Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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von Ghizeh erhebt sich aus dem Wüstensande, zum Theil in diesem noch verborgen, ein kolossales Skulpturwerk, die berühmte Sphinx, die 89 Fuß lang und wahrscheinlich über 70 Fuß hoch ist. Sie ist mit bewundernswürdiger Kühnheit und Sicherheit aus einem einzigen Felshügel gemeißelt und hält zwischen den Vordertatzen einen kleinen Tempel, an dessen Hinterwand Thutmes IV. steht. Demnach würde dies Werk in die ersten Zeiten des neuen ägyptischen Reiches und in die Glanzperiode ägyptischer Entwickelung fallen. – Die wichtigsten Denkmäler des neuen Reiches sind großräumige Bauwerke, welche wahrscheinlich gleichzeitig (wie die spätern Klöster) Tempel und Wohnungen der mächtigen Priesterschaft enthielten, vielleicht auch Sitz der Pharaonen waren. In ihnen ist der eigenthümliche, eben angegebene Baustyl am deutlichsten ausgeprägt. Am Hauptportal finden sich häufig Obelisken, auf schmal rechtwinkliger Grundlage steil aufsteigende, zu der Spitze pyramidenartig schließende Denkpfeiler, welche aus einem einzigen ungeheuren Granitblock gehauen und mit Hieroglyphen bedeckt sind. – Unter den Denkmälern von Theben ist der auf dem östlichen Nilufer gelegene, im 14. und 15. Jahrhundert vor Christ. erbaute Tempel von Karnak am bedeutendsten; in ihm will man den berühmten Ammonstempel wieder erkannt haben. Etwas jünger ist der südwestlich von ihm liegende Tempel von Luksor, welcher mit dem Tempel von Karnak durch eine Allee von ungeheuren Sphinxen verbunden war. Am westlichen Ufer des Nil, wo die Todtenstadt gelegen zu haben scheint, finden sich Trümmer kolossaler Gebäude, Reste der ungeheuren, in den Fels gehauenen Königsgräber, der Hypogäen. Noch ungeheurere Trümmer von steinernen Gebäuden, sowie Reste von 17 Riesenstatuen liegen unweit von Medinet-Abu und haben dem Orte den Namen „das Feld der Kolosse“ gegeben. Die Statuen waren gigantische, in Sandstein ausgehauene Königsbilder; das größte ist das Memnonsbild, über 70 Fuß hoch und gegen 3 Millionen Pfund schwer, welches beim Gruße der Morgensonne einen klagenden Ton von sich gegeben haben soll. – Auch im untern Nubien trifft man auf zahlreiche Spuren der großen ägyptischen Bauthätigkeit; die großartigsten sind die Gräber von Ipsambul mit kolossalen Statuenpfeilern. – Von den spätägyptischen Bauwerken verdienen die Pyramiden von Meroë in Ober-Nubien einer Erwähnung; sie sind Nachahmungen der unterägyptischen Pyramiden, aber weit kleiner und steiler ansteigend als diese, auch ist ihnen eine Vorhalle mit einem Fenster über dem Eingange hinzugefügt. Von Tempeln ist der prachtvollste der zu Denderah unterhalb Theben, welcher von Kleopatra und Cäsar begonnen wurde und dem, im Vergleich mit den altägyptischen Tempeln, die Vorhalle sammt dem Pylon (der doppelt-thurmartige Bau am Portale) fehlt, wie den meisten spätägyptischen Bauten. (Fortsetzung: die klassische Architectur, später.)
Der neue englische Krim-Wagen.
Daß die Schnecke ihr Haus auf dem Rücken mitnimmt, wenn sie verreis’t, ist bekannt. Daß man im Scherze dem Boten, der schnell sein soll, räth, er solle die Beine auf die Achseln nehmen, ist uns auch geläufig. Aber ein Wagen, der seinen Weg mitnimmt, der im Dahinrollen sich immer eine Eisenbahn baut und gleich hinter sich wieder wegnimmt, um vorn immer wieder damit weiter zu bauen, das ist uns neu und erinnert an den alten mittelalterlichen Teufel, der den Herren, welche sich ihm verschrieben hatten, während ihres Lebens sclavisch dienen mußte, wenn er die Seele endlich abfassen wollte, um seine Hölle damit zu bereichern. Unter Anderem mußte der damals geplagte Teufel einmal zwischen einer mit Vieren bespannten, im vollen Carriere fahrenden Equipage immer vor ihr das Steinpflaster aufreißen und hinter ihr gleich wieder legen, so daß nie mehr Pflaster aufgerissen war, als die Equipage Raum einnahm. Das war ein respektables Kunststück vom Herrn Beelzebub. Aber die Herren Engländer Boydell und Glasier in Camden-Town (London) haben’s doch noch weiter gebracht. Sie bauen Hunderte von kleinen Lastwagen zunächst für die Krim und die Ackerwirthschaften des Prinzen Albert, welche ihren Weg immer unter sich selbst aufbauen und hinter sich wieder wegnehmen. Wenn man einen Weg fahren soll und es giebt keinen, wie dies auf der Krim und Tausende von Meilen in den asiatischen Steppen oft Regel ist, giebt es nichts Genialeres und Praktischeres, als auf Wagen zu fahren, die sich immer diesen fehlenden Weg selbst machen, glatt wie auf dem Tische, und nicht blos Weg, sondern complete Eisenbahn. Diese Erfindung klingt auf den ersten Schreck des Hörens fabelhaft, aber mit Hülfe einer Abbildung finden wir uns leicht zurecht.
Wir sehen Eisenbahnschienen rings an den Felgen der Räder angebracht, und zwar so, daß das Rad im Umdrehen immer in eine Schiene nach der andern hineinläuft und sie immer sofort nach der ersten Berührung beim Scheiden von der nächst vorhergehenden platt niederdrückt. Die Schienen bewegen sich in den Rädern in Kurbeln gerade so, daß sie sich, immer eine nach der andern, immer eine genau an die andere sich anfugend, platt auf die Erde genau unter’s Rad hinlegen, so wie sie an die Reihe kommen. So werden Löcher und Tiefen und sonstige Höcker der Erdhaut, die man rippenzerbrechend unter sich fühlt, wenn man auf Wegen fahren muß, die es gar nicht giebt, immer gerade so lang, als der Wagen braucht, zu gebahntem, glatten Eisenwege. Auch Sümpfe werden auf diese Weise hart, da die äußere Fläche der Schienen sehr breit ist und für den Moment dem Einsinken Widerstand genug entgegensetzt. Dabei gewinnt man in Fortbewegung von Lasten auf Wagen gerade die Hälfte der Locomotivkraft, d. h. ein Pferd ist vor einem solchen Wagen so viel wie zwei. Sie wurden wegen der Krimnoth erfunden und die Erfinder haben Hunderte für den Kriegsschauplatz gebaut. Doch läßt Prinz Albert kleinere und ähnlich construirte Wagen auch bereits auf seinen Wiesen und Aeckern in Anwendung bringen. Wenn man sich ein ordentliches Bild, eine deutliche mathematische Vorstellung von der Wirkung dieser mitlaufenden Schienen gemacht hat, begreift es sich sofort, daß diese Art Locomotiven alle schlechten Wege, frischgepflügtes Land, Sumpfboden u. s. w. immer fort in gute Wege
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_598.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)