Textdaten
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Autor: Richard Oberländer
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Titel: Die Patagonier
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 423–427
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Patagonier.
Von Richard Oberländer.

Die Völkerkunde ist eine junge Wissenschaft. Als man noch weniger reiste und die Hülfswissenschaften der Völkerkunde noch in den Windeln lagen, da war oft das, was man sich von den Menschen erzählte, die „über dem Berge“ wohnten, ganz wundersamer Art. Mit den Fortschritten der Wissenschaft schwanden selbstverständlich die Wunderberichte und der Glaube an dieselben, und wenngleich es heute noch bisweilen vorkommt, daß Reisende es mit ihren Berichten nur wenig genau nehmen und allzu kräftige Farben auftragen, um sich interessant zu machen, so verfallen sie doch nur zu bald der scharfen Section der Kritik, welche unnachsichtlich das Messer ansetzt und Ungesundes auszuschneiden versteht.

Namentlich in dem letzten halben Jahrhunderte, das so viele Entdeckungen aufzuweisen und schon so viele Räthsel gelöst hat, wurde das Studium der Menschenracen mit einer großen Menge von Thatsachen bereichert. Afrika, das unwirthbare, ist in unseren Tagen nicht mehr undurchdringlich, Australiens Festland gleichfalls von einem Ende bis zum andern durchzogen worden; an allen Küsten der verschiedenen Oceane landen europäische Fahrzeuge; Kaufleute, Missionäre und Männer der Wissenschaft dringen bis tief in’s Innere der Continente. Fast alle Völker des Erdballes sind beobachtet, beschrieben und bildlich dargestellt worden; man studirt ihre Sitten, ihre Sprache und ihre Religion, ihre Gewerbsamkeit und ihre Ueberlieferungen; unsere Museen sind reich an Waffen und Geräthen von allerlei Völkern; wir besitzen Schädel und Gerippe aus allen Weltgegenden, Trachten und [424] Werkzeuge der verschiedensten Racen und haben vollauf Mittel zum Studium.

Es soll uns aber noch viel bequemer gemacht werden. Der Gelehrte hat heute gar nicht mehr nöthig große Reisen zu unternehmen, um die Racen und Völker zu beobachten und zu studiren – die Speculation hat voll Verständniß die Aufgabe der neuen Wissenschaft erfaßt und bringt jetzt Angehörige der entferntest wohnenden Nationen und Erzeugnisse ihrer Gewerbthätigkeit nach Deutschland – nicht nur, damit die Laien sie voll Bewunderung anstaunen und sich an ihren Eigenthümlichkeiten ergötzen, sondern auch als Mittel zum Studium für den Fachgelehrten.

Das Verdienst, durch Herbeischaffung derartiger Hülfsmittel dem Ethnologen von unbestreitbarem Nutzen zu sein, darf in erster Reihe Karl Hagenbeck, der bekannte und geachtete Thierhändler in Hamburg, dessen die „Gartenlaube“ schon öfter Erwähnung gethan, für sich in Anspruch nehmen. Karl Hagenbeck hat weder Mühe noch Kosten gescheut, diese seine Aufgabe zu erfüllen, er hat aber auch außerdem in uneigennütziger Weise die Museen für Völkerkunde in Leipzig, Hamburg, Berlin etc. mit werthvollen, interessanten Schenkungen reichlich bedacht und auch auf diese Weise die Forschungen der Völkerkunde unterstützt.

Seit dem Jahre 1875 hat Karl Hagenbeck in Berlin, Dresden und anderen Städten Lappländer, Eskimos, Araber, Nubier, Neger, Ostindier etc. vorgeführt, ausgerüstet mit deren eigenthümlichen Waffen, Werkzeugen und Geräthen und begleitet von deren Hausthieren. Gegenwärtig macht derselbe bekanntlich die Runde durch Deutschland mit Eingeborenen von der Südspitze von Amerika, welche er in Puntas Arenas, dem einzigen civilisirten Orte an der Magellanstraße, durch seine Vertreter einschiffen ließ.

