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Artikel „Böckh, August“ von Karl Bernhard Stark in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 770–783, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Boeckh,_August&oldid=- (Version vom 11. Dezember 2024, 07:58 Uhr UTC)
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Böckh: August B., geb. den 24. November 1785, † den 3. August 1867. Die Familie Böckh, oder ursprünglich Böcklin, ist eine jener alten bürgerlichen Familien einer deutschen Reichsstadt, aus deren Mitte die deutsche Poesie und Wissenschaft ihre besten Kräfte gezogen hat. Sie war seit Jahrhunderten in der ehemals schwäbischen freien Reichsstadt Nördlingen ansässig und ihre Wappen hängen dort in den Kirchen, unter der Reihe ihrer Beamten begegnet uns ihr Name häufig. Noch heute ist ein Zweig dort in städtischen Gewerben thätig, während ein zweiter bereits seit langer Zeit mit Segen im geistlichen Amte der evangelischen Kirche Baierns wirkt. Ein dritter Zweig ist mit A. Böckh’s Vater, Georg Matthäus B., nach der markgräflich badischen Stadt Durlach in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ausgewandert und hat hier in den obersten Civil- und Militärstellen Badens im letzten Jahrhundert sich glänzend bewährt. Auch der specielle Bereich des Schulunterrichtes und der gelehrten Bildung hatte bereits hervorragende Glieder der Familie aufzuweisen; so hat der Onkel August Böckh’s als Erzieher und Professor in Wertheim, Eßlingen und dann in Nürnberg gewirkt und mit Gräter durch Herausgabe der Zeitschrift Bragur die germanistischen Studien gefördert, ist auch einer der beliebtesten Jugendschriftsteller seiner Zeit gewesen. August B. bezeichnet die Erzählungen seiner Mutter von diesem Oheim in Nördlingen sowie dessen Schwager, dem unglücklichen Dichter Schubart, als eine seiner ersten und nachhaltigsten geistigen Anregungen. August Böckh’s Vater war als Theilungscommissar in den markgräflich badischen Landgemeinden vielfach thätig gewesen, wurde dann Secretär bei dem badischen Hofrath, der dem jetzigen Staats-Ministerium entsprechenden Behörde. Ein tragisches Geschick entriß den ebenso wohlwollenden als von ängstlichster Gewissenhaftigkeit erfüllten Mann frühzeitig seiner Familie, einer trefflichen Gattin geb. Hörner vom Kaiserstuhl und fünf Kindern, deren jüngstes Philipp August erst vier Jahr alt war, aber eben dieses Geschick mit den Folgen materieller Entbehrungen ward zum gewaltigen Stachel für die Söhne und Töchter, sich selbst bald eine Existenz zu schaffen und der Mutter Ehre und Freude zu machen. So ist es geschehen, die drei Brüder haben einer als Arzt, der zweite im Finanzfach und als Staatsmann, der jüngste als Mann der Wissenschaft, Ausgezeichnetes geleistet. B. hat in Karlsruhe seine ganze Jugend verlebt und auf dem dortigen Gymnasium illustre 1791–1803 die Vorbereitung zu seiner wissenschaftlichen Ausbildung, ja ein gutes Stück akademischer Bildung selbst erhalten. Die genannte Anstalt gehört zu den interessantesten Schulschöpfungen aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, die ihr Vorbild in Sturm’s Musteranstalt zu Straßburg hatten. Für das evangelische Baden-Durlach’sche Land gegründet, fand sie ihre Zuspitzung in dem theologischen Studium. B. ist der letzte gewesen, der, nachdem er alle drei Stufen der Anstalt, das Gymnasium classicum, publicum und theologicum durchgemacht, als Candidatus [771] theologiae von dort entlassen worden ist. Bereits aber hatte das Gymnasium ill. die größte Umgestaltung im Sinne der modernen Zeit erfahren, seitdem es im J. 1724 von Durlach nach dem neugegründeten Karlsruhe verlegt worden war. Der Kreis der „schönen“ und „nützlichen“ Wissenschaften war eingebürgert worden, d. h. Geschichte, Französisch, selbst Englisch, Mathematik und Naturgeschichte fanden besondere Pflege, aber auch im Griechischen war seit 1761 Homer wieder mit einer Stunde bedacht worden. Römische Antiquitäten wurden mit besonderer Rücksicht auf Juristen vorgetragen und zwar von Hugo, dem Vater des großen Historikers römischen Rechtes. Die philosophischen Studien leitete ein Sachse, Tittel aus Pirna, ein eifriger Anhänger von Leibnitz und Locke und ein scharfer Gegner des eben auftretenden Kant’schen Systems. In von ihm geleiteten lateinischen Disputationen, in den Abhandlungen einer eigenen societas latina wurden vorzugsweise philosophische Fragen erörtert und B. nahm eifrigen Antheil an diesen Uebungen. Noch bedeutender und folgenreicher war für B. der Unterricht in Mathematik und Physik, von einem Lübecker, dem Professor Böckmann ertheilt, der ebenso sehr durch seinen Charakter wie durch ausgezeichnete Lehrgaben die Schüler an sich und seine Wissenschaft fesselte. Durch ihn hat B. jene treffliche mathematische Vorbildung erhalten, jenes Interesse zugleich für Anwendung derselben auf die Geschichte der Astronomie wie Metrologie überhaupt, die gerade ihm in der deutschen Philologie eine so einzigartige Stellung gesichert hat. Ausdrücklich wird B. in einem Generalbericht aus den Jahren 1800/1 unter den guten Schülern der Mathematik hervorgehoben, neben ihm zwei in Badens neuerer Geschichte nachher so hochbedeutenden Namen, Bekk und Nebenius. Ebenso erzählte B. in späteren Jahren gern, wie fleißig er in Karlsruhe botanisirt habe und wie manches davon ihm noch hängen geblieben sei. Noch eines Mannes müssen wir gedenken, der von bleibendem Einfluß auf die Schüler des Gymnasium illustre gewesen ist, Peter Hebel’s. In einem Zeugnisse von 1801 spricht Hebel seine Anerkennung des hochbegabten Schülers aus: „sein ununterbrochener Eifer, sein für die Erlernung der Sprachen sehr glückliches Talent und eine abgekürzte Methode machten es mir möglich, in diesem Jahre noch zwölf Capitel der Genesis mit ihm zu lesen und dann noch mit einigen schweren Psalmen den Versuch zu machen.