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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Blätter und Blüthen.

Die letzten Stunden berühmter Menschen. „Sterben ist ein philosophischer Akt,“ sagte Friedrich Schlegel in der Zeit, als er noch in voller Jugendkraft mit seinem Bruder Wilhelm gegen die Vorurtheile der Welt ankämpfte. Viele werden freilich auch jetzt noch dagegen opponiren und behaupten, es sei ein religiöser Akt. Jedenfalls wird man indessen nicht in Abrede stellen können, daß es vor Allem ein natürlicher Akt ist, und daß man Unrecht hat, ihm mit solchen Schrecken zu umgeben, wie es vielfach die Fanatiker des Pietismus gethan haben. Der Tod ist der letzte Tribut, den wir der Natur abzutragen haben, und geistig starke Menschen haben ihn fast durchweg mit der größten Seelenruhe ertragen. Der Gleichmuth, mit dem die philosophisch gebildeten Menschen des Alterthums dem Tod in’s Auge sahen oder wie sie ihn selbst herbeiführten, wenn die Umstände dies erforderten, ist wahrlich nicht geringer zu schätzen, als die Begeisterung, mit der die Christen ihre Seelen Gott oder ihrem Heilande empfahlen, oder die an Unsinn grenzende Glut, mit den die Anhänger Mohamed’s ihrem Paradiese zueilten.

In den letzten Stunden, welche kräftige Menschen durchleben, faßt sich gewöhnlich ihre Geisteskraft noch einmal in ihrer ganzen Energie zusammen, und sie sprechen Worte aus, die als das Stichwort ihres ganzen Lebens zu betrachten sind. Ebenso ist der Abschied vom Leben für die schwankenden, wie für die heuchlerischen und lügenhaften Charaktere häufig ein Prüfstein, der ihre Schwächen und ihre Hohlheit offen zu Tage legt. Vor dem Tode vermögen nur Wenige ihre Schlechtigkeit zu verbergen, und wenn sie auch bis dahin ihr Leben in lauter Trug und Lüge verbracht haben, so bekennen sie in ihrer letzten Stunde, was sie an der Menschheit gesündigt haben, denn nur, wer kräftig und wahr gelebt habt, kann auch die Kraft besitzen, dem Tod muthig in’s Auge zu sehen. Am Kräftigsten haben sich in dieser Beziehung stets die Gelehrten, Dichter und Künstler der neuern Zeit bewiesen, und ihre letzten Stunden liefern daher ebenso wie ihr Leben und Wirken den Beweis, daß das Wissen und die freie Erkenntniß den Menschen am Freiesten macht und daher das höchste Ziel seines Strebens zu bilden hat.

Es ist interessant, eine Vergleichung dieser Erscheinung mit andern zusammen zu stellen, und ich will daher versuchen, einige Zeugnisse darüber mitzutheilen.

Als Alfieri seinem Ende nahte, glaubte er einen Priester zu sehen und bat ihn, ein anderes Mal wiederzukommen. Als darauf am nächsten Morgen wirklich ein Priester erschien, sagte er zu seiner Umgebung, sie möge die Gräfin Albany rufen, er habe dieser noch etwas zu sagen und nur noch wenige Augenblicke zu leben. Als die Gräfin kam, rief er ihr zu „Reiche mir die Hand, theure Freundin, ich sterbe!“ – Damit war er todt. – Als der Mathematiker de Lagny schon halb bewußtlos auf dem Todtenbette lag, wollte einer seiner Freunde versuchen, ob er noch die Kraft habe, sich aufzuraffen und fragte ihn nach der Quadratzahl von 12. – „144,“ rief der Mathematiker und starb. – Der französische Grammatiker Bonhours starb mit den Worten: „Je vas ou je vais mourir,“ man kann beides sagen. – Als Malherbes im Sterben lag, rief er seiner Wärterin zu, sie möge nicht so viel Sprachfehler machen, und als sein Beichtvater ihm von dem ewigen Leben sprach, sagte er zu ihm: „Haltet Euren Mund. Wenn Ihr in so schlechtem Französisch von dem ewigen Leben sprecht, kann ich nicht daran denken.“