Es sind also wahrscheinlich echte Patagonier, die wir auf diese Weise zu sehen bekommen. Die Hauptperson ist der stattliche, breitschulterige Pikjotke; in seiner Begleitung befindet sich Baasinka, ein großes, starkes Weib von dreißig Jahren. Pikjotke’s Frau war weder von ihrem Manne, noch von dem Agenten des Herrn Hagenbeck zu bewegen, die Reise nach Europa anzutreten, eine Familie mußte aber die Rundreise unternehmen, und so sah sich denn Pikjotke genöthigt, in Ermangelung der wirklichen Ehehälfte, Baasinka mit ihrem siebenjährigen Sohne Louis zur Reisegefährtin mitzunehmen, um so mehr, als dieselbe vom Gatten und Vater verlassen worden war und mit Freuden die dargebotene Gelegenheit ergriff, Europa einen Besuch abzustatten.

Der Lauf des Rio Grande bildet die Südgrenze der Argentinischen Republik. Das südlich von diesem Strome bis zur Magellanstraße liegende, noch wenig durchforschte Land nennt man Patagonien. Es ist dies ein noch unabhängiges, 965,000 Quadratkilometer großes Pampas-Gebiet, auf das Argentinien und Chile Besitzansprüche erheben.

Nichts kann trauriger sein, als der Anblick dieser unendlich scheinenden wüsten Pampas. Langsam wälzen periodisch anschwellende Ströme, die stets in östlicher Richtung anlaufen, von den Cordilleren her ihre trüben Fluthen dem Weltmeer zu; die Vegetation erscheint kümmerlich, und nicht viel reicher ist dort das Thierleben entfaltet. Am Tage hört man das Schreien der Raubvögel, die sich um die Leichen eines Guanaco oder Gamarehs zanken; am fernen Horizont sieht man den südamerikanischen Strauß hineilen, während in der Nacht, unterbrochen vom Heulen des Windes, das Brüllen des Puma und Jaguar die Musik der Pampas bilden.

Ueber die Menschen, welche in diesem rauhen Gebiete umherschweifen, herrscht in ethnographischer Hinsicht noch einige Unklarheit. Die Hauptursache der Verwirrung liegt in dem Umstande, daß die dortigen Völkernamen nur von den Himmelsgegenden hergenommen und daher ganz relativ sind. Man unterscheidet Pueltschen, die Oestlichen, Hueltschen, die Westlichen, Tehueltschen, die Südlichen etc.. Den Süden des Festlandes (Patagonien) bewohnen die Tehueltschen, oder, wie sie sich selbst nennen, die Tsonekas. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß die Bezeichnung Patagonier eine den Tehueltschen selbst völlig unbekannte ist. Den Begleitern Magellan’s, welcher im Jahre 1520 die Einfahrt in die nach ihm benannte Straße entdeckte, fielen die großen Fußspuren auf, welche die Eingeborenen im Sande zurückließen, weshalb sie die Tehueltschen bezeichnend Patagones, das heißt: Leute mit großen Füßen, nannten.

Patagonien gehört zu den wenigst erforschten Länderstrichen Südamerikas. Städte und Dörfer giebt es an der rauhen Südspitze Amerikas nicht aufzusuchen; die wenigen dürftigen Colonien, die man an den Ufern der Straße angelegt hat, dienten mehr dem Nutzen der vorüberfahrenden Schiffer und sind nach längerem Kränkeln wieder eingezogen worden. Europäische Fahrzeuge besuchen zuweilen die Küste von Patagonien, um auf Thranthiere Jagd zu machen.

Die ersten zuverlässigen Mittheilungen über die Bewohner Patagoniens verdanken wir den Berichten Thomas Falkner’s, eines Jesuiten-Missionärs, welcher vierzig Jahre in dem Lande wohnte. In den Jahren 1856 bis 1861 schmachtete ein Franzose, A. Guinnard, in der Gefangenschaft der Eingeborenen; auch von ihm rühren eingehendere Berichte her, die ich meinen Aufzeichnungen zu Grunde legen konnte. Endlich bereiste Patagonien vor etwa neun Jahren ein britischer See-Officier, George Chaworth Musters, in Gesellschaft einer Horde Tehueltschen von der Südspitze, wo die chilenische Colonie Puntas Arenas liegt, der Länge nach bis zum Rio Negro. Sein in deutscher Uebersetzung bei Herm. Costenoble in Jena erschienenes Werk „Unter den Patagoniern“ hat mir neben zahlreichen anderen Quellen ebenfalls zur Benutzung vorgelegen.

