Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Eine deutsche Studentenburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 328–332
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Denkmal der gefallenen Corps-Studenten vor der Rudelsburg.
Eingeweiht am ersten Pfingstfesttage 1872.

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Rudelsburg und Saaleck.

Im Burghof der Rudelsburg: das restaurirte Ritterhaus.
Entworfen und gezeichnet von O. Mothes in Leipzig.

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Eine deutsche Studentenburg.


Von Friedrich Hofmann.


(Mit Abbildungen.)


„Guten Morgen, Samiel! Noch Niemand da?“ – Es saßen und standen nicht wenige Gruppen von Männlein und Weiblein bei Kaffee, Bier und Aussicht ringsumher, und dennoch antwortete der Angeredete mit einem bestimmten: „Nein!“ Ganz natürlich! Der Anredende war ein Bruder Studio, die Anwesenden waren nur Philistervolk, wenn auch zum Theil gar vornehm und anmuthig unter Zylindern und Federhütchen.

„Hurrah! Wir sind die Ersten!“ rief der Student, zum Thor zurückeilend, den Schaaren zu, die den Weg vom Rittergut Kreipitzsch singend und jubelnd herankamen. Das waren die Jenenser, die von Camburg her die Straße über den Berg eingeschlagen hatten. Denn man feierte Pfingsten auf Erden, und das Thor, durch welches nun die fröhlichste Jugend in den Burghof einzog, war das der Rudelsburg, und die hier erwartet wurden, waren die Genossen von Leipzig und Halle. In Thüringen, Meißen und Osterland ist es männiglich bewußt, daß zur Pfingstzeit die Studenten der drei genannten Hochschulen, besonders die verwandten Verbindungen derselben, in den Ruinen der Rudelsburg unweit Naumburg eine große gemeinsame „Naturkneiperei“ begehen, zu welcher sich auch viele akademische Zugvögel anderer deutscher Lande einstellen. Da öffnet sich den jungen Herzen ein gar schöner Himmel, Freundschaften für’s ganze Leben werden geknüpft, auch kleine Feindschaften für die Mensur angezettelt – es wird in der lachenden Natur zwischen Trümmern der Vorzeit die seligste Gegenwart genossen, und Jedem, dem Leipziger, dem Jenenser, dem Hallenser wird die Rudelsburg zu einer geweihten Stätte seiner akademischen Herrlichkeit. Ich bin, Gott sei Dank, auch ein Jenenser gewesen, und noch heute stehen die Pfingsttage der Rudelsburg auf einem immergrünen Blatte meiner Erinnerungen.

„Guten Morgen, Samiel!“ riefen wohl so ein halbhundert Stimmen. Es wird nun doch nöthig, diesen Mann von solchem Ruf dem Leser vorzustellen, ehe ich ihn noch ferner citire. Es ist das alte, unverwüstliche Hausmöbel der Burg, dieser Herr Gottlieb Wagener von dem nahen Dorfe Schieben, wo er, wie der Hamster im Bau, den Winter zubringt; kaum kleidet die Erde sich wieder neu, so schüttelt er den Winterschlaf von sich, zieht mit Bierfässern und Kurbelchen (eine Art hölzerner Seidel), mit Körben voll Brod und Eiern, auch Schinken und sehr scharfen Messern zum Schneiden derselben, in die Keller und Gewölbe der Burg ein, wo er nun, bis der kalte Herbstwind das letzte Blatt vom Baume gejagt hat, als treuer Burggeist Jedermann zu Hülfe kommt, der sich an ihn mit dem Rufe Kaspar’s im Freischütz wendet: „Samiel, hilf!“

Ein Spaziergang um die Burg und in die nächste Umgebung derselben auf dem Berge lohnt sich allemal. Wir stehen auf einem Kalksteinfelsen etwa zweihundertsechzig Fuß hoch über dem Spiegel der Saale, die hart am Fuß des Burgfelsen anschlägt, nachdem sie, begeistert von dem poetischen Wasser der Ilm, das sie kurz vorher zu sich genommen, einen so kühnen Bogen durch das grüne Thal gezogen hat, daß Raum genug zu einem niedlichen, vom Fels der Rudelsburg nur durch die Schlucht des sogenannten Kesselgrabens geschiedenen Hügel für die kleine Nachbarburg Saaleck mit ihren zwei wohlerhaltenen Thürmen geschaffen wurde. Die Rudelsburg gehörte zu den größten Bergschlössern Deutschlands. Das stattliche Mauerviereck mit seinen drei runden Eckthürmen, dem hohen Bergfried und den ragenden Giebeln der Paläste war nur ein Theil der Bergbefestigung, war nur das „castrum“, vor welchem das „oppidum“ (die ebenfalls stark befestigte Vorburg, welche die Wohnungen der Burgmannen, die Stallungen, Vorrathshäuser nebst einer Kirche enthielt) sich wenigstens noch sechshundert Schritte weit ausdehnte, wie die Mauer- und Thurmtrümmer des äußersten Thores dort beweisen.

