Urethralverkehr

Geschlechtsverkehr unter Einbeziehung der Harnröhre

Urethralverkehr (früher auch: Urethraverkehr[1]), lateinisch Coitus per urethram und englisch Urethral coitus oder Urethral intercourse (von lateinisch Urethra = Harnröhre), bezeichnet den Geschlechtsverkehr unter Einbeziehung der Harnröhre. Dabei wird der Penis des Mannes in die weibliche Harnröhre eingeführt.

Früher wurde der „Urethra(l)verkehr [als ein] abartiger Koitus mit Einführen des Penis in die weibliche Harnröhre“ definiert.[2]

Prinzip der Durchführung

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Die weibliche Harnröhre stellt eine Verbindung zwischen Harnblase und Scheidenvorhof dar. Üblicherweise hat sie einen Durchmesser von unter einem Zentimeter und ist somit für das Einführen eines Penis zu eng. Jedoch verfügt die Harnröhre über eine hohe Flexibilität und kann durch kontinuierliches Dehnen stark an Umfang zunehmen. Dies kann bis zu einer Größe führen, welche den Abgang auch großer Blasensteine oder auch die Penetration zum Beispiel eines Penis ermöglicht.[3][4][5]

Die instrumentelle Aufdehnung der Harnröhre zum Beispiel mit filiformen Bougies oder mit einem Dittel-Stift (nach Leopold Ritter von Dittel) heißt Urethraldilatation oder Urethradilatation,[6] kurz Dilation oder Bougierung. Ein Urethrometer ist ein Instrument für Messungen der lichten Weite und der Dehnbarkeit der Harnröhre.[7] Bei der Urethrometrie wird dagegen durch ein kontinuierliches Durchziehen einer Drucksonde von der Harnblase her bei gleichzeitiger Messung des Blaseninnendrucks ein Druckrelief der Harnröhre erstellt.[8] Bei einer Harnröhrenverschlussinsuffizienz kann ein Urethradruckprofil erstellt werden (Profilometrie).[9]

Als Sounding, Harnröhrenspiel oder Harnröhrenstimulation bezeichnet man den Einsatz von Harnröhrensonden oder von Dilatatoren sowohl für Männer als auch für Frauen. Außerdem gibt es spezielle Harnröhrenvibratoren und speziell für Männer zusätzlich Penisplugs. Diese Sexspielzeuge haben unterschiedliche Stärken (Kaliber), je nachdem, wie stark die Harnröhre geweitet werden soll.[10][11]

Mitunter wird der Urethralverkehr durchgeführt, weil aufgrund von Fehlbildungen der Vagina der Vaginalverkehr erschwert oder aber die Harnröhre der Frau von sich aus übernormal vergrößert ist.[12][13][14] Jedoch ist dies nicht notwendigerweise der Fall, in den meisten Fällen liegt keine Fehlbildung des Urogenitaltrakts vor.

Viele Frauen mit einer seltenen angeborenen Hypoplasie des Müller-Gangs (Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom oder Müllersche Agenesie; Prävalenz etwa 1:4.500 Frauen[15]) führen unwissentlich einen Urethralverkehr durch,[16] denn sie haben keine Scheide.

Wie auch die Stimulation der Harnröhre mit den Fingern oder durch das Einführen von Objekten stellt der Urethralverkehr eine Form der Lustgewinnung dar.[13] Damit fällt der Urethralverkehr in den Bereich der Urethralerotik, obwohl diese als „Triebbefriedigung in Zusammenhang mit der Miktion (Urethra als erogene Zone)“ definiert wurde.[17]

Verbreitung

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Obwohl keine Zahlen über die Verbreitung vorliegen, ist davon auszugehen, dass es sich um eine sehr seltene Sexualpraktik handelt. Es finden sich jedoch zahlreiche Berichte in der gynäkologischen Fachliteratur.[13] Auch in der Pornografie wird mitunter der Urethralverkehr zur urethralen Befriedigung praktiziert. Der Urethralverkehr ist normalerweise eine heterosexuelle Praktik.

Die ausgeprägte Dehnbarkeit und Flexibilität der Harnröhre werden jedoch auch durch Fachberichte homosexuellen Urethralverkehrs zwischen Männern belegt.[14] Üblicherweise hat die Harnröhre des Mannes einen Durchmesser von unter einem Zentimeter und ist somit für das Einführen eines anderen Penis zu eng. Wegen ihrer hohen Flexibilität kann sie aber durch kontinuierliches Dehnen stark an Umfang zunehmen. Dies kann bis zu einer Größe führen, welche die Penetration oder auch eine Prostatastimulation ermöglicht.[18]

Häufig berichtete Probleme im Zusammenhang mit Urethralverkehr sind eine Dyspareunie sowie das Auftreten einer Harninkontinenz bei oder nach dem Verkehr. Weiterhin ist das Risiko von Harnröhren- und Blasenentzündungen gegeben.[5] Die starke Dehnung der Harnröhre kann auch zu Problemen führen.[19][20]

Geschichte

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Schon 1892 schrieb Ludwig Kleinwächter, dass bei der „nicht so seltenen gleichmäßigen allgemeinen Dilatation der weiblichen Harnröhre die Urethra gar häufig zur Bergung des Penis verwendet werde. Gelingt dies auch nicht sofort, so wird doch allmälig die Urethra so weit dilatiert, dass sie dieser Aufgabe nachzukommen vermag. In der älteren Literatur finden sich nicht wenige solcher Fälle verzeichnet, aus der neueren wären die Fälle von Davis, Zinstag und Flothmann zu nennen. Die Urethra kann hier so bedeutend ausgedehnt und erschlafft sein, dass man in dieselbe zwei Finger einzuführen vermag. In den meisten Fällen dieser Art besteht keine Incontinenz, höchstens dass die Frau an vorübergehender Dysurie oder Strangurie leidet. Andererseits kann aber auch Incontinenz die Folge sein.“[21]

Ernst Gräfenberg beschrieb 1950 als Erster eine erogene Zone im Verlauf der Harnröhre. Deswegen befürwortete er den Geschlechtsverkehr wie bei der Kuh (französisch à la vache), um den U-Punkt an der Vorderseite der Vagina intensiver zu stimulieren.

