Textdaten
<<< >>>
Autor: Friedrich Hofmann
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Romantik auf der Pleiße
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 443–446
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[443]

Die Romantik auf der Pleiße.

Man stelle sich einmal das Gesicht eines süddeutschen Gebirgs- oder eines norddeutschen Küstenmenschen vor, wenn beide aus dem Munde eines Leipziger Stadtkindes die Versicherung vernehmen: „Nichts Romantischeres als eine Wasserfahrt bei Leipzig! Wer aber Wasser- und Feuerherrlichkeit im vollkommensten Maße genießen will, muß sich den Leipziger Künstlern anschließen, wenn sie in ihrem geistesfrischen Verein sich an dem Zauber der Romantik auf der Pleiße erfreuen.

Und doch müssen wir den Worten Glauben schenken und uns zur Mitfahrt entschließen, denn wenn zur Romantik „der schöne Wald“ berechtigt, so ist sie für Leipzig gerettet. Wahrhaft rührend sogar ist aber die Leidenschaft, welche alle Leipziger Herzen für ihre Gewässer, Flüßchen und deren Flußarme und Flußärmchen, Canäle und Canälchen, Mühl- und Floßgraben etc. erfüllt. Jedes Wässerchen erhielt sein Gondelchen, und wohin kein Gondelchen mehr vordringt, da bricht der pfeilartige Grönländer sich noch Bahn und rettet die Ehre der Schiffbarkeit seines Gewässers. Höhere Ansprüche befriedigen Elster und Pleiße, auf welchen auf einer Strecke von kaum anderthalb Stunden Länge nahe an hundert Boote und Gondeln sich ihrer schifffahrtstolzen Besitzer rühmen, ja es schlug bekanntlich vor einigen Jahren sogar die Stunde, seit welcher Dampfschiffe zwischen Leipzig und dem etwa eine Viertelmeile[WS 1] davon entfernten Dorfe Plagwitz ihren regelmäßigen Lauf haben, anderthalbhundert Wasserfahrtgenossen in einem Boote jubeln können und die stolze Elster Lastboote mit dreitausend Centner Ladung auf dem sicheren Rücken trägt.

Sollte aber Jemand daran zweifeln, daß es in der großen Handelsstadt Leipzig auch Künstler giebt? Die Kunst ist in Leipzig [444] längst daheim und die bildenden Künstler sind es auch. Den besten Beweis für das Unbezweifelbare ihrer Existenz hält der geneigte Leser soeben selbst in seiner Hand: ein Blatt unserer „illustrirten Literatur“. Es ist selbstverständlich, daß der Hauptcharakterzug einer Stadt sich auch für die Ausübung der Kunst geltend macht. Wie im alten Nürnberg die Kunst sich dem Gewerbe innig anschloß, weil in der freien Reichsstadt das Gewerbe mit seinem goldenen Boden in den höchsten Ehren stand, ebenso schließt sie in Leipzig sich dem Buchhandel, dem Buchdruck und der Tagespresse an, die dort ihre Ehre und ihren goldenen Boden gesunden haben. Daß einzelne Künstler durch besonderen Ruf und begünstigte Stellung ihre selbstständige Bahn verfolgen, wie der Maler Werner, Zuechi etc., der Bildhauer Knaur, oder wie Franz Schneider, der Holzbildner mit seinem gewerbsmäßigen Vertrieb, stößt die Regel nicht um, nach welcher viele vortreffliche Talente, so u. A. der bekannte Thiermaler Leutemann, sich der illustrirten Literatur dienstbar machen; manche vielleicht gegen ihre heißesten Wünsche, die nach der ruhmreicheren Ausführung ihrer Compositionen zu werthvollen Oel- und Frescobildern vergeblich ringen; viele zu ihrer Zufriedenheit in einem anregenden und behaglichen Schaffen, alle aber mit der Anerkennung belohnt, daß sie ihre Kunst einer für Bildung und Veredelung des Geschmackes im Volke nutz- und segensreichen Thätigkeit weihen.

Welch’ trefflicher Geist in dem Leipziger Künstlerverein sein anmuthiges Wesen treibt, dafür hat die Gartenlaube selbst in einigen Darstellungen aus den öffentlichen Festen dieser Künstler Zeugniß abgelegt; von ihrer Art Privatvergnüglichkeit überzeugen wir uns am besten durch unsere Theilnahme an ihrer Wasserfahrt.

