Bundesverfassungsgericht – Sitzblockade III

Entscheidungstext
Gericht: Bundesverfassungsgericht
Ort: Karlsruhe
Art der Entscheidung: Beschluss
Datum: 10. Januar 1995
Aktenzeichen: 1 BvR 718/89, 1 BvR 719/89, 1 BvR 722/89, 1 BvR 723/89
Zitiername: Sitzblockade III
Verfahrensgang:
  • OLG Stuttgart, 9. Mai 1989, Az: 4 Ss 119/89
  • LG Tübingen, 19. Oktober 1988, Az: 1 (2) Ns 27/85
  • OLG Stuttgart, 23. Juni 1988, Az: 4 Ss 361/87
  • BGH 1. Strafsenat, 5. Mai 1988, Az: 1 StR 5/88
  • AG Münsingen, 9. November 1984, Az: 2 Cs 413/83
Erstbeteiligte(r):
Gegner:
Weitere(r) Beteiligte(r):
Amtliche Fundstelle: BVerfGE 92, 1–25
Quelle: Commons
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Inhalt/Leitsatz: Die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs 1 StGB im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen verstößt gegen Art 103 Abs 2 GG.
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Im Namen des Volkes


in dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde


(Zur Strafbarkeit von Sitzdemonstrationen als Nötigung - Vereinbarkeit von StGB § 240 mit GG Art 103 Abs 2 - Unvereinbarkeit der weiten Auslegung des Gewaltbegriffs in StGB § 240 Abs 1 mit GG Art 103 Abs 2)

Leitsatz

  1. Die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs 1 StGB im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen verstößt gegen Art 103 Abs 2 GG.

Orientierungssatz

1. Zur Vereinbarkeit von StGB § 240 mit GG Art 103 Abs 2 sowohl hinsichtlich des Gewaltbegriffs in StGB § 240 Abs 1 als auch der Verwerflichkeitsklausel in Abs 2 vgl Urteil des BVerfG zu Sitzdemonstrationen vor militärischen Einrichtungen von 1986-11-11, 1 BvR 713/83, BVerfGE 73, 206 und zur verfassungsrechtlichen Beurteilung von Sitzblockaden als Nötigung bei Stimmengleichheit im Senat vgl BVerfG, 1987-07-14, 1 BvR 242/86, BVerfGE 76, 211.
2. Ob StGB § 240 Abs 2 in vollem Umfang mit GG Art 103 Abs 2 vereinbar ist, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offenbleiben. Hinsichtlich der in StGB § 240 Abs 1 enthaltenen Gewaltalternative genügt die Vorschrift jedenfalls den Anforderungen an das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot.
3. Die von den Strafgerichten im Wege der Auslegung vorgenommene Ausweitung des Gewaltbegriffes ist mit GG Art 103 Abs 2 unvereinbar.
a) Die Annahme, daß es für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Gewalt bereits die Anwesenheit an einer Stelle, die ein anderer einnehmen oder passieren will, ausreicht, wenn dieser andere durch die Anwesenheit des Täters psychisch an der Durchsetzung seines Willens gehemmt wird, führt zu einer Überschreitung der durch das Bestimmtheitsgebot gesetzten Interpretationsgrenzen.
b) Insbesondere wird das Tatbestandsmerkmal der Gewalt dadurch in einer Weise entgrenzt, daß es die ihm vom Gesetzgeber zugedachte Funktion, unter den notwendigen, unvermeidlichen oder alltäglichen Zwangseinwirkungen auf die Willensfreiheit Dritter die strafwürdigen zu bestimmen, weitgehend verliert. Es bezieht zwangsläufig zahlreiche als sozialadäquat betrachtete Verhaltensweisen in den Tatbestand ein, deren Strafbarkeit erst durch das in seiner Deutung ebenfalls umstrittene Korrektiv der Verwerflichkeitsklausel in StGB § 240 Abs 2 ausgeschlossen wird.
c) Da sich nicht mehr mit ausreichender Sicherheit vorhersehen läßt, welches körperliche Verhalten, das andere psychisch an der Durchsetzung ihres Willens hindert, verboten sein soll und welches nicht, hat die Auslegung des Gewaltbegriffs in der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade jene Wirkungen, die zu verhüten GG Art 103 Abs 2 bestimmt ist. In demjenigen Bereich, in dem die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist, wird die Strafbarkeit nicht mehr vor der Tat generell und abstrakt vom Gesetzgeber, sondern nach der Tat im konkreten Fall vom Richter aufgrund seiner Überzeugung von der Strafwürdigkeit eines Tuns bestimmt. Das eröffnet beträchtliche Spielräume bei der Strafverfolgung von Nötigungen, was durch die unterschiedliche Behandlung von Blockadeaktionen aus Protest gegen die atomare Nachrüstung einerseits und solchen zum Protest gegen Werksstillegungen, Gebührenerhöhungen, Subventionskürzungen oder Verkehrsplanungen andererseits belegt wird.
d) Die erforderliche Bestimmtheit ergibt sich auch nicht daraus, daß aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest das Risiko der Bestrafung erkennbar ist. Insoweit hängt die verfassungsrechtlich verlangbare Bestimmtheit von der Möglichkeit der gesetzlichen Beschreibung des als strafwürdig angesehenen Verhaltens ab. Der Grundsatz kann aber nicht Auslegungen einer unvermeidlich vagen Strafnorm rechtfertigen, welche die Unbestimmtheit abermals erhöhen und sich damit noch weiter vom Ziel des GG Art 103 Abs 2 entfernen.
Eine Ausweitung des Gewaltbegriffs läßt sich auch nicht damit rechtfertigen, daß andernfalls unerwünschte Strafbarkeitslücken aufträten. Selbst wenn es zutreffen sollte, daß das mit der weiten Auslegung der Norm erfaßte Verhalten ähnlich strafwürdig ist wie das ihr unzweifelhaft unterfallende, bleibt es Sache des Gesetzgebers, die Strafbarkeitslücke zu schließen (vgl BVerfG, 1985-10-23, 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108 <116>).
e) Die nunmehr notwendige Eingrenzung des Gewaltbegriffs in StGB § 240 Abs 1 obliegt zuvörderst den Strafgerichten, nicht dem Bundesverfassungsgericht. Die Rechtswidrigkeit von Sitzdemonstrationen nach anderen Vorschriften bleibt von dieser Entscheidung unberührt.
4. Abweichende Meinung:
Die Beurteilung von Sitzblockaden als eine mittels Gewalt iSv StGB § 240 begangene Nötigung verstößt nicht gegen den Grundsatz, daß auch innerhalb des möglichen Wortsinns die Auslegung nicht weiter gehen darf, als es Zweck und Sinnzusammenhang der Norm zulassen (vgl BVerfG, 1981-05-26, 2 BvR 215/81, BVerfGE 57, 250 <262>).
a) Ist die Nötigung auf eine Unterlassung gerichtet, so kann die physische Einwirkung iSd engeren Gewaltbegriffs auch in der Errichtung eines körperlichen Hindernisses bestehen, das der beabsichtigten Handlung - hier der Fortsetzung der Fahrt - entgegensteht, ohne daß es auf Ausmaß der angewendeten Kraft oder auf ein aggressives Verhalten des Nötigers ankommt.
b) Eine Gefahr, daß durch ein derartiges Verständnis des Gewaltbegriffes sozial adäquates Verhalten bestraft wird, besteht nicht, da der Tatbestand der Nötigung in der Verwerflichkeitsklausel ein Korrektiv findet, das eine Pönalisierung von Verhaltensweisen verhindert, für die die angedrohte Sanktion nach Art und Ausmaß unverhältnismäßig wäre.
c) Diese Auslegung des Gewaltbegriffes genügt auch dem sich aus GG Art 103 Abs 2 ergebenden verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot, weil die Strafbarkeit von Sitzblockaden im Zeitraum der Tat vorhersehbar war.
Insbesondere war aufgrund einer in der Kommentarliteratur - unbeschadet gewisser Bedenken - zustimmend referierter, seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung ersichtlich, daß das Hindern eines Fahrzeugs an der Weiterfahrt durch körperliches Dazwischentreten oder -sitzen das Tatbestandsmerkmal der Gewalt iSv StGB § 240 Abs 1 erfüllt und zur Strafbarkeit nach dieser Vorschrift führen könnte.

