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Artikel „Reinkens, Hubert“ von Johann Friedrich von Schulte in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 287–292, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reinkens,_Joseph_Hubert&oldid=- (Version vom 28. Dezember 2024, 01:48 Uhr UTC)
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Reinkens: Josef Hubert R., Bischof, Theolog, geboren am 1. März 1821 zu Burtscheid (Aachen) als Sohn eines Gärtners. Dieser verlor sein Besitzthum durch Unglücksfälle. Nach dem Tode der Mutter im J. 1836 griff er, um seine zahlreichen Geschwister zu unterstützen, selbst zur Handarbeit, trat aber 1840 in die Quarta des Gymnasiums zu Aachen und erlangte im Sommer 1844 – die Tertia und Unterprima hatte er überschlagen – das Reifezeugniß, bezog sofort die Universität Bonn zum Studium der Philosophie und Theologie, löste mit glänzendem Erfolge schon im ersten Jahre die Preisaufgabe der philosophischen Facultät über den Begriff und die Viertheilung der Tugend bei den Griechen, war ordentliches Mitglied des philosophischen Seminars, das von Welcker und Rietschl geleitet wurde, trat nach Zurücklegung des theologischen Examens in Köln mit dem Zeugniß Nr. I in das Priesterseminar zu Köln und wurde hier am 3. September 1848 zum Priester geweiht. Auf Grund seiner Zeugnisse, darunter eines vom Generalvicariat über „Seine ausgezeichneten theologischen Kenntnisse“ erhielt er zur Fortsetzung seiner Studien ein Staatsstipendium für zwei Jahre. Diese setzte er zunächst in Bonn fort, wo er Sonn- und Feiertags den Frühgottesdienst in Rheindorf abhielt und den älteren Bruder, der Pfarrer in Bonn war, in der Seelsorge unterstützte, ging 1849 nach München, wurde hier mit der nota eminentiae zum doctor theologiae promovirt, brachte das folgende Wintersemester wieder in Bonn zu. Der Domdechant und Professor der Kirchengeschichte zu Breslau, Ritter (s. A. D. B. XXVIII, 678), veranlaßte ihn, auf ausdrücklichen Wunsch des Fürstbischofs v. Diepenbrock, im März 1850 nach Breslau sich zu begeben und sich für Kirchengeschichte als Privatdocent an der katholisch-theologischen Facultät zu habilitiren. Im Frühjahr 1853 erhielt er eine außerordentliche, im April 1857 die ordentliche Professur der Kirchengeschichte in Breslau, bekleidete dreimal das Amt eines Decans der Facultät und im Studienjahre 1865 auf 1866 das des Rectors der Universität. Als Docent mußte [288] er sofort mehrere Jahre Ritter vertreten, der im Landtage saß, später zwei Jahre den in Rom weilenden Dogmatiker Baltzer (s. A. D. B. II, 33), wurde am 1. Januar 1852 Domfestprediger, Beneficiat und Pönitentiar an der Domkirche, am 20. Januar 1853 erster Domprediger und hatte bis Ostern 1858 als solcher die Sonntagspredigten in der Kathedralkirche zu halten. Diese Thätigkeit ließ ihm keine Zeit zu litterarischen Arbeiten. Um solche zu gewinnen, hatte er schon im Herbste 1857 ein vom Bischof ihm angebotenes Kanonikat ausgeschlagen, legte Ostern 1858 das Dompredigeramt nieder und lehnte auch Ende 1858 die ihm vertraulich angetragene Propstei von St. Hedwig in Berlin ab. Die anzugebenden Schriften beweisen, wie gut er die gewonnene Zeit benutzte. Seine glänzende und höchst fruchtbringende Wirksamkeit als Docent hörte um Weihnachten 1870 auf. Der Grund liegt in dem