Die Patagonier sind eine große und äußerst derbe Menschenrace. Ihr Körper ist massig, Hände und Füße sind verhältnißmäßig klein und ihre Gliedmaßen weder so muskulös, noch so starkknochig, wie man nach der Größe und der äußern Masse anzunehmen geneigt sein könnte. Die Hautfarbe der Patagonier ist ein gesättigtes Rothbraun und variirt zwischen der Farbe rostigen Eisens und reinen Kupfers.

Der Kopf ist im Ganzen ziemlich breit, aber nicht hoch, die Stirn, wenige Fälle ausgenommen, schmal und niedrig. Das Haar, schwarz, grob und sehr schmutzig, hängt lose um den Kopf der Männer; das der Weiber ist dürftiger und wird in zwei mitunter durch eingeflochtenes Pferdehaar verlängerten Zöpfen getragen. Von Natur mit wenig Haar versehen, tilgen sie übrigens alles bis auf das Kopfhaar. Die Augenbrauenbogen ragen vor; die Augen sind ziemlich klein, schwarz und immer ruhelos. Der Mangel an Augenbrauen vermehrt die Eigenthümlichkeit des Ausdrucks dieser Augen, und eine Mischung von Einfalt und Verschlagenheit, Trotz und Furchtsamkeit, mit jenem eigenen wilden Blick, den man nie bei civilisirten Menschen findet, spricht sich bei den Patagoniern sehr deutlich aus. Die unmittelbare Wirkung davon ist, daß man an die Nothwendigkeit erinnert wird, stets auf der Hut zu sein, so lange man in ihrem Bereiche ist.

Die rundlichen Gesichter macht besonders das Vorstehen der Backenknochen ungewöhnlich breit. Die Nase ist wenig niedergedrückt, schmal zwischen den Augen, aber breit und fleischig um die ziemlich großen Nasenlöcher, der Mund breit, roh geformt und dicklippig. Die Zähne sind meist sehr gut, obwohl ziemlich groß, die Schneidezähne in eigenthümlicher Weise abgeplattet, sodaß die innere Substanz an denselben sichtbar wird. Das breite Kinn ragt hervor.

Die Größe der Tehueltschen ist keineswegs so auffallend, wie man sie geschildert hat. Musters giebt als Durchschnittsgröße für die Männer 1 Meter 72 Centimeter an, doch erreichen Einige 1 Meter 93 Centimeter. Die Weiber sind etwas kleiner.

Den Hauptbestandtheil der Männerkleidung bildet ein weiter Mantel aus Guanacofellen, der bis zu den Füßen herabfällt; gewöhnlich hält ein Gürtel dieses Oberkleid um die Hüften zusammen, sodaß der Träger es nach Belieben vom Oberkörper zurückwerfen und die Arme frei benutzen kann. In angeborenem Anstandsgefühl tragen sie ferner unter dem Fellmantel noch ein Unterkleid. Aus der Haut der Kniekehle des Pferdes und gelegentlich auch aus der Haut des Beines eines großen Puma fertigen sie eine Art Gamaschen Die Haut wird bis an’s Knie heraufgezogen und um den Fuß herum befestigt; so wird sie einen oder zwei Tage getragen bis der Stiefel die Gestalt des Fußes angenommen hat, dann wird das Leder an den Zehen abgeschnitten und zusammengenäht. Ist die Sohle durchgelaufen, oder ist sehr nasses oder Schneewetter, so werden außerdem noch Ueberschuhe von Haut getragen. Die Fußstapfen die dadurch entstehen, sind allerdings groß genug, um auf den Gedanken zu führen, daß sie von Riesenfüßen stammen. Die gewöhnliche Kopfbedeckung der Männer ist zwar blos ein farbiges Band, um das Haar zusammenzuhalten, doch werden zuweilen, besonders bei

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Tehueltschen.
Nach der Natur aufgenommen von H. Leutemann.

[426] feierlichen Gelegenheiten, auch Hüte getragen, wenn man sie sich verschaffen kann.