“ Auch zum Arabischen legte B. den Grund noch in Karlsruhe, und die Collegienhefte aus Halle geben in ihrer sorgfältigen Ausarbeitung nach dieser Seite für seine Kenntnisse vollgültiges Zeugniß. Im April 1803 ward B. als der ausgezeichnetste Schüler, als Candidatus theol. entlassen, um, durch ein Stipendium unterstützt, sich weiter für Theologie und das Lehrfach akademisch vorzubereiten, hatte er doch schon in Predigten in der Nachbarschaft von Karlsruhe sich versucht. B. zog dem sonst aus Baden-Durlach viel besuchten Jena, wegen des dort herrschend gewordenen Rationalismus, Halle vor, zugleich angelockt durch die begeisterten Schilderungen Nüßlin’s, der Schüler von Fr. Aug. Wolf dort geworden war, eines Neffen seines väterlichen Rathgebers, des Kirchenraths Sander. Hier in Halle, wo er drei Jahre bis 1805 zubrachte, kam die Wahl des Lebensberufes zur vollen Entscheidung. Noch hat er dort fleißig theologische Collegien gehört bei Nösselt, Vater u. a., aber bereits im ersten Jahre packte ihn die Persönlichkeit des gewaltigen Mannes, der damals auf der Höhe seiner Wirksamkeit stand, Friedrich August Wolf’s. Als zweites fast ebenso mächtiges Element trat im letzten Jahre seines Aufenthaltes daselbst Schleiermacher hinzu. Schleiermacher’s Vorträge über Hermeneutik und Kritik, über Ethik, die Studien über Plato haben auf B. eine nicht hoch genug anzuschlagende Wirkung gehabt. Und gleichzeitig machte sich der begeisternde Einfluß von Steffens geltend, der die Schelling’schen Gedanken den hallischen Studenten nahebrachte. [772] Der junge noch nicht zwanzigjährige Studiosus vertiefte sich zunächst in die Werke der griechischen Tragiker. Im Winter 1805/6 trieb er fast nur Plato, wie sein Studiengenosse Johannes Schulze berichtet, und hörte abends die Vorlesungen von Schleiermacher. Schleiermacher’s Uebersetzungen von Plato mit den Einleitungen hat B. schon im Manuscript kennen gelernt, und der ehemalige Zuhörer war es, der in einer Recension in den Heidelberger Jahrbüchern bald darauf dieses bis jetzt noch nicht übertroffene Meisterwerk der Uebersetzungskunst im Bereiche der Philosophie in die wissenschaftliche Welt einführte. In Halle wurden von B. für das ganze Leben dauernde Verbindungen mit Gleichstrebenden geschlossen, mit Immanuel Bekker, Johannes Schulze, dem späteren Bischof Ritschl, Karl Schneider u. a. Im Frühjahr 1806 veröffentlichte er seine „Commentatio in Platonis qui vulgo fertur Minoem ejusdemque libros priores de legibus ad virum ill. F. A. Wolf“ (Halae 1806), den vielversprechenden Beginn seiner durch sein ganzes Leben sich hindurcherstreckenden Platonischen Studien. In scharfsinniger Weise ward hierin ebensosehr die negative Seite des Themas, die Nachweisung des nichtplatonischen Ursprungs des Dialogs, durchgeführt, als der positive Versuch gemacht, die Schrift als ein Werk des sokratischen Kreises und zwar des Schuhmachers Simon nachzuweisen. Wir erhalten zugleich schon die Anfänge einer leider nie beendeten kritischen Bearbeitung der Leges des Plato. Noch ehe er darauf die Doctorwürde sich erwarb, was erst am 15. März 1807 auf Grund einer neuen Abhandlung „De harmonice veterum“ erfolgte, verließ er Halle vor der unheilvollen Katastrophe, die im October 1806 über Preußen und speciell über die Universität Halle hereinbrach. Es war ihm in Berlin durch seine Freunde eine Stelle in dem dort seit Gedike eingerichteten Seminar für gelehrte Schulen, das damals nicht gerade in großer Blüthe stand, vermittelt worden. Dazu kam noch die Verlängerung des badischen Stipendiums, die ihm das Leben dort ermöglichte. Wichtiger als seine ersten Unterrichtsversuche in der Quinta und Sexta eines Gymnasiums ward ihm der Eintritt in ein geistvolles jüdisches Haus der Madame Levi, welcher er griechischen Unterricht ertheilte, mit der er auch später, wie insbesondere mit der Familie Mendelssohn, in engster freundschaftlicher Beziehung blieb. Durch sein ganzes späteres Leben bis in das höchste Alter zieht sich brieflicher und persönlicher Verkehr mit geistvollen, von ihm geförderten und geleiteten Frauen. Von entscheidender Bedeutung war der enge Freundschaftsverkehr mit Buttmann, mit Heindorf, mit K. Schneider, mit den zwei Delbrücks. Ein pindarisches Kränzchen führte sie regelmäßig zusammen und mit Heindorf verband B. die fast leidenschaftliche Liebe zu Plato, dem er, wie er es selbst ausspricht, den besten Theil seiner Bildung verdankt. In der That schien mitten in der Noth der Zeiten ein um so innigerer Anschluß der Freunde an einander, eine Vertiefung in eine ideale Welt, allein Trost und Zuversicht zu gewähren. Die Schlacht von Jena zerstörte wie fast den preußischen Staat, so auch zunächst die B. gemachte Hoffnung auf eine rasche Anstellung in Preußen. (Es war ihm ein Rectorat in Königsberg in der Neumark zugesichert gewesen.) Und nach Baden zogen ihn alle Bande der Familie, auch die der Dankbarkeit gegen einen Fürsten, der ihn vier Jahre lang im Auslande unterstützt hatte. So leitete er im Januar 1807 durch ein merkwürdiges Schreiben an den Minister von Reizenstein seine Rückkehr in die Heimath ein, mit dem bestimmten Plane, an der damals in voller Reorganisation begriffenen und zu neuer Blüthe sich erhebenden Baden neugewonnenen Universität Heidelberg sich zu habilitiren. Er kehrte im Frühjahr 1807 über die Schlachtfelder von Thüringen, unter mancherlei Hindernissen, in den Süden zurück. Nach Monaten unruhigen Wartens und energischen Drängens war B. im October desselben Jahres habilitirt, eröffnete seine Vorlesungen mit überaus [773] günstigem Erfolg und erhielt noch Ende October die Ernennung zum Extraordinarius an der Universität, eine Stellung, die er bereits Ende November mit einer Druckschrift und Rede inaugurirte. Die vier Jahre akademischer Thätigkeit, welche B. in Heidelberg 1807–1811 durchlebte, waren nach seinen eigenen, ein halbes Jahrhundert später an die philosophische Facultät daselbst gerichteten Worten „eine schöne Zeit jugendlicher Frische“, nach einem Briefe aus seinem Todesjahr seine „goldbekränzte Jugend“. Und sie waren dies in der ganzen Kraft eines unerschöpflich aus sich gebärenden Geistes, in einem jugendlichen, auf die Jugend begeisternd wirkenden aber eigenthümlich milden Feuer, in der vollen frischen Empfindung für eine herrliche Natur, in dem Wohlwollen und der Liebe eines gleich heiteren als ernsten Kreises hochbedeutender Menschen, die ihn trug und förderte, in dem vollen Schwung einer Liebe, die um Gegenliebe rang. Ein seltener Kreis ausgezeichneter, vorwärtsstrebender und in einfacher, offener Geselligkeit lebender Männer war damals in Heidelberg vereint, in deren Mitte B., der 22jährige Docent trat: die Theologen Daub und Schwarz, bald auch de Wette, Neander, Marheineke, der Historiker Wilken, der Philosoph Fries, die Juristen Heise, Martin, Thibaut und vor allem Friedrich Creuzer, in dem er 1857 öffentlich „seinen Wohlthäter“ erkennt, der ihn mit väterlicher Liebe im Beginn seiner Laufbahn unterstützt und gefördert hat. Das Verhältniß zu Johann Heinrich Voß war allerdings von vorn herein kein freundliches, da dieser ihn als gefährlichen Concurrenten seines Sohnes Heinrich gleich anfangs mißtrauisch aufnahm. Dazu kam, daß B. der tägliche Tischgenosse eines engsten Kreises der eigentlichen Romantiker geworden war, des Clemens Brentano, Achim von Arnim, Görres, zu dem Windischmann, damals in Aschaffenburg und Tieck besuchend hinzutraten. Unter dem Namen „Polyhistor“ war er bei ihnen hochangesehen und griechische Sonette, voller