La Mothe le Vayer, einer der eifrigsten Ethnographen seiner Zeit, rief seinem Freunde Berrier, einem berühmten Reisenden, als dieser an sein Bett trat, zu: „Nun, mein Freund, was giebt’s Neues vom Großmogul?“ und starb. – Als der berühmte Satyriker Scarron im Sterben lag, sagte er zu den Umstehenden, zu denen auch seine ehemalige Frau, Madame de Maintenon, die Maitresse Ludwig’s XIV. gehörte: „Ihr könnt nicht so viel um mich weinen, lieben Kinder, als ich Euch lachen gemacht habe!“ – Als man Pope damit trösten wollte, daß so viel Symptome zu seiner Besserung vorhanden seinen, rief er aus: „Ja, ich sterbe an Euren hundert guten Symptomen!“ – Als Rousseau im Sterben lag, rief er seiner Frau zu, sie möge das Fenster öffnen, damit er das herrliche Naturschauspiel genießen könne. – Goethe starb mit den schönen vielbedeutenden Worten: „Mehr Licht!“ - Newton starb, indem er seine Uhr aufzog und der schweizer Naturforscher Albrecht von Haller sagte, indem er sterbend seinen Puls befühlte: „Die Arterie hört auf zu schlagen.“ – Klopstock recitirte in seinen letzten Augenblicken die Verse über den Tod der Maria aus seiner Messiade.

Beethoven sang, als es mit ihm zu Ende ging, die Verse aus seiner Hymne an die Freude: „Brüder, über’m Sternenzelt muß ein guter Vater wohnen.“ – Mozart ließ sich von seiner Tochter die Hymne der Maria aus seinem Requiem vorspielen, und hauchte mit deren letzten Tönen auch seinen Geist aus. – Haydn lag gerade im Sterben, als die Franzosen Wien bombardirten und dicht bei seinem Hause in Schönbrunn 1500 Kanonenschüsse abfeuerten. Seine beiden Diener waren voll Angst. „Was fürchtet Ihr Euch?“ rief der alte Mann aus. „Wo Haydn weilt, kann kein Unglück geschehen.“ Dann sang er: Gott erhalte Franz den Kaiser, und verschied. – Frau von Staël sagte sterbend zu Chateaubriand: „Ich habe Gott, meinem Vater und meinem Vaterlande gedient.“ – Die berühmte Frau Roland schrieb im Gefängnisse, als sie zum Tode verurtheilt war, noch ihre Memoiren, und als sie auf dem Schaffott stand, sagte sie: „Freiheit, wie viel Verbrechen werden in deinem Namen begangen!“ – Als Thomas Morus das Schaffot bestiegen hatte, sagte er lächelnd zu seinen Begleitern: „Ich danke Euch dafür, daß ich so gut heraufgekommen bin, wie ich herunterkomme, dafür laßt mich nur selbst sorgen.“ – Walter Raleigh, der berühmte Seefahrer, den Jacob II. zum Tode verurtheilen ließ, nachdem er ihn 12 Jahre im Tower gefangen gehalten, nahm auf dem Schaffott die Axt des Scharfrichters in die Hand und sagte: „Das ist eine scharfe Medicin, die für alle Uebel gut ist.“ Als man ihn fragte, ob er sein Haupt selbst auf den Block legen wolle, erwiederte er: „Wenn das Herz recht ist, ist es gleich, wo der Kopf liegt.“ Dann gab er selbst das Zeichen zu dem Todesstreich. Auch Karl I. starb nicht ohne Muth. „Ich fürchte den Tod nicht“, sagte er, „er hat für mich nichts Schreckliches.“ – König Friedrich von Dänemark rief in seinen letzten Augenblicken aus: „Es ist ein großer Trost für mich in meiner letzten Stunde, daß ich wissentlich Niemand beleidigt habe und daß kein Tropfen Blut an meinen Händen klebt." – Nicht die kräftigste Rolle in der Sterbestunde spielen die Kardinäle, welche zu weltlicher Macht gelangt sind. Als der Kardinal Beaufort starb, den man beschuldigte, den Herzog von Gloucester ermordet zu haben, rief er aus: „Muß ich denn sterben, können alle Reichthümer mich nicht retten, läßt sich der Tod nicht bestechen?“ – Als Kardinal Wolsey seinen Tod nahen fühlte, sagte er: „Wenn ich Gott so gut gedient hätte, wie dem Könige, würde mich dieser nicht im Alter preisgegeben haben. Mir gechieht Recht. Master Kingston,“ rief er sodann dem Gouverneur des Tower zu, „sagt dem Könige, ich beschwöre ihn in Gottes Namen, daß er die verderbliche Sekte der Lutheraner ausrotte.“ Dann sprach er von den Hussiten und von Wiclef. Seine Augen flammten. „Wenn der König die Ketzerei duldet,“ rief er, „so wird Gott ihm die Krone nehmen, Unheil wird auf Unheil folgen und das Land zu Grunde gehen. Vergeßt es nicht, ihm das zu sagen. Wenn ich todt bin, wird er meine Worte besser beherzigen.“ – Der Kardinal Mazarin sagte sterbend: „O meine arme Seele, was wird aus dir werden, wohin wirst du gehen?“ – Auch die Königin Elisabeth starb sehr verzagt. „All’ meine Besitzthümer gäbe ich für einen Augenblick Zeit,“ rief sie aus. – Als die Herzogin von Nottingham, die daran schuld war, daß der Graf Essex sich nicht mehr an die Königin wenden konnte, im Sterben lag, hatte Elisabeth die Grausamkeit, ihr zu sagen: „Gott mag Euch vergeben, ich kann es nicht.“ – Als Tasso, dessen Geisteskräfte durch Wahnsinn gebrochen waren, im Sterben lag, sagte er zu dem Kardinal Cynthia, er möge alle seine Werke verbrennen, besonders aber das befreite Jerusalem.