Das Brandvorwerk heißt die äußerste Häusergruppe Leipzigs nach Süden; Häuser und Gärten ziehen sich zum Theil an der Pleiße hin, über welche hier die „Brandbrücke“ führt. Unweit derselben liegt eine Flottille von einem Dutzend Gondeln im Hafen, den das Ufer mit seinen Haltepflöcken ohne weiteren Aufwand bildet. Die Hälfte der Gondeln ist rasch bemannt, und wir sehen manchen Kunstjünger mit gutem Namen hier freudig in den Dienst des Ruders oder des Steuers treten. Da sind die Brüder August und Adolf Neumann, der eine als Zeichner, der andere als Holzschneider unseren Lesern wohlbekannt, jetzt hier der eine behend am Ruder, während der andere schwerbepackt als feuergefährliche Person erscheint, denn er trägt die Feuerwerkskörper, welche uns auf der Heimfahrt überraschen sollen. Dort setzt Muttenthaler, der Vorstand der Kunstanstalt der Illustrirten Zeitung, sich an’s Ruder, während Sundblad am Steuer des Starnberger Sees und der schnöden Wellen gedenkt, die ihn einst verschlingen wollten. Krause, der bekannte Kupferstecher mit dem Barte des Kyffhäuserkaisers, sitzt neben Robert Kretzschmer, dem Thiermaler, der auf dem rothen Meere und dem Nil mit dem Herzog von Coburg die ägyptische Wasserfahrt mitgemacht und der Kunstmeister zu Brehm’s „Thierleben“ ist. In einer anderen Gondel scheinen sich Landschafter zusammenzurotten; wir erkennen wenigstens Richard Püttner und die Brüder Heyne unter ihnen. Wo man am lautesten singt, sitzt zwischen der fröhlichen Jugend sicherlich O. Mothes, der Architekt und Schriftsteller in seinem Fach, dem sehr nahe der Vergleich zwischen dem Gondelleben von Leipzig und von Venedig liegt, dessen Baugeschichte er ein Hauptwerk gewidmet hat. Noch über ein Dutzend Namen müßten nun folgen, älterer und jüngerer Kunstgenossen, wenn wir nicht wüßten, daß sie selbst gern uns von dieser Registerarbeit freisprächen, um endlich mit den Anderen vorwärts zu kommen.

Freilich ist’s links und rechts nur ebenes Land, zwischen dem wir dahinfahren, aber es ist belebt von der modernsten Romantik des Dampfs. Während zur Rechten die Fahrstraße am Wasser hinläuft, das die Rosse, Wagen und Fußwanderer widerspiegelt, und dahinter der grüne Plan der großen Wettrennen sich ausdehnt, erhebt sich zur Linken eine hohe Fabrikesse, über deren Zinne der Rauch wie ein graues Bouquet in Halbmondform sich ausbreitet, nur leise im blauen Aether verschwimmend, und weit dahinter pfeift und donnert der Wagenzug des Feuerrosses, der die wandelsüchtigen Menschen von den Nordmeeren nach Mailand und nach Belieben weiter trägt. Wir aber fühlen den Stolz, hier recht mitten in der Welt zu sein.

Straßen und Fabriken verlassen uns, wir schweben und schaukeln zwischen den Freuden der Landwirthschaft, wogenden Kornäckern und duftenden Heuschobern der Wiese dahin. Aber je weiter vorwärts in der Gondel, desto weiter bringt das Uferbild uns rückwärts im Culturgang der Geschichte. Der Wald ragt vor uns auf, doch der sorglich gepflegte des jagdfrohen Forstmannes. Prächtige Eichen strecken die knorrigen Riesenarme schützend über das buschige Unterholz aus, lauschige Waldwiesen öffnen sich, malerische Waldecken im reichsten Wechsel des Grün treten hervor und im Hintergrund stehen, wie auf einer Volksversammlung, die Gleichgestimmten in weitem Halbkreise um die Rednerbühne, besagtes Waldeck, gesellschaftlich beisammen und nicken mit den leichtbewegten Häuptern. – Hier werden die Künstler uns zu Wohlthätern: sie erhöhen uns den Genuß der Natur, den Werth der Naturschönheiten durch ihre Künstlerfingerzeige, die unserem blöderen Auge zu Hülfe kommen mit ihrem in Schönheiterspähen, geübten Blick. Da ruft und winkt es von Gondel zu Gondel, da eine Erinnerung an früher Gesehenes, dort ein Vergleich mit Verwandtem in der Ferne; die Dichtkunst drängt sich mit Citaten declamirend und singend herein, – oft wird zeitweise ein Lied Herr über die Landschaft, aber das Schlaglicht einer Waldblöße oder die Beleuchtung einer Baumgruppe hat’s auch schon zuwege gebracht, daß dem tiefen Ah! allgemeine Stille folgt, daß ein Vogel die Gelegenheit erhascht, die Lauscher für sich zu gewinnen, und daß das Lauschen halbträumend übergeht in das stille Beschaun, zu dem das Doppelrauschen der Blätter und der Wellen so schlau verlockt.

