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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

thierische Theil des Menschen folgt dem Naturgesetz, und darf daher von der Gewalt des Affekts unterdrückt erscheinen. An diesem Theil also offenbart sich die ganze Stärke des Leidens, und dient gleichsam zum Maaß, nach welchem der Widerstand geschäzt werden kann; denn man kann die Stärke des Widerstandes, oder die moralische Macht in dem Menschen, nur nach der Stärke des Angriffs beurtheilen. Je entscheidender und gewaltsamer nun der Affekt in dem Gebiet der Thierheit sich äußert ohne doch im Gebiet der Menschheit dieselbe Macht behaupten zu können, desto mehr wird diese letztere kenntlich, desto glorreicher offenbart sich die moralische Selbstständigkeit des Menschen, desto pathetischer ist die Darstellung und desto erhabener das Pathos. [1]


  1. Unter dem Gebiet der Thierheit begreife ich das ganze System derjenigen Erscheinungen am Menschen, die unter der blinden Gewalt des Naturtriebes stehen und ohne Voraussetzung einer Freyheit des Willens vollkommen erklärbar sind; unter dem Gebiet der Menschheit aber diejenigen, welche ihre Gesetze von der Freyheit empfangen. Mangelt nun bey einer Darstellung der Affekt im Gebiet der Thierheit, so läßt uns dieselbe kalt; herrscht er hingegen [385] im Gebiet der Menschheit, so ekelt sie uns an und empört. Im Gebiet der Thierheit muß der Affekt jederzeit unaufgelößt bleiben, sonst fehlt das Pathetische; erst im Gebiet der Menschheit darf sich die Auflösung finden. Eine leidende Person, klagend und weinend vorgestellt, wird daher nur schwach rühren, denn Klagen und Thränen lösen den Schmerz schon im Gebiet der Thierheit auf. Weit stärker ergreift uns der verbissene stumme Schmerz, wo wir bey der Natur keine Hülfe finden, sondern zu etwas, das über alle Natur hinausliegt, unsre Zuflucht nehmen müssen; und eben in dieser Hinweisung auf das Uebersinnliche liegt das Pathos und die tragische Kraft.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_384.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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