Gründe

A.

Die Beschwerdeführer sind wegen gemeinschaftlicher Nötigung, begangen durch Sitzdemonstrationen vor einer militärischen Einrichtung, verurteilt worden. Sie rügen die Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG, die Beschwerdeführer zu 3) und 4) zusätzlich die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 20 Abs. 3 GG.

I.

Der Verurteilung liegt eine Blockadeaktion vor dem Sondermunitionslager der Bundeswehr in Großengstingen zugrunde, in dem atomare Kurzstreckenraketen des Typs Lance gelagert waren. Mit der Aktion sollte gegen die Stationierung der Raketen protestiert werden. Zugleich richtete sie sich gegen die beim Amtsgericht Münsingen laufenden Strafverfahren wegen anderer Blockadeaktionen.

Die Beschwerdeführer hatten aufgrund eines Zeitungsinserats mit der Überschrift "Wer blockiert mit?" den Entschluß gefaßt, sich an der Aktion zu beteiligen. Beweggrund war ihre Besorgnis über die Gefahren einer atomaren Bewaffnung. Sie fuhren am 9. Mai 1983 gemeinsam nach Großengstingen, wo sie um 9.00 Uhr eintrafen und sich zu den übrigen Demonstranten gesellten, deren Zahl im Lauf des Tages zwischen 15 und 40 Personen schwankte.

Als sich zwischen 10.30 Uhr und 10.45 Uhr ein Fahrzeug der Bundeswehr mit Postsendungen näherte, setzten sich fünf Demonstranten auf die Fahrbahn. Hauptfeldwebel B. gab wenige Meter vor den Sitzenden den Befehl zum Anhalten und forderte sie auf, Durchfahrt zu gewähren. Als dies ohne Erfolg blieb, ordnete er an, umzukehren und in die Kaserne zurückzufahren. Währenddessen standen die Beschwerdeführer mit den übrigen Demonstranten am Straßenrand.

Auf Veranlassung der Polizeidirektion Reutlingen ordnete das Landratsamt fernmündlich die Auflösung der Versammlung und einen Platzverweis an. Die Polizei wurde mit der Vollstreckung beauftragt. Als um 12.15 Uhr Hauptfeldwebel B. mit einem Verpflegungsfahrzeug eintraf und die Demonstranten erneut die Zufahrt blockierten, gab Polizeihauptkommissar Z. die Verfügung des Landratsamts bekannt und wies auf die Strafbarkeit des Verhaltens wegen Nötigung hin. Nachdem die Demonstranten der Aufforderung nicht gefolgt waren, ordnete er an, die Sitzenden wegzutragen. Das Fahrzeug konnte daraufhin in das Sondermunitionslager einfahren. Gegen 12.30 Uhr wiederholte sich der Vorgang, als das Fahrzeug das Munitionslager wieder verlassen wollte.

Als sich Hauptfeldwebel B. und der ihm unterstellte Soldat in Begleitung von Polizei um 17.15 Uhr erneut mit einem Verpflegungsfahrzeug näherten, setzten sich die Beschwerdeführer und eine weitere Person auf die Fahrbahn. Die übrigen Demonstranten standen am Straßenrand. Wie zuvor forderte Polizeihauptkommissar Z. die Sitzenden zur Räumung der Straße auf und ordnete dann an, sie wegzutragen. Gegen 17.30 Uhr konnten die Soldaten die Fahrt fortsetzen. Bei der Ausfahrt des Fahrzeugs um 17.40 Uhr setzten sich acht Demonstranten auf die Straße, während die Beschwerdeführer am Straßenrand standen. Die Fahrbahn wurde wiederum geräumt.

II.

1.

Das Amtsgericht hat die Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gemeinschaftlich begangenen Nötigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 15 DM für die Beschwerdeführer zu 1), 3), 4) und zu 25 DM für die Beschwerdeführerin zu 2) verurteilt.

Die Beschwerdeführer hätten in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken die Einfahrt eines Kraftfahrzeugs in das Sondermunitionslager für längere Zeit verhindert. Dadurch hätten sie Gewalt im Sinne des § 240 StGB angewandt. Von ihrem Sitzen sei unwiderstehlicher psychischer Zwang auf die Insassen des Fahrzeugs ausgegangen, so daß sich der Fahrzeugführer gezwungen gesehen habe, dem Fahrer den Befehl zum Anhalten zu geben.

Die Tat sei auch rechtswidrig. Die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck sei verwerflich. Zwar sei der Zweck, die Bevölkerung überzeugend und dringlich auf die Gefahr der atomaren Rüstung hinzuweisen, achtenswert. Zur Verfolgung dieses Ziels sei aber nicht jedes Mittel erlaubt. Da die Beschwerdeführer es bewußt und gewollt darauf angelegt hätten, andere mit psychischem Zwang in ihrer Bewegungsfreiheit zu hindern, könnten sie sich nicht auf den Schutz der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit berufen. Wenn es den Beschwerdeführern nicht gelungen sei, durch Meinungsäußerungen den gewünschten Erfolg zu erzielen, so rechtfertige dies nicht die Erregung von Aufmerksamkeit durch Straftaten. Rechtfertigungsgründe lägen nicht vor; insbesondere könnten sich die Beschwerdeführer nicht auf Art. 20 Abs. 4 GG berufen.

Bei der Strafzumessung hätten das positive Ziel und die achtenswerten Motive der Beschwerdeführer Berücksichtigung gefunden. Jedoch sei auch das Ausmaß der verschuldeten Behinderung gewürdigt worden.

2.

Das Landgericht hat diese Entscheidung auf die Berufungen der Beschwerdeführer und der Staatsanwaltschaft aufgehoben und die Beschwerdeführer freigesprochen, weil ihre Blockade unter Würdigung der Gesamtumstände und der Fernziele nicht verwerflich gewesen sei.

3.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht dem Bundesgerichtshof die Frage vorgelegt, ob die Fernziele von Straßenblockierern bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung oder nur bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien (NStZ 1988, S. 129 f.).

Der Bundesgerichtshof hat die Vorlagefrage mit dem angegriffenen Beschluß (BGHSt 35, 270) wie folgt beantwortet:

Die Fernziele von Straßenblockierern sind nicht bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der Nötigung, sondern ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Das Oberlandesgericht hat daraufhin den Freispruch des Landgerichts mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4.

Nachdem die Staatsanwaltschaft die Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 a StPO nicht erteilt hatte, hat das Landgericht im weiteren Berufungsverfahren das Urteil des Amtsgerichts lediglich im Rechtsfolgenausspruch geändert und die Geldstrafe auf die Mindesttagessatzzahl von 5 Tagessätzen (§ 40 Abs. 1 StGB) reduziert sowie die Höhe der Tagessätze für die Beschwerdeführer zu 2), 3) und 4) auf je 15 DM und für den Beschwerdeführer zu 1) auf 50 DM festgesetzt.

