordnete Familien ihre gemeinsame Abstammung von einem Stammvater herleiten, beziehen sich Familien und Verbände mit Mütterlinien (matrilinear über Mütter an Töchter) auf eine gemeinsame Stammmutter. Weltweit finden sich weibliche Abstammungsregeln bei etwa 200 von weltweit 1.300 erfassten Ethnien und indigenen Völker (vergleiche Clanmutter und Matri-Lineages).[4]

In mythischen und religiösen Erzählungen dient die Vorstellung der gemeinsamen Ahnmutter einer sozialen Gruppe zur Stärkung ihres Wir-Gefühls und zur Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen und Kulturen (vergleiche dazu Herkunftssagen und Gründungsmythen). Die Urmutter oder Große Mutter gilt in der analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung als ein Urbild menschlicher Vorstellungsmuster (Archetyp), das sich im kollektiven Unbewussten findet (vergleiche dazu Muttergöttin und Magna Mater).

Stammmütter von Dynastien

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Wurden früher vor allem die männlichen, agnatischen Stammlinien erforscht, interessiert sich die neuere Genealogie auch für die biologischen Stammmütter von Familien und von Adelshäusern.[5]

Innerhalb adliger Stammlinien erhält eine Frau die Bezeichnung Stammmutter oder Ahnherrin (als Ehrentitel) in der Regel nur für den Fall, dass sie als offizielle Ehefrau dem Stammvater einer neuen Haupt- oder Nebenlinie einen Stammhalter schenkt, über den dann der Mannesstamm fortgeführt wird. Die Mutter oder Großmutter einer solchen Ahnherrin wird dabei nicht berücksichtigt, die Stamm­mutter­schaft bestimmt sich im Weiteren nur über den Ehemann. Dagegen gilt Sophie von Brabant (geborene von Thüringen, 1224–1275) als Stammmutter des Hauses Hessen, denn sie begründete die Landgrafschaft Hessen, indem sie ihren erst dreijährigen Sohn Heinrich 1247 zum Landgrafen ausrufen ließ und die hessischen Besitzungen der Landgrafen von Thüringen für Heinrich im thüringisch-hessischen Erbfolgekrieg (1247–1264) sicherte. Oft wird aber auch die Heilige Elisabeth, Sophies Mutter und Schutzpatronin von Thüringen und Hessen, als Stammmutter des Hauses Hessen angesehen.

Eine gesetzlich festgelegte Stammmutter ist Sophie von der Pfalz (1630–1714) als Ahnherrin des britischen Königshauses: Laut dem noch geltenden Act of Settlement von 1701 kommen auch in Zukunft ausschließlich ihre leiblichen (protestantischen) Nachkommen als Thronfolger infrage; seit 2013 sind dabei Töchter den Söhnen gleichgestellt (siehe Thronfolge im Vereinigten Königreich).

Andere berühmte Beispiele aus dem europäischen Kulturraum:

Mythische Stammmütter

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Goldene Madonna, interpretiert als „neue Eva“ (Detail der vergol­deten Statue von 980, Essener Domschatz, 2008)

Im biblischen Buch Genesis (1. Buch Mose) wird die Frau namens Eva (chawwāh „Mutter alles Lebendigen“) zusammen mit Adam als „Stammeltern“ der Menschheit bezeichnet,[6] folglich ist sie die Stammmutter schlechthin. Ähnliche Erzählungen finden sich bei vielen Völkern, so gelten in der nordischen Mythologie Embla und Ask als Stammeltern aller Menschen, bei den Hellenen (Griechen) überleben nur Pyrrha und ihr Ehemann Deukalion eine Sintflut.

Die Frauengestalten Sara, Rebekka, Lea und Rachel gelten als „Erzmütter“ der Israeliten.[7] Die Moabiterin Ruth, Ahnherrin des Königs David, wird im Matthäus-Evangelium als eine der vier Stammmütter des Jesus von Nazaret genannt.[8]

Die ägyptische Sklavin Hagar gilt über ihren Sohn Ismail als Stammmutter der Araber. Fatima, die Tochter des Propheten Mohammed, von der alle seine Nachfahren abstammen, gilt als Stammmutter aller schiitischen Imame nach ihrem Ehemann Ali.