Schon die Größe der „Veste“ spricht dafür, daß die Rudelsburg ursprünglich eine Reichswehr gegen die Slaven (Sorben und Wenden) war, wie deren viele der Saale entlang bis nach Franken hinein gestanden. Die Zeit ihrer Gründung kennt man nicht.[1] Seltsamer Weise bildet eine an der Nordseite der Burg in ein Fenster verkehrt, mit dem Capitäl nach unten, eingesetzte Säule insofern einen bestimmten Zeitweiser, als die Form derselben auf die Baukunst vor 1100 hindeutet. Die Burg ist mehrmals, auch als Raubrittersitz, zerstört worden, zuletzt, und die große Vorburg völlig, im dreißigjährigen Kriege. Das verhältnißmäßig noch sehr gut erhaltene Castrum, das, was man heutzutage Rudelsburg nennt, kam Ende des vorigen Jahrhunderts an die Herren v. Schönberg, die ihren Wohnsitz nach Kreipitzsch verlegten, aber in den zwanziger Jahren gestatteten, daß in den Burgruinen Samiel seine Sommerresidenz aufschlug.

Es ist keine Frage, daß mit Samiel ein neuer Abschnitt der Geschichte der Rudelsburg beginnt, denn nun erst ward sie ein [332] Platz, in welchem die Freude nicht mehr auf den mitgeschleppten Proviantkorb und die Aussicht beschränkt war, sondern wo sie sich sorgenlos gleich für ganze Tage häuslich niederlassen konnte. Den ausgiebigsten Gebrauch hiervon wußten aber nur die Studenten zu machen und vom Philisterium diejenigen, welche hier selber einmal die bunten Mützen auf den frischen Locken getragen.

Und so ist’s auch heute! Hört Ihr die Grüße des Thals? Das Jubeln und Singen? Das sind die so sehnlich Erwarteten. War das ein Aufruhr im Burghof! Die Jenenser verließen ihre langen Tafeln, den Genossen entgegenzueilen, aber auch die Gruppen der Cylinder und Schleierhütchen rauschten auf, wie scheue Tauben flatterten die weißen und bunten Kleider in den Schutz der dunklen Tuchröcke, um Raum zu machen und ungesehen zu sehen bis zur Gelegenheit, selbst gesehen zu werden. Unter den Männern und alten Herren traten aber schon jetzt Manche ganz anders auf: man sah’s, sie fühlten sich auf berechtigtem Boden. Und da braust und prasselt es herein, in fesselloser Jugendlust, kräftige Arme umschlingen, blühende Lippen küssen sich, hier der erste Flaum am Kinn, dort der Vollbart, wie’s die Natur eben hergiebt, Schnurröcke und Kanonen, klirrende Sporen und bunte Mützen, Ziegenhainer und Tabakspfeifen im just herrschenden akademischen Baustil der Drechslerkunst, den Tabaksbeutel am Knopfloch, Viele das Ränzel auf dem Rücken, wie’s damals Sitte war, wo der Dampfwagen noch nicht das Thal da unten durchschlängelte und Bruder Studio seine Auszüge noch stolz zu Fuß, oder in der „Spritze“, auf Leiterwagen und hoch zu Roß vollbrachte.