Ereignisse, welches auf das spätere Leben von R. entscheidend eingewirkt hat: im vaticanischen Concil. R. war von Anfang an ein Theolog, dem jeder Zelotismus fern lag, Gegner der ultramontanen, curialen Richtung, Freund vernünftigen Fortschritts und warmer Patriot. Ein längerer Aufenthalt in Rom von 1867 auf 1868 gab ihm einen tiefen Einblick in den unheilvollen Zustand des Kirchenwesens, trieb ihn an, sich aufs neue am Studium des Alterthums zu erfrischen und historische Untersuchungen über die Gründe anzustellen, welche den Verfall des römischen Kirchenwesens bewirkt haben. Die litterarischen Arbeiten „Aristoteles über Kunst, besonders über Tragödie. Exegetische und kritische Untersuchungen“, Wien 1870 – die philosophische Facultät zu Leipzig verlieh ihm auf Grund derselben das philosophische Ehrendoctorat – und „Papst und Papstthum nach der Zeichnung des hl. Bernhard v. Clairvaux. Uebersetzung und Erläuterung seiner Schrift: De consideratione“, Münster 1870, waren die unmittelbarsten Früchte. Das am 18. Juli 1870 von Pius IX. verkündete neue Dogma von der Allgewalt und Unfehlbarkeit des römischen Papstes brachte seinen Lebensgang in eine ganz neue Bahn. Seine schon hervorgehobene Richtung hatte ihn von jeher in einen Gegensatz zu der Richtung gestellt, welche in Mainz ihren Mittelpunkt fand. Die Versammlung katholischer Gelehrten zu München im J. 1863, an welcher R. sich hervorragend betheiligte, hatte die Gegensätze verschärft; der volle Sieg der Jesuitenpartei auf dem vaticanischen Concil führte zum gänzlichen Bruche. Der Fürstbischof von Breslau, Förster, welcher auf dem Concil zur schärfsten Opposition gehörte, aber bald nach dem 18. Juli 1870 das Opfer des Verstandes brachte, forderte auch von R. die Unterwerfung, verbot den Theologiestudirenden den Besuch seiner Vorlesungen und legte damit Weihnachten 1870 seine akademische Wirksamkeit brach. Das Excommunicationsdecret ist ihm niemals zugestellt worden. R. trat nunmehr in einer Reihe von Schriften als einer der entschiedensten und gewappnetsten Gegner des Concils auf, entfaltete auf den Congressen zu München (September 1871) und Köln (September 1872), auf Versammlungen in der Schweiz und in verschiedenen Städten Deutschlands eine großartige Thätigkeit (27 Vorträge sind gedruckt worden), sodaß er als einer der bedeutendsten Führer der altkatholischen Bewegung anerkannt war. Zur Vorbereitung der Wahl eines Bischofs war in Köln 1872 eine besondere Commission eingesetzt worden, welche unter meiner Leitung alle in Betracht kommenden Punkte ordnete. Von der zu erfolgenden Anerkennung durch die Staatsgewalt vergewissert, schrieb ich am 30. April 1873 die Bischofswahl aus für den 4. Juni in Köln. Sie fand an diesem Tage statt in der Frankencapelle bei St. Pantaleon, durch 21 Geistliche und 56 Laien als Abgeordnete der altkatholischen Gemeinden bezw. Vereine. R. wurde mit 69 Stimmen erwahlt, nahm nach langem Widerstreben die Wahl an, empfing von den Wählern [289] das Gelöbniß und leistete es. Am 11. August 1873 wurde er zu Rotterdam vom altkatholischen Bischof von Deventer, Hermann Heykamp, zum Bischof consecrirt, als Bischof anerkannt für Preußen mit A. H. Patente vom 19. September, für Baden mit A. H. Entschließung vom 7. November, für Hessen mit Urkunde vom 15. December 1873; Baiern lehnte die Anerkennung ab.

