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Artikel „Stier, Wilhelm“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 207–208, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stier,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 27. Dezember 2024, 12:39 Uhr UTC)
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Stier: Wilhelm St., Architekt, wurde am 8. Mai 1799 zu Blonic bei Warschau geboren. Später kam er nach Glogau und dann im J. 1813 nach Berlin, wo er das Gymnasium zum Grauen Kloster besuchte. Während der Jahre 1815–1817 machte er seine Studien auf der dortigen Bauakademie. Die nächsten vier Jahre hindurch war er praktisch als Bauführer bei den Universitätsbauten in Bonn und dann unter Baurath Vagedes in Düsseldorf thätig. Von dort aus trat er seine erste größere Reise an, die ihn über Paris nach Südfrankreich und von da weiter bis Rom führte. Er hat diese Fußwanderung, die nur mit Seume’s „Spaziergang nach Syrakus“ verglichen werden kann, unter dem Titel „Die Pilgerfahrt“ selbst erzählt. In Italien, wo er fünf Jahre verweilte, trat er in Verkehr mit Bunsen, Platner, Hittorf und Zanth, an deren wissenschaftlichen Arbeiten er sich bethtiligte. Mit den beiden letzteren besuchte er Sicilien. Unter den in Rom lebenden Malern schloß er sich namentlich an Julius Schnorr v. Carolsfeld an. Ihm widmete er am 11. März 1827, bei der Feier, die Schnorr bei Gelegenheit der Vollendung seiner Rolandfresken veranstaltete, einen poetischen Glückwunsch, der sich handschriftlich unter den Papieren Schnorr’s erhalten hat. Auch in späteren Jahren blieb St. mit seinem Freunde in gelegentlichem brieflichen Verkehr. Nach seiner Rückkehr in die Heimath, im J. 1828, erhielt St. eine Anstellung als Lehrer an der Bauakademie. Von heftiger Sehnsucht nach Italien geplagt, lebte er anfangs sehr einsam und zurückgezogen. Doch sagte ihm seine Lehrthätigkeit von Jahr zu Jahr mehr zu, namentlich seitdem er die Schönheit der heimischen Baudenkmäler erkannt hatte. Obwohl er die Großartigkeit der antiken Baukunst bereitwillig anerkannte, so trug er doch Bedenken, die hellenischen Formen nach Schinkel’s Vorgang ohne weiteres auf den Boden der Mark zu verpflanzen. Vielmehr zeigte er sich bemüht, in seinen Entwürfen den historischen Bedingungen der Lage Rechnung zu tragen, und die malerischen Gesichtspunkte nicht aus dem Auge zu lassen. Unter seinen großartig angelegten Projecten ragt namentlich sein Entwurf für einen monumentalen protestantischen Dom in Berlin hervor. Er wollte diesen Dom zu einem Nationalheiligthum machen und ihn in Bezug auf Form, Größe und Material so gestalten, daß er zugleich als ein Gotteshaus und als ein Ehrentempel der Nation und ihrer Fürsten erscheinen könnte. Als Grundform dachte er sich einen durch Abschneidung der Kreissegmente in ein Achteck verwandelten Kreis, der durch einen gewaltigen Kuppelbau überdacht werden sollte. Seine Ideen hatte er in mehreren Projecten, von denen eines gothisch, ein anderes romanisch gehalten war, ausgeführt. Er legte sie der ersten Versammlung deutscher Architekten, die im September 1842 zu Leipzig tagte, vor, und erläuterte sie durch einen eingehenden Vortrag. Aehnliche umfassende Projecte entwarf er für ein Ständehaus in Pest (1846), für das Hamburger Rathhaus und für die Votivkirche in Wien. In weiteren Kreisen wurde St. zum ersten Male bekannt, als er im J. 1851 den von König Maximilian II. ausgeschriebenen Preis für ein „Athenäum“ in München erhielt. Er war bei seinem Entwurf auf den von dem König aufgestellten Gedanken der Erfindung eines neuen Baustils eingegangen, da dieser seinen eigenen Ideen über eine selbständige moderne Architektur entsprach. Wenn auch sein Entwurf wegen seiner Kostspieligkeit nicht ausgeführt wurde, so gab er doch fruchtbare Anregungen, die namentlich von der Münchener Schule aufgegriffen wurden. Uebrigens wurden alle diese Pläne nach seinem Tode von seinem Sohne Hubert veröffentlicht. Gebaut hat St. in Berlin außer seinem eigenen Wohnhause nichts. In der technischen Litteratur genießen seine „mit [208] erstaunlicher Sorgfalt und Erfindungsgabe ausgeführten“ Vorlegeblätter für Bauhandwerker großen Ruf. Seine poetische und schriftstellerische Begabung erkennt man am besten aus den von Lübke nach seinem Tode veröffentlichten „Hesperischen Blättern“ (1857). Sie enthalten die bereits erwähnte Schilderung seiner „Pilgerfahrt“, dann Briefe aus der „Villegiatura“ und eine größere Anzahl italienischer Künstlernovellen. St. starb zu Berlin am 19. (12.?) September 1856 und wurde auf dem Friedhof zu Schöneberg beerdigt, wo sich über seinem Grabe ein von Stüler entworfenes Denkmal erhebt. St. war, wie Lübke in seinen Lebenserinnerungen bemerkt, „eine jener phantasievoll angelegten Naturen, die mehr durch geniale Entwürfe, als durch praktische Ausführung hervorragen. Auf dem Katheder wußte er die Zuhörer durch die sprühend geistvolle Art, wie er die kunstgeschichtlichen Denkmäler erklärte und aus den Zeitströmungen dem modernen Verständniß näher zu bringen suchte, zu fesseln. In ihm lebte noch der ganze Feuereifer einer hochidealen Zeit, welcher die Flamme der Vesta zu pflegen und dem modernen Leben einen romantischen Hauch großer Vorzeit mitzutheilen bestrebt war“.

Vgl. Kunstblatt 1842. Nr. 87. 88. S. 346–350. – Ernst Förster, Geschichte der deutschen Kunst V, 340. Leipzig 1860. – J. Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Baiern S. 765. München 1862. – Der Bär. Illustrirte Berliner Wochenschrift. Jahrgang XI. S. 25. 26. Berlin 1885. – Julius Schnorr v. Carolsfeld, Briefe aus Italien S. 325. 326. Gotha 1886. – Wilhelm Lübke, Lebenserinnerungen S. 216. 217. Berlin 1891.
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