Die Sachbuchautorin Mary Roach beschrieb einen urethralen Geschlechtsverkehr mit Penetration.[22]

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Heinz Walter, Thiele (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Loseblattsammlung, Band 6 (S–Zz), Verlag Urban & Schwarzenberg, München / Berlin / Wien 1974, ISBN 3-541-84006-4, S. U 37.
  2. Heinz Walter, Günter Thiele (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Loseblattsammlung, Band 6 (S–Zz), Verlag Urban & Schwarzenberg, München / Berlin / Wien 1974, ISBN 3-541-84006-4, S. U 37.
  3. A. A. Borski, B. T. Mittemeyer: Urethral coitus—maximum urethral dilatation. In: The Journal of Urology 1971; 105: 400–2. doi:10.1016/0090-4295(82)90616-1
  4. V. K. Shukla, V. N. Tripathi: Urethral coitus. Urology 1982; 19: S. 542–543. PMID 7200669
  5. a b S. Ayan, G. Gökçe et al.: An unusual cause of incontinence: urethral coitus. In: Scandinavian Journal of Urology and Nephrology. 2001 Jun; 35 (3): S. 254. PMID 11487085
  6. Heinz Walter, Günter Thiele (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Loseblattsammlung, Band 6 (S–Zz), Verlag Urban & Schwarzenberg, München / Berlin / Wien 1974, ISBN 3-541-84006-4, S. U 36.
  7. Walter Guttmann: Medizinische Terminologie; Ableitung und Erklärung der gebräuchlichsten Fachausdrücke aller Zweige der Medizin und ihrer Hilfswissenschaften. 35. Auflage, herausgegeben von Herbert Volkmann, bearbeitet von Kurt Hoffmann, Urban & Schwarzenberg, München / Berlin 1951, Spalten 1066 f.
  8. Linus Sebastian Geisler: Lexikon Medizin. Das Nachschlagewerk für Ärzte, Apotheker, Patienten. 4., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Lexikon-Redaktion Elsevier GmbH München, Sonderausgabe, Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft, Köln ohne Jahr [2005], ISBN 3-625-10768-6, S. 1722.
  9. Klaus Höfner, Udo Jonas: Praxisratgeber Harninkontinenz. Uni-Med Verlag, Bremen / London / Boston 2000, ISBN 3-89599-477-4, S. 103–106.
  10. Focus online: Nachrichten > Gesundheit > Gesund leben > Fitness > Harnröhrenstimulation: Sounding verspricht multiple Orgasmen.
  11. Quelle: Fit for Fun:[1].
  12. N. Deniz et al.: Urethral coitus and urinary incontinence in a case of Mayer-Rokitansky syndrome: an alternative surgical procedure. In: European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology 2002;103(1):95-6. PMID 12039475
  13. a b c N. Khattar et al.: Single-stage correction of urinary incontinence and vaginoplasty in a case of urethral coitus with vaginal agenesis. In: Urology International 2008; 81 (3): 364-6. Epub 2008 doi:10.1159/000151420
  14. a b J. H. Zeigerman, J. Y. Gillenwater: Coitus per urethram and the rigid hymen. The Journal of the American Medical Association. 1965; 194(8):909-10. PMID 5898074
  15. Eintrag zu Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser syndrome. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten), abgerufen am 27. Juli 2024.
  16. Julie Ryckman, Amanda Schwarz, Nathalie Fleming: Adolescent urethral coitus: 2 cases and review of the literature. In: Journal of Pediatric and Adolescent Gynecology. 16. Mai 2013, S. e9–e12. PMID 23953494. doi:10.1016/j.jpag.2013.05.001.
  17. Heinz Walter, Günter Thiele (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Loseblattsammlung, Band 6 (S–Zz), Verlag Urban & Schwarzenberg, München / Berlin / Wien 1974, ISBN 3-541-84006-4, S. U 36 f.
  18. Quelle: https://www.coloplast.at › details › details-kontinenz › Funktionsweise und Anatomie der Blase und des Harnsystems.
  19. J. K. Tandon et al.: Acquired megalourethra in a woman with normal vagina: a case report. The Journal of Urology 1983; 130 (3): S. 567–568. PMID 6684179
  20. C. Taner et al.: Megalourethra caused by coitus. Zentralblatt für Gynäkologie 1995; 117 (11): S. 602–603. PMID 8533495
  21. Ludwig Kleinwächter: Urethra des Weibes. In: Albert Eulenburg (Hrsg.): Encyclopädische Jahrbücher der gesammten Heilkunde. 2. Jahrgang. In: Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde. Verlag Urban & Schwarzenberg, 2. Auflage, Wien / Leipzig 1892, S. 662–680, mit umfangreichem Literaturverzeichnis. Zitat S. 664 f.
  22. Mary Roach: Bonk: The Curious Coupling of Science and Sex. W. W. Norton & Company, New York 2008, ISBN 978-0-393-06921-1. Deutsch: Bonk: Alles über Sex – von der Wissenschaft erforscht: Wenn Sex und Wissenschaft sich paaren. Fischer Verlag, München 2009, ISBN 978-3-596-18229-9.
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