R. ist der erste katholische Bischof, welcher gewählt nach dem Vorgange der alten Kirche zum Amte berufen wurde, nachdem man sich seit einem Jahrtausend darüber hinweggesetzt hatte, der erste katholische Bischof, welcher von der Staatsgewalt anerkannt wurde, ohne jedwede Genehmigung des römischen Bischofs, welche die Päpste seit dem 13. Jahrhundert als nothwendig gefordert und durchgesetzt hatten. Diese Thatsache bekundet ein Selbstbewußtsein des Staates, wie es seit dem Siege der Päpste über das Kaiserthum im 11. und 12. Jahrhundert nicht vorgekommen ist. R. ist durch seine Wahl für alle Zeiten eine Person von historisch-hervorragender Bedeutung geworden. Es ist hier nicht möglich, auch nicht am Orte, seine Wirksamkeit als Bischof zu schildern, wenige Worte müssen daher genügen. Unter seiner bischöflichen Leitung ist die altkatholische Kirche Deutschlands fest organisirt, in Liturgie, Ritus, Lehre, Recht nach allen Richtungen hin consolidirt und bis zu einem hohen Grade abgeschlossen worden. Bis zum 4. Juni 1873 hatten die Altkatholiken nur an sehr wenig Orten Gottesdienst gehabt, nur in einzelnen Orten den Gebrauch einer Kirche erlangt, nicht eine Spur von Mitteln, keine einzige festgegründete Anstalt. Als R. durch den Tod der Kirche entrissen[1] wurde, gab es in Preußen 36 altkatholische Gemeinden, darunter 14 förmlich (durch Bischof und Regierung) errichtete Parochien, von denen 6 ihnen eigenthümlich gehörige Kirchen besaßen, 9 andere förmlich anerkannte, – in Baden 37 Gemeinden, davon 28 förmlich anerkannt, 12 mit Pfründen, 1 mit eigenthümlicher Kirche, die anderen durchweg mit ihnen überwiesenen Pfarrkirchen bezw. Capellen, – in Hessen 3 Gemeinden, darunter 2 förmliche Parochien, 1 im Eigenthum stehende Kirche, – in Baiern 14 feste Gemeinden, von denen 2 eigene Kirchen haben. Für Baiern ist dies um so bedeutender, als die Regierung unmittelbar nach Döllinger’s Tode die Altkatholiken durch Erlaß vom 15. März 1890 zu einer Privatkirchengesellschaft herabgedrückt hatte, um die ultramontane Kammermehrheit zu befriedigen. Am 4. Juni 1873 wurden 30 Geistliche als wählbar angenommen, von denen aber 8 nie seit 1870 geistliche Functionen ausgeübt haben, auch einige nicht förmlich beigetreten sind, 2 austraten. Von ihnen waren beim Tode des Bischof noch 9 im Dienste der altkatholischen Kirche; diese hatte aber am 4. Januar 1896 außer dem Bischof 57 Geistliche. R. hatte 29 Priester geweiht (20 Deutsche, 3 Schweizer, 6 Oesterreicher). Er hat 14 Synoden in Bonn geleitet, 12 Altkatholikencongressen beigewohnt. Er hat alle Gemeinden, die vom äußersten Norden (Königsberg und Insterburg in Ostpreußen) bis zum fernsten Südwesten (Zell i. W. in Baden), vom Nordwesten (Crefeld) bis zum Südosten in Preußisch-Schlesien und Passau gehen, wiederholt besucht, die Firmung gespendet, die Visitationen und in Versammlungen Vorträge, in der Kirche Predigten gehalten; er hat in 21 Jahren an verschiedenen Orten in Baden, in 15 zugleich in Baiern, in 7 in Hessen, in 20 in Preußen auf diese Weise gewirkt, was in manchen Jahren die Zeit von Monaten forderte, und durch die großen Reisen mit unendlicher Anstrengung verbunden war. Aber nicht bloß zu Firmungen besuchte er die Gemeinden; er hat die Einweihungen der neu erbauten Kirchen vorgenommen, sehr oft in der Nähe und Ferne Gottesdienst gehalten. R. war ein hervorragender, ja einer der bedeutendsten Kanzelredner seiner Zeit. Kürze, geistreiche Gedanken, classischer Stil zeichneten seine [290] Predigten aus; ebenso alle seine Reden. Viele sind stenographirt und in Blättern gedruckt oder separat veröffentlicht worden. Was hier von den Reden und Predigten gesagt worden ist, gilt in noch höherem Grade von seinen „Hirtenbriefen“, die einen wahren Schatz tiefer religiöser Gedanken enthalten; sie sind unter dem Titel „Hirtenbriefe des Dr. J. H. R.