Die Kleidung der Frauen besteht aus einem ähnlichen Mantel, wie ihn die Männer tragen; nur wird er vorn am Halse mit einem Nagel oder Dorn zusammengesteckt. Unter dem Mantel tragen die Weiber ein weites Unterkleid, das von den Schultern bis zu den Knöcheln reicht. Bei Herstellung der Frauenstiefeln wird das Haar an der Thierhaut gelassen, während es bei den Männerstiefeln sorgfältig entfernt wird. Die Frauen lieben den Schmuck sehr; sie tragen gewaltig große Ohrgehänge von viereckiger Gestalt an kleinen, durch das Ohrläppchen gehenden Ringen und Halsbänder von silbernen oder blauen Perlen. Auch die Männer tragen häufig diese Halsbänder und schmücken ihre Gürtel, Pfeifen, Messer, Scheiden und ihr Pferdegeschirr mit Silber, wenn sie es erlangen können.

Beide Geschlechter bestreichen sich das Gesicht und gelegentlich auch den Leib mit einem Gemisch von Fett und rothem Ocker oder von schwarzer Erde. Bei feierlichen Gelegenheiten, wie z. B. zum Tanze, schminken sich die Männer auch noch mit weißer Farbe oder mit gepulvertem Gyps, den sie anfeuchten und auf die Hände schmieren, mit welchen sie dann weiße Abdrücke der fünf Finger auf Brust, Arme und Beine machen. Bei Trauer verwenden sie schwarze Farbe, und geht es zum Kampfe, so bringen sie zuweilen unter den Augen ein wenig weiße Farbe an, die, weil sie von den übrigen auffallend absticht, dem Gesicht einen wilden Ausdruck verleihen hilft.

Ferner tätowiren sich beide Geschlechter am Vorderarme, indem sie mit einer Ahle sich Stiche in die Haut machen und mit einem Stück Glas ein Gemisch von blauer Erde hineinbringen. Die gewöhnlichen Muster bestehen aus einer Reihe Parallellinien und zuweilen einem einzelnen oder auch einem doppelten Dreieck, wobei das obere auf der Spitze des unteren steht.

Die Hauptnahrung der Patagonier besteht in dem Fleisch von Mutterpferden, Straußen und Guanacos. Sie sind aber nicht wählerisch und essen fast alles, was sie fangen können; das Fleisch junger Mutterpferde wird allem Andern vorgezogen. Sie kochen ihre Speisen und essen sie mit einem Stück Fett und mit Salz. Das Fett von Stuten und das von Straußen wird zusammengekocht und in Blasen gegossen, aber das der Guanacos wird roh gegessen.

Es giebt auch zwei Wurzeln, welche sie verspeisen; die eine heißt Tus und die andere Chalas. Das Tus ist eine knollige Wurzel, die wild wächst, und wenn sie gebacken, oder vielmehr geröstet ist, mehlig wird, wie eine Yamswurzel. Das Chalas ist eine lange weiße Wurzel, ungefähr von der Dicke eines Gänsekiels. Sie wird entweder in heißer Asche geröstet oder in Fleischbrühe gekocht. An der Seeküste sammeln die Weiber und Kinder Tellermuscheln.

Capitain Bourne beklagt sich bitter über den Mangel an Sauberkeit bei Bereitung der Speisen. Es hat ihm, namentlich anfangs, viel Ueberwindung gekostet, das von Rauch und Schmutz geschwärzte, kaum warm gewordene Fleisch hinunter zu würgen.

Die von Hagenbeck nach Europa gebrachten Patagonier sind Jagdnomaden im vollen Sinne des Wortes, vielleicht in so hohem Grade, wie kein anderes Volk. Landbau treiben sie nicht, und selbst Fische verstehen sie nicht zu fangen. Als echtes Reitervolk leben sie nur von der Jagd und suchen ihren Hauptreichthum in Pferden. Im Winter schlagen sie gern ihre Zelte in der Nähe der spärlichen europäischen Ansiedelungen auf und hungern dem Frühling entgegen. Im Sommer dagegen führen sie ein fröhliches, unstätes Jägerleben. Der Charakter der Patagonier ist ein gutmüthiger zu nennen; gegen Feinde sind sie mißtrauisch, besonders gegen die Spanier. Unter sich sind die Tehueltschen ehrlich, einen Fremden bestehlen sie indessen ohne Gewissensbisse. Im gewöhnlichen Leben lügen sie fast immer; nur wenn es gilt, reden sie die Wahrheit.