Lanassa – eine (Ur-)Enkelin des griechischen Sagenhelden Herakles – gilt in der antiken Überlieferung als die mythische Ahnmutter des molossischen Königshauses von Epirus auf der Balkanhalbinsel.

Weltweit finden sich zahlreiche Erdgöttinnen, von denen ethnische Völker oder Religions­gemeinschaften ihre Abstammung herleiten. Eine frühe Form bildet die göttliche Muttergöttin, von der alle Menschen abstammen sollen (siehe dazu auch Magna Mater, Chthonismus, Gaia-Hypothese).

Berühmte Beispiele für Göttinnen:

Genetische Stammmutter aller Menschen

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Die bislang früheste „Stammmutter“ der Menschen wurde errechnet in der archäologischen Vererbungslehre (Archäogenetik): Die so genannte „Eva der Mitochondrien“ lebte in Afrika vor geschätzten 175.000 Jahren (± 50.000) und ist biologisch mit allen heute lebenden Menschen durch die ununterbrochene Abstammungslinie ihrer Nachkommen verwandt. Grundlage dieser Berechnung ist die Vererbung der Erbinformationen von Mitochondrien (winzige Energiekraftwerke in den Zellen), die nur von der Mutter an ihre Kinder erfolgt, also von Söhnen nicht weitervererbt wird. Dabei tritt in der Erbinformation alle rund 20.000 Jahre eine geringfügige Veränderung auf, eine Mutation.

Aus dem weltweit sich diesbezüglich sehr ähnelnden menschlichen Erbmaterial kann zurückgerechnet werden, wann die erste unterscheidende Mutation aufgetreten sein könnte. Von dieser Ur-Mutter stammen alle Mitochondrien der gegenwärtigen Menschen ab, die Erblinien aller anderen urzeitlichen Frauen wären demnach zwischen­zeitlich ausgestorben.[9]