Aber nun: „Samiel, hilf!“ – Der Machtspruch des Bedürfnisses bringt den wildesten Schwarm zur Ordnung, und zur Befriedigung desselben stand dem „Samiel“ die „alte Hanne“ mit ihren Schinkenbrödchen und Sooleiern redlich bei. So ging der Mittag vorüber, der Wandelgang der Gruppen und Grüppchen durch die Ruine, die Siesta der Wegemüden im Schatten der Mauern und der Bäume war genossen, die langen Tafeln füllten sich mehr und mehr mit den erfrischten Zechern und die Kurbelchen geriethen in häufigere Bewegung. Inzwischen hatte das Philisterpublicum mannigfach gewechselt durch Ab- und Zugang; nur jene Gäste, die wie auf berechtigtem Boden auftraten und deren Gruppe im Laufe des Nachmittags noch ansehnlich zunahm, hielten Stand, und daß sie dies mit Fug thaten, kündigte sich gleich beim ersten Liede an. Mächtig erscholl’s von wohl anderthalb hundert Studentenstimmen:

„Sind wir vereint zur guten Stunde.“

Da ward der ganze Burghof still; aber in den Augen jener Männer ging ein Jugendfeuer auf. Die Alten nickten erst mit dem Kopfe den Tact, beim zweiten Verse brummten sie mit, beim dritten sangen sie sammt den jüngeren Männern ganz tapfer, beim viertem erhob sich einer um den andern vom Sitze und trat zu den Studententafeln, und schließlich standen sie alle dort, jeder sein Kurbelchen in der Faust, und stießen am Ende zum „Fiducit“ an. Nun brach die Schranke, sie gaben sich zu erkennen als unsere Vorvordern im akademischen Reiche, als unsere „alten Herren“, und nun ging erst ein Grüßen los! Rasch war Platz für alle an unseren Tischen geschafft, und wahrlich, sie alle ließen Frauen und Kinder sitzen, um wieder Studenten zu sein!

Aber auch an diese anscheinlich jetzt so Verlassenen kam noch die Reihe. Zu verwundern war’s nicht, daß die langen schönen Hälse, auf welchen die Köpfe und Köpfchen mit den Schleier- und Federhüten saßen, sich immer eifriger zu uns hinwendeten. Manche Frauen hatten ihre „Alten“ noch ihr Lebtage nicht theils so munter gesehen, theils solcher Sing- oder Trinklust oder gar solcher Zärtlichkeit fähig gehalten. Sie waren ja rein wie ausgewechselt! So der ehrwürdige Pfarrherr dort, der daheim sogar beim Zanken die Stimme möglichst mäßigte, schlug jetzt mit der Faust auf den Tisch und rief, daß man’s im ganzen Hofe hörte: „Fuchs, Du mußt Hansen heißen, sonst lügt Dein Gesicht!“ Und es war richtig der Sohn seines akademischen Herzbruders vor dreißig Jahren. Und dort der graue Advocat, der das ganze Jahr über nur murrte und knurrte, dort singt er seine alten Leiblieder eins nach dem andern her und ein lustiger Chor stimmt mit ein, und er läßt nur eine Pause eintreten, weil der leutscheue Professor V., sein Nachbar, den er mit Mühe und Noth aus seiner stillen Gymnasialwohnung herausgerissen und mitgezwungen, auf einer Bank steht, um eine „unpassende Rede“ zu wiederholen, die er einst als „Burgpfaffe“ gethan, – und gar der Medicinalrath, ewig kühl bis an das Herz hinan, dort umhalst und küßt er einen Studenten, weil dieser auf derselben Stube wohnt, die er vor vierundsechszig Semestern inne gehabt, und weil darin noch Vieles erhalten ist, wie er es kannte, und vor Allem der Stiefelknecht mit seinem eingeschnittenen Namen. So erging es noch Dutzenden, und Alles war so natürlich. Die Jugenderinnerungen kamen wie ein Sturm über die alten Herren, und die Begeisterung für ihre Studentenzeit stand ihnen so schön! Aber den Frauen schien sie nicht durchweg zu gefallen.

Daher geschah ein Geflüster in die Ohren der entwichenen Familienhäupter, und wie auf Commando erhoben sie sich, je ein Paar Studenten an den Armen, und schritten so auf die Ihrigen los. Alle Nichtgeführten gingen von selbst mit, und so begann eine Vorstellung in größerem Stile. Die massenhafte Umhuldigung überraschte glücklich Frauen und Jungfrauen und that ganz besonders den Müttern sichtlich wohl. An dieselbe knüpfte sich ein gemeinsamer Spaziergang durch und um die Ruinen, der einer großen Polonaise glich und bei welchem durch kluge Neckereien von Seiten unserer heutigen Burgfräulein über die so fürchterlich bespornten Kanonenträger zu Fuß eine neue Ueberraschung verursacht wurde. Von den Sporenklirrern war etwa ein Dutzend plötzlich verschwunden.