“ u. s. w. von der Synodalrepräsentanz herausgegeben, Bonn 1897. Für die Bedürfnisse der Kirche wurde bestens gesorgt durch die Gründung von Fonds, deren Anregung von mir ausging, vom Bischof mit aller Sorgfalt aufgenommen wurde. So wurden gebildet eine „Pensions- und Unterstützungscasse für Geistliche“, ein „Fonds zur Ergänzung und Erhöhung des Einkommens der Seelsorger“, aus Veranlassung des zehnten Tages der Bischofsweihe der „Bischofsfonds zur Ermöglichung und Förderung der Seelsorge in altkatholischen Gemeinden.“ Beim Tode von R. hatten diese Fonds einen Capitalbestand von bezw. 30 200 Mk., 38 000 Mk., 35 700 Mk. Bei seinen Lebzeiten waren aus diesen Fonds schon bezw. 15 000 Mk., 41 814 Mk., 94 160 Mk. an Unterstützungen u. s. w. verausgabt worden. Am 1. December 1887 eröffnete R. in Bonn ein Convict, worin die altkatholischen Theologiestudirenden theils ganz unentgeltlich, theils gegen geringe Pension Wohnung und Kost erhalten. Dieses hat als „altkatholische Seminar-Convict-Stiftung“ durch Kgl. Cab.-Ordre vom 17. Januar 1894 die Rechte einer juristischen Person erhalten; es besaß bei Reinkens’ Ableben 146 000 Mk. in Werthpapieren. Nach außen hin trat die altkatholische Kirche unter R. in maßgebender Weise auf. Mit der altkatholischen Kirche in Holland und der Schweiz wurde zuletzt in einer Bischofsconferenz zu Utrecht am 24. September 1889 eine volle Einigung erzielt und durch Vereinbarung eine Regelung für alle wichtigen Angelegenheiten gemacht. Zu der anglicanischen und orthodoxen (griechischen, russischen) Kirche war durch die von Döllinger berufenen und geleiteten Unionsconferenzen zu Bonn in den Jahren 1874 und 1875 ein Verhältniß angebahnt worden, das zur Union führen sollte. R. hat weiter gebaut. Er besuchte mit Bischof Herzog aus Bern im October und November 1881 England, wohnte einem Meeting der Bischöfe in Cambridge bei, war Gast verschiedener Bischöfe und hatte in seinem Hause zuletzt am 13. October 1887 in Bonn eine Conferenz mit 2 englischen Bischöfen, die vom Primas, Erzbischof von Canterbury, Vollmacht hatten, worin über wichtige Punkte des Ritus eine Aussprache gepflogen wurde. Mit der russischen Kirche ist es auf Conferenzen und durch Schriftwechsel gekommen bis zur Formulirung eines Entwurfs der Einigung auf dem Gebiete des Glaubens u. s. w., der den maßgebenden Organen in Petersburg vorliegt. Aus Oesterreich sind von Anfang an Studirende nach Bonn gekommen und, wie schon gesagt, Geistliche geweiht worden. Wie mit den nächsten verwandten Kirchen und deren Bekennern, stand R. auch mit der protestantischen Kirche im besten Verhältnisse. War auch nie eine officielle Verbindung mit der altkatholischen angeknüpft worden – das ist bei den 24 Landeskirchen, die sich ja mehrfach noch in verschiedene spalten, kaum möglich –, so hat R. doch im besten Verhältnisse gestanden zu protestantischen Geistlichen wie zu Laien. Das hat auch in einer Reihe von Orten zur Ueberlassung des Mitgebrauchs evangelischer Kirchen an Altkatholikengemeinden geführt. R. war ein Mann, dem Fanatismus fern lag, ein wahrer Christ, der jede religiöse Ueberzeugung achtete, jedes andere Motiv als die Ueberzeugung verurtheilte, das wahre Christenthum im Leben nach den christlichen Grundsätzen sah, nicht in dem bloßen Bekennen mit dem Munde; ihm war Frömmelei, bloßes Gewohnheitskirchenthum, religiöser Formalismus zuwider. Daher war er auch ein Freund jedes Fortschritts, welcher durch die Entwicklung berechtigt und innerlich begründet erscheint. [291] Der Abschaffung der Stolgebühren, der Aufhebung des Unfugs bezahlter Messen und Gebete, der deutschen Liturgie und einer Reihe anderer Einrichtungen stimmte er freudig zu, und als er in der entscheidenden Sitzung der Synode am 13. Juni 1878 gegen die Aufhebung des Cölibatszwanges stimmte, geschah dies nur aus Furcht, die Aufhebung könne großen Schaden anrichten; sachlich war er gleicher Ansicht mit der Mehrheit; das war übrigens auch allgemein bekannt.