Liebesgluth und Platonismus, voller Humor sind von ihm der „Zeitung von und für Einsiedler“, diesem wundersamen Schatz der neuen romantischen Schule eingefügt worden. Die Vorlesungen von B. erstreckten sich in Heidelberg über einen weiten Kreis von Schriftstellern, Homer, die griechischen Tragiker, besonders Euripides, Pindar, Plato, Demosthenes, Aeschines, über Terenz, Plautus, Horaz und Tacitus; sie behandelten Geschichte der alten Litteratur, Geschichte der alten Philosophie, Antiquitäten, Metrik und endlich auch bereits die Encyklopädie der gesammten Philologie. Ein Theil dieser Vorträge und zugleich Uebungen wurden in dem seit 1807 in umfassendem Sinne der Reorganisation der humanistischen Studien angelegten philologisch-pädagogischen Seminar gehalten, an dem B. von vorn herein Theil nahm, dessen einer Dirigent er im Sommer 1809 während Creuzer’s Abwesenheit in Leiden war. Eine Reihe tüchtiger junger Philologen wie W. Zumpt der ältere, wie v. Raumer, J. Moser in Ulm, wie Vömel und König in Frankfurt, sind damals Böckh’s Schüler gewesen. Neben dieser akademischen Thätigkeit ging eine geradezu bewundernswerthe Fülle wissenschaftlicher Arbeiten her, welche zum Theil in den damals begründeten Heidelberger „Studien“ von Creuzer und Daub und in den Heidelberger Jahrbüchern niedergelegt wurden, an deren Redaction B. eine Zeit lang unmittelbaren Antheil hatte. Zunächst wurden die Platonischen Studien fortgeführt durch ein Specimen einer Ausgabe des „Timaeos“ des Plato (1807), und durch die Ausgabe der vier kleinen Dialoge „De lege, de lucri cupidine, de justo, de virtute“, „Eryxias“ und „Axiochus“ 1810, in welcher die nothwendige Verbindung des kritischen Philologen und des Philosophen die Methode bestimmte, durch die Abhandlungen über die Bildung der Weltseele im Timaeos des Platon (1807), über die Weltschöpfung der Platonischen Lehre („De Platonica corporis mundani fabrica conflati ex elementis geometrica ratione concinnatis“, 1809), [774] über das Platonische Weltsystem besonders über die Achsendrehung der Erde und über die Astronomie des Pythagoräers Philolaos („De Platonico systemate caelestium globorum et de vera indole astronomiae Philolaicae“ 1810). Diese Arbeiten sind mit Zusätzen aus Böckh’s letzten Lebensjahren versehen im 3. Band der kleinen Schriften (Leipzig 1866) wieder abgedruckt. Noch mehr als vierzig Jahre später fand sich B. veranlaßt, in einem Sendschreiben an Alexander von Humboldt seine Untersuchungen über das kosmische System des Plato neu geprüft und im wesentlichen neu bewährt darzulegen, im Gegensatz zu Gruppe’s geistvollem aber unhaltbarem Aufbau des kosmischen Systems der Griechen (Berlin 1852). Zweitens betrat B. mit dem Gottfried Hermann gewidmeten Buch: „Graecae tragoediae principum, Aeschyli, Sophoclis, Euripidis, num ea quae supersunt et genuina omnia sint et forma primitiva servata, an eorum familiis aliquid debeat ex iis tribui“ (Heidelberg 1808) dasjenige Gebiet, welches durch G. Hermann gerade damals neu erschlossen, sowol in Beobachtung metrischer Gesetze wie des Sprachgebrauchs, in der scenischen Behandlung wie der poetischen Verwendung des Sagenstoffes in den Vordergrund der philologischen Studien trat und wie eine Domäne der jungen Leipziger Schule betrachtet wurde. Böckh’s Vorrede wird ein schönes Denkmal einer freien, pietätsvollen Anerkennung des fremden Verdienstes wie eigener Selbsterkenntniß und innerer Sicherheit bleiben. Er hat in diesem Werke, einem der förderlichsten und reichhaltigsten auf diesem ganzen Gebiete, die Aufgabe der historischen Kritik für die Tragiker, den Nachweis der Umbildung der Dramen unter den Händen des sie neu zur Aufführung bringenden Dichters wie seiner Familie, seiner Schule, der spätern Bearbeiter, selbst noch Interpolatoren des jüdischen Alexandrinismus klar hingestellt und ebenso kühn wie geistvoll in einzelnen Beispielen der großen Meister ausgeführt. Besonders Euripides ist dabei mit einer Fülle der werthvollsten Einzeluntersuchungen bedacht worden. Neben Plato, neben den Tragikern widmete B. Pindar die eingehendsten Studien. Gerade das Schwierigste an demselben, das Metrische, hatte für ihn im Zusammenhange seiner Erkenntniß, wie das Rhythmische überhaupt und zwar die Anschauung fester mathematischer Grundverhältnisse griechische Kunst wie griechisches Denken bestimmten, den größten Reiz. Wir finden ihn in jener Zeit oft noch tief in der Nacht am Klaviere sitzend, um Rhytmen der Poesie musikalisch sich klar zu machen, nachdem er zuvor mit eisernem Fleiß Pindar’sche Handschriften verglichen hatte. Nachdem seit 1809 mehrere Abhandlungen lateinisch und deutsch über Pindar von ihm veröffentlicht waren, trat er 1811 unmittelbar nach der Uebersiedelung nach Berlin mit dem Beginn seiner großen Ausgabe (Leipzig, bei Weigel, 1811–1821. 4. 2 Bände in je 2 Theilen) und dem epochemachenden Werk „De metris Pindari libri III. quibus praecepta artis metricae et musices Graecorum docentur“ (Lips. 1811) auf, wodurch er die Hermann’sche, scheinbar logisch klar disponirende Lehre verlassend, der Begründer der heutigen wissenschaftlichen Metrik geworden ist. Noch waren damit die Specialstudien Böckh’s nicht erschöpft; immer in lebhaftem brieflichen Verkehr mit Windischmann, dem Vorgänger und Förderer Bopp’s, stehend, ebensosehr durch Plato wie durch Schlegel’s Sprache und Weisheit der Inder und Bernhardi’s Sprachwissenschaft angeregt, hat er 1808 in seiner als Beitrag zur Philosophie der Sprache bezeichneten Abhandlung „Von dem Uebergang der Buchstaben in einander“ (Kl. Schriften III. S. 204 ff.) sich, wenn auch unzulänglich in dem Versuch, selbst gleichsam mathematisch bildlich die Uebergänge der verwandten Buchstaben aufzuweisen, doch trefflich über die Grundfragen der Sprachwissenschaft ausgesprochen. Außerdem hatte B. eine ganz umfassende Aufgabe sich gestellt, zu deren Ausführung er den ersten Schritt that durch den Contract mit dem Buchhändler über ein Werk betitelt „Hellen“; die Einheit des ganzen [775] griechischen Lebens in seiner realen Erscheinung wie den Principien seiner Kunst und Wissenschaft sollte darin zur Darstellung kommen. Das Bild davon hat B. sein ganzes Leben hindurch in sich getragen, es klingt durch alle seine Arbeiten durch, sie sind Bausteine dazu, es ist aber Ideal geblieben, hoch erhaben über alle Versuche anderer, die dieser Aufgabe sich unterzogen haben. Bereits 1809 hatte B. einen Ruf als ordentlicher Professor nach Königsberg in Preußen erhalten; er wurde infolge dessen Ordinarius in Heidelberg; im September des J. 1810 kam dann durch Nicolovius aus Berlin die officielle Aufforderung, als Professor der Beredsamkeit und classischen Litteratur an die