Nach dem festgestellten Sachverhalt hätten sich die Beschwerdeführer einer mittäterschaftlich begangenen Nötigung gemäß §§ 240, 25 StGB schuldig gemacht.

Gegenstand der Verurteilung sei nicht nur der Vorfall, bei dem sich die Beschwerdeführer auf die Fahrbahn gesetzt hätten, sondern die gesamte Blockadeaktion, die für den ganzen Tag geplant gewesen und in einzelnen Sitzblockaden durch wechselnde Gruppen von fünf bis acht Demonstranten und unterstützendes Dabeistehen der übrigen Demonstranten am Straßenrand durchgeführt worden sei. Die Beschwerdeführer seien Mittäter, weil sie bewußt und gewollt ihren Beitrag zur gemeinschaftlichen Blockadeaktion durch unterstützendes Stehen am Straßenrand und durch das Sitzen auf der Fahrbahn geleistet hätten.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 23, 46 <54> - Laepple) hat das Landgericht die Blockadeaktion als Anwendung von Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB gewertet. Dies stehe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 73, 206) nicht im Widerspruch zur Verfassung. Genötigte Person sei Hauptfeldwebel B., der an der einzigen Zufahrt zum Sondermunitionslager gezwungen gewesen sei, das Fahrzeug anhalten zu lassen, um das Überfahren der Sitzenden zu vermeiden. Die Blockade der Straße habe bei ihm eine seelische Tötungs- und Verletzungshemmung ausgelöst, aufgrund derer ihm keine andere Wahl geblieben sei. Eine solche Hemmung wirke sich ebenso aus wie körperlicher Zwang und sei diesem deshalb gleichzustellen. Daß die jeweiligen Fahrer nicht hätten festgestellt werden können, sei unschädlich, weil es sich um dienstliche Fahrten gehandelt habe und die Fahrer die Anordnungen ihres Vorgesetzten hätten befolgen müssen.

20 Die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck sei auch als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen; die Blockadeaktion sei deshalb rechtswidrig gewesen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung der das Verwerflichkeitsurteil begründenden Umstände seien die Fernziele der Beschwerdeführer nicht zu berücksichtigen. Das Verwerflichkeitsurteil ergebe sich aus folgenden Umständen: Die Blockadeaktion habe einen ganzen Tag gedauert. Hauptfeldwebel B. habe die Fahrt beim ersten Mal gar nicht und bei den vier weiteren Malen erst nach mehrminütiger "Warterei" und zwangsweiser Räumung der Fahrbahn fortsetzen können. Zur Räumung sei ein beträchtlicher Polizeiaufwand erforderlich gewesen; in keinem Fall seien die Blockierer von selbst aufgestanden. Der Hauptfeldwebel und seine Fahrer seien nicht die richtigen Adressaten des Protests gewesen, da sie keine Entscheidungsgewalt über die Stationierung der Lance-Raketen gehabt und die Soldaten des Lagers nur mit Post und Essen versorgt hätten. Die Teilnehmer der Sitzblockade hätten den Hauptfeldwebel und seine Fahrer bewußt als bloße Werkzeuge benutzt, um die Öffentlichkeit über ihre politische Auffassung zu unterrichten. Ein solches Verhalten stelle eine Mißachtung der Menschenwürde der betroffenen Soldaten dar, welche sittlich nicht zu billigen sei.

Die Beschwerdeführer könnten sich nicht auf Art. 5 und 8 GG berufen; schon der klare Wortlaut des Art. 8 GG bringe zum Ausdruck, daß dieses Grundrecht nicht zu unfriedlichem Verhalten gegen andere berechtige.

Das Landgericht hat die Fernziele der Beschwerdeführer im Rahmen der Strafzumessung gewürdigt und auf die Mindesttagessatzzahl erkannt.

5.

Das Oberlandesgericht hat die Revision der Beschwerdeführer gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

III.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 3 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.

Die Verurteilung wegen Nötigung des Beifahrers stelle eine abermalige Ausweitung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB dar und verstoße gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG. Auch die vier das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1986 tragenden Richter seien zu der Feststellung gekommen, daß die Gewaltanwendung in der Form eines psychisch determinierten Prozesses die Grenze des noch mit dem Analogieverbot Vereinbaren darstelle. Dabei sei davon ausgegangen worden, daß der psychisch determinierte Prozeß als solcher strafrichterlich festgestellt werden müsse. Die Grenzen der schon extrem weiten Auslegung des Gewaltbegriffs würden aber gesprengt, wenn auch das Stehen am Straßenrand eine mittäterschaftlich begangene Gewaltanwendung begründe und wenn die Vermittlung nötigender Gewalt über eine Mittelsperson als selbständiges Nötigungsopfer erfolge, die als Beifahrer gar nicht die Entscheidung treffen könne, Menschen zu überfahren oder nicht. Die Mittelsperson habe sich deshalb nicht in der Situation des Nötigungsopfers befinden können, da der Fahrer ohnehin angehalten hätte. Ein innerer psychischer Zwang habe beim Beifahrer nicht bestehen können, da es überhaupt nicht in seiner Macht gestanden habe, den Befehl zum Weiterfahren zu geben.

Nach Auffassung der Beschwerdeführer zu 3) und 4) verletzen die angegriffenen Entscheidungen auch das Rechtsstaatsprinzip und das Recht auf ein faires Verfahren, weil der Fahrer nicht festgestellt worden sei. Es seien durchaus Fälle denkbar, in denen ein Sitzen auf der Straße nicht als Gewalt im Sinne des § 240 StGB gewertet werden müsse, weil der Fahrer freiwillig oder aus anderen Motiven angehalten habe, so daß die Zwangswirkung entfalle. Ginge man nicht von dieser Möglichkeit aus, sei eine Beweisaufnahme über die Zwangswirkung beim Opfer unsinnig und unzulässig, da es andernfalls genügen würde zu beweisen, daß Demonstranten auf einer Straße gesessen haben und daß ein Fahrzeug vor ihnen angehalten hat. Die angegriffenen Entscheidungen ließen schon das bloße Verursachen des Anhaltens ausreichen. Damit sei aber das Tatbestandsmerkmal "Gewalt" in § 240 Abs. 1 StGB in seiner Auslegung durch den Bundesgerichtshof (BGHSt 23, 46) nicht erfüllt. Da der Fahrer nicht festgestellt worden sei, habe nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" ein Freispruch erfolgen müssen.

Der Beschluß des Bundesgerichtshofs verstoße gegen das Gebot des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungskonformen Interpretation des § 240 StGB. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, daß ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler vorliege, wenn die Strafgerichte bei Sitzblockaden die Verwerflichkeit ungeprüft ließen und sich damit begnügten, die Gewaltanwendung als indiziell für die Verwerflichkeit zu beurteilen (BVerfGE 73, 206 <260>). Der Bundesgerichtshof verschließe sich dem und stelle letztlich doch auf die Indizwirkung der Gewaltanwendung ab, indem er die Verwerflichkeitsklausel auf das Verbrechensmerkmal der allgemeinen Rechtswidrigkeit reduziere.