Die Toldos (Hütten) dieser Wandervölker sind der Gestalt nach Zigeunerzelten nicht unähnlich. Es werden Pfähle in die Erde gesteckt, daran andere befestigt und mit zusammengenähten Thierfellen bedeckt, sodaß eine unregelmäßige zeltförmige Hütte entsteht. Drei Seiten und die Spitze sind bedeckt, aber die vordere, gegen Osten gerichtete Seite ist offen. Diese Toldos sind etwas über 2¼ Meter hoch und hinten, das heißt gegen Westen, etwas niedriger, als gegen Osten. Das Innere derselben wird nach Bedürfniß in mehrere Abtheilungen geschieden, die unverheiratheten Familienglieder erhalten aber nur einen gemeinsamen Raum. Die innere Einrichtung des Toldo beschränkt sich fast ausschließlich auf Kissen aus alten Fellmänteln, die als Sitze, als Ruhelager und den Weibern auch als Sattel dienen müssen. Der Rauch, der diese Hütten fast beständig füllt, genirt die Bewohner gar nicht.

Die Frau wird gekauft, ohne Rücksicht auf ihren eigenen Willen. Meist haben nur die Häuptlinge mehrere, bis zu drei Frauen, unter denen die vornehmste die Hauptfrau und Herrin ist. Bei der Ehe, einer mehr oder weniger nichtigen Ceremonie, wird nur der erste Verwandtschaftsgrad beobachtet.

Capitain Bourne weiß über die höchst eigenthümliche Art der Brautwerbung Interessantes mitzutheilen. In der Hütte des Häuptlings, der ihn gefangen hielt, lebte dessen verwittwete Tochter mit ihrem Söhnchen. Eines Nachts hört Bourne lautes Geräusch von vielen Menschen vor der Hütte und eine Stimme, welche mit dem Häuptling wegen der Hand der Tochter unterhandelt. Entrüstet weist der Vater das Ansinnen zurück, der Freier sei ein Bettler und der großen Ehre, sein Schwiegersohn zu werden, nicht werth. Bescheiden giebt Jener seine Armuth zu, macht aber geltend, daß er ein ausgezeichneter Spitzbube sei, dem es schon gelingen werde, sich Pferde, Guanacos und anderes Besitzthum zusammenzustehlen, wenn er nur erst glücklicher Bräutigam sei. Da dies dem gestrengen Herrn Papa keine genügende Garantie für das Glück der Tochter zu sein scheint, wendet sich der Freier an die Dame seines Herzens selbst, die auch gern geneigt ist, ihn zu erhören, und sich ihm völlig zu eigen geben will, als er ihr einen steten Vorrath von Fett zum Pomadisiren verspricht. Sie vereinigt ihre Bitten mit den seinen, ohne indessen den Rabenvater erweichen zu können. Selbst der Mutter, der es wahrscheinlich erscheint, daß aus dem jungen Menschen ein großer Dieb und gewaltiger Häuptling werden könne, gelingt es nicht, das Oberhaupt der Familie umzustimmen. Ja, er geräth endlich in eine solche Wuth, daß er die Wiege, in welcher sein ahnungsloser Enkel schlummert, aus der Hütte wirft, auf demselben Wege das übrige Besitzthum seiner ungerathenen Tochter folgen läßt und endlich diese selbst hinauscomplimentirt. Die junge Dame soll darüber nicht unwillig gewesen und die Ehe damit geschlossen gewesen sein.