R. war eine einnehmende Persönlichkeit; groß, in den späteren Jahren allerdings corpulent, mit schönen Augen, einem wohlklingenden Organe, musikalisch sehr veranlagt, im Besitze einer herrlichen Tenorstimme, geistreich, witzig, voll Humor, der auch die Ironie nicht verschmähte, ohne jedoch eigentlich boshaft zu werden, ein vollendeter Gesellschaftsmann, dabei liebenswürdig, hingebend. So begreift man, daß er überall für sich einnahm, die Gemeinden hinriß und durch die Predigten, Reden bei Tische und in den Versammlungen zündend wirkte. Für seine Gesundheit wäre es besser gewesen, wenn er mehr sich im Auge gehabt, und nicht, weil das den Leuten Freude machte, womöglich dreimal am Tage und mehr auf den Reisen gesprochen und nicht, um nicht zu stören, bis gegen 11 Uhr Abends oder noch länger an den Gemeindeabenden theil genommen hätte. Wo er konnte, war er hülfreich, kannte keine Selbstsucht; er hat auch aus den eigenen Einnahmen zu den altkatholischen Bedürfnissen reichlich beigesteuert. Er bedarf keiner Ausschmückung, welche der Wahrheit nicht entspricht. Darum sei hervorgehoben, daß es nicht richtig ist, wie offenbar aus Mißverständniß in öffentlichen Blättern angegeben worden ist, daß er große Legate, welche ihm für seine Person zugewendet seien, dennoch der Kirche zugewendet habe. Ich habe mit den Erblassern darüber vor Abfassung der Testamente gesprochen, R. gar nicht; die Zuwendung an ihn hatte nur den Zweck, bezüglich der kirchlichen Bedürfnisse freie Hand zu lassen; gerade beim größten Legate habe ich dem mir geäußerten Wunsche der Erblasserin gemäß dem Bischof ausdrücklich die Zwecke der Verwendung mitgetheilt und nach dieser Mittheilung ist verfahren worden.

Wie es Männern geht, welche in öffentlicher und verantwortlicher Stellung sich befinden, sind auch R. schwere Täuschungen und trübe Erfahrungen nicht ausgeblieben, weder von innen aus der Kirche selbst heraus seitens einzelner Geistlichen besonders, noch von außen. Doch würde eine genauere Darlegung den zulässigen Raum überschreiten. Eins nur sei hervorgehoben, daß R. es war, auf den sich der Haß der Ultramontanen und deren Gönner von den höchsten Stellen aus niederließ. Unentwegt trat er bei jeder Gelegenheit in Schrift, Rede, Predigt ein für die Rechte des Staates, feuerte an zur Vaterlandsliebe, zur Treue gegen den Herrscher. Er durfte sich bis zum Tode sagen, daß er kein anderes Motiv gehabt habe, als die Ueberzeugung, nichts für sich gewollt zu haben; er hätte stolz darauf sein können, daß er niemals – und doch war er 22 Jahre Bischof – auch nur die geringste Auszeichnung, nicht einen einzigen Orden, erhalten hat. Ob die Minister nicht den Muth hatten, eine Auszeichnung zu beantragen, ob der gestellte Antrag scheiterte an dem Haß und Einfluß einer Person, welche die Begünstigung des Ultramontanismus mit aller Macht pflegte und in der Lage war? Ich werde in meinen Lebenserinnerungen über diesen und noch andere Punkte den Schleier lüften.