in wenigen Wochen zu eröffnende Universität Berlin zu gehen. Er nahm diesen Ruf an, der ihn auf den Boden versetzte, wo er sich einst schon fast heimisch gefühlt, auf dem er nun Raum und das geistige Material fand, um als frühgereifter und doch in seltener Geistesfrische 56 Jahre lang thätiger Mann, die volle, weittragende Wirkung seiner Persönlichkeit auszuüben. Aber er schied nicht als ein Unbefriedigter, als ein innerlich Entfremdeter von der Heimath. Wie die engsten Familienbande ihn an Karlsruhe, an Mutter, Schwestern und Brüder knüpften, so ward er in der alten Heimath nie fremd. Er kehrte oft in den Ferien dahin zurück und treu hing er an den alten Freunden, Männern und Frauen der Heidelberger Zeit. Mit dem früheren Curator von Heidelberg, dem Minister Sigism. K. Joh. von Reizenstein, blieb das persönliche Verhältniß ein besonders nahes; ihm hat B. als „fortunae suae benevolentissimo quondam auctori“ die große Ausgabe des Pindar gewidmet, mit ihm stand er bis zu dessen Tode in regsamem wissenschaftlichen Briefwechsel. Dazu kam, daß B. in Heidelberg eine heißgeliebte Lebensgefährtin gefunden, in Dorothea Wagenmann, Tochter des Generalsuperintendenten Wagenmann in Göttingen, welche im Hause ihres Schwagers, des berühmten Juristen Christ. Martin, sich aufhielt. Ein mannigfaltiges, schönes verwandtschaftliches Verhältniß entwickelte sich daraus zu den Familien Wagenmann und Plank im Hannöverschen, Martin und Stark in Jena, das von Böckh’s Seite mit seltener Treue und Liebe in Briefen und mannigfachen Ferienreisen gepflegt ward. – B. hat 56 Jahre lang dem Staate Preußen und der Berliner Universität gedient, der Stadt Berlin als Bewohner, später Ehrenbürger angehört, und man darf es getrost aussprechen, es hat in diesem Jahrhundert keinen deutschen Professor gegeben, in dem sich die mannigfaltigsten Thätigkeiten geistiger und rein praktischer Art so begegneten, so harmonisch unter einander sich ausglichen, wie bei B., wol keinen, dem es gelungen wäre, die Anerkennung und Hochachtung seiner Vorgesetzten, die Zuneigung einzelner Glieder der Herrscherfamilie, wie das Vertrauen seiner Collegen, die begeisterte Hingabe seiner Schüler, die Popularität einer großen, sonst wol dem akademischen Leben ganz fernstehenden Stadtbevölkerung so zu gewinnen und festzuhalten wie B. Der Gelehrte schien in ihm fast noch durch den Geschäftsmann übertroffen zu werden, der taktvolle, überall maßhaltende und Zeit und Umstände beachtende officielle Redner durch den unbefangenen und offenen liebenswürdigen Plauderer, der humoristische, selbst sarkastisch scharfe Beurtheiler öffentlicher Dinge, der Mann der zäh und unbeugsam auf die Selbständigkeit und Würde seines Amtes hielt und ihr oft genug auch Geltung gegen alle Eingriffe zu verschaffen wußte, von dem freundlichen, mit dem unreifen Schüler wie auf gleiche Stufe sich stellenden, mit ihm discutirenden Lehrer. Hinter dem allen stand endlich, freilich nur wenigen, aber nicht etwa nur seiner Familie sich öffnend, ein tiefernster, ja religiöser Betrachter der Dinge der Welt, eine feinsinnig bis in das höchste Alter empfindende, die Empfindung poetisch aussprechende Natur, ein strenger Beurtheiler und Beobachter seiner selbst, eine rein menschlich fühlende und das Menschliche über alles andere im Anderen achtende Persönlichkeit. Mit jugendlicher Kraft [776] trat er also in die eben eröffnete Universität ein und wirkte unmittelbar bei der Feststellung ihrer Organisation im Verein mit W. v. Humboldt, mit Nicolovius, mit Solger u. a. Er hat im Lauf der Jahre sechsmal das Decanat seiner Facultät verwaltet, ist fünfmal zum Rector gewählt worden und leitete als solcher im J. 1860 noch das erste Jubelfest der Universität mit bewundernswerther Umsicht und Frische. Von 1811–1843 hat er fast ohne Unterbrechungen die Lectionsverzeichnisse mit lateinischen Vorreden versehen, deren keine ohne wissenschaftlichen Gewinn, aber auch keine ohne unmittelbare Beziehung zur Gegenwart, zu den Studirenden selbst ist. Sie sind gesammelt im IV. Band der Kleinen Schriften. Als Professor der Beredsamkeit, als Präses der kurmärkischen Stipendiaten, außerdem noch oft genug besonders dazu gewählt, hat er in den öffentlichen Acten schriftlich und mündlich die Universität vertreten; seine lateinischen und deutschen Reden, vor allen die am 3. August, dem Geburts- und Gedächtnißtage König Friedrich Wilhelms III. gehaltenen, erstrecken sich über den Zeitraum von 1812–1862. Sie sind viele Jahre ein wahres Tagesereigniß gewesen und bieten, jetzt in den drei ersten Bänden der Kl. Schriften gesammelt, einen Schatz wahrhaft politischer, überhaupt menschlicher Weisheit in edler, scharf durchdachter und dem Inhalte sich eng anschließender Form dar. Martin Hertz hat über B. als akademischen Redner und über akademische Festreden überhaupt selbst als Redner 1868 gehandelt (N. Jbb. f. Philos. und Pädag. II. Abth. 1872. Heft 10. 11). 1812 ward das philologische Seminar mit dem von B. entworfenen Statut eröffnet und seitdem von B. unter Betheiligung von Buttmann, dann von Bernhardy, seit 1829 von Lachmann geleitet. Alle Berichte über dasselbe sind von B. abgefaßt. Im J. 1819 kam eine neue Thätigkeit hinzu, die Leitung des Seminars für gelehrte Schulen. Mag man auch über die Wirksamkeit dieser Anstalt für die pädagogische Vorbildung der jungen Lehrer und die dabei ergriffenen praktischen Mittel gegenüber der Entwickelung der modernen pädagogischen Seminare weniger günstig denken, die Thätigkeit Böckh’s in seiner Leitung der schriftlichen Arbeiten, die Sorgfalt ihrer Beurtheilung, endlich die Abfassung eingehender Berichte über die Persönlichkeit eines jeden Einzelnen ist von den Mitgliedern dieses Seminars wie von den Behörden immer hoch anerkannt worden. Auch die Mitgliedschaft der wissenschaftlichen Prüfungscommission für die Candidaten des höheren Schulfaches ward in den J. 1818, 1819 ihm übertragen. Und selbst Commissariaten für Prüfung der Gymnasien Berlins hat er sich mehrfach unterzogen. Aus dem Schoße der Universität sollte schon 1812 eine Litteraturzeitung, an deren Spitze man B. stellen wollte, hervorgehen, der Plan ist dann 1829 neu aufgenommen, und die Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik sind in den ersten Jahren von B. eifrigst durch Mitarbeit unterstützt worden. Neben der Universität wurde die Akademie der Wissenschaften seit 1814 eine zweite wissenschaftliche Heimath Böckh’s. Er war der ersten einer, welcher ihr große wissenschaftliche Ziele steckte und die Zusammengehörigkeit der Studien und zwar beider Classen immer im Auge behielt. Als erster Secretär hat er ihre Angelegenheiten seit 1835 lange Jahre wesentlich geleitet. Eine