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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

verschiedenen Gemeinden in besonderen Accorden eingekaufte Schellengeläute von den Waldwiesen der Tanzbuche und des Inselsbergs herüber. Was ist’s, was zumeist dem thüringer Waldgebirge den specifischen Reiz verleiht und ihm einen ganz besonderen Character giebt? – Nicht die Großartigkeit des Riesengebirges oder gar der deutschen Alpen, nicht die Rauhheit und Abgeschroffenheit der Röhn und des Spessart, nicht die rasche, mannigfaltige Abwechselung des Harzes, auch nicht eine besondere naturhistorische, etwa geologische Eigenthümlichkeit, wie beim Fichtelgebirge vorzugsweise, nein, der eigenthümliche Reiz liegt in der Anmuth der Natur, in der eigenthümlichen Industrie seiner Bewohner und in der Geschichte dieses Bodens. Die Anmuth ist anderwärts auch zu finden, aber nicht so allgemein; das Erzgebirge hat auch geologische und geognostische Eigenthümlichkeiten, aber auch andere Industriezweige und sein – leider – charakterisirendes Elend. Und die Geschichte? Die Geschichte des deutschen Volkes rankt sich um kein Stück, um kein Gebirge des vaterländischen Bodens wohl mehr, als um diese Colonnade des himmlischen Architekten.

Auf Anrathen zweier lieber Begleiter gaben wir für heute unsern Plan, das „weißenburger Häuschen“ und den „Bürschenweg“ erreichen zu wollen, auf, verließen, den uralten, wahrscheinlich von Karl dem Großen schon angelegten „Rennstieg“ und bogen vom Ungeheuergrunde hinter Reinhardsbrunnen nach Tabarz ein. Tabarz und Cabarz sind zwei saubere Dörfer mitten im Waldgebirge, in engen Gebirgsecken gelegen; sie sind Beide, still der Natur am Herzen liegend, mit Waldduft, Waldkräutern und Waldgesang zusammengewachsen, ein paar rechte Plätzlein für Romantik. Die Bewohner sind ein eigenthümlicher Menschenschlag, durch Mundart und Kleidung von den Nachbarn verschieden, jedenfalls wendischer Abkunft. Sie erinnern auch in vieler Beziehung an den altenburger Bauer, und die Namen ihrer Ortschaften nehmen sich höchst seltsam aus mitten unter ächtdeutschen Ortsnamen.

Hier war’s, wo wir ziemlich ermüdet unsere Reisetaschen abwarfen und zuerst in dieser Gegend so recht auffällig auf einen neuen Charakterzug der thüringer Waldbewohner hingewiesen wurden. Eine ihrer liebsten Beschäftigungen, eine allgemeine Volksliebhaberei ist der Vogelfang und was damit zusammenhängt: Vogelzüchterei und Abrichten dieser Vögel. Diese Beschäftigung ist ein Stück thüringer Volksindustrie.

Vom Harze herüber klingt zwar auch aus alter Zeit die Sage von fleißigem Vogelfange; Heinrich der Vogler wurde ja dort vom Finkenfange hinweg zum großen Fange geholt. Auch sonst allerwärts giebt’s Vogelsteller und Vogelherde; aber nie so gründlich gebildete und wachsame und stolze Vogelsteller als hier. Auch mag kein Gebirge so leicht eine so bedeutende Anzahl derselben aufstellen können, als der thüringer Wald. Von Jugend auf sitzen hier die Knaben um den alten Vogelsteller her, lernen frühe schon Sprenkel stellen, Ruthen streichen, dann die Gebauer schnitzen, Pappe ausschneiden, Draht und Weidenruthen flechten; dann geht’s mit in den Wald. Da wird nun gelugt, „ausgeschaut, wo der Krinitz, der Weinzapfer, der Schniel“ etc. sein Nest baut; da lernt der Junge klettern; der Vogelflug, der Nestbau, der Lockton des Vogels ist ihm, oft schon hinreichend, den Vogel, den er vor sich hat, zu bestimmen; Wissenschaften, die nur er, der Sohn des Waldes, kennen mag und die uns meist ganz abgehen. Ja, der ächte Vogelsteller weiß an der Beschafffenheit, an der Mischung des Waldes, an der Oertlichkeit überhaupt, welche Vögel in der Nähe nisten müssen.

Dann muß man die Pflege der Vögel erlernen, ihr Futter und ihre Lebensweise wissen und das kostet Jahre; und soll’s noch Etwas mehr einbringen, als gewöhnlich, nun so muß der Vogelsteller auch etwas Markt verstehen und den Handel einleiten oder selbst auf Märkte ziehen.

