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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

vor länger als zehn Jahren, zu einer Zeit, in der das Stereoskop dem französischen Gelehrten noch völlig unbekannt war, ganz auf dieselbe Weise Lichtbilder zu gleichem Zwecke angefertigt und bereits 1844 eine genaue Beschreibung seines Verfahrens veröffentlicht. Dergleichen widerfährt den deutschen Verdiensten von den Mitgliedern der großen Nation, die für die Leistungen anderer keine Augen haben, freilich ziemlich häufig, und leider wird dieser Dünkel dadurch sehr genährt, daß gerade die ausgezeichnetsten deutschen Gelehrten ihre Entdeckungen zuerst der französischen Akademie vorlegen, lange bevor sie dieselben deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften anvertrauen.

Durch den Handel sind solche Zeichnungen in beträchtlicher Auswahl zu beziehen. Die gefälligsten sind die vom Professor Hessemer – bei Albert in Frankfurt am Main – und von Julie Dubosq in Paris. Namentlich die Lichtbilder des letzteren, seitdem er die Metallplatten, deren Spiegelung die Effecte weniger schön hervortreten läßt, durch Glas ersetzt hat, rufen eine Wirkung hervor, die wahrhaft zauberisch genannt werden kann. Bei Statuen erkennt man sogar, ob sie aus Marmor oder Erz gebildet sind, weil beide Materialien das Licht verschieden zurückwerfen und dadurch in den Nachbildungen Licht und Schatten verschieden vertheilt werden. Die Bilder, vor allem die Lichtbilder, sind es auch, welche den Apparat vertheuern; doch ist der Preis der Art, daß er einem Jeden zugänglich ist, sobald die Ansprüche nicht zu sehr gesteigert werden. Ein Apparat mit einer Sammlung gewöhnlicher Zeichnungen auf Papier kostet, je nachdem er mit mehr oder weniger Luxus ausgestattet ist, in Paris 30 bis 12 Francs. Freilich ist die Anzahl der Zeichnungen nur eine geringe, und daher würde das reizende Spielwerk bei Vielen sehr bald in Mißkredit kommen. Bald wird man es aber nicht nöthig haben, sich die Apparate selbst anzuschaffen; die Aussicht, Geld zu verdienen, wird in kurzer Zeit bewirken, daß man an allen Orten Stereoskope für das größere Publikum aufstellen wird. Und neue Bilder werden stets wieder eine neue Anziehungskraft ausüben.

Es heißt zwar „dem Verdienst gebührt die Krone," aber das Leben lehrt uns, daß zwischen dem „gebühren“ und „erreichen“ sehr oft eine große Kluft liegt, die durch ein unbedeutendes Etwas, ein zufälliges Ereigniß von der geringfügigsten Bedeutung ausgefüllt werden muß. So auch beim Stereoskop. Bereits am 21. Juni 1838 stellte Wheatstone sein Spiegelstereoskop in der Königl. Gesellschaft zu London auf und erntete hier einen Beifall, der ihn zu dem oben angeführten Ausspruch berechtigte. Mehr noch als hier zog die neue Entdeckung die Aufmerksamkeit der deutschen Physiker und Physiologen auf sich. Nicht allein, daß sie sich an den überraschenden Täuschungen, in die sich „das Auge gleichsam mit Lust stürzt," weidlich ergötzten, sondern auch ernste, wissenschaftliche Erörterungen, die wir in einem andern Artikel besprechen wollen, wurden dadurch herbeigeführt. Aber daran dachte Niemand, daß man auch außerhalb der gelehrten Kreise Sinn für die dortigen Wunder, die der kleine Apparat offenbarte, haben könnte. Und ohne eine zufällige Reise nach Paris, die Sir Davis Brewster im Herbst 1850 – also 12 Jahre später – ausführte, hätte das Stereoskop selbst heute wohl kaum einen Weg in das größere Publikum gefunden. Dieser unbedeutende Umstand genügte, um die Lage der Dinge vollständig zu ändern; aus einer Rarität der physikalischen Kabinette wurde das Stereoskop ein beliebtes Spielzeug für große und kleine Kinder.