Soweit der Bundesgerichthof als Zweck im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB ausschließlich das unmittelbar abgenötigte Verhalten ansehe und die Berücksichtigung von Fernzielen bei der Verwerflichkeitsprüfung ausschließe, sei sein Beschluß außerdem unvereinbar mit tragenden Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts. Nach der Auffassung des 2. Strafsenats des Bundesgerichthofs (BGHSt 34, 71 <77>) stelle der Umstand, daß die verursachte Verkehrsbehinderung von vornherein bezweckt gewesen sei, nicht stets eine hinreichende Bedingung für das Verwerflichkeitsurteil dar. Dem habe das Bundesverfassungsgericht mit der Maßgabe zugestimmt, daß die Verwerflichkeitsklausel bei Sitzblockaden nicht nur herangezogen werden könne, sondern aus verfassungsrechtlichen Gründen herangezogen werden müsse (BVerfGE 73, 206 <256>). Daraus folge, daß unter dem angestrebten Zweck im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB nicht lediglich das abgenötigte Verhalten, also die Verkehrsbehinderung, verstanden werden könne.

Die konsequente Anwendung der gegenteiligen Auffassung des Bundesgerichtshofs führe zur Indizwirkung der Gewalt für die Rechtswidrigkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB. Wenn unter dem angestrebten Zweck nur das unmittelbar abgenötigte Verhalten, das heißt das Abbremsen des Fahrzeugs, verstanden werde, sei dieses immer als verwerflich anzusehen. Bei Annahme der Prämisse des Bundesgerichtshofs bliebe kein Gesichtspunkt übrig, der die Verwerflichkeit ausschließen könnte. Weder auf die Dauer der Blockade noch auf deren vorherige Ankündigung oder sonstige denkbare Tatumstände käme es dann noch an. Das verfassungsrechtliche Erfordernis, alle Umstände bei der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen, werde durch die Beschränkung des Merkmals "angestrebter Zweck" völlig entwertet.

IV.

Zu den Verfassungsbeschwerden haben der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung, das Justizministerium Baden- Württemberg sowie die Strafsenate des Bundesgerichtshofs Stellung genommen.

1.

Nach Auffassung des Bundesministers sind die Verfassungsbeschwerden nicht begründet. Die angegriffenen Entscheidungen würden den Maßstäben gerecht, die das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 11. November 1986 (BVerfGE 73, 206) entwickelt habe.

Von Verfassungs wegen sei es nicht geboten, die Fernziele bei der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen; dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot schuldangemessenen Strafens werde auch Genüge getan, wenn dies bei der Strafzumessung geschehe. Es sei deshalb nicht zu beanstanden, daß die Strafgerichte es in Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts abgelehnt hätten, die Fernziele bei der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen.

Das Argument des Bundesgerichtshofs, die Struktur des Nötigungstatbestandes verbiete die Berücksichtigung von Fernzielen bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit, sei nicht zu beanstanden; es finde seine Stütze im Aufbau der Strafnorm und in der Funktion der Verwerflichkeitsklausel in § 240 Abs. 2 StGB. Auch soweit der Bundesgerichtshof objektiv vorliegende Umstände für den Ausschluß der Verwerflichkeit verlange, könne er sich auf allgemeine rechtssystematische Gesichtspunkte berufen.

Die Wertung des Landgerichts, daß das Handeln der Beschwerdeführer verwerflich gewesen sei, lasse einen Verstoß gegen spezifisches Verfassungsrecht nicht erkennen.

Die angegriffenen Entscheidungen hielten auch dem Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG stand, soweit die Beschwerdeführer wegen des Stehens am Straßenrand als Mittäter bei der Nötigung des Beifahrers verurteilt worden seien. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation werde dadurch nicht überschritten. Die tatsächlichen Feststellungen seien ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2.

Auch nach Auffassung des Justizministeriums Baden-Württemberg sind die Verfassungsbeschwerden nicht begründet.

Die angegriffenen Entscheidungen verstießen nicht gegen das Gebot der verfassungskonformen Auslegung des § 240 StGB in dem Sinne, daß die Bejahung nötigender Gewalt in den Fällen einer Erstreckung dieses Begriffs auf Sitzdemonstrationen nicht schon zugleich die Rechtswidrigkeit der Tat indiziere.

Nach der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1986 tragenden Auffassung sei der Strafrichter von Verfassungs wegen nicht gehalten, die Fernziele der Demonstranten bei der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen. Damit stehe die Auffassung des Bundesgerichtshofs in Einklang, daß die Fernziele ausschließlich bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien. Der Bundesgerichtshof habe mit dem Beschluß die ihm zukommende Aufgabe wahrgenommen, die Frage der strafrechtlichen Berücksichtigung der Fernziele von Demonstranten einer einfachrechtlichen Klärung zuzuführen. Genau diese Aufgabe habe das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgerichtshof auferlegt. Die Rüge der Beschwerdeführer, der Bundesgerichtshof führe die vom Bundesverfassungsgericht untersagte Indizwirkung des Tatbestandsmerkmals der Gewalt für die Rechtswidrigkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB "durch die Hintertüre" wieder ein, sei unbegründet. Der Bundesgerichtshof gehe vielmehr davon aus, daß bei der Prüfung der Verwerflichkeit - von den Fernzielen abgesehen - alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen seien. Dementsprechend habe auch das Landgericht alle Umstände des Einzelfalls bei der Beurteilung der Verwerflichkeit berücksichtigt.

Soweit die Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 2 GG rügten, daß der Beifahrer kein taugliches Nötigungsopfer sei, liege dem bereits eine fehlerhafte einfachrechtliche Beurteilung des Sachverhalts zugrunde. Gegenstand der Verurteilung der Beschwerdeführer als Mittäter sei die gesamte Blockade vom 9. Mai 1983, bei der sowohl die zum Teil festgestellten Fahrer als auch der Beifahrer Nötigungsopfer gewesen seien. Die Feststellung des Landgerichts, daß das Blockieren der Straße auch beim Beifahrer eine seelische Tötungs- und Verletzungshemmung ausgelöst habe, aufgrund derer ihm keine andere Wahl geblieben sei, als das Fahrzeug stoppen zu lassen, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Zwangswirkung habe sich ebenso ausgewirkt wie körperlicher Zwang und sei daher diesem gleichzustellen.

3.

Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Äußerungen verschiedener Strafsenate übersandt. Der 2., 3. und 4. Strafsenat haben auf ihre einschlägigen Entscheidungen hingewiesen (BGHSt 23, 46 und 34, 71; 5, 245 und 32, 165 <181 f.>; 18, 389 und 34, 238). Von einer Stellungnahme unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts haben sie abgesehen. Der 4. Strafsenat hat ergänzend ausgeführt, es sei aus kriminalpolitischen Erwägungen bedenklich, daß bei der gegenwärtigen Strafverfolgungspraxis berechtigterweise der Eindruck entstanden sei, "Fernziele" würden nur bei bestimmten Sitzblockaden nicht berücksichtigt, während sie bei anderen Blockaden (z.B. bei Betriebsstillegungen oder wegen Belastungen des Fernverkehrs) zum Absehen von Strafverfolgung führten. Dies sei der Akzeptanz der Nötigungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs abträglich.

B.

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet.

I.

Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verstoßen gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

1.

Die Bedeutung von Art. 103 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits in mehreren Verfahren dargelegt (vgl. zuletzt BVerfGE 71, 108 <114 ff.>; 73, 206 <234 ff.>).

Danach enthält diese Regelung nicht nur ein Rückwirkungsverbot für Strafvorschriften. Sie verpflichtet den Gesetzgeber vielmehr auch, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Sie soll einerseits sicherstellen, daß die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll andererseits gewährleisten, daß die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten im voraus vom Gesetzgeber und nicht erst nachträglich von der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der die Strafgerichte auf die Rechtsanwendung beschränkt.

Das schließt allerdings nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maß der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Ferner ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, daß in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muß der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar.

Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist "Analogie" nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein kann, erweist dieser sich als maßgebendes Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will, ist die Grenze aus dessen Sicht zu bestimmen.

