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Artikel „Stiehler, August Wilhelm“ von Heinrich Pröhle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 184–185, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stiehler,_August_Wilhelm&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 13:20 Uhr UTC)
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Stiehler: August Wilhelm St., Naturforscher und Jurist. Er wurde am 6. August 1797 in der Vorstadt Neumarkt bei Merseburg geboren. Besonders im Latein erhielt er einen sehr guten Unterricht auf der Domschule, welche damals mit den berühmten sächsischen Gymnasien Schulpforta und Thomasschule noch manches gemein hatte, auch mit der Universität Leipzig, wie viele alte Stiftseinrichtungen in Merseburg, noch im Zusammenhange stand. Auf dieser Universität wirkte das Studium der Rechte vom 6. April 1815 bis 7. Sept. 1816 und 17. Oct. 1818 bis 11. Sept. 1819 dann ebenfalls sehr vortheilhaft auf St. ein, so daß der Wunsch entstand, sich der akademischen Laufbahn in der juristischen Facultät zu widmen. Indessen war seine Vaterstadt Merseburg noch, ehe er sie verließ, eine preußische Regierungshauptstadt mit einem jungen etwas keck aufstrebenden Beamtenthume geworden. St. konnte sich dem Einflusse davon nicht ganz entziehen. Wenn er auch nur vorübergehend in seine Universitätsstudien den Aufenthalt in Halle vom 17. Oct. 1818 bis 11. Sept. 1819 eingelegt hatte, so wurde er doch am 20. Febr. 1820 Referendar bei jener preußischen Regierung. Nach Merseburg kam der Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode regelmäßig zum Provinziallandtage. Er lernte den jungen St. kennen, und da dieser auch durch den Regierungspräsidenten v. Krosigk empfohlen ward, so ernannte er ihn Ende Juli 1820 zu seinem Cabinetssecretär, 1824 wurde er gräflicher Regierungs- und zugleich k. preußischer Landrath. Den Verkehr mit einem alten französischen Abbé, der als Refugié zum Grafen Henrich gekommen war und mit dem St. sogar die Fastenspeisen theilte, benutzte er wiederum zur Erweiterung besonders seiner Sprachkenntnisse. Schon am 13. Septbr. 1822 aber verheirathete er sich mit der einzigen Tochter des Kammerraths Schmelzer, deren Mutter, eine geborene Köhler, zu Halberstadt im Hause Streithorst’s (s. d.) erzogen und ihrer Schönheit und Bildung wegen die Zierde des Gleim’schen Kreises gewesen war. Außer der handschriftlichen Rede, mit der sie von Streithorst am 18. Septbr. 1796 getraut war, ist noch eine ganze kleine gedruckte Gedichtsammlung „Blumen auf dem Altar der Freundschaft“ mit Beiträgen verschiedener vorhanden. Zugleich war ihr der symbolische Tempel der Freundschaft aus Holz in der Größe eines etwas hohen und breiten Vogelbauers mit vier Säulen, Altar und Urne (wol zur Erinnerung an Gleim’s unvergeßlichen Freund Ewald v. Kleist) mit auf den Weg nach Wernigerode gegeben. Ungewiß ist nur, ob dies der einzige derartige Freundschaftstempel war oder ob deren mehrere ausgegeben wurden, etwa wie früher die Lorenzodosen. – Stiehler’s amtliche Doppelstellung zugleich mit der unvergleichlich schönen Dienstwohnung auf Schloß Wernigerode nahm ganz in derselben Art nur sein nächster Amtsnachfolger v. Rosen ein. Im wesentlichen aber hatte dasselbe vermittelnde Amt schon der Dichter Göckingk bekleidet. Rosen’s Nachfolger Elvers, der Biograph V. A. Huber’s, war der erste, der nur den Titel eines Landrathes führte. Seit derselben Zeit nannte sich der gräfliche Regierungsdirector v. Hoff Kammerdirector. St. zeigte sich als kenntnißreichen Juristen in Hitzig’s criminalistischer Zeitschrift von 1832 und 1833 sowie in der jurist. Zeitschrift für die preuß. Staaten von 1834, als Anhänger der Stein-Hardenbergischen Gesetzgebung aber im allgemeinen Anzeiger der Deutschen von 1831. In dieser Zeit hatte St. sich bereits mit dem Regierungsdirector Sporleder den Naturwissenschaften zugewendet, worin beide durch einen Aufenthalt Schleiden’s in Wernigerode bestärkt [185] wurden. St. wurde ständiger Vorsitzender des vor fünfzig Jahren, am 24. Novbr. 1841, gegründeten wissenschaftlichen Vereins der Grafschaft Wernigerode und des naturwissenschaftlichen Vereins für den Harz, welchem er alljährlich in Blankenburg präsidirte. In den Berichten desselben von 1842, 1843, 1848 und 1849 sowie im Bulletin de la societé géologique de France von 1844 und 1845 legte er seine ersten naturwissenschaftlichen Arbeiten nieder. Besonders mit Alexander v. Humboldt, Leopold v. Buch und Ewald stand er in wissenschaftlichem Verkehr. Nach achtunddreißigjähriger amtlicher Thätigkeit wurde er in den Ruhestand versetzt und nahm seinen Aufenthalt in Quedlinburg, wo er noch zwanzig Jahre lebte und erst im Mai 1878 im Alter von 81 Jahren starb. Von seinen Kindern leben noch fünf. Der Umstand, daß St. längere Zeit in Klopstock’s Geburtshause zur Miethe wohnte, wurde die zufällige Veranlassung zur Gründung des Klopstockvereins durch Oberbürgermeister Dr. Brecht, Gymnasialdirector Dihle, den Vater des Dichters Julius Wolff, Professor Düning, St. und dessen Schwiegersohn H. Pröhle. Ohne diesen Verein wären alle auf Klopstock bezüglichen neueren Arbeiten, namentlich die von Muncker, unmöglich gewesen. Demselben Kreise verdankt auch das Denkmal Karl Ritter’s in Quedlinburg von Uhlenhuth sein Entstehen. – Die umfangreicheren späteren Arbeiten Stiehler’s über Versteinerungen waren 1) die in Duncker’s Palaeontographica, Vol. 5; 2) „Synopsis der Pflanzenkunde der Vorwelt, Abthlg. I“ (Quedlinburg 1861, recensirt von Bronn im neuen Jahrbuch 1861); 3) „Monocotyledoneae in statu fossili“ (Extract. a voluminibus X usque ad XIX actuum instituti scientiarium. Venetiis 1869). Durch seinen Aufsatz „Goethe in seinem Verhältniß zum Neptunismus und Vulcanismus“ im deutschen Museum von Prutz (1855, Nr. 30) wirkte St. anregend auf die Goetheforschung. – Der Verkehr Stiehler’s mit seiner zweiten Vaterstadt Leipzig brachte ihn in immer lebhafteren Verkehr mit Goethe’s dortigem Freunde W. Gerhard und durch eine seiner politischen Broschüren näherte er sich E. M. Arndt in dessen Alter. – Auf den Vorschlag des Archivraths Jacobs befahl Fürst Otto zu Stolberg-Wernigerode den Ankauf der Stiehler’schen Büchersammlung für die fürstl. Bibliothek. Die Versteinerungen erwarb die Universität Halle.

Keßlein’s Gelehrtenlexikon, S. 211-215, 262 und 294. - Handschriftlicher Briefwechsel der Familien Schmelzer und Stiehler.
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