Es mochte ein Stündchen liebenswürdigster Lust so vergangen sein. Vergeblich hatten wir die Damen zu bereden gesucht, unsere Tische ebenfalls mit ihrer Gegenwart zu schmücken. Die Mütter widersetzten sich diesem Ansinnen. Da plötzlich – horch! Trompetengeschmetter von Kreipitzsch her! Alles wollte den Thoren zueilen. Aber siehe, da sprengten schon zwei Reiter herein, welche sich als Herolde zu erkennen gaben, denn sie trugen auf Brust und Rücken je zwei um den Hals festgebundene blaue Küchenschürzen, auf welche mit Kreide die nöthigen Wappen gemalt waren! Sie verkündeten „ein feierlich Turnier zu Ehren der hochedeln Burgfrauen und Burgfräulein“ und geboten „die Schranken frei zu machen von der Fahrniß gemeiner Wirthschaft“, zu Deutsch: Tischen und Stühlen in des Burghofs Mitte. Das geschah, die Damen erhielte ihren Platz auf dem hohen Schutt- und Trümmerwerke vor dem Ritterhause, die akademischen Männer und Jünglinge machten amphitheatralische Aufstellung auf Boden, Bänken und Tischen im Halbkreise. Das übrige „Volk“ brachte sich, wie allezeit, unter, wo Platz war.

Sie hatten Unglaubliches möglich gemacht in so kurzer Frist, diese Ritter! Als Turnierrosse traten die in Kreipitzsch eingestellten Reit- und Wagenpferde der Jenenser auf. Als Turnierritter konnten freilich nur sechs ausgerüstet werden, weil man nicht mehr Brustharnische zusammenfand, während an Helmen und Lanzen Ueberfluß war, so daß auch die Knappen damit bedacht werden konnten. Sogar einen gewesenen Postillon besaß das Rittergut als Pferdeknecht, der, auf einem Ackergaul reitend, ein altes Posthorn als Turniertrompete blies, äußerlich angethan gleich den Herolden.

Der Zug kommt. Die Herolde fassen zu beiden Seiten des Thors Posto. Es ist nicht zu beschreiben, welches Erstaunen, welch ungemessenen Jubel der feierliche Aufzug gewährte. Die Brustharnische der Turnierritter bestanden allerdings aus großen Thonschüsseln, die mit Stricken und Bindfaden auf der Brust festgebunden waren. Aber wo sollten denn in der Eile andere herkommen? Und entsprachen diese nicht vollkommen ihrem Zweck zerstoßen zu werden? Die Helme waren den Harnischen materialverwandte Kochtöpfe, wie sie auf dem Heerd stehen. Auch sie wurden auf die Köpfe festgebunden, Visire konnten jedoch nur für drei Ritter beschafft werden, weil’s für die anderen an Pappe und Bindfaden gebrach; dagegen zeichnete die Helme derselben ein Flederwisch aus, welcher daran festgebunden war und die wallenden Federn vorstellte. Die Turnierlanzen hatten bis dato als Hopfenstangen gedient.

Es war schön anzusehen, wie der Zug um die Schranken ritt und die Ritter vor den Burgdamen mit Würde die Hopfenstangen neigten. Dann schieden die Knappen bei Seite und die Ritter begannen, immer nur zwei gegeneinander, den Kampf. Die Besorgniß, sie könnten sich die Augen ausstechen, ward mit der stolzen Bemerkung abgethan: „Sie Alle sind tüchtige Stoßfechter und sitzen fest zu Pferde.“ Der Zweck des Kampfes war nicht, sich aus den Sätteln zu heben, sondern den Harnisch zu [332] treffen, und so fochten die Braven wie mit dem Pariser auf der Mensur, daß bei diesem Anblick den Kreußlern, den alten weltberühmten Jenaischen Fechtmeistern, das Herz im Leibe gelacht hätte. Jeder Sieg ward vom Trompeter angeblasen und vom Herold verkündet, und als sämmtliche Schüsseln geliefert waren, hatten alle Ritter gesiegt, stiegen von den Rossen und beugten vor den Burgfräuleins die Kniee, des „Dankes“ gewärtig. Da aber weder Mütter noch Töchter an diese Rittersitte gedacht, so nahmen die Sieger die Fräulein selber als Preis mit zu den Studententischen, und jetzt folgten nothgezwungen auch die Mütter nach.