Alle Arbeit und Plage fällt der Frau anheim, während der Herr Gemahl gemüthlich faullenzt. Zu den nützlichen Beschäftigungen der Männer gehört die Verfertigung der sonderbar gestalteten hölzernen oder steinernen Pfeifenköpfe; auch finden sich unter ihnen geschickte Eisen- und Silberarbeiter. Die Hauptunterhaltung der Männer besteht in Pferderennen, Karten- und Würfelspiel oder einem Spiel mit kleinen Steinen und einem Ball. Die Kinder wachsen wild auf und sind fast gänzlich sich selbst überlassen. Kurz nach ihrer Geburt entscheiden Vater und Mutter, ob man sie am Leben lassen will oder nicht. Ist Letzteres der Fall, so wird das arme kleine Geschöpf ohne Weiteres erstickt und an einen Ort geworfen, wo es die Beute der wilden Hunde und Raubvögel wird. Bleibt es dagegen dem Leben erhalten, so wird es von den Eltern zärtlich behandelt; bis zum dritten Jahre bleibt es der Mutter überlassen, die es in der ersten Zeit, auf ein weich ausgestopftes Brett gebunden, mit sich führt; im vierten Jahre nimmt man dann das Ohrlochstechen mit ihm vor, ein Gebrauch, welcher bei den Tehueltschen genau die Stelle einnimmt, wie bei uns die Taufe. Der Vater schenkt dann dem Kinde ein Pferd, das an den vier Füßen gebunden auf die Erde gelegt wird; oben darauf legt man das festlich bemalte Kind, und der Häuptling oder Aelteste der Familie durchsticht das Ohrläppchen mit einem zugespitzten Straußknochen. In die Wunde steckt man ein kleines Stückchen Metall, um sie zu vergrößern und offen zu erhalten. Wie bei allen Festlichkeiten wird zum Schlusse eine Stute geschlachtet und eine Schmauserei abgehalten. Allen Theilnehmern wird mit demselben Straußknochen, mit welchen dem Kinde das Ohrläppchen durchbohrt wurde, ein Einschnitt in das erste Glied des Zeigefingers der rechten Hand gemacht. Das hervorquellende Blut gilt als ein Dankopfer für die Götter. Jedem Kinde werden in frühester Jugend Pferde und Zubehör zugewiesen, die hinfort als persönliches Eigenthum betrachtet werden, sodaß die Eltern sie nicht wieder zurücknehmen können.

Die Erziehung des jungen Patagoniers wird so eingerichtet, daß er bald ein nützliches Mitglied der Familie wird. Schon im [427] fünften Jahre sitzt er zu Pferde und reitet wie sein Vater; auch hütet er die Heerden, lernt den Gebrauch der Fangschnur (Lasso), der Wurfkugeln oder Bolas, der Lanze und der Schleuder. Ist das braune Bürschchen zehn oder zwölf Jahre alt geworden, so ist es so selbstständig, wie bei uns ein Mann von fünfundzwanzig Jahren; es unterhält sich selbst und nimmt an der Seite der Eltern Theil an deren Raubzügen; denn auch die Patagonierinnen folgen häufig ihren Männern in den Krieg, und während diese Letzteren über die Soldaten oder über die Hirten herfallen, beeilen sich die Weiber, das Vieh fortzutreiben, wobei ihnen die Kinder behülflich sind. Muth und Kühnheit läßt sich diesen Wilden keineswegs absprechen. Jedem Angriffe widerstehen sie anfangs tapfer; sie wehren sich zäh und ergreifen erst die Flucht, wenn sie einsehen, daß der Kampf erfolglos für sie bleiben muß.

Das Reitzeug der Tehueltschen besteht aus Sattel und Zaum, und der Sattel von Guanacohaut ist mit Stroh ausgestopft. Das Gebiß des Pferdes ist von Holz oder Knochen; die sehr kleinen Steigbügel sind nur für die große Zehe bestimmt. Unter den Sattel wird ein Fell oder ein mehrfach zusammengefaltetes Stück Zeug gelegt. Die Sattelgurten werden aus dreizehn oder vierzehn Bändern gedrehter Haut vom Halse des Guanaco gemacht und mit zwei Ringen versehen, die mit einem Lederriemen zusammengebunden werden, und die Steigbügel hängen an Hautstreifen von den in die vordersten Sattelbäume gebohrten Löchern herab. Die mit Riemen an den Füßen befestigten Sporen bestehen aus zwei Stückchen harten Holzes, in deren Ende man Nägel mit scharfgefeilter Spitze steckt.