Reihe wissenschaftlicher Abhandlungen, so die berühmten über die laurischen Silberbergwerke, über die Tributlisten, über die Antigone, über ägyptische Papyrusurkunden, über das babylonische Längenmaß, sind in diesen Schriften niedergelegt. Dazu kam aber noch die immer sich erneuernde Aufgabe, neu eintretende Mitglieder durch Ansprachen zu begrüßen und endlich an den großen Festtagen der Akademie, dem Leibnitztage und dem Tage Friedrichs des Großen meist die Reden zu halten. In Band III. V. VI. VII. der Kl. Schriften liegen jetzt die Früchte dieser Thätigkeit gesammelt vor. Und endlich galt es in Commissionen jene großen Aufgaben der Akademie vorzubereiten [777] und zu verwirklichen. Das „Corpus Inscriptionum graecarum“, seit 1814 geplant, hat die ersten Jahrzehnte ganz auf Böckh’s Schultern geruht; welche zeitraubende Correspondenz, welches Umschauen, Versuchen, Anknüpfen von Verbindungen, welche pünktliche Gewissenhaftigkeit in dem rein Geschäftsmäßigen damit verbunden war, ergeben die hinterlassenen Papiere zur Genüge. Eine zweite große Aufgabe, die Herausgabe der Werke Friedrichs des Großen, hat B. in den letzten Jahrzehnten andauernd beschäftigt. Und derselbe Mann fand noch Zeit und fühlte sich gedrungen, im Interesse einzelner Personen und Principien hier bedürftiger Griechen, dort magnetischer Kuren, hier italienischer Verbannter u. s. w. mit Wort und Schrift einzutreten. In jenen Tagen schweren Ringens, drohender Gefahr der Napoleonischen Heeresmacht im Mai 1813 finden wir B. auf dem Platze, nicht allein in edlem Bunde sich verpflichtend für die überlebenden Familien der fürs Vaterland Gefallenen zu sorgen, nein wir finden ihn als Hauptmann einer Compagnie des Berliner Landsturmes vollauf beschäftigt, seine Truppe zu organisiren. So war er in den Märztagen 1848 wieder auf dem Platze, um das studentische Corps, das sich gebildet hatte, zu berathen und zu leiten. Und im Herbst desselben Jahres ist er eines der eifrigsten Mitglieder eines Wahlclubs und es ward ihm von dem ersten Wahlbezirk die Stelle eines Abgeordneten angeboten. In B. ist nie der Deutsche vor dem Preußen, nie der Mann seiner Zeit vor dem Gelehrten, nie der Vertreter der Principien geordneter Freiheit vor dem Zauber der Fürstenhuld zurückgewichen. – Ueberschauen wir so die äußeren, weitgezogenen Grenzen der amtlichen und öffentlichen Wirksamkeit des Mannes, so liegt die Vermuthung nahe genug, daß solche nur möglich gewesen sei bei einer gewissen obenhingehenden formalen Gewandtheit, bei einer gewissen Kühle der Betrachtung und einer großen Begabung Fremdes auszunutzen, in das Einzelne der Wissenschaft und überhaupt des Objektes der Arbeit sich nicht zu verstricken. Und doch trifft bei B. das nahezu Entgegengesetzte ein. Er war nichts weniger als eine specifisch beredte Natur, er konnte sich, wie er selbst ausspricht, bis in sein hohes Alter bei öffentlichem Auftreten einer gewissen Befangenheit nicht erwehren, er hat es nie verstanden, orakelhaft vom hohen Katheder herab einer gläubigen Jugend die akademische Weisheit als ein Fertiges vorzutragen, er war gewohnt, immer im Einzelnen zu arbeiten, in dieses sich zu vertiefen, aber aus tiefem Schacht edles Metall zu fördern und dann zur gültigen Münze umzuschmelzen. Er hatte eine gewisse Freude daran, auch bis ins Aeußerliche hinein seine Resultate rein und glatt herauszuschälen; es ward ihm daher nicht leicht den einmal betretenen Weg, wäre er auch ein Irrweg, aufzugeben, aber, hatte er sich dazu verstanden, den ganzen Weg wieder durchzugehen, und ward ihm die schwache Seite, der Irrthum klar, hat er ihn offen und einfach bekannt. Als akademischer Lehrer hat er von bescheidenen Anfängen, entsprechend der Studentenzahl in den Kriegsjahren in Berlin, eine immer steigende Zuhörerzahl um sich versammelt, die bereits im Anfang der dreißiger Jahre für die Hauptcollegien die hundert überschritt und oft auf hundertfünfzig stieg. Finden wir ihn zuerst vier Collegien nebeneinander lesen, so sind es längere Zeit drei, die längste Zeit zwei Hauptcollegien neben den Seminarstunden, erst als 75jähriger Mann erlaubte er sich, nur ein fünfstündiges Colleg zu lesen. Umfaßte er zuerst in Berlin einen gleich großen Kreis von Vorlesungen wie in Heidelberg, ja fügte er noch die römische Litteraturgeschichte hinzu, so hat er doch verhältnißmäßig bald sich einen Cyclus von Vorlesungen für zwei Jahre gebildet, in dem Encyklopädie der Philologie, Metrik, Griechische Alterthümer, Griechische Litteraturgeschichte und ebenso Sophokles, besonders Antigone, Plato, besonders die Republik, Demosthenes und Pindar sich ablösten; daneben hat er in den Seminarübungen noch einen größeren [778] Kreis von Autoren behandelt. Rudolf Klausen, einer der geistvollsten, nur zu früh gestorbenen Schüler Böckh’s schildert in der 1836 von ihm verfaßten kurzen Biographie Böckh’s (S. F. W. Hoffmann, „Lebensbilder berühmter Humanisten“. Erste Reihe, Leipzig 1837) den Eindruck seiner Lehrthätigkeit in der vollen Blüthe des Mannesalters: „Bei seinem Unterricht sowol in den Vorlesungen wie im philologischen Seminar war das Augenmerk jederzeit die Hervorrufung und Ausbildung einer wissenschaftlichen und kritischen Methode und die Orientirung durch Uebersicht, feste Begriffe und allgemeine Ideen, dergestalt, daß aller Stoff und alles Specielle dem Gedanken untergeordnet und in ihn aufgenommen wurde. So wesentlich er hierdurch aufklärte und verständigte, so entschieden arbeitete er andererseits auch jeder Tendenz, die Thatsachen aus den vorgefaßten Gedanken gewinnen zu wollen, entgegen und wies seine Schüler auf das Studium des Einzelnen in allen Ueberlieferungen des Alterthums, litterarischen wie politischen, artistischen und reflectirenden hin, um aus diesen heraus den verdeutlichenden Gedanken zu gewinnen und sich wahrhaft anzueignen.“ Besonders förderte außer dem Reichthum an Kenntnissen und allgemeinen Blicken, welche die Vorlesungen mittheilten, die überraschende Schlichtheit und Unbefangenheit, womit B. seine Zöglinge in das ganze innere Getriebe der Wissenschaft, namentlich in die Ordnung eines litterarischen Haushaltes hineinblicken ließ, womit seine geraden rücksichtslosen Urtheile die Quellen sowol als die neueren Bearbeiter nach ihrem wahren Werthe schätzen lehrten. „Von genauer Quellenbehandlung, scharfer Combination, feiner Abwägung der Probabilität haben auch die ausgezeichnetsten Schüler jener Zeit, die bereits Trieb zum gelehrten Sammeln und Freude an philologischer Beobachtung mitbrachten, erst durch B. einen wahren Begriff bekommen.