Tagebuch 1966–1971

literarisches Tagebuch von Max Frisch

Tagebuch 1966–1971 ist der Titel eines literarischen Tagebuchs des Schweizer Schriftstellers Max Frisch. Die Idee zu einem zweiten veröffentlichten Tagebuch nach dem Tagebuch 1946–1949 reifte in Frisch nach seinem Umzug von Rom nach Berzona 1965. Von 1968 an, nach der Beendigung der Arbeit am Theaterstück Biografie: Ein Spiel, galt Frischs Hauptarbeit dem Tagebuch. Es erschien im Frühjahr 1972 im Suhrkamp Verlag. Zur Neuausgabe im Gesamtwerk 1976 erweiterte Frisch das Tagebuch um einige zuvor entfallene Texte.[1]

Max Frisch (1967)

Das Tagebuch 1966–1971 wird häufig als Übergang zum Spätwerk Frischs betrachtet. Ein Schlüsselsatz ist das mehrfach wiederholte Zitat Montaignes: „So löse ich mich auf und komme mir abhanden.“[2] Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit Altern, Sterben und Tod. Es herrscht eine resignative Grundstimmung, die ebenso wie der Stil der Montage und die formale Reduktion für die folgenden Werke bestimmend bleibt.[3] Wie bereits im Tagebuch 1946–1949 zahlreiche Motive und Stoffe aus Frischs Hauptwerken angelegt sind, finden sich auch im Tagebuch 1966–1971 Verweise auf die späten Werke Montauk, Der Mensch erscheint im Holozän und Triptychon.[4]

Den ersten Eintrag des Jahres 1967 bildet ein Text für Brunnen Rosenhof.[5] Dieser Text ist eine Inschrift für den von Peter Meister entworfenen Brunnen im Zürcher Rosenhof, für die Frisch von der Stadt Zürich beauftragt worden war.[6] Seine Chronik des Jahrs 1967 widmete Frisch nicht Personen der Zeitgeschichte, sondern Namenlosen wie den Opfern des Vietnamkriegs.[7] Laut Urs Bircher bricht der Text mit der Tradition von Denkmälern, insbesondere von Kriegerdenkmälern. Die rund um den Brunnen angebrachte Inschrift lässt je nach Lesart unterschiedliche Assoziationsketten entstehen, die auch Frischs politische Positionen zu dieser Zeit auf ironisch verschlüsselte Weise formulieren.[8]

Laut Hugo Loetscher bilden aber die Fragebögen den intellektuellen und formalen Höhepunkt dieses Tagebuchs: „Brillant, zielsicher und hinterhältig werden die eigne Person und damit wir selber durch Fragezeichen eingekreist.“[9] In elf Fragebögen stellt Frisch – wie Urs Bircher schreibt „im Stil des beliebten Gesellschaftsspiels der Belle Époque“ – scheinbar harmlose Fragen zu den Themen Altruismus, Ehe, Eigentum, Frauen, Freundschaft, Geld, Heimat, Hoffnung, Humor, Kinder, Tod. Sie offenbaren bei der Beantwortung aber die Komplexität der behandelten Themen und verleiten den Leser zu Widersprüchen. Damit lehre Frisch „auf spielerische Art, wie genaues Denken ohne Vorurteile funktioniert.“[10] Nach Frischs Tod veröffentlichte der Suhrkamp Verlag 1992 die Fragebögen in einem eigenen Band, im Jahr 2019 erweitert um drei weitere im Nachlass aufgefundene Fragebögen zu den Themen Alkohol[11], Moral[12] und Technik.[13] Frischs Fragebögen erreichten einen Kultstatus, wurden auf Poster gedruckt und sind laut der SRF-Literaturredakteurin Franziska Hirsbrunner auch 50 Jahre nach ihrer Publikation „verblüffend aktuell geblieben“.[14]

Ausgaben

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  • Max Frisch: Tagebuch 1966–1971. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, ISBN 3-518-02859-6.
  • Max Frisch: Tagebuch 1966–1971. In: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Sechster Band. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-06533-5, S. 5–404. Anmerkungen S. 787–788.
Teilpublikation

Literatur

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  • Meike Heinrich-Korpys: Tagebuch und Fiktionalität. Signalstrukturen des literarischen Tagebuchs am Beispiel der Tagebücher von Max Frisch. Röhrig, St. Ingbert 2003, ISBN 3-86110-335-4.
  • Rolf Kieser: Max Frisch. Das literarische Tagebuch. Huber, Frauenfeld 1975, ISBN 3-7193-0491-4.
  • Daniel de Vin: Max Frischs Tagebücher. Böhlau, Köln 1977, ISBN 3-412-00977-6.

Einzelnachweise

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  1. Max Frisch: Tagebuch 1966–1971. In: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Sechster Band. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-06533-5, S. 787–788.
  2. Max Frisch: Tagebuch 1966–1971 In: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Sechster Band. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-06533-5, S. 64, 107, 131.
  3. Cornelia Steffahn: Altern, Sterben und Tod im Spätwerk von Max Frisch. Dr Kovač, Hamburg 2000, ISBN 3-8300-0249-1, S. 1–2, 70, 226.
  4. Meike Heinrich-Korpys: Tagebuch und Fiktionalität. Signalstrukturen des literarischen Tagebuchs am Beispiel der Tagebücher von Max Frisch. Röhrig, St. Ingbert 2003, ISBN 3-86110-335-4, S. 21.
  5. Max Frisch: Tagebuch 1966–1971. In: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Sechster Band. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-06533-5, S. 59.
  6. Walter Drack: Zürcher Denkmalpflege. 5. Bericht 1966/67, Zürich 1971, S. 191
  7. Tobias Amslinger, Martina Schönbächler: «hier ruht kein grosser ZÜRCHER» auf dem Weblog ETHeritage der ETH Zürich, 15. September 2023.
  8. Urs Bircher: Mit Ausnahme der Freundschaft: Max Frisch 1956–1991. Limmat, Zürich 2000, ISBN 3-85791-297-9, S. 137–138.
  9. Max Frisch: Tagebuch 1966–1971 Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, Buchclub Ex Libris Zürich 1974, Vorwort.
  10. Urs Bircher: Mit Ausnahme der Freundschaft: Max Frisch 1956–1991. Limmat, Zürich 2000, ISBN 3-85791-297-9, S. 168.
  11. «Wem empfehlen Sie, sich zu betrinken?» – Der erste Teil von Max Frischs neu aufgetauchtem Fragebogen. In: Neue Zürcher Zeitung, 28. September 2019.
  12. Was bedrückt Sie mehr: ein Profit, der nach moralischen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen ist, oder der Verzicht auf solchen Profit? In: Neue Zürcher Zeitung, 5. Oktober 2019.
  13. Können Sie sich eine menschliche Existenz (das heisst: die Erste Welt) überhaupt noch vorstellen ohne Computer?. In: Neue Zürcher Zeitung, 12. Oktober 2019.
  14. Radka Laubacher: Wie beantworten Sie die Kult-Fragen von Max Frisch?. In: Radio SRF 1, 16. Dezember 2022.
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