„Das ist ein prächtiges Plätzchen!“ Wir fahren noch zwischen hohen, aber einzeln stehenden Waldriesen, zwischen deren Stämmen der Blick in den Säulentempel des Waldes frei ist, und frei blickt der Tag noch auf uns hernieder; aber vor uns öffnet der Urwald sich und die Cultur nimmt Abschied in einer kleinen schön gepflegten Ruhestätte. Schützende Lauben und Bänke laden zum Landen ein an dem Plätzchen, das die Pleiße mittels eines Nebenarmes ganz besonders zärtlich zu umspannen scheint. Sie nannten’s Rüdersruhe.

Von da an halten wir uns berechtigt, unsere Phantasie im Urwald hausen zu lassen. Dichtes Gebüsch hängt seinen Blätterreichthum, oben von mächtigen Aesten der alten Stämme überragt, tief in die dunkle Fluth, die Ufer treten näher und näher zusammen, phantastische Weiden, vom Land losgerissen, trotzen in ihrer Inselwürde dem nassen Tod, dann winkt wieder zur Linken eine Landestelle, eine Art Waldnische unter dichter Laubdecke, wie für einen Hinterwäldler geschaffen, aber uns zieht es weiter; so oft eine Krümmung hinter uns liegt, sehen wir vor uns einen abgeschlossenen, kleinen, urheimlichen See, bis eine neue Krümmung den Zauber bricht, oder die liebe Menschheit uns aus dem Traume hilft. Und oft recht liebe Menschheit rudert an uns vorüber, mit denselben Stimmen jetzt schweigend oder kichernd, die vorher, in der Ferne, gar schön gesungen hatten; fröhliche, selige Pärchen, die das verschwiegene Wasser mit Recht so lieben.

Und plötzlich ist’s aus mit dem Urwaldtraum; von weißen, neuen Quadern erheben sich die leichten, schön geschwungenen Bogen einer Brücke, und hinter ihr verräth eine ganze Reihe ähnlicher Fahrzeuge, wie die unsrigen, daß wir in dieser Gegend nicht allein sind. Gefällige Männer begrüßen uns in der Leipziger Mundart und halten die Hafenwacht, derweil die Künstlerschaar nun einen Theil der Freuden ihrer Wasserfahrt in der sicheren Schenke auf festem Lande genießt. Wir sind in Connewitz, dem ersten südlichen Vorstadt-Dorfe von Leipzig, zu dessen Gedeihen es mit seinen nahe an viertausend Bewohnern kräftig beiträgt. Unsere Entfernung von den heimischen Laren ist nicht so gefährlich, wie unsere Wasserfahrt sie erscheinen ließ; zu Lande fährt man im Omnibus die ganze Strecke um fünfzehn Pfennige.

Wie Künstler scherzen, trinken und singen, wäre wohl lieblich zu schildern, aber Ziel und Zweck gestatten es uns hier nicht. Unser näher liegender Beruf ist, so viel Dunkelheit abzuwarten, als zu einem Feuerwerk gehört. Das ist erreicht, und gestärkt von manchem schönen Wort und Trunk, ziehen die Mannen wieder ihren Fahrzeugen zu. Die Gondel des Feuerwerkers – A. Neumann – wird jetzt zum Admiralschiff erhoben. Ausgestattet mit mehreren bunten Papierlampen schwebt es im Bewußtsein seiner Würde unter dem mittelsten Brückenbogen dahin und wirft den Widerschein seines Nachtschmucks in das leise zitternde dunkle Gewässer. Im selben Schmuck der Lampen folgt Gondel um Gondel in einer die Freiheit der Ruder und der Aussicht nicht störenden Entfernung von einander.

[445]

Nächtliche Künstlerfahrt. Nach der Natur gezeichnet von G. Sundblad.