Nun ward’s für Alt und Jung erst wunderschön, die Anmuth hielt die Wildheit leicht im Zügel, die Gesänge wurden rücksichtsvoll gewählt, Gambrinus zur Vorsicht ermahnt, und wenn ja hie und da Kurbelchen ein schelmisches Triumphklappern wagten, so deutete dies immer nur auf eine „Seligkeit im Anstand“. – So kam die Dämmerung herbei, die sich die Mütter eine kurze Weile gefallen ließen; aber sie hören doch gar zu fein! Kaum drang ihnen so etwas wie Süßholzraspeln in die Ohren, so erhoben sie sich zum Aufbruch, und selbst die alten Herren, an’s Commando gewöhnt, versöhnten sich mit dem Scheiden. – Wie das geschah, kann sich Jedermann selbst ausmalen. Auch der Abschied war für uns eine Lust; nur Manchem der „Alten“! wurden die Augen feucht, wenn die Frage ihn bedrängte: „Wirst Du Das noch einmal erleben?“ –

Als wir um Mitternacht diesen Festtag der Rudelsburg schlossen und zum Schluß mit Holzfackeln noch einen Fackelzug um die Ruinen hielten, um uns dann Lebewohl zu sagen und auf verschiedenen Wegen die bestellten Nachtquartiere zu beziehen, war Mancher darunter, dem’s erging wie den Alten: er war heute zum letzten Mal hier Student gewesen. Ich habe später Keinen wiedergefunden, der nicht aus tiefster Seele mit mir aufgeseufzt hätte: „Ach, es war doch schön auf Hochschulen!“ –

Der Rudelsburg widerfuhr in den vierziger Jahren die Ehre und das Schicksal, vom König Friedrich Wilhelm dem Vierten besucht und wegen der noch heute stehenden, ihm zu Liebe errichteten hölzernen Halle in der Ecke des Ritterhauses und ehemaligen Stallbaues einem „Raubritter mit Vatermördern“ verglichen zu werden.

Schlimmer erging es ihr im December 1867: ein Sturm riß den schönsten Schmuck vom Rest des Frauenflügels, welcher die rechte Seite der Burg von der innern Thormauer bis zum Ritterhause einnahm, fast die Hälfte des hochragenden Giebels herunter. Zwar übernahmen sofort angesehene Männer in Kösen und Naumburg die Sorge, durch Geldsammlungen die Wiederherstellung des Giebels (durch den Bau-Inspector Werner in Naumburg) zu ermöglichen. Eine genaue Untersuchung der inneren Räumlichkeiten der Burg führte jedoch zu der Einsicht, daß für die oft so zahlreichen Gäste ein Schutz gegen plötzliche Unbilden der Witterung mit verhältnißmäßig geringen Kosten dadurch herzustellen sei, daß man vom Ritterhause die Gewölbe, Keller und unteren Stuben und darüber die Vorhalle und Kemenate restaurire und durch eine neue Freitreppe (den alten Gradus) wieder zugänglich mache, ohne das äußere Ruinenbild der Burg zu beeinträchtigen. Zu diesem Behufe trat mit Genehmigung des dermaligen Besitzers der Burg, Freiherrn v. Schönberg, in Leipzig ein Centralcomité mit Localcomités in vielen Städten Deutschlands zusammen und übertrug die Ausführung der Restauration dem den Männern der Baukunst auch als hervorragender Schriftsteller des Fachs bekannten Baurath Dr. O. Mothes in Leipzig. Die Mittel flossen anfangs leidlich, der Bau begann, aber der große Krieg legte ihn lahm. Was bereits vollendet ist, zeigt unsere Illustration vom Burghof, welche uns zugleich die Portraitfiguren des Burgherrn, des Bauraths Mothes, der Naumburger Baumeister, einiger Leipziger Comitémitglieder und Samiels vorstellt; bei dieser Gelegenheit darf wohl auch die Bitte um neue Hülfe für den Ausbau allen alten und jungen Gästen und Verehrern der Rudelsburg an’s Herz gelegt werden. Das Comité besteht noch und sein leerer Opferstock steht weit offen!

Eine neue Zierde wird das Pfingstfest dieses Jahres auf dem Berge der Rudelsburg erhöht sehen: ein Ehrendenkmal für gefallene Helden unseres großen Kriegs.