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Clément Alix, Frédéric Épaud: La construction en pan de bois: Au Moyen Âge et à la Renaissance. Presses universitaires François-Rabelais, Tours 2018, ISBN 978-2-86906-531-4, S. 234 (französisch; Nachdruck von 2013; Seitenvorschau in der Google-Buchsuche).
  2. Worteintrag: Stammmutter, Stamm-Mutter, die. In: Duden online. Abgerufen am 23. März 2022; Zitat: „Bedeutung: Frau als Begründer eines Stammes, einer Sippe“.
    Ebenda: Ahnfrau, die: „Gebrauch: gehoben veraltend; Bedeutung: Stammmutter eines Geschlechts“.
    Ebenda: Ahnherrin, die: „Gebrauch: gehoben veraltend; Bedeutung: Stammmutter eines Geschlechts“.
    Ebenda: Ahnherr, der: „Gebrauch: gehoben veraltend; Bedeutung: Stammvater eines Geschlechts“.
  3. Lexikoneintrag: Ahnfrau. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Band 1, Leipzig 1905, S. 206, Zitat: „Ahnfrau, die Ahnmutter, Stammmutter eines Geschlechts“.
  4. J. Patrick Gray: Ethnographic Atlas Codebook. In: World Cultures. Band 10, Nr. 1, 1998, S. 86–136, hier S. 104: Tabelle 43 Descent: Major Type (englisch; PDF: 2,4 MB, 52 Seiten ohne Seitenzahlen; eine der wenigen Auswertungen aller damals 1267 erfassten Ethnien), Zitat: „584 Patrilineal […] 160 Matrilineal […] 52 Duolateral […] 49 Ambilineal […] 11 Quasi-lineages […] 349 bilateral […] 45 Mixed […] 17 Missing data“.
    Prozente der 1267 Ethnien (1998): 46,1 % patrilinear (vom Vater) – 12,6 % matrilinear (von der Mutter) – 4,1 % duolateral (bilinear: unterschiedlich von Vater und Mutter) – 3,9 % ambilinear (wahlweise) – 0,9 % parallel (Quasi-Linien) – 27,6 % bilateral, kognatisch (westliches Modell: Herkunft von beiden Elternteilen) – 3,6 % gemischt – 1,6 % fehlende Daten.
    Ende 2012 waren im Ethnographic Atlas weltweit genau 1300 Ethnien erfasst, von denen oft nur Stichproben ausgewertet wurden, beispielsweise im internationalen HRAF-Projekt.
  5. Siehe den Artikel: Mutterstamm. In: GenWiki. Verein für Computergenealogie, 13. Januar 2007, abgerufen am 1. Oktober 2018: „Mutterstamm (auch Frauenlinie, Mutterlinie, oder »reiner Weibesstamm«) ist ein vergleichsweise recht junger Begriff der Genealogie. Er bezeichnet die Vorfahrenschaft eines Probanden in der mütterlichen Linie und ist damit das Gegenstück zur traditionell favorisierten Stammlinie. Es handelt sich also um die matrilineare Abstammung, d. h. um die direkte, ununterbrochene Mutter-Tochter-Linie eines Menschen.“
    Vergleiche auch Arndt Richter: Zum Begriff der „Mutterstammtafel“. In: Goethe-Genealogie. 17. Januar 2009, abgerufen am 1. Oktober 2018.
    Siehe dazu auch die Buchbesprechung mit Materialien zu Arndt Richter: Die Welt der vernachlässigten Abstammungen: „Mutterstämme“ – Töchterketten. In: GeneTalogie. Eigene Webseite, 2006, abgerufen am 1. Oktober 2018.
  6. Henrik Pfeiffer: Adam und Eva. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff. Artikel vom März 2006: „Der Name Eva (chawwāh) soll »Mutter alles Lebendigen« (vgl. Sir 40,1) bedeuten. […] Die Schriften […] reflektieren das Leben Adams und Evas bis zu Tod und Begräbnis der beiden Stammeltern im Paradies.“
    »Stammeltern« als Bezeichnung von Adam und Eva ist die offizielle Sprachregelung der katholischen Kirche: „Gott […] hat […] darüber hinaus sich selbst schon am Anfang den Stammeltern kundgetan.“ Siehe Zweites Vatikanisches Konzil: Dogmatische Konstitution: Dei Verbum – Über die göttliche Offenbarung. In: Der Heilige Stuhl - Archiv. 18. November 1965, abgerufen am 1. Oktober 2018.
  7. Anke Mühling: Erzeltern. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff. Artikel vom Juli 2009: „Da deren Frauen (Sara, Rebekka, Rahel und Lea) als »Erzmütter« bzw. »Ahnmütter« […] in diesen Erzählungen trotz deren patriarchalischer Prägung von wesentlicher Bedeutung sind, beginnt sich in der neueren Forschung die Terminologie »Erzeltern« bzw. »Erzeltern-Erzählungen« durchzusetzen (vgl. Fischer).“
  8. Irmtraud Fischer: Rut / Rutbuch. In: Wissenschaftliches Bibellexikon im Internet. Artikel vom Oktober 2006: „Die Moabiterin Rut wird schließlich als vollwertiges Mitglied des jüdischen Volkes anerkannt und zur Ahnfrau König Davids – und damit auch zu einer der Stammmütter Jesu (Mt 1,5; vgl. Lk 3,31-33).“ Anmerkung: Die 3 weiteren Stammmütter Jesu neben Rut sind Tamar, Rahab und Batseba.
  9. Max Ingman u. a.: Mitochondrial genome variation and the origin of modern humans. In: Nature. Band 408, Nature Publishing Group, London Dezember 2000, S. 708–713 (englisch; doi:10.1038/35047064).
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