Das preußische Familiengespenst

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Das preußische Familiengespenst
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 429–430
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Drei Frauenbilder in Bayreuth.
2. Das preußische Familiengespenst.

Die weiße Frau.

Im neuen Schlosse in Bayreuth hängt ihr Portrait, ein zweites in der Eremitage. Das neue Schloß ist eine Schöpfung des Markgrafen Friedrich und seiner Gemahlin, der berühmten Markgräfin, aber sie erlebten Beide die Vollendung desselben nicht. Mit ihnen ging die Glanzperiode Bayreuths zu Grabe und schon 1769 starb die Linie aus, und Bayreuth hörte auf eine Residenzstadt zu sein.

Die Schlösser solcher ehemaliger Residenzen, in welchen regierende Fürstengeschlechter ausgestorben sind, haben stets etwas Unheimliches, und in allen solchen Städten trägt sich das Volk mit Spukgeschichten, die sich in solchen Schlössern ereignet haben sollen. Es gibt da stereotype Gespenster, die ein sehr zähes Leben haben, und die „weiße Frau“ ist ein sehr bequemes, das fast in allen deutschen Fürstenschlössern, ja sogar in außerdeutschen eingebürgert ist.

Soll sie doch sogar in dem nahen Orte Himmelkron, ehemaligem Kloster, dann Lustschloß und Erbbegräbniß des bayreuther Markgrafengeschlechts, begraben liegen. Hinsichtlich der Volkssagen, die seit vier oder fünf Jahrhunderten über sie im Schwange sind, können wir uns kurz fassen.

Die allgemeine Sage ist, daß das Gespenst „die weiße Frau“ sich vor Todesfällen in den betreffenden Fürstenfamilien an den Höfen und in den Residenzschlössern dieser Familien zu zeigen pflege und von dem langen weißen Gewande und dem weißen Schleier, in welche sie gehüllt sei, den Namen erhalten habe. Man behauptet aber auch sie sei erschienen, ohne daß bald nachher ein fürstliches Haupt zu Grabe gegangen, und viele fürstliche Personen in den Fürstenhäusern, in welchen sich das Gespenst vorzugsweise heimisch gemacht, seien Todes verblichen, ohne daß die Weiße Frau vorher von einem menschlichen Auge erblickt worden sei.

Die Orte ihrer prophetischen Wirksamkeit sind zumeist die Höfe des hohenzollernschen Fürstengeschlechts, und in Berlin ist sie sogar in neuerer Zeit wieder Mode geworden, und da die meisten deutschen Höfe mit dem brandenburger Hause verwandt sind, so hat sie sich allmälig bei denselben auch eingefunden; außerdem besucht sie die Königsschlösser in London, Kopenhagen und Stockholm und erlaubt sich überall unziemliche Vertraulichkeiten. In den drei letzten Städten mögen ihr Lokalsagen zu Hülfe kommen, und sie mag Gegenstand mancher Verwechselungen und falscher Deutungen sein. Ein Geschichtsforscher, der ihr Schritt vor Schritt nachgehen wollte, würde interessante Studien über die [430] Metamorphosis der Volkssage machen. Wir halten uns an unsre Landsmännin, die gute deutsche weiße Frau, die sich auch bei andern und sogar bei freudigen Gelegenheiten, wie Hochzeiten, Geburten und Glücksfällen zu zeigen pflegt, und diese Theilnahme ist, wie wir sehen werden, ihrer eigentlichen Natur die angemessenste. Die Sage gibt ihr mehrfache verschiedene Abstammung und Schicksale, doch treten zwei Versionen vor den übrigen hervor.