Wenn auch die Rudelsburg als eine allgemeine deutsche Studentenburg betrachtet werden kann und wenn namentlich hinsichtlich der beiden Verbindungs-Hauptrichtungen von ihr gilt, was Heine vom Halleschen Markte singt:

„Die Burschenschaft und die Landsmannschaft,
Die haben da Platz zum Beten“ –

so hat die Burschenschaft für ihre ernsten Feste und Versammlungen doch stets den Blick nach Eisenach und der Wartburg gerichtet; für die Landsmannschaften (Corps) aber hat in jüngster Zeit die Rudelsburg dieselbe Bedeutung erhalten durch die Gründung eines sogen. „Senioren-Convents- (S. C.) Verbandes“, der jetzt alle Universitäten Deutschlands und der Schweiz umfaßt, in Kösen seine jährlichen Pfingstversammlungen hält und auf der Rudelsburg seine Feste feiert. Dieser „Allgemeine deutsche Corps-Verband“, der schon für die Restauration der Rudelsburg ansehnlich beigesteuert, hat die Stätte der Vorburg, auf welcher einst der Thurm der Kirche gestanden haben soll und welche später die auch längst verschwundene Windmühle einnahm, erkoren, um hier allen ihren im französischen Kriege gefallenen und an ihren Wunden gestorbenen Commilitonen die Ehrensäule zu errichten, welche unsere Abbildung darstellt. – Seltsamer Weise ist viel Soldatenarbeit daran: der Entwurf von Baurath Mothes, früher sächsischem Lieutenant, die Maurerarbeit von Werner in Kösen, einst Unterofficier in Schleswig, die Zimmerarbeit (Gerüst) von Töpfer in Kösen, der mit vor Straßburg, und die Steinmetzarbeit von Einsiedel in Leipzig, der als Lieutenant mit vor Schlettstadt lag. Den Adler auf der Säule modellirte Bergk, der Guß ist von Götjes, Bergmann u. Comp. in Leipzig. Der Schaft der romanischen Säule besteht aus Rochlitzer Porphyr, an der Capitäldeckplatte sind die Wappen der Staaten und freien Städte des Reichs angebracht, am Postament Embleme des Eisernen Kreuzes. Die Höhe des Denkmals beträgt 49 Fuß.

Und so entspricht denn dieses Denkmal, das nicht blos die Trauer um die Gefallenen, sondern zugleich der Stolz des Sieges aufgerichtet, als nahe erfüllt aus, was Robert Prutz noch als klagenden Wunsch in demselben alten Gedenkbuch der Rudelsburg niedergelegt, von welchem aus Franz Kugler’s „An der Saale hellem Strande“ in alle Welt gegangen. Mit jenem, damals Tausenden aus der Seele gesprochenen Wunsche aus trüber Zeit wollen wir von der Burg scheiden:

„In den altersgrauen Räumen
Unter Trümmergraus und Wust,
Jugendhoffen, Jugendträumen,
Zieh’st noch einmal durch die Brust.

Da die Becher lustig klangen
In der Freunde munter’m Kreis,
Da wir Jubellieder sangen,
Vaterland, zu deinem Preis!

Und ein Echo geht noch heute
Durch die tiefste Seele mir,
Sei es Fest-, sei’s Grabgeläute,
Vaterland, es gelte dir!

Daß noch einst in fernen Jahren
Deutsche Burschen jubeln hier
Frohen Muths, wie wir es waren,
Aber – glücklicher als wir!


  1. Mit dem Namen Rudolph hat die Rudelsburg nichts zu thun, weder ein Kaiser noch ein Ritter dieses Namens hat sie gebaut. Ihre älteste Bezeichnung (im zwölften und dreizehnten Jahrhundert) ist Ruteleibisberg und noch in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts heißt sie die Veste zu Rottelsberg. Die Stätte soll vorher ein wendischer Opfer- und Begräbnißplatz gewesen sein. Das älteste Mauerwerk der Burg läßt in seiner Aehnlichkeit mit der römischen Constructionsweise eher auf slavischen, als germanischen Ursprung schließen, wie O. Mothes darthut. Eine fleißige Zusammenstellung des Geschichtspersonals giebt Johannes Stangenberger im „Gedenkbuch der Rudelsburg“ (Hildburghausen, Kesselring).
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