Der Gesetzgeber hat also zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich (und notwendig) erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren. Würde erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Deutung zur Strafbarkeit eines Verhaltens führen, so müssen sie zum Freispruch gelangen. Dies gilt auch dann, wenn infolge des Bestimmtheitsgebots besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten. Es ist dann Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob er die Strafbarkeitslücke bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will.

2.

§ 240 StGB ist hinsichtlich der - hier allein einschlägigen - Gewaltalternative mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar.

a) Die Nötigungsvorschrift des § 240 StGB stellt nach herrschender Meinung Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung unter Strafe. Die Freiheit der Willensentschließung und noch mehr die der Willensbetätigung unterliegt allerdings vielfältigen gesellschaftlichen Zwängen, die keineswegs alle als Unrecht gelten oder gar strafwürdig erscheinen. Der Gesetzgeber hat daher die Strafbarkeit auf die Verwendung bestimmter Mittel beschränkt. In seiner ursprünglichen Fassung stellte § 240 StGB die Nötigung "durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen" unter Strafe (vgl. zu Vorgeschichte und Änderungen des Gesetzestextes Fabricius, Die Formulierungsgeschichte des § 240 StGB, 1991). Durch die Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943 (RGBl. I S. 339) wurde der Drohungstatbestand unter Rückgriff auf Vorarbeiten der Weimarer Zeit ausgeweitet. Strafbar war danach die "Drohung mit einem empfindlichen Übel". Zur Begrenzung des so erweiterten Tatbestands wurde gleichzeitig ein neuer Absatz 2 eingefügt, demzufolge die Tat rechtswidrig war, "wenn die Anwendung der Gewalt oder die Zufügung des angedrohten Übels zu dem angestrebten Zweck dem gesunden Volksempfinden widerspricht". Dadurch sollte klargestellt werden, daß es weder auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Nötigungsmittels oder des Nötigungszwecks für sich allein ankam, sondern auf die Unangemessenheit der Verbindung von Mittel und Zweck im konkreten Fall (vgl. Schäfer, LK, 10. Aufl. 1989, § 240 Rdnr. 1). Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) hielt an der Ausweitung der Drohungsalternative fest, stellte aber den Maßstab für die Beurteilung des Zweck-Mittel-Verhältnisses von "gesundem Volksempfinden" auf "Verwerflichkeit" um. Durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) wurden die angedrohten Strafen gemildert.

b) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 11. November 1986 (BVerfGE 73, 206 - Mutlangen), das ebenfalls Sitzdemonstrationen vor militärischen Einrichtungen betraf, die aus Protest gegen die atomare Nachrüstung stattfanden, § 240 StGB für vereinbar mit Art. 103 Abs. 2 GG erklärt, und zwar sowohl hinsichtlich des Gewaltbegriffs in Absatz 1 als auch der Verwerflichkeitsklausel in Absatz 2 dieser Vorschrift (a.a.O., S. 236 bis 239). Darauf wird verwiesen. Ob daran auch bezüglich des Absatzes 2 in vollem Umfang festzuhalten ist, bedarf hier keiner Entscheidung.

3.

Dagegen verstößt die Auslegung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB durch die Strafgerichte gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

Im Unterschied zur Verfassungsmäßigkeit der Norm war die Verfassungsmäßigkeit der Auslegung in dem Urteil vom 11. November 1986 (BVerfGE 73, 206) streitig geblieben. Während vier Richter keinen Grund zur verfassungsrechtlichen Beanstandung dieser Auslegung sahen (a.a.O., S. 242 bis 244), hielten die vier anderen Richter sie für unvereinbar mit dem Bestimmtheitsgrundsatz (a.a.O., S. 244 bis 247). Die Entscheidung in dem damaligen Verfahren beruhte unter diesen Umständen auf § 15 Abs. 3 Satz 3 BVerfGG. Die verfassungsrechtliche Frage selber ist jedoch unentschieden geblieben (vgl. BVerfGE 76, 211 <217>). Sie wird nunmehr im Sinn der Unvereinbarkeit beantwortet.

a) Den angegriffenen Entscheidungen liegt das Verständnis des Gewaltbegriffs zugrunde, das sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Lauf der Zeit entwickelt hat. Diese Entwicklung ist durch die abnehmende Bedeutung der Entfaltung körperlicher Kraft auf seiten des Täters und die wachsende Bedeutung der bei dem Opfer eintretenden Zwangswirkung gekennzeichnet (vgl. Blei, JA 1970, S. 19, 77, 141; Schäfer, LK, a.a.O., Rdnr. 7). Anfangs war unter Gewalt allein eine physische Einwirkung des Täters auf das Opfer, die bei diesem als körperlicher Zwang wirkte, verstanden worden, während es sich bei der Drohung um psychische Einwirkungen handelte, die vom Opfer als seelischer Zwang empfunden wurden. Zwar hat die Rechtsprechung bis heute daran festgehalten, daß Gewalt im Sinn des Nötigungstatbestands nur beim Einsatz körperlicher Kraft vorliegt. Doch ist das Maß der aufgewandten Kraft, die für nötig gehalten wird, damit von Gewalt gesprochen werden kann, stetig verringert und das Erfordernis einer körperlichen Zwangswirkung beim Nötigungsopfer gänzlich aufgegeben worden.

Den heutigen Stand der Rechtsprechung markiert das Laepple- Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1969 (BGHSt 23, 46 <54>). Danach setzt Gewalt im Sinn von § 240 Abs. 1 StGB nicht den "unmittelbaren Einsatz körperlicher Kräfte" voraus. Es genügt vielmehr, daß der Täter "nur mit geringem körperlichen Kraftaufwand einen psychisch determinierten Prozeß" beim Opfer in Lauf setzt. Für die Strafbarkeit kommt es dabei entscheidend auf das "Gewicht der ... psychischen Einwirkung" an. Diese Interpretation, die gewöhnlich als "Vergeistigung" oder "Entmaterialisierung" des Gewaltbegriffs bezeichnet wird, findet ihren Grund in dem Bestreben, die Willensfreiheit in wirksamer Weise auch gegenüber solchen strafwürdigen Einwirkungen zu schützen, die zwar sublimer, aber ähnlich wirksam wie körperlicher Kraftaufwand sind (vgl. BGHSt 1, 145 <147>; 8, 102 <103>; BVerfGE 73, 206 <242>).

Diese Ausweitung des Gewaltbegriffs durch die Rechtsprechung ist sowohl in der strafrechtlichen als auch in der verfassungsrechtlichen Literatur umstritten (vgl. die umfassenden Nachweise in BVerfGE 73, 206 <232 f.>). Das Mutlangen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die erhoffte Klärung wegen der Stimmengleichheit im Senat nicht herbeigeführt. Die Ausführungen zum Gewaltbegriff haben vielmehr ihrerseits Kritik gefunden (vgl. etwa Bertuleit/Herkströter, KJ 1987, S. 331; Calliess, NStZ 1987, S. 209; Kühl, StV 1987, S. 122; Meurer/Bergmann, JR 1988, S. 49; Otto, NStZ 1987, S. 212; Prittwitz, JA 1987, S. 17; Schmitt Glaeser, BayVBl. 1988, S. 454; Starck, JZ 1987, S. 145; Tröndle, Rebmann-FS, 1989, S. 481; Zuck, MDR 1987, S. 636), die je nach Standpunkt die tragende oder die nichttragende Auffassung betrifft.

b) Bei einer erneuten Überprüfung ist das Bundesverfassungsgericht mit fünf zu drei Stimmen zu der Auffassung gelangt, daß die den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegende Auslegung des Gewaltbegriffs mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist.