Die Jagd ist dem Patagonier eine Geschäftssache, der er eifrig obliegt. Sein Wild sind das Guanaco (ein Lama), der Strauß, der Puma und kleinere Thiere, und seine Jagdwaffen bestehen aus dem Lasso, sowie aus den Bolas oder Wurfkugeln. Zum Straußfang verwendet er Bolas mit zwei Kugeln und zur Guanacojagd solche mit drei Kugeln. Die zähe, leichte Schnur, an der die Stein- oder Metallkugeln befestigt sind, ist zweiundeinhalb bis drei Meter lang. Mit staunenswerther Geschicklichkeit weiß er diese Waffen zu handhaben.

Die Tehueltschen sind ohne Ausnahme und ohne Rücksicht auf Alter, Rang oder Geschlecht unverbesserliche Trunkenbolde. Ohne Murren legen sie eine Reise von zehn oder fünfzehn Tagen nach der nächsten argentinischen Niederlassung zurück, um dort Häute oder Straußenfedern gegen Tabak (Pitrem) und Branntwein (Pulque) auszutauschen. Um letzteren fortzubringen, benutzen sie Schläuche aus Schaffell oder aus der Schenkelhaut des Straußes.

Kaum sind sie jedoch heimgekehrt und die Frauen haben die Pferde abgeladen, so wird der Tabak vertheilt und eine Rauchorgie beginnt. Der Tabak wird in einen steinernen Pfeifenkopf gefüllt; der Raucher legt sich auf den Bauch und zieht den Qualm der Pfeife ein. Erst dann, wenn er ihn nicht mehr im Munde behalten kann, stößt er ihn durch die Nase wieder hervor. Nach einiger Zeit bietet er einen schrecklichen Anblick dar. Er verdreht die Augen, von denen man nur noch das Weiße sieht; sie treten hervor, als ob sie aus dem Kopf heraus gedrängt würden – die Pfeife entfällt seinen Lippen; er scheint alle Kraft verloren zu haben, wälzt sich in zuckender Bewegung auf dem Boden umher und zappelt mit Händen und Füßen wie ein schwimmender Hund. In diesem widerwärtigen Zustande völliger Verthierung findet der patagonische Raucher das höchste Wohlbehagen. Die Umstehenden lassen ihn gewähren, bringen in Ochsenhörnern Wasser für ihn herbei und stellen dasselbe neben ihn hin. Er trinkt das Wasser und schläft dann seinen Rausch aus. Auch Frauen und selbst Kinder rauchen bisweilen.

Eigenartig sind die religiösen Ansichten der Patagonier. Der schon erwähnte Missionär Falkner giebt folgenden Bericht über dieselben.

Die Tehueltschen glauben, daß es eine Menge guter und böser Götter gebe. An der Spitze der Ersteren steht Guayara-Cunny oder der Herr der Todten. Der böse Dämon heißt Atskanna-Kanath. Die guten Götter wohnen in großen Höhlen unter der Erde, und wenn ein Eingeborener stirbt, kommt seine Seele zu der Gottheit, welche seiner Familie vorsteht. Die guten Götter machten die Welt und erschufen zuerst den Tehueltschen, dem sie Lanze, Bogen und Pfeile gaben; später wurden die Spanier erschaffen; nur erhielten dieselben Flinten und Schwerter. Die Verstorbenen werden in Sterne verwandelt; die Milchstraße ist das Gebiet, auf welchem alte Tehueltsche Strauße jagen, und die magellanischen Wolken sind die Federn der Strauße, welche sie tödten. Die Erschaffung der Welt ist noch nicht vollendet, und noch ist aus den unterirdischen Höhlen nicht alles an das Tageslicht dieser oberen Welt gekommen. Die Zauberer, wenn sie ihre Trommeln schlagen, oder mit den mit Muscheln oder Steinen gefüllten Lederbeuteln klappern, geben vor, in andere Gegenden unter die Erde zu sehen. Die Zauberer sind auch Aerzte und wissen mit ihren Zauberbeuteln alle möglichen Gebrechen zu heilen.

Capitain Bourne hatte einst Gelegenheit, das probate Heilverfahren eines solchen Aeskulap zu beobachten.