Die Schriften von R. sind musterhaft hinsichtlich des Stils, klar, durchdacht und ruhen auf gründlichen Studien; sie sind außer den schon genannten: „Die Universität zu Breslau von der Vereinigung der Frankfurter Viadrina mit der Leopoldina“, Breslau 1865, und als Erwiderung auf Angriffe „Meine Festschrift zur Jubelfeier der Breslauer Universität“, das. 1865. „Hilarius [292] v. Poitiers“, Schaffhausen 1884. „Martin v. Tours, der wunderthätige Mönch und Bischof. In seinem Leben und Wirken dargestellt“, Breslau 1866, 3. Ausgabe Gera 1876. Sie ist wie die vorhergehende eine bedeutende kirchengeschichtliche Leistung. Interessant ist auch die Rectoratsrede „Die Geschichtsphilosophie des hl. Augustinus. Mit einer Kritik der Beweisführung des Materialismus gegen die Existenz des Geistes“, Schaffhausen 1865. Unter dem Gesammttitel: „Die päpstlichen Decrete vom 18. Juli 1870“ sechs Broschüren: 1. Der Universal-Bischof im Verhältniß zur Offenbarung. Nach Gregor dem Großen und Pius IX. in Vergleich gestellt. 2. Die Traditionsregel der alten Kirche und die moderne päpstliche Unfehlbarkeit verglichen. 3. Die Unregelmäßigkeit und Unfreiheit des vaticanischen Concils. 4. Die Unterwerfung der deutschen Bischöfe zu Fulda, in ihren Gründen geprüft. 5. Glaube und Unterwerfung in ihrem Unterschiede dargestellt. 6. Die Infallibilisten und der moderne Staat in ihrer Unverträglichkeit nachgewiesen. Münster 1870. – „Die Lehre des heiligen Cyprian von der Einheit der Kirche“, Würzburg 1873. „Revolution und Kirche. Beantwortung einer Tagesfrage mit Rücksicht auf die gegenwärtige Tendenz und Praxis der römischen Curie“, Bonn 1876. „Kniefall und Fall des Bischofs Wilh. Em. Freih. v. Ketteler, gewürdigt von …“, Bonn 1877. „Ueber Einheit der katholischen Kirche“, Würzburg 1877. „Stille Gedanken eines der vierzehn Nothhelfer oder ‚Friedensbischöfe‘ Deutschlands. Verrathen von Aleth Christian“, Halle a. S. 1890. Eine Schrift, die mit beißender Ironie wichtige Fragen erörtert und Beachtung verdient. „Das römische Interdict über altkatholische Kirchen und seine Anerkennung durch deutsche Staatsregierungen von Innocentius Mirabundus“, Bonn 1894. Die Pseudonymität dieser beiden Schriften hatte das Motiv, die Schädigung der Kirche zu verhindern, wenn deren Bischof als Verfasser bekannt wurde, weil namentlich die zweite das wankende und unbegreifliche Verhalten der Regierungen geißelt. – „Luise Hensel und ihre Lieder, dargestellt von …“, Bonn 1877. „Amalie v. Lasaulx. Eine Bekennerin“, Bonn 1878. „Cardinal Melchior v. Diepenbrock“, Leipzig 1881. „Lessing über Toleranz. Eine erläuternde Abhandlung in Briefen“, Leipzig 1883.

Benutzt wurden Acten, Aufzeichnungen und Mittheilungen des Bischofs. – Joseph Hubert Reinkens. Ein Lebensbild von seinem Neffen Jos. Mart. Reinkens (Gotha 1906) konnte nicht benutzt werden.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Reinkens, Hub. LIII 289 Z. 22 v. o. l.: durch den Tod (4. Jan. 1896) der Kirche entrissen. [Bd. 56, S. 398]
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