Der Begriff der Gewalt, der im allgemeinen Sprachgebrauch mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird, muß hier im Zusammenhang des Normgefüges verstanden werden. Der Gesetzgeber wollte in § 240 StGB nicht jede Zwangseinwirkung auf den Willen Dritter unter Strafe stellen. Andernfalls wären auch zahlreiche Verhaltensweisen, die im Sozialleben, etwa im Erziehungswesen, in der Arbeitswelt oder im Verkehrsbereich, teils erforderlich, teils unvermeidlich sind, der Strafdrohung unterfallen. Um das zu vermeiden, hat er sich nicht damit begnügt, das pönalisierte Verhalten als Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu beschreiben, sondern die Strafbarkeit einer derartigen Handlung von der Wahl bestimmter Nötigungsmittel abhängig gemacht, nämlich Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel. Eine Ausweitung der Mittel im Wege der Interpretation, etwa auf List oder Suggestion, scheidet nach einhelliger Auffassung in Judikatur und Literatur aus. Das gilt selbst dann, wenn diese Mittel eine ähnliche Wirkung auf das Nötigungsopfer haben wie die beiden im Gesetz pönalisierten.

Art. 103 Abs. 2 GG setzt aber nicht nur der Tatbestandsergänzung, sondern auch der tatbestandsausweitenden Interpretation Grenzen. Die Auslegung der Begriffe, mit denen der Gesetzgeber die pönalisierten Mittel bezeichnet hat, darf nicht dazu führen, daß die dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird.

Da die Ausübung von Zwang auf den Willen Dritter bereits im Begriff der Nötigung enthalten ist und die Benennung bestimmter Nötigungsmittel in § 240 Abs. 2 StGB die Funktion hat, innerhalb der Gesamtheit denkbarer Nötigungen die strafwürdigen einzugrenzen, kann die Gewalt nicht mit dem Zwang zusammenfallen, sondern muß über diesen hinausgehen. Deswegen verband sich mit dem Mittel der Gewalt im Unterschied zur Drohung von Anfang an die Vorstellung einer körperlichen Kraftentfaltung auf seiten des Täters. Zwangseinwirkungen, die nicht auf dem Einsatz körperlicher Kraft, sondern auf geistig- seelischem Einfluß beruhen, erfüllen unter Umständen die Tatbestandsalternative der Drohung, nicht jedoch die der Gewaltanwendung. An der Körperlichkeit als Gewaltmerkmal hat die Rechtsprechung seitdem zwar festgehalten, auf die Kraftentfaltung jedoch so weitgehend verzichtet, daß nunmehr bereits die körperliche Anwesenheit an einer Stelle, die ein anderer einnehmen oder passieren möchte, zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Gewalt genügt, falls der andere durch die Anwesenheit des Täters psychisch gehemmt wird, seinen Willen durchzusetzen.

Das Tatbestandsmerkmal der Gewalt wird dadurch in einer Weise entgrenzt, daß es die ihm vom Gesetzgeber zugedachte Funktion, unter den notwendigen, unvermeidlichen oder alltäglichen Zwangseinwirkungen auf die Willensfreiheit Dritter die strafwürdigen zu bestimmen, weitgehend verliert. Es bezieht zwangsläufig zahlreiche als sozialadäquat betrachtete Verhaltensweisen in den Tatbestand ein, deren Strafbarkeit erst durch das Korrektiv der Verwerflichkeitsklausel in § 240 Abs. 2 StGB ausgeschlossen wird. Der Bundesgerichtshof hat sich deshalb veranlaßt gesehen, der Ausweitung des Gewaltbegriffs dadurch zu begegnen, daß er auf das "Gewicht" der psychischen Einwirkung abgestellt hat. Damit wird die Eingrenzungsfunktion aber einem Begriff aufgebürdet, der noch weit unschärfer ist als der der Gewalt. An einer befriedigenden Klärung, wann eine psychische Einwirkung gewichtig ist, fehlt es daher auch. Der Verweis auf das Korrektiv der Verwerflichkeit ist deswegen nicht geeignet, die rechtsstaatlichen Bedenken zu zerstreuen, denen die Ausweitung des Gewaltbegriffs durch die Rechtsprechung begegnet.

Die Auslegung des Gewaltbegriffs in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat folglich gerade jene Wirkungen, die zu verhüten Art. 103 Abs. 2 GG bestimmt ist. Es läßt sich nicht mehr mit ausreichender Sicherheit vorhersehen, welches körperliche Verhalten, das andere psychisch an der Durchsetzung ihres Willens hindert, verboten sein soll und welches nicht. In demjenigen Bereich, in dem die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist, wird die Strafbarkeit nicht mehr vor der Tat generell und abstrakt vom Gesetzgeber, sondern nach der Tat im konkreten Fall vom Richter aufgrund seiner Überzeugung von der Strafwürdigkeit eines Tuns bestimmt. Das eröffnet beträchtliche Spielräume bei der Strafverfolgung von Nötigungen. Die unterschiedliche Behandlung von Blockadeaktionen aus Protest gegen die atomare Nachrüstung einerseits und solchen zum Protest gegen Werksstillegungen, Gebührenerhöhungen, Subventionskürzungen oder Verkehrsplanungen andererseits belegt dies. Darauf hat auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Stellungnahme aufmerksam gemacht.

Die Ungewißheit, die dem erweiterten Gewaltbegriff anhaftet, ist auch nicht durch ein im Lauf der Zeit gefestigtes Verständnis seiner Bedeutung entfallen, zumal der Bundesgerichtshof in anderen Bereichen wie dem der Vergewaltigung von einem erheblich engeren Gewaltbegriff ausgeht (vgl. BGH, NJW 1981, S. 2204). Wie die eben erwähnten Beispiele zeigen, ist aber selbst die Strafbarkeit von Blockadeaktionen als Nötigung höchst ungewiß geblieben. Auch die fortbestehenden Divergenzen in Judikatur und Literatur hinsichtlich der strafrechtlichen Würdigung von Sitzdemonstrationen der vorliegenden Art (vgl. Schäfer, LK, a.a.O., Rdnr. 21 bis 27; Otto, NStZ 1992, S. 568) zeigen, daß sich eine gefestigte Rechtsauffassung bisher nicht hat bilden können.

Die erforderliche Bestimmtheit ergibt sich auch nicht daraus, daß aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest das Risiko der Bestrafung erkennbar ist. Abgesehen von der Fragwürdigkeit dieses Arguments, demzufolge das Risiko der Bestrafung um so höher ist, je vager ein Straftatbestand formuliert wird, kann es bei der Bestimmtheitsprüfung jedenfalls nur in bezug auf die Norm, nicht auch in bezug auf ihre Auslegung herangezogen werden. Das Bundesverfassungsgericht wollte mit dem Verweis auf die Erkennbarkeit des Risikos dem Umstand Rechnung tragen, daß der Gesetzgeber auch im Strafrecht vor der Notwendigkeit steht, die Vielgestaltigkeit des Lebens in generellen und abstrakten Normen einzufangen, und nur denjenigen Grad an tatbestandlicher Präzision aufbringen kann, den der Regelungsbereich zuläßt (vgl. BVerfGE 71, 108 <115>). Insoweit hängt die verfassungsrechtlich verlangbare Bestimmtheit von der Möglichkeit der gesetzlichen Beschreibung des als strafwürdig angesehenen Verhaltens ab. Der Grundsatz kann aber nicht Auslegungen einer unvermeidlich vagen Strafnorm rechtfertigen, welche die Unbestimmtheit abermals erhöhen und sich damit noch weiter vom Ziel des Art. 103 Abs. 2 GG entfernen.