“ Wol mochten in späterer Zeit die Zuhörer, die etwa an Gottfried Hermann’s ritterliches, festes und frisches Auftreten und sofort beredt strömende Worte gewöhnt waren, anfangs etwas erstaunen über Böckh’s lässige und bequeme Art sich in den Zetteln seines Heftes erst zu orientiren oder wol auch nach dem Schlusse der letzten Stunde zu fragen, aber sie wurden mehr und mehr gefesselt durch jenes Werden der Dinge gleichsam, durch jene innerlich angeregte und so besonnene Art, die schwierigsten Fragen erst richtig aufzustellen, dann zu lösen. Man kann sagen, je reifer ein Zuhörer war, um so mehr ward er auch befriedigt. Welche Fülle von bedeutenden Gelehrten, nicht blos von Philologen, von Historikern, Philosophen, Nationalökonomen, Politikern, Dichtern, Litteraten, haben zu Böckh’s Füßen gesessen. Daß ein Alexander v. Humboldt 1834, 1835, zwei Semester hindurch, mit gewissenhafter Treue griechische Alterthümer und griechische Litteraturgeschichte hörte, mit Freude noch die nachgeschriebenen Hefte zeigte, die Erinnerung daran aus Humboldt’s Munde 1857 beim Doctorjubiläum konnte wol B. mit gerechtem Stolze erfüllen. In den ersten zwei Jahrzehnten hat B. intensiv vielleicht am stärksten auf begabte Zuhörer gewirkt. Wir nennen Otfried Müller, Ed. Gerhard, Panofka, Göttling, Osann, Döderlein, Meier, Lepsius, Koberstein, Neue, Roulez: ganze Generationen von jungen Universitätslehrern und Schulmännern sind dann an B. vorübergezogen, haben von ihm zu den Doctordissertationen Anregung und Weisung so wie bleibende Gesichtspunkte für ihren Beruf erhalten und haben noch nach Jahren auch mitten aus der Praxis heraus diesem Eindrucke Worte des Dankes geliehen (z. B. Dr. Sachse, „Erinnerung an August Böckh“. Jahresbericht einer höhern Knabenschule, Berlin 1868). War der Ansatz zu einer specifisch Böckh’schen Schule vielleicht um die Jahre 1818, 1819 besonders in einem kleinen Kreise schlesischer Philologen vorhanden, so ist diese und zwar in einer bestimmten polemischen Richtung gegen Gottfried Hermann und die Leipziger von B. selbst eher abgelehnt worden, und er selbst war ein viel zu universaler Geist, zugleich ein viel zu concentrirt arbeitender Gelehrter, ein viel zu verschiedenartig in Anspruch genommener [779] und zugleich billig und klar denkender Mann des Amtes, um sich als Schulhaupt gern zu fühlen oder dafür zu bemühen. Wol hat er, litterarischen Kämpfen seiner Natur nach sehr abhold, wenn er unwürdig mit Schein der Wahrheit oder leidenschaftlich und ohne Verständniß für seine leitenden Grundgedanken angegriffen wurde, den Fehdehandschuh aufgenommen und scharf, zuletzt schroff geantwortet. Jenes geschah den Anklagen Professor Ahlwardt’s in Greifswald in Bezug auf die Priorität über die Pindar’schen Versauszüge wie Pindar’schen Handschriften gegenüber, dieses, nachdem in einem interessanten Briefwechsel die Versuche sich zu verständigen gescheitert waren, Gottfried Hermann gegenüber, zuerst in Bezug auf die Metrik, dann als derselbe 1826 „Prof. Böckh’s Behandlung der griechischen Inschriften“ zum Gegenstand einer eigenen Schrift gemacht hatte. Noch im J. 1835/36 macht sich ihr Gegensatz in dem Programm Hermann’s „De officio interpretis“ und Böckh’s Recension, aber schon milder, geltend. Und im J. 1846 auf der Philologenversammlung zu Jena haben die beiden Meister der classischen Studien sich versöhnt die Hand gereicht. – Plato, die Tragiker, Pindar und der Gesammtplan eines „Hellen“, sahen wir, waren Mittelpunkte der Böckh’schen wissenschaftlichen Arbeiten in den Heidelberger Jahren gewesen, und wir bemerkten bereits, wie litterarisch und im Vortrage diese auf dem Berliner Boden fortwirkten und neue Früchte reifen ließen, nicht ohne die mannigfachen Unterbrechungen, nicht ohne vielfache Ablenkung von den bestimmten einzelnen Aufgaben. Die große Ausgabe Pindar’s, für welche B. in Dissen den treuesten und feinsinnigsten Mitarbeiter fand, hat in der Methode der Interpretation wie der metrischen Grundlegung Epoche gemacht. Für die Tragiker hat B. nicht in einem ähnlichen Hauptwerk nach jenem kühnen Entwurf seine Studien zusammengefaßt. Neben manchen Einzelschriften zu Sophokles und Euripides ist aber seine Abhandlung über Antigone (1824) wichtig geworden für die Erkenntniß des ganzen dramatischen Kunstwerkes. Er hatte die Freude in den ersten Jahren der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV., die so reiche Frühlingshoffnungen eines von oben umfassend und sinnig geförderten Culturlebens weckte, bei der vom König eifrig betriebenen Inscenirung und melodramatischen Aufführung der Antigone mitzuwirken. Die enge Freundschaft mit dem Mendelssohn’schen Hause, die den Componisten der Chöre der Antigone auch B. nahe stellte, förderte dieses Interesse. B. hat mit Fr. Förster und Tölken in einer Trilogie von Abhandlungen die Aufführung selbst näher beurtheilt (Berlin 1842). Ein begeisterter Schüler, Leop. Seligmann, weihte 1869 eine Abhandlung über die Antigone des Sophokles „August Böckh zum Todtenopfer“, welche mit einer Fülle interessanter Bemerkungen zu Böckh’s Charakteristik durchzogen ist. – Plato einen Theil seines Lebens zu weihen, diesem früh (1808) ausgesprochenen Vorsatz ist B. in der That treu geblieben, nicht wie ein Gelehrter, der einmal hartnäckig einen Lieblingsschriftsteller zum Object sich erkiest, sondern wie ein verwandter Geist, ein wahrer Platoniker, dem die Ideen als das wahrhaft Seiende in allen irdischen Dingen entgegentreten, dem sie im Kunstwerk wahrhaft verkörpert sind. Professor Bratuschek hat über B. als Platoniker in den Philosoph. Monatsheften I. Heft 4. 5. Berlin 1868 eine eingehende Abhandlung veröffentlicht. Und B. hat von vorn herein gleich den schwierigsten und entscheidenden Punkt in Plato’s Schriften und Lehre, seine Stellung zum Pythagoreismus, seine Auffassung über die Entstehung der Welt aus den Ideen und ihre Construction nach mathematischen Principien zum Angriffspunkte genommen. Nothwendig wurde er, abgesehen von Untersuchungen über das Verhältniß des Plato zu Xenophon, über die Platonische Republik, Parmenides u. a. dadurch weiter zu den Untersuchungen über die Pythagoreer, speciell zur Sammlung der Fragmente des Philolaos getrieben (Berlin 1819). Ohne diese eindringende Kenntniß der mathematischen [780] Philosopheme würde es ihm gar nicht möglich gewesen sein, die Untersuchungen über die Geschichte des griechischen Kalenders, über die Sonnenkreise der Alten, über die Mondcyklen der Hellenen, über die Sternbeobachtungen des Eudoxos von Knidos anzustellen (Jahrb. f. Class. Philol. N. F. Suppl. I. II. 1855. 