In unserem Hause wohnte solch ein alter, ergrauter Waldbruder, der mich, als ich ihn unter seinen menschlichen und thierischen Schülern sah, unwillkürlich an Kind’s Gedicht: „Der Stieglitz“ erinnerte. Er saß vor einem alten, buchenem Tische und schabte Möhren; daneben stand ein ziemlich großer, hölzerner Futterkasten mit mancherlei Futtersorten in kleinen Kästen; auf dem Tische saß ein kirrer Gimpel und hülfte Sommerrosenkörner mit ebenso großem Appetite aus, wie ein rothbäckiger Junge neben ihm sich wacker in seine Butterschnitte vertiefte. Ein älterer schnitzte Holzstäbchen aus fichtenen Aestchen. Die Seite der Stube war über und über mit Vogelbauern tapezirt: groß und klein stand und hingen sie da. Die untersten waren „Brutkäfige“ und deshalb groß; oft waren sie aus Weidenruthen geflochten; darüber standen Gebauer aus Holzstäbchen, Eisendraht und durchbrochener Pappe gefertigt. Nicht immer bleibt die Form und der Stoff der Gebauer dem Zufalle überlassen; Vögel, die gern laufen, anlaufen und dann aufstoßen, bekommen lange, schmälere und mit Wachsleinwand weich gedeckte Käfige. Vögel, die gern „knappern“ (an einer Sache herumhacken) bekommen selten Gebauer von Eisendraht, weil sie den Rost „abputzen“ und sich den eigenen Schnabel oft zu Schanden machen. Noch weniger – meinte unser alter Kenner – würde er den Vögeln einen Bauer von Kupferdraht, wie sie jetzt häufig sind, geben; Holz sei rathsam und solle das nicht sein, so gebe man den dünn geschnäbelten Insektenfressern, den Grasmücken, Fitis und ähnlichen, Pappwände in die Gebauer. Einen „Bollenpick“ (so heißt der Kernbeißer dort) freilich dürfte man nicht Pappe geben.

„Wohin geht denn Euer Handel, liebe Leute, vorzüglich?“ fragen wir.

„Viel wird nach Preußen geschafft; wieder Viel geht aber nach dem Süden über Bamberg und mit den Saamenhändlern von da weiter. Wir ziehen aber auch auf die Märkte und Messen und in Fröttstädt und Waltershausen werden große Bestellungen gemacht.“ –

„Seid Ihr denn Viele im Ortem die sich damit nähren?“ –

„Herr, hier treibt man allerweil den Vogelfang, wenn man Muse hat und ich bin doch nicht der erste Vogelfänger im Orte.“

„So! Wer ist denn der erste Vogelfänger?“

„Das ist der Finkenmärten am obern Steg. Der zieht Sommer und Winter und ist blos Vogelsteller; der kann Euch mehr sage, wenn’s nur höre wollt!“ –

Wir gingen zum obern Steg hinauf. Der Finkenmärten war daheim. Wir traten in die Hausflur, wo Netze, Ruthen, Pferdehaare und Tirasse lagen. Der alte Züchter war ein freundlicher, gesprächiger Mann, wie es schien, erfreut über den Besuch. Er stand auf und kam uns freundlich entgegen; auf unsre Bitte aber, sich doch ja nicht stören zu lassen, setzte er sich wieder und begann auf der Serinette, jener kleinen Drehorgel, zu spielen. Es war gerade in seiner Hauptarbeit, als Professor artis musicae seinen kleinen gefiederten Musensöhnen Melodien einzulernen. Man benutzt außer dem Vorpfeifen und Vorsingen gar häufig noch die Serinette; vorzüglich geschieht dies bei er Gimpelzucht, wozu man oft eine kleinere Art mit bloßer oder wenigstens stark vortönender Melodie angewendet. Jetzt sahen wir auch die Wirkung auf die kleinen Sänger. Sie wohnten in ähnlichen Zellen, wie wir sie vorher gesehen hatten; nur schien hier Alles mehr auf Abrichtung und Zucht berechnet zu sein und ihr Musaget, ihr grauhaariger Musenführer, war in dieser Beziehung ein höchst interessanter Patron.

Nicht alle Conservatoristen nehmen diesselbe Notiz von der ihnen vorgepfiffenen Melodie; am Meisten und zunächst gilt dies von den Gimpeln, Sperlingen, Ammern und Staaren. Aber selbst Canarienvögel, Zeisige und Stieglitze nehmen Neues an, wenn es auch wenig ist.

„Sehen Sie“ – meinte der Alte – „dieser Canariensänger hat lange neben diesen Schniel (Gimpel) gehangen, um ihm als Cantor zu dienen. Aber zuletzt hat mir der Gelbe noch vom Schniele angenommen. Hören Sie’s?“ – Und eben ließ der Canarienvogel seinen vom Gimpel entlehnten Lockruf: „Diu, diu! Poipoipoipoipoi“ ertönen. Und um einem Gimpel drei Melodien beizubringen, kostet es oft Dreivierteiljahre, ja auch ganze Jahre; aber wenn der Gimpel ausstudirt hat, so ist auch diesem herzensguten, zutraulichen Vögelein kaum einer der häufigeren Sänger an Eleganz der Töne gleichzustellen.Allerdings ist es ein Eingriff in die Natur, was seine einfach-schöne Waldweise abtrillerte, etwa den dessauer Marsch oder ein: Wohlauf noch getrunken – einzuüben. Theilweise macht auch die Natur ihr Recht wieder geltend; denn schließt er eine Strophe ab oder kommt er zu seinem eigenen Colloraturen, seinen schnellen, tirilirenden Figuren, seinen Passagen, Läufern , Triller und Tremulanten, so erlaubt er sich immer ein Zwischenspiel, eine neue, pikante Wendung, die mehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_250.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2023)
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