Schließlich läßt sich die Ausweitung des Gewaltbegriffs auch nicht damit rechtfertigen, daß andernfalls unerwünschte Strafbarkeitslücken aufträten. Selbst wenn es zutreffen sollte, daß das mit der weiten Auslegung der Norm erfaßte Verhalten ähnlich strafwürdig ist wie das ihr unzweifelhaft unterfallende, bleibt es Sache des Gesetzgebers, die Strafbarkeitslücke zu schließen (vgl. BVerfGE 71, 108 <116> m.w.N.).

Die nunmehr notwendige Eingrenzung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB obliegt zuvörderst den Strafgerichten, nicht dem Bundesverfassungsgericht. Die Rechtswidrigkeit von Sitzdemonstrationen nach anderen Vorschriften bleibt von dieser Entscheidung unberührt.

II.

Mit dieser Entscheidung wird der angegriffene Beschluß des Bundesgerichtshofs, der sich nur zur Verwerflichkeit von Sitzdemonstrationen gemäß § 240 Abs. 2 StGB zu äußern hatte und ihre Tatbestandsmäßigkeit im Sinn von Absatz 1 dieser Vorschrift voraussetzte, gegenstandslos. Da mit der Aufhebung des ersten Revisionsurteils des Oberlandesgerichts das freisprechende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt ist, bedarf auch die erstinstanzliche Verurteilung durch das Amtsgericht keiner verfassungsgerichtlichen Überprüfung mehr.

III.

Ob die angegriffenen Entscheidungen weitere verfassungsmäßige Rechte der Beschwerdeführer, namentlich den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, verletzen, kann danach offen bleiben.

Abweichende Meinung

Es verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, daß die Strafgerichte im Ausgangsverfahren in der Sitzblockade eine mittels Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB begangene Nötigung gesehen haben.

1.

Der Senat geht in der vorliegenden Entscheidung im Einklang mit seiner früheren Rechtsprechung (BVerfGE 73, 206 <233 f.>) davon aus, daß das Tatbestandsmerkmal der Gewalt in § 240 Abs. 1 StGB dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG genügt (Abschnitt B I 2 der Gründe). Die Auslegung der Norm, um die es hier allein geht, wird durch Art. 103 Abs. 2 GG nach den hierzu vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen dahin eingeschränkt, daß sie den möglichen Wortsinn der Norm - beurteilt aus der Sicht des Normadressaten - nicht überschreiten darf (vgl. BVerfGE 73, 206 <235 f.>; 85, 69 <73>; ebenso Abschnitt B I 1 der Gründe der vorliegenden Entscheidung). Auch innerhalb des möglichen Wortsinns darf die Auslegung nicht weiter gehen, als es Zweck und Sinnzusammenhang der Norm zulassen (vgl. BVerfGE 57, 250 <262>).

Nach diesem Maßstab ist - entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit - die Auslegung des Gewaltbegriffs durch die Strafgerichte im Ausgangsverfahren nicht zu beanstanden.

a) Nach dem Zweck des § 240 StGB, der die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung schützen will (vgl. BVerfGE 73, 206 <237> m.w.N.), kann allerdings das Tatbestandsmerkmal der Gewalt grundsätzlich nur im Sinne einer physischen Einwirkung (vgl. zu dieser Komponente des Gewaltbegriffs etwa: Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl., Stichwort Gewalt) verstanden werden, während übertragene Bedeutungen, die der Gewaltbegriff nach allgemeinem Sprachgebrauch ebenfalls umfaßt (vgl. BVerfGE 73, 206 <242 f.> m.w.N.), ausscheiden. Der Normzweck fordert aber keine weitere Eingrenzung innerhalb dieses engeren Gewaltbegriffs. Auch der mögliche Wortsinn des Tatbestandsmerkmals ist nicht überschritten, wenn unter Gewalt eine physische Einwirkung jedweder Art, durch die das Opfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt wird, verstanden wird.

Wenn die Nötigung auf eine Unterlassung gerichtet ist, kann die physische Einwirkung nach dem möglichen Wortsinn des Gewaltbegriffs auch in der Errichtung eines körperlichen Hindernisses bestehen, das der beabsichtigten Handlung - hier der Fortsetzung der Fahrt - entgegensteht. Auf das Ausmaß der aufgewendeten Kraft kommt es dabei nicht an. Ebenso ist es nach allgemeinem Sprachverständnis nicht entscheidend, ob eine unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Opfers, etwa in Form einer Berührung, vorliegt. Daß ein aggressives Verhalten nicht erforderlich ist, ergibt sich im übrigen auch aus dem Normzusammenhang, weil der Gesetzgeber im Strafgesetzbuch zwischen Gewalt und Gewalttätigkeit ausdrücklich unterscheidet (vgl. § 113 Abs. 2 Nr. 2, §§ 124, 125 Abs. 1 StGB).

Schließlich kommt es für das Vorliegen von Gewalt nicht darauf an, ob dem Opfer eine Chance bleibt, sich gegen den Zwang erfolgreich zu wehren. Es ist kein Kriterium des Begriffs der Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB, daß diese unwiderstehlich sein muß (vgl. schon RGSt 13, 49 <51>). Ob Fälle auszuscheiden sind, in denen die physische Einwirkung so gering ist, daß sie vom Opfer überhaupt nicht als ernstzunehmendes Hindernis für seine Willensentschließung und -betätigung empfunden wird, kann hier dahingestellt bleiben.

b) Durch eine Sitzblockade auf der Fahrbahn wird der Weiterfahrt herannahender Fahrzeuge ein körperliches Hindernis entgegengestellt. Das Blockieren des Wegs mit dem Ziel, die Fahrzeuginsassen von der Weiterfahrt abzuhalten, ist danach eine Form der körperlichen, nicht der lediglich psychischen Einwirkung auf die Willensentschließung und -betätigung der Fahrzeuginsassen. Davon geht auch der Bundesgerichtshof in der sogenannten Laepple-Entscheidung (BGHSt 23, 46 <54>) aus, auf die sich die Strafgerichte im Ausgangsverfahren bei der Bejahung des Gewaltbegriffs ausdrücklich bezogen haben. Die Einwirkung steht und fällt mit der errichteten Blockade.

Die - auch - psychische Einwirkung folgt erst daraus, daß der genötigte Fahrzeuginsasse in Fällen, in denen er das körperliche Hindernis durch Überfahren der Blockierer überwinden könnte, davon absieht, weil er diese sonst verletzen oder gar töten würde. Dieser psychisch determinierte Prozeß ist zwar entscheidend für den Erfolg der Blockade. Er ändert aber nichts daran, daß durch die Blockade selbst ein körperliches Hindernis bereitet wird. Der mögliche Wortsinn des Gewaltbegriffs wird unter diesen Umständen auch nicht dadurch überschritten, daß bei der Beurteilung der Auswirkung des Zwangsmittels entscheidend auf den durch das Zwangsmittel ausgelösten psychischen Prozeß abgestellt wird. Nach überkommenem Verständnis ist der Gewaltbegriff ganz allgemein nicht auf Einwirkungen beschränkt, die die Willensbetätigung unmöglich machen (vis absoluta), sondern umfaßt auch körperliche Einwirkungen, die einen psychischen Prozeß in Lauf setzen (vis compulsiva; vgl. dazu RGSt 64, 113 <116>).

c) Mit diesem Verständnis des Gewaltbegriffs wird nicht außer acht gelassen, daß in § 240 Abs. 1 StGB nicht jegliche Zwangseinwirkung mit Strafe bedroht ist, sondern nur eine solche mittels Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel. Auch die Grenzen zwischen Gewalt und Drohung werden nicht verwischt. Die Fälle, in denen der Willensbetätigung ein körperliches Hindernis entgegengestellt wird, erlauben nicht nur eine abgrenzbare Zuordnung zum Gewaltbegriff, sondern unterscheiden sich auch klar von den Fällen der Drohung, in denen die Willensentschließung oder -betätigung nicht gegenwärtig körperlich behindert wird, sondern ausschließlich psychisch durch Inaussichtstellen eines Übels (vgl. BVerfGE 73, 206 <237>).