Die leichtentzündliche Phantasie der französischen Physiker, die bis dahin von dem Vorhandensein der schon ziemlich alten Erscheinung auf dem Gebiete der Wissenschaft keine Ahnung gehabt hatten, war auf das Höchste überrascht von den Wundern, die sich vor ihren Augen aufthaten, sobald sie in den kleinen Kasten hineinsahen, den Brewster vor ihnen aufgestellt hatte. Namentlich der Abbé Moigno drang auf das Lebhafteste darauf, diese außerordentliche Belustigung dem größeren Publikum nicht länger vorzuenthalten. Er überredete Brewster mit dem Opticus Dubosq in Verbindung zu treten und diesem die Anfertigung der Apparate zu übertragen. Brewster willigte ein, und auf überraschende Weise wurde das Unternehmen durch den Erfolg gekrönt. In dem ersten Jahre wurden mehr als tausend Apparate in Frankreich, England und Deutschland verkauft.

Und nun gar erst die Zukunft, die man hier dem Stereoskop prophezeit. Man nennt es die Krone der Photographie und sieht es als ein noch bei Weitem größeres Wunder an als das Daguerreotyp. Man glaubt, daß einst der Tag kommen werde, wo man sich nicht mehr mit Gemälden und Statuen, die man mehr oder weniger todt und Phantasiegebilde der Künstler nennt, begnügen werde; daß dann Stereoskop und Daguerreotyp Hand in Hand gehen werden, um unsern Augen alles so darzubieten, wie es wirklich ist. Man träumt schon von Gallerien, die den lebendigen Ausdruck der Köpfe, die man verewigen will, getreu wiedergeben, von Museen, die alle alten und modernen Kunstwerke so zu sagen in Natur vorführen, von Sammlungen, die gerühmte und berühmte Gegenden, Bauwerke und Ruinen so zur Anschauung bringen, wie sie wirklich sind, so daß sie in uns dieselben Gefühle erregen, als wenn wir sie mit eigenen Augen schauten, - eine Forderung, an der selbst ausgezeichnete Künstler scheitern. Und selbst Portraits, die Gedenkzeichen unserer Lieben, sieht man schon mit dem Stereoskop vereint. So ungeheuer dieser Erfolg auch genannt werden muß, - in Frankreich bezweifelt man ihn nicht, nachdem man die Nachbildungen der großartigen Gallerien der Weltausstellung zu London, die Familiengruppen von Claudet und die zahlreichen Lichtbilder von Duboscq gesehen hat. Das deutsche Blut fließt freilich ruhiger, aber auch wir wollen die Möglichkeit des Erfolges zugeben. Legen wir aber in Bezug auf die Erfüllung der frommen Wünsche die Erfolge der Photographie und Galvanoplastik, die beide in Betreff des materiellen Nutzens ungleich höher stehen, als Maaßstab zu Grunde, so möchte es dieser Verheißung eben so gehen, wie vielen anderen.




Aus dem Skizzenbuche eines sächsischen Auswanderers.
II. Ein Naturbild.
Nicht die große seltne Noth der Welt, die Fluthen, die Erdbeben, die Eure Städte verschlingen, rühren mich; mir untergräbt das Herz die verzehrende Kraft, die in dem All der Natur verborgen liegt, die nichts gebildet hat, das nicht seinen Nachbar, nicht sich selbst zerstörte.
Goethe. 

Jedes lebendige Wesen verfolgt andere und wird von andern verfolgt, denn in der Natur herrscht ununterbrochen Kampf, Krieg und Blutvergießen und das Recht des Stärkern ist das alleinige Gesetz, die einzige Richtschnur aller Erschaffenen, die nicht Mensch heißen. Auf jedem kleinen Spaziergange in Europa schon findet der aufmerksame Beobachter diese Wahrheit bestätigt, greller und auffallender aber tritt sie ihm in Ländern entgegen, wo das Naturleben in üppigerer Fülle, in mächtigerer Kraft und frei von menschlicher Censur und Polizei sich regt.

Wir befanden uns im Süden der Vereinigten Staaten und hatten uns vor zwei großen Bäumen gelagert, die von Schlinggewächsen wie von Guirlanden dicht umschlungen und verbunden waren. Die Blätter verschwanden unter einer Fülle von Blüthen, die sich wie ein bunter Teppich darüber breiteten und meist aus großen scharlachrothen Bignoniaglocken bestanden.

„Sie da, zwei fliegende Edelsteine!“ rief mein Freund. „Colibris! Da kriecht einer wie eine Biene in einen Blüthenkelch hinein. Ob ich ihn zu schießen versuche?“

„Das kleinste Schrot würde ihn in Stücke zerreißen; man schießt Colibris bisweilen, wie ich hörte, mit Mohnkörnchen, aber laß sie leben; siehe lieber zu, Du hast ja so gute Augen, ob Du das Nest findest.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_172.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2023)
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