Die meisten bedeutenden Staatsmänner und Kriegshelden der neuern Zeit sind muthig und selbstbewußt gestorben. – „Sagt Collingwood, er soll die Flotte vor Anker gehen lassen,“ waren Nelsons letzte Worte. – Napoleon rief sterbend aus: „Tête d’armée!“ – Friedrich der Große, als er sich an seinem Lebensende im Garten von Sans-souci sonnte, sagte, indem er in die Sonne blickte: „Bald werde ich dir näher sein!“ – Jefferson’s letzte Worte, die er gerade fünfzig Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung aussprach, waren: „Ich vermache meine Seele Gott und meine Tochter meinem Vaterlande.“ – John Adams starb mit den schönen Worten: „Unabhängigkeit für immer!“ –Washington schied mit den Worten: „Es ist wohlgethan.“ – Als vor einigen Wochen Lammenais starb, erzählten die Zeitungen, daß er in der letzten Stunde jeden Beistand abgelehnt und verordnet habe, daß sein Leichenbegängniß nicht anders als das des ärmsten Mannes sein sollte. Und so geschah es auch. Aber Tausende hatten sich versammelt, ihm das letzte Geleit zu geben. Die Polizei hielt sie zurück, und Gensd’armen trugen den am Freiesten gesinnten Mann Frankreichs zu Grabe! Eine brennende Satire auf die jetzigen Zustände Frankreichs.




Literarisches. Auch Alfred Meißner ist unter die Novellisten gegangen und wird nächstens einen zweibändigen Roman: Der Pfarrer von Grafenried, eine deutsche Lebensgeschichte, veröffentlichen. Bei Meißner’s glänzendem Style läßt sich wenigstens nach dieser Richtung hin schon etwas Gutes erwarten. Von Ida von Düringsfeld erscheint nächstens: Clotilde, die Geschichte zweier Herzen, und von Emma Niendorf, ein Buch über London – wahrscheinlich, um einem längst gefühlten Bedürfniß abzuhelfen.




Allgemeiner Briefkasten.

H. G. in Kiel. Danken sehr, können aber weder von der Prosa noch von der Poesie Gebrauch machen.

S. in Laibach. Sie wünschen, daß die Gartenlaube zwei Mal wöchentlich erscheinen und bei erhöhtem Preise noch mehr Text als bisher liefern möge. Sie glauben damit den Wunsch vieler unserer Leser auszusprechen. Allerdings häuft sich der interessante Stoff in so großer Menge, daß wir ihn kaum noch bewältigen können. Doch hat in dieser Frage das Publikum eine Hauptstimme.

Der Leserin in Curland. Ihrem Wunsche sind wir bereits durch die Karte der Krim in Nr. 12 nachgekommen.

Br. in S–n. Der „Birnbaum,“ sehr hübsch, aber viel zu lang.


Im Verlage des Magazins für Literatur ist erschienen:

Wasser thuts freilich.
Von J. H. Rausse..
Naturgemäße Krankheits- und Heilungslehre.
Vierte Aufl. 2 Thle. geh. 1 Thlr.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_240.jpg&oldid=- (Version vom 16.6.2023)
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