Ein Kind war krank geworden und schrie jämmerlich. Der gelehrte Herr hatte seine Zaubermittel mitgebracht, eingewickelt in zwei Stück Fell. Mit wichtiger Miene kauerte er sich an die Erde und betrachtete ernsthaft den kleinen Patienten, der merkwürdiger Weise auf einen Augenblick sein Jammergeschrei unterbrach. Durch diesen Erfolg ermuthigt, verordnete der Aeskulap vor allen Dingen ein Lehmpflaster. Mit gelbem Lehm, der mit dem nöthigen Wasser zu einem dünnflüssigen Brei angerührt ward, besalbte man das leidende Kind vom Kopf bis zu den Füßen, leider ohne anscheinenden Erfolg, denn das Schreien ward um so energischer wieder aufgenommen. Es mußten also stärkere Mittel angewandt werden. Den geheimnißvollen Paketen entnahm der Arzt einige Sehnen und Knochen vom Strauß, sowie eine Klapper. Erstere wurden unter geheimnißvollem Murmeln unverständlicher Worte befühlt und befingert, die Klapper aber energisch geschüttelt und dabei dem Patienten starr in’s Auge gesehen. Damit ward die Cur für beendet erachtet. Der Arzt erhielt etwas Tabak als Honorar, schüttelte zum Abschied dankbar mit der Klapper und – entfernte sich. Die Eltern waren überzeugt, daß das Leiden gehoben sei, und mit der Zeit ward der kleine Patient auch ruhiger – vielleicht auch gesund.

Es giebt Zauberer und Hexen. Erstere dürfen nicht heirathen; sie werden gewöhnlich schon von Kindheit an zu diesem Berufe bestimmt; man giebt dabei denen den Vorzug, welche frühzeitig eine weibische Anlage zeigen. Sie werden sehr bald in Frauenkleider gesteckt und mit der Trommel und den Klappern versehen, die zu ihrer Profession gehören. Solche Personen, welche mit der fallenden Sucht behaftet sind, werden ohne Weiteres zu dieser Beschäftigung bestimmt.

Das Begraben der Todten und die religiöse Verehrung, die man ihrem Gedächtniß widmet, wird mit großer Feierlichkeit begangen. Wenn ein Tehueltsche stirbt, so wird eine der vornehmsten Frauen sogleich dazu bestimmt, den Leichnam zu skeletiren. Das geschieht dadurch, daß man die Eingeweide, welche zu Asche verbrannt werden, herausschneidet, sodann das Fleisch so rein wie möglich entfernt und endlich die Knochen vergräbt, damit das noch übrige Fleisch ganz wegfaule.

So lange die Ceremonie des Skeletirens dauert, gehen die Eingeborenen, mit langen Mänteln aus Fellen bedeckt, das Gesicht mit Ruß geschwärzt, mit langen Lanzen rings um das Zelt des Todten herum, singen Trauermelodien und schlagen auf den Boden, um die bösen Geister zu schrecken. Einige besuchen die Wittwe oder Wittwen und andere Verwandte des Todten – wenn nämlich von diesen etwas zu hoffen ist; sonst erachten sie es nicht der Mühe werth. Während des Beileidsbesuches schreien, heulen und singen sie auf die schrecklichste Weise, zwingen sich zu Thränen und stechen sich mit scharfen Dornen in Arme und Beine, daß sie bluten. Für diese Trauerdarstellung werden sie mit Glasperlen, Glöckchen und anderen Kleinigkeiten bezahlt, welche bei ihnen in hohem Werthe stehen. Die Pferde des Verstorbenen werden ebenfalls sogleich getödtet, damit er in dem Lande der Todten dieselben nicht entbehre; nur wenige werden zurückbehalten, um den Leichenzug zu verschönern und die Ueberreste des Verblichenen in die Grube zu bringen.

Die Gebeine werden nach zwei bis sechs Monaten wieder ausgegraben, in eine Haut gepackt und auf einem der Lieblingspferde, welches mit Tüchern, Federn etc. geschmückt ist, zum eigentlichen Begräbnißplatz gebracht, welcher meist Tagereisen von dem früheren Wohnorte des Verstorbenen entfernt ist. An Ort und Stelle werden die Skelete in einer Grube reihenweise in sitzender Stellung geordnet, ihnen die Waffen, die sie bei Lebzeiten trugen, in die Hand gegeben, darauf die Grube mit Bäumen, Rohren, und Zweiggeflechten bedeckt und Erde darauf geschüttet. Die Skelete der todten Pferde werden ringsum aufgestellt.




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