1856. Kl. Schriften VI. S. 329 ff. III. S. 343 ff.). Ein solches Zusammenarbeiten mit den Astronomen hat von Seiten eines classischen Philologen in gleichem Maße auf deutschem Boden nicht stattgefunden. Wir begreifen aber vollständig, wie er gerade auf diesem Boden sich des lebhaftesten Interesses und der mannigfaltigsten Correspondenz mit fremden, französischen und englischen Gelehrten erfreute, mit Männern wie Letronne, St. Hilaire, Martin, Grote. – Noch haben wir nicht desjenigen Werkes gedacht, dessen Titel auch für die weitesten Lebenskreise mit dem Namen B. verknüpft ist, welches in fremde Sprachen übersetzt, seinem Inhalte nach eine der Kunstgeschichte Winckelmann’s fast analoge Stellung sich errungen hat, ich meine die „Staatshaushaltung der Athener“ (Berlin 1817. 2. Bde. 2. Aufl. 1851) mit der Beilage; „Urkunden über das Seewesen des attischen Staates“ (Berlin 1840). „Die Kunde hellenischer Alterthümer steht in ihren Anfängen; großer Stoff ist vorhanden, die meisten wissen ihn nicht zu gebrauchen. Ein Entwurf des Ganzen mit wissenschaftlichem Geiste und umfassenden Ansichten gearbeitet und nach festen Begriffen geordnet – nicht von einem Zusammenträger, sondern einem Forscher und Kenner – ist ein Bedürfniß des gegenwärtigen Zeitalters. Ehe es möglich ist jenes Bedürfniß gründlich zu befriedigen, müssen einzelne Theile nach einem nicht zu kleinlichen Maßstabe bearbeitet werden. Ein Beitrag hierzu sei dieses Werk über einen selten berücksichtigten Gegenstand der Alterthumskunde.“ So leitet der Verfasser dieses Werk ein; wir sehen, aus dem Gesammtplan des „Hellen“ ist dieser Theil herausgenommen und selbständig behandelt. Es war ein für die deutsche Wissenschaft wahrhaft segensvolles Ereigniß, daß wenige Jahre, nachdem der Statistiker und Staatsmann Niebuhr die Römische Geschichte auf der Grundlage der Natur des Landes und der Nationalität als ein lebendiges Ganze, als ein einst wirklich Erlebtes, nicht blos Ueberliefertes neu aufzubauen unternommen hatte, der Philologe B. uns den ganzen wirthschaftlichen Organismus des entwickeltsten griechischen Staates darzulegen unternahm und zwar aus bis dahin so gut wie unbenutzt liegenden oder eben sich erst eröffnenden Quellen. Die ganze neuere Socialwissenschaft wird B. den Vorgang auf historischem Wege immer danken und Männer entgegengesetzter Richtung, ein Roscher, ein Lassalle haben dies mit vollem Herzen anerkannt. – Die neu für dieses Werk benutzten und zum Theil erst dadurch eröffneten Quellen sind aber die griechischen Inschriften, und wir kommen hier noch einmal auf das bereits oben erwähnte größte von B. geplante und Jahre lang so gut wie allein ausgeführte, dann von Franz, E. Curtius und Kirchhoff zum vorläufigen Abschluß gebrachte Werk des „Corpus Inscriptionum graecarum“ zurück (Vol. I–IV. fol. 1824–1858). Wol stehen heute die Schüler Böckh’s vielfach kritisch nachprüfend und emendirend diesem gewaltigen Werke gegenüber, wol fließen heutzutage unsere Quellen reicher bei der Leichtigkeit des Reisens, bei der Zugänglichkeit vieler Gegenden, wol sind jugendliche Augen heutzutage besser geschult im Lesen halb erloschener Schriftzüge, wol sind wir durch die Photographie und den Papierabklatsch ganz anders unterstützt, dennoch bleibt das von B. Geleistete bewundernswerth. Es galt den bunten Wust der traditionell seit dem 15. Jahrhundert von Werk zu Werk oft fortgeführten Inschriften zu sichten, auf die ältesten Quellen wieder zurückzuführen, es galt die großartigen Fälschungen eines Fourmont aufzudecken, es galt neue, genaue Abschriften aus den Händen der Reisenden zu beschaffen, andere auf das Gesuchte aufmerksam zu machen; es galt eine Ordnung hineinzubringen, und B. hat hier [781] nach Ausscheidung der ältesten Inschriften, wie Eckhel in der Münzkunde, den geographischen Gesichtspunkt als oberstes Princip durchgeführt. Die Behandlung der Inschriften selbst ruht bei ihm auf einer ebenso reichen Kenntniß des Sachlichen, Historisch-Antiquarischen wie auf unermüdlichem Fleiß und divinatorischem Scharfblick, dessen Irrwege selbst Gewinn bringen. Daß B. nicht selbst gereist ist, nicht selbst Inschriften aufgesucht und abgeschrieben hat, ist, wenn man will, ein Mangel, aber ein Mangel begründet in der nothwendigen Beschränktheit menschlichen Lebens, der Organisation seines Arbeitens, das zugleich wieder soviel an Gesammtanschauung, an Schärfe des Begrifes hinzubrachte. „Unser Wissen ist nichts, wir horchen allein dem Gerücht“, so ruft er bei Betrachtung dieser Urkunden mit dem Homerischen Seufzer wahrlich zu bescheiden aus. – Die Behandlung der Inschriften und des Staatshaushaltes wie andererseits seine mathematisch-philosophischen Studien führten B. mit innerer Nothwendigkeit zur Anbahnung einer Wissenschaft der Maße des Alterthums. Die „Metrologischen Untersuchungen über Gewichte, Münzfuße und Maße des Alterthums in ihrem Zusammenhange“ (Berlin 1838) eröffnen, abgesehen von ihrem bleibenden Specialwerthe, wieder einen ganz neuen Einblick in die ältesten Völker- und Culturverhältnisse. Ihm sind Orient und Occident keine ängstlich und feindselig abzusondernde Wissensgebiete; er hat den großen freien Blick für uralte Zusammenhänge, wie für die Befruchtung des Griechischen durch den Orient und die Umwandlung des Orientalischen in ein Occidentales sich immer frei erhalten, aber mit sicherer Hand leitet er uns auf die Mittelglieder, auf die lebendigen Träger dieses Zusammenhanges hin. – Es liegt auf der Hand, daß eine so umfassende litterarische wie lehrende Thätigkeit ohne einen großen Reichthum persönlicher Beziehungen nicht gedacht werden kann, und daß die Pflege derselben in persönlichem Verkehr wie brieflichem Austausch Zeit und Kräfte in Anspruch nahm. In dem großen Schatze des brieflichen Nachlasses von B., in dem es gelungen ist für wichtige Correspondenzen die beiderseitigen Mittheilungen zu vereinen, ist man ebenso erfreut über die freundlichen und zierlichen, sowie immer sachlich etwas bietenden Antworten Böckh’s auf litterarische Zusendungen und Bitten wie über die wichtigen, mit dem ganzen Rüstzeug der Gelehrsamkeit eintretenden Discussionen über wissenschaftliche Hauptpunkte im Verkehr mit G. Hermann, mit Dissen, Meier, Otfr. Müller, Welcker, Letronnne, mit v. Reizenstein u. a. Und endlich findet derselbe Mann noch in alten Tagen Zeit, eingehenden brieflichen Verkehr mit Männern und Frauen, die ihm menschlich nahe getreten sind, zu eröffnen und fortzuführen. – Daß der persönliche Verkehr Böckh’s mitten in dem zerstreuenden Leben einer großen Hauptstadt mit der Zeit mehr eng und bestimmt gezogene Grenzen annahm, daß er auf weitere Kreise nur bei bestimmten, feierlichen Gelegenheiten sich erstreckte und im engeren Familienkreise nur Wenige Zutritt hatten, war nothwendig gegeben. In den ersten Jahrzehnten war er noch Mitglied jenes edeln Kreises der „Zwanglosen Gesellschaft“ mit Buttmann, Schleiermacher