Nach der erstern ist sie eine Thüringerin oder Osterländerin, die Wittwe des Grafen Otto IV. von Orlamünde, der auf der Pfaffenburg bei Culmbach wohnte, von welchem ihr zwei Kinder lebten. Sie faßte eine so heftige Leidenschaft für den Burggrafen von Nürnberg, Albrecht den Schönen von Hohenzollern, daß sie sich ihm zur Gemahlin anbot. Der Graf wich mit der Erklärung aus: „vier Augen verhinderten ihn auf ihren Wunsch einzugehen,“ damit auf seine noch lebenden Eltern deutend. Sie bezog das dunkle Wort aber auf ihre Kinder und ermordete sie heimlich, indem sie den unschuldigen Kindlein die Hirnschale auf dem Wirbel mit einer Haarnadel durchstach. Die That kam an den Tag und die Mörderin in lebenslängliches Gefängniß, wo sie von Reue und Leidenschaft gefoltert, dem Geschlecht des Burggrafen ewige Rache schwur. Nach ihrem Tode trat sie denn als bösartiges Familiengespenst der Hohenzollern auf. Nach dieser Sage fiele sie in’s 14. Jahrhundert; ihr Name ist schwankend Kunigunde, Agnes, Beatrix, Bertha. Von Bedeutung ist der letzte Name und auch der vorletzte noch bezeichnend; doch verwischen sie sich, weil das dämonische Element vorherrschend ist. – Anders ist’s nach der zweiten Version. Da heißt sie ganz bestimmt Perchta (Bertha) und ist ein guter Geist, welcher die Rolle eines freundlichen schützenden Genius in den Fürstenhäusern spielt, deren Verwandtschaft sie beansprucht. Hier ist sie eine Tochter des 15. Jahrhunderts und dem berühmten Grafengeschlecht der Rosenberg entsprossen. Ihr Vater soll Ulrich von Rosenberg, Burggraf von Böhmen und kaiserlicher Feldherr gegen die Hussiten gewesen sein. Sie war mit dem steierschen Freiherrn Hans von Lichtenstein vermählt, der sie sehr vernachlässigte und verließ, worauf sie trauernd zu ihrem Bruder Heinrich von Rosenberg zurückkehrte und eine gute Kindererzieherin in ihr verwandten Familien wurde. So erzog sie auch die verwaisten Kinder des Meinhard von Neuhaus, erbaute als Vormünderin derselben das Schloß Neuhaus und lebte bei ihnen bis zum Tode. Weshalb sie nachher als Gespenst auftritt, ist aus dieser Sage nicht zu ersehen, aber das ist zu ihrer Erklärung gerade charakteristisch. Denn höchst bedeutungsvoll fügt die Sage hinzu: jener Schloßbau habe viele Jahre gedauert und sei äußerst mühsam gewesen, so daß Frau Perchta den arbeitenden Unterthanen oft freundlich zugesprochen und ihnen nach vollendetem Bau eine kostbare Mahlzeit ausgerichtet, auch eine Stiftung gemacht, aus welcher dieses Festessen, „der süße Brei“ genannt, alljährlich den Unterthanen verabreicht wurde.

Die Inhaber des Schlosses mußten das Gebot des Vermächtnisses treulich erfüllen, wenn sie nicht bösen Besuch von der weißen Frau haben wollten. Der böhmische Jesuit Balbinus versichert, daß er selbst einige Male als Zuschauer auf dem Schlosse Neuhaus gewesen als die Speisung aus der Stiftung der weißen Frau stattfand, an welcher sieben- bis zehntausend Arme Theil genommen. Unterblieb die Mahlzeit einmal aus Geiz oder Fahrlässigkeit des Schloßbesitzers, so ließ das sonst gutmüthige Gespenst seine Wuth aus.

So geschah es vorzüglich im dreißigjährigen Kriege, wo die Schweden das Schloß Neuhaus eingenommen hatten. Da gab’s schlimme Auftritte. Die Offiziere wurden des Nachts aus den Betten geworfen und am Boden geschleift, die Wachen von unsichtbaren Händen geprügelt und zu Boden geworfen; ein schrecklicher Lärm tobte durch die Gemächer, so daß Alles entsetzt floh. Auf Anrathen eines verständigen einheimischen Mannes ließ endlich der schwedische Kommandant das unterlassene Liebesmahl herrichten, und mit dem Hunger der Armen war auch der Zorn der weißen Frau beschwichtigt.

Unwichtig dagegen für unsern Zweck sind die vielfachen aufgezeichneten Erscheinungen auf einer Anzahl Schlösser in Böhmen und der übrigen Welt. Der genannte Jesuit hat darüber Buch geführt. Das Gespenst wurde bei Nacht und bei Tage gesehen. Wie viel Betrug, Selbsttäuschung und Lüge da mitgespielt hat, läßt sich denken. Bemerkenswerth ist aber wiederum, daß sie oft mit einem Schlüsselbunde gesehen wurde, und Zimmer auf- und zuschloß. Die Brücke, auf der sie in das brandenburger Fürstenhaus geschlüpft ist, ist schwach und schwankend.