Diese Auslegung des Gewaltbegriffs führt schließlich nicht dazu, daß sozialadäquates Verhalten bestraft wird. Dies wird vielmehr hinreichend dadurch ausgeschlossen, daß die Bestrafung nach dem Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB von der Absicht des Täters abhängt und der Tatbestand im übrigen in der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB ein Korrektiv findet, das verhindert, auch solche Verhaltensweisen zu pönalisieren, für die die angedrohte Sanktion nach Art und Maß unverhältnismäßig wäre (vgl. BVerfGE 73, 206 <253, 254 f.>).

2.

Es bedarf keiner Prüfung, ob eine Bestrafung aufgrund einer Auslegung, die mit dem möglichen Wortsinn der Strafnorm und den sonstigen Auslegungskriterien in Einklang steht, dann gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen kann, wenn die Auslegung so fern liegt, daß der Täter mit ihr und damit auch mit seiner Bestrafung nicht zu rechnen brauchte; denn im Ausgangsfall war jedenfalls aufgrund der gefestigten Rechtsprechung zu § 240 StGB erkennbar, daß Sitzblockaden der vorliegenden Art nach dieser Vorschrift bestraft werden konnten.

a) Für die Beurteilung der Bestimmtheit einer Strafnorm ist anerkannt, daß auch die Verwendung von Begriffen, die eine sehr weite Auslegung zulassen und aus diesem Grunde nach Art. 103 Abs. 2 GG Bedenken begegnen könnten, dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernis genügen, wenn sie durch eine gefestigte Rechtsprechung eine Auslegung erfahren haben, die dem Normadressaten hinreichend verdeutlicht, was die Bestimmung strafrechtlich verbietet (vgl. BVerfGE 26, 41 <43>; 45, 363 <372>; 57, 250 <262>; 73, 206 <243> m.w.N.). Gleiches muß gelten, wenn man die Frage, mit welcher Auslegung der Norm in Grenzbereichen zu rechnen ist, nicht im Rahmen der Bestimmtheit der Norm, sondern unter dem Gesichtspunkt der Voraussehbarkeit der Auslegung prüft.

b) Daß Sitzblockaden der vorliegenden Art (und allgemein das Hindern der Weiterfahrt eines Fahrzeugs durch körperliches Dazwischentreten oder -setzen) das Tatbestandsmerkmal der Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB erfüllen und zur Strafbarkeit nach dieser Vorschrift führen konnten, entsprach im Zeitpunkt der Tat einer gefestigten Rechtsprechung, die sich in einer über hundertjährigen Entwicklung herausgebildet hatte. Das Reichsgericht sah bereits im Jahre 1885 das Einsperren von Personen in einem Zimmer, um sie an der Fortschaffung von Ware zu hindern, als Gewalt im Sinne von § 240 StGB an (RGSt 13, 49 <51>). In einer Entscheidung aus dem Jahre 1911 sah es nicht nur nötigende Gewalt, sondern sogar Gewalttätigkeit in einem Fall für gegeben an, in dem eine Menschenmenge einem Leichenzug den Weg versperrte, um die Beerdigung eines Selbstmörders in geweihter Erde zu verhindern (RGSt 45, 153 <156 f.>). In der Folgezeit entschied es, daß Gewaltanwendung vorliege, wenn der Täter durch Entgegentreten einem Fuhrwerk den Weg versperrt und den Fuhrwerkslenker dadurch zum Anhalten zwingt (RG, DJZ 1923, S. 371). Ebenso sah es Gewaltanwendung in einem Fall als gegeben an, in dem der Täter einer Radfahrerin den Weg mit seinem eigenen Fahrrad versperrte, um sie zum Absteigen zu zwingen (RG, HRR 1942, Nr. 193).

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof (BGHSt 18, 389 <390>: Verhinderung des Überholtwerdens durch Linksausscheren; BGHSt 23, 47 <54>: Blockieren des Straßenbahnverkehrs durch auf dem Gleiskörper stehende oder sitzende Studenten) und von den Revisionsgerichten der Länder (vgl. etwa BayObLGSt 1953, 145 <147>: Nötigung eines Kraftfahrers zum Anhalten mittels Versperren des Wegs durch Dazwischentreten; BayObLGSt 1963, 17 <20>: Verhinderung der Einfahrt in eine Parklücke durch eine dort stehende Frau, die die Lücke für ihren Ehemann freihalten wollte; BayObLGSt 1970, 71 <72>: Aufstellen des Täters vor einem Pkw, um den Fahrer an der Weiterfahrt zu hindern; OLG Karlsruhe, NJW 1974, S. 2144 <2147>: Blockieren des Straßenbahnverkehrs) fortgesetzt.

c) Nach dieser Rechtsprechung, die auch in der Kommentarliteratur unbeschadet gewisser Bedenken zustimmend referiert worden ist (vgl. BVerfGE 73, 206 <242> m.w.N.), stand außer Zweifel, daß für die Beschwerdeführer im Tatzeitpunkt vorhersehbar war, daß ihr Verhalten als Nötigung mittels Gewalt im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB angesehen werden würde. Daß sich in der Literatur kritische Stimmen fanden, die eine engere Eingrenzung des Gewaltbegriffs befürworteten, ändert daran nichts. Ebensowenig wurde die Vorhersehbarkeit der Anwendung von § 240 Abs. 1 StGB auf Fälle der vorliegenden Art durch das in Abschnitt B I 3 b der Gründe erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. Juli 1981 (NJW 1981, S. 2204) beeinträchtigt. Die abweichende Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Gewalt in dieser Entscheidung bezog sich ausdrücklich nur auf den Tatbestand des § 177 StGB, in dem die Gewalt zu den dort genannten besonderen Nötigungszielen in Beziehung stehen muß, so daß nach Auffassung des Bundesgerichtshofs eine darauf ausgerichtete besondere Zwangssituation vorliegen muß. Die Rechtsprechung zum Gewaltbegriff in § 240 Abs. 1 StGB wurde in der Entscheidung dagegen nicht in Frage gestellt (BGH, a.a.O., S. 2205). Auch in der Stellungnahme des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Verfassungsbeschwerdeverfahren, auf die sich die Senatsmehrheit beruft, ist dies nicht geschehen. Im übrigen haben auch die Revisionsgerichte der Länder die dargelegte Rechtsprechung zum Gewaltbegriff bis zur Gegenwart uneingeschränkt fortgeführt (vgl. etwa BayObLG, NJW 1988, S. 718; OLG Düsseldorf, StV 1987, S. 393 <394>; KG, NJW 1985, S. 209 <211>; OLG Köln, NJW 1986, S. 333 <335>; OLG Koblenz, NJW 1988, S. 720; OLG Schleswig, referiert bei Lorenzen, SHA, 1987, S. 101 <102>; OLG Stuttgart, NJW 1984, S. 1909 <1910>; NJW 1989, S. 1620 <1621>).

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