u. a., später gehörte er keiner sogenannten Graeca an. Anfang der vierziger Jahre finden wir ihn in lebhaftestem persönlichem Verkehr mit Alexander von Humboldt. Billete gingen fast täglich hin und her. Mit Freude bemerkt man, wie die letzten Lebensjahre ihn mit seinem Collegen Moritz Haupt, dem Schwiegersohn G. Hermann’s, dem Nachfolger Lachmann’s auf dem Lehrstuhl und in den wissenschaftlichen Ansichten in enge freundschaftlichste Verbindung brachten. Sonst liebte er wol gesellig mit Naturen zu verkehren, die ihm mehr bequem als bedeutend des Tages Neuigkeiten zuführten, mit denen er in freiem Humor über den Lauf der öffentlichen Dinge sich unterhielt; er liebte es, in nicht akademischen Kreisen, besonders in künstlerischen, auch mit excentrischen Naturen – wir nennen nur den Dichter Stieglitz und seine Gattin – zu verkehren und wol auch wie einer der Jüngsten [782] noch spielend in Poccia sich zu ereifern. Die Ferienreisen gaben immer Anlaß zur Erneuerung und Belebung des weiteren Verkehrs, aber fast immer auch wissenschaftliche Anregung. Halle, Jena, Loccum bei Hannover, Göttingen, Heidelberg und Karlsruhe, dann wieder das Seebad Heringsdorf, auch der Harz, Franzensbad, endlich Friedrichsroda waren öfters Ziel- oder Haltepunkte. Manche Philologenversammlung ist auch von ihm besucht worden, im J. 1850 leitete er selbst die zu Berlin, jedoch war es nicht seine Art schlagfertig in Discussionen einzutreten oder gewandt die Hauptpunkte zusammen zu fassen und so durch sein gewichtiges Wort die lauschenden Zuhörer zu bestimmen und zu beherrschen. – Die Familie bildete für B. den wichtigsten Unter- und Hintergrund seines Lebens. Wir wiesen oben bereits auf die treugepflegten Familienbeziehungen der Heimath, auf die Begründung seines häuslichen Glückes hin. Nicht ohne schwere Wechselfälle, nicht ohne tiefes langgetragenes Leid ist Böckh’s häusliches Leben geblieben. Seine Frau, die ihm drei Söhne geschenkt, starb im J. 1829 nach längerem Hinsiechen, noch in späteren Jahren hing er mit wehmüthiger Freude an mannigfachen Reliquien ihrer anmuthigen Erscheinung. Die nächste Freundin derselben, Anna Taube, führte er im Herbst 1830 als zweite Frau in sein Haus, die ebensosehr für ihn wie für seine Kinder in selbstloser Liebe gelebt hat. Eine Tochter erblühte ihm aus dieser Ehe, Marie, verehelichte Prof. Gneist, welche, als auch die neue Lebensgefährtin dem Hochbejahrten dahin geschieden war, nun mit Gatte und Kindern ihm in unveränderter Weise nicht allein das edle gewohnte Familienleben fortführte, sondern noch im unmittelbaren Verkehr mit den Enkeln bereicherte. Die zwei älteren Söhne sind ihm im Tode längst vorangegangen, der eine noch ehe er nach längeren Studien einen bestimmten Lebensberuf gefunden, der andere als praktischer Arzt mitten aus der Thätigkeit herausgerissen. Der dritte Sohn, Richard Böckh, wirkt als königlicher Regierungsrath und anerkannter statistischer Schriftsteller in Berlin; auch an der Begründung seines Familienlebens konnte der Vater sich noch erfreuen. Im J. 1840 kann B. an einen seiner Brüder schreiben: „Ein ziemlich altes Kleeblatt sind wir geworden, die Blüthe ist vorüber und der Genuß der Früchte, die das Leben getragen hat, ist nicht frei von bittern Empfindungen, wenigstens für mich, und dennoch können wir jeder an seiner Stelle unser Leben glücklich preisen.“ Noch siebzehn Jahre später konnte er bei seinem Doctorjubiläum an den Iden des März an sich die Mahnung des Diagoras richten: morere, non enim in coelum ascensurus es. Eine Fülle der Ehren waren ihm von wissenschaftlichen Corporationen aller Länder, auch von den Fürsten im Laufe der Jahre dargebracht worden; seinen besondern Stolz aber setzte er darein, als die Stadt Berlin ihn zum Ehrenbürger ernannte. Noch zehn Jahre später feierte man sein sechzigjähriges Jubiläum: an ihm konnte er einer Deputation der Turnerschaft erwiedern, daß er nun 120 Semester ohne eine Unterbrechung gelesen und daß er sich wie ein Schüler der alten Akademie zu Athen vorkomme, die auch ihr Lebelang in der Akademie zugebracht hätten. Nach wenigen Wochen zunehmender Schwäche trat am 3. August 1867 eine Lungenlähmung ein, die seinem Leben ein Ende machte. Die akademische Jugend, die seit Jahren ihm zu seinem Geburtstag in feierlichem Fackelzuge gehuldigt hatte, geleitete ihn am 6. August zur Ruhestätte auf dem alten Dorotheenstädtischen Kirchhofe, der durch die Grabsteine so vieler Heroen des Geistes geweiht ist. – Die äußere Erscheinung Böckh’s war zunächst keine imponirende. Eine mittlere, mehr kräftige Gestalt, in den Bewegungen durchaus eigenthümlich, fast linkisch zu nennen – in seinen Jugendjahren trat dies noch viel mehr hervor –, ein großer Kopf mit länglichem Oval erhob sich darüber mit bedeutsamer, schön geformter Stirne, großer Nase mit sich herabbiegender, wie spürender Nasenspitze, die Augen blickten aus starker Bebuschung [783] fragend zum aufmerksamen Prüfen wie etwas zusammengedrückt aber freundlich hervor, um den Mund Züge der Freundlichkeit und des Wohlwollens gepaart mit dem Ausdrucke der Energie, des Anhaltens in der Unterlippe und dem starken Kinn. Immer und überall sprach sich in seiner ganzen Erscheinung wahres Wohlwollen, ja eine gewisse kindliche Unbefangenheit gepaart mit fragender, etwas abwartender Klugheit und einem forschenden, tief den Sachen nachgehenden Geiste aus. Ein Oelbild, von Begas für Friedrich Wilhelm IV. gemalt, zeigt ihn uns so; ein Medaillon, eine Büste sind auch von ihm geformt worden. – Von der zahlreichen Litteratur kleiner Aufsätze über B. haben wir bereits der Arbeiten von Klausen, von M. Hertz, Sachse, Bratuschek, Seligmann gedacht. Ich verweise sonst noch auf das biographische Bild von M. Hertz in Wachenhusen’s Hausfreund IX. 3. 1865, auf Skizzen in der Nationalzeitung, in der königl. privileg. Berlinischen Zeitung von 1857 u. 1867, auf die schönen Worte von E. Curtius, Gedächtnißrede auf Chr. A. Brandis und A. B. in der königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 1868; dann auf meinen Vortrag über die Jugendzeit und den Bildungsgang von August B. in den Verhandlungen der Würzburger Philologenversammlung 1868, welcher als Vorläufer der von mir beabsichtigten umfassenden Biographie Böckh’s betrachtet werden kann. In Bezug auf Böckh’s eigene Schriften bemerke ich, daß die Sammlung der kleinen Schriften, von B. selbst 1858 bei Teubner in Leipzig begonnen, jetzt durch Ascherson, Bratuschek, Eichholtz fortgeführt, seit 1874 in sieben Bänden vollendet uns vorliegt; der Herausgabe der Hefte über Encyklopädie der Philologie und über griechische Alterthümer wird noch entgegengesehen.

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