Im Jahre 1561 vermählte sich Wilhelm von Rosenberg, Oberburggraf von Böhmen, mit einer Tochter des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg, eines damals berühmten fürstlichen Theosophen und Adepten. Mit der Morgengabe des böhmischen Großen kam die weiße Frau in das berliner Schloß. Und nun trat sie auch in dem dem Kurfürstenhause so nah verwandten Markgrafenhause in Bayreuth auf, und hier hat sie sich vorzüglich festgesetzt. Die Sage berichtet, sie habe eigentlich nur männliche Todesfälle voraus verkündet, doch werden auch mehrere Fürstinnen genannt, deren Absterben sie angezeigt haben soll.

Genug von ihren zahlreichen Erscheinungen; es sind meist gemachte Geschichten, Erfindungen des modernen Aberglaubens, der nach dem dreißigjährigen Kriege über hundert Jahre wie ein schwerer Alp auf Deutschland lastete.

Es kann auch nicht in der Absicht dieses Artikels liegen, den Lesern der Gartenlaube alle die grausigen Fabeln und Sagen zu erzählen, welche über diese Dame existiren, nur so viel glauben wir noch hinzufügen zu müssen, daß es allerdings Thatsache ist, daß die Ersterwähnte, die Gräfin von Orlamünde, auf der Pfaffenburg lebte, noch jung war, als ihr Gatte starb und Culmbach damals von dem Burggrafen von Hohenzollern von Nürnberg aus häufig besucht ward. Thatsache ist es ferner, daß man unter dem orlamündischen Grabstein in der Klosterkirche des nahegelegenen Himmelskron zwei kleine Gerippe fand, von denen man nicht ohne Grund vermuthete, daß sie die Ueberreste der ermordeten Kinder seien. Wie weit sie ihre Rachsucht auf das hohenzollersche Geschlecht ausdehnte, darüber existiren eine Unmasse Geschichten, ja sogar einige Bücher. Da soll sie kurz vor Ableben des Kurfürsten Johann Georg im Jahr 1598, später vor dem Tode des Johann Sigismund, 1678 beim jungen Markgrafen Erdmann Philipp und bei vielen andern Prinzen und Prinzessinnen erschienen sein. Die damaligen Hofprediger Bergius und Rentzsch erzählen darüber ein Langes und Breites mit dem größten Ernste. Ja sogar neuerer Zeit, kurz vor dem Attentate auf den König Friedrich Wilhelm IV. 1850, soll sie sich auf dem Schlosse in Berlin mehrmals gezeigt haben, und mehrere Zeitungen waren taktlos und albern genug, Details über diesen gespenstigen Spektakel mitzutheilen, wie die Wachen davon gelaufen, wie die weiße Frau gewinkt, geächzt, drei Mal Wehe geschrieen etc. etc., und was des dummen Zeuges mehr war.

Die nüchternen Männer der Wissenschaft haben nachgeforscht, wie diese Sage, die so allgemein verbreitet ist, entstehen konnte, und Einige wollen ihren ersten Ursprung in der heidnischen Zeit suchen. Sie sahen in der weißen Frau eine Vereinigung der vorchristlichen Damen, Frau Holle, die Schwarze, und Frau Perchta, die Weiße, weil das Familiengespenst stets schwarz und weiß gekleidet erschien, und einerseits das beschützende, gütig waltende und fördernde, andererseits das warnende und strafende Element im Hause und in der Familie vertritt. Somit verwandelt sich das grausige Gespenst unter der Lupe der Wissenschaft in eine hochherrliche Gestalt als segenspendende, mütterliche, Haus und Hof schützende Gottheit, als Pflegerin alles Guten und Schönen, als warnender, strafender Hausgeist und für die letzten Tage als sanfte Löserin des Lebensbandes. Unsere schönen Leserinnen wollen sich also nicht mehr vor dem bleichen, starren Gesicht des „preußischen Familiengespenstes“ fürchten!




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