Wenige kräftige Ruderschläge brachten uns aus dem Stimmenbereich der Connewitzer Brückenwandler, und dem gemüthlichen Urwald wiedergegeben, ließen wir schweigend die heiligen Schauer der Nacht über uns ergehen; „die Vöglein schliefen im Walde“, die Stille that so wohl und oben am Himmel bildeten die hohen Zweige der Uferbäume an den langen, über die Pleiße ausgestreckten Aesten ein Spalier, zwischen welchem die Sterne zu uns herniederschauten. Es war recht zum Sentimenalwerden, und da in diesem Augenblick ein wohlklingender Tenor das Lob des „Sterns der Liebe“ anhub und ein feierlich summender Chorus [446] die schöne Stimme des Sängers trug und hob, so weiß man nicht, was mit den gefühlvollen Künstlerseelen geschehen wäre, wenn nicht bald genug der geniale Kunstfeuerwerker energisch sein „Ah!“ gefordert hätte. Und es ward ihm, als er plötzlich an passendster Stelle die prächtig gruppirten Laubwände des Ufers bis hinauf zu den schwankenden Giebelzweigen mit bengalischem Glanz übergoß. Es war wirklich ein entzückender Anblick – unser Holzschnitt sucht ihn wiederzugeben – man war diesen Augenblick lang mit dem Geist in einem fremden romantischen Land, und Jeder hätte es für eine Kränkung seiner schönen Empfindung gehalten, wenn man ihm gesagt hätte, daß die Bauern auf der Connewitzer Chaussee ganz gut am Scheine des rothen Lichtes sehen könnten, in welchem keine Viertelstunde entfernten Winkel der Pleiße die verehrte Künstlergesellschaft sich soeben befinde.

Nach dem gelungenen Anfang folgte nun Schlag auf Schlag ein Stück des Feuerwerks nach dem andern, bald flogen Schwärmer in das Gezweig der Uferbüsche, bald Frösche über das Wasser hin, Feuerräder schlugen mit dem Schweif ihren feurigen Reif, Raketen versuchten sich im Steigen und Leuchtkugeln sprühten ihre Funken in das widerspiegelnde Wasser, Alles begrüßt und begleitet von allerlei Passendem, welches Poesie und Musik dazu in Wort und Ton gesetzt haben.

Ferne Böllerschüsse verkündeten uns noch im Urwalde die Nähe lustverwandter Menschen. Das Verlangen nach ihnen fuhr in die Arme der Rudernden, und bald leuchtete zur Rechten ein Feuerchen, von Gestalten umlagert, am Ufer. Es war die von uns schon bei der Herfahrt begrüßte Waldnische, aber Hinterwäldler zechten hier nicht, sondern biedere Turner saßen um ein Fäßchen und boten zum Gruß uns den vollen Becher. Ihr voller Rundgesang hallte uns noch lange nach. Da begegnete uns eine neue und sehr liebliche Ueberraschung, deren Urheber wir derzeit nicht ergründen konnten: auf dem Wasser, sich ziemlich in des Flusses Mitte haltend, schwamm eine lange Reihe von Wachslichtchen, jedes auf seinem eignen kleinen Korkfloß, im Schaukeln und Widerschein gar prächtig dahin. Alle Gondeln fuhren mit schonender Vorsicht an ihnen vorüber und gewährten dabei selbst ein neues Bild, denn während ihre dem Lichterzug zugewandte Seite selbst in hellem Glanze stand, deckte den Raum der Insassen um so tieferes Dunkel.

Alle Blicke waren noch der allerliebsten Wasserzierde zugewandt, als zur Linken ein neuer bunter Lichtschimmer auftauchte. Das „prächtige Plätzchen“ der Herfahrt strahlte in einem Festschmuck. Bunte Lampen zu Guirlanden vereint schlangen ihre Bogen von Baum zu Baum, darunter saßen eines Sängervereins Männlein und Fräulein, und Gläser klirrten und Töne schwirrten, aber reizender, als beides, war das, was sie dem Auge gewährten: das schöne Nachtbild. „Das wenn i auf’m Papier hätt’! Aber wer kann’s fest halten?“ rief ein Künstler baierischer Zunge. So viel aber davon festzuhalten war, nahm Jeder im frohen Gedächtniß mit.

Feuerwerk und Gesang hatten unsererseits jeden Gruß von den Ufern erwidert; die letzten bengalischen Flammen schmückten die letzten Bäume des Waldes, die letzten Raketen grüßten die freien Ufer, und als wir am Brandhafen das Land betraten, brauchte Niemand mich darum zu fragen, sondern freudig mußte ich bekennen: Ja, wer so wie Ihr Künstler das Wasser und den Wald zu benutzen versteht, der schafft sich, was man so schwer geglaubt, selbst eine Romantik auf der Pleiße!

Friedrich Hofmann.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vietelmeile
  NODES