verschiedene: Die Gartenlaube (1856) | |
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Obschon das Südpolarmeer grauenhaft ist wegen seiner Einöde und der wilden Erhabenheit seiner Naturschauspiele, obschon das feste Eis in der Regel bis zum 60. und 62. Grad reicht, während das Nordpolarmeer an 10 Grad weiter noch schiffbar ist: so haben sich nicht nur gewinnsüchtige Wallfischfänger in dasselbe gewagt, sondern der Drang nach Erforschung des Erdkörpers hat wissenschaftlich gebildete Seefahrer in günstigen Sommern tief in die Eiswüsten des Südpolarmeeres geführt, wo sie Gefahren zu bestehen hatten, bei deren Erzählung den Zuhörer kaltes Grausen überfällt. Wenn wir den Muth der Krieger bewundern, die sich mit Todesverachtung dem Kartätschenhagel entgegenwerfen, so verdienen die Polarfahrer die höchste Bewunderung, da sie viel größere Gefahren zu bestehen haben. Der Soldat kämpft in Gemeinschaft mit seinen Genossen, und fällt er, so endet ein kurzer Tod sein Leben, und lohnt ihn ein ehrenvolles Gedächtniß. Einsam dagegen und tausend Meilen von menschlicher Wohnung und Hülfe entfernt, ringt der Polarfahrer täglich mit dem Tode, Hunger und Kälte peinigen ihn, wenn sein Schiff, vom Winter überrascht, einfriert, und wenn die Wogen es verschlingen, die Eisberge es zermalmen, wenn er, auf eine Eisscholle sich rettend, hülflos von Sturm und Wellen umher getrieben wird, da ahnt Niemand daheim seine Qualen, seine Todesangst – er ist verschollen und wird vergessen. Erneuern wir daher das Gedächtniß an die muthigsten Südpolarfahrer, um uns alle die Grauen und Entsetzen zu vergegenwärtigen, welche diese Entdecker und Erforscher zu ertragen hatten!
Am Weitesten gegen den Südpol ragt die Spitze Südamerika’s, von wo ab die Süd-Orkneys und Süd-Shetlandsinseln nach Süden weisen, wo man einige Küstenstriche entdeckt hat, ohne zu wissen, ob sie einem Festland oder einer Inselgruppe angehören. Aehnliche Küstenstreifen liegen dem Süden Neuhollands gegenüber; doch kennt man auch hier nur einzelne Küstenlinien, die sich auf dem 70. Grad hinziehen, dann plötzlich an der Ostseite nach Süden umwenden, wo die Eisküste, Victorialand genannt, bis zum 78. Grad gegen den Pol hin verfolgt ist. Dort hemmte der Eiswall jedes weitere Vordringen, da er sich unabsehbar nach Osten ausdehnte und einen großen Meerbusen zu umschließen schien, denn südlich von Afrika zieht sich die Eisküste vom 65. Grade süd-westlich gegen den Eiswall.
Schon im Jahre 1600 war ein Holländer, als er eben die Magellansstraße passirt hatte, von einem heftigen Sturme nach Süden in das Polarmeer getrieben, dessen Eisberge und zerklüfteten Inseln ihn mit Schrecken erfüllten. In Europa glaubte man indessen seinen Berichten nicht, und da J. Cook, welcher das Südpolarmeer durchstreifte (1774), unendlich viel Eis fand, so hielt man das Südmeer bis zum 60. Grad für unzugänglich. Erst in unserem Jahrhunderte führte Aussicht auf gewinnreiche Jagd der Thranthiere verwegene Seefahrer in das südliche Eismeer; denn Smith entdeckte 1818 Neu-Südshetland, und Bronsfield untersuchte diese zwölf öden Inseln und eisbedeckten Klippen. Sie waren zwar ohne allen Pflanzenwuchs, aber es lagerten Tausende von Riesenrobben, die oft 24 Fuß Länge und 14 Fuß Umfang hatten, auf den Eisschollen, und zeigten so wenig Scheu vor den nie gesehenen Menschen, daß, wenn die einen erschlagen und abgehäutet wurden, die daneben Liegenden sich nicht von der Stelle rührten. Die reiche Beute lockte mehr Robbenfänger herbei, welche nach neuen Jagdplätzen umher forschten. Unter ihnen hatte der beherzte Weddell das Glück, daß er 1822 die Süd-Orkneys fand und bis zum 74. Grad des eisfreien Meeres vordrang, welches von verschiedenen Seevögeln wimmelte. Fast in jedem der folgenden Jahre ward ein Streifen des vermutheten Südpolarlandes und Inselklippen entdeckt, in denen aber andere Seefahrer zuweilen schwimmende Eisberge für Inseln ansahen, die ein landartiges Aussehen zeigten, weil sie sich überschlagen, und die mit Sand und Schlamm bedeckte Unterseite nach oben gekehrt hatten. Die Streifen eisbedeckter oder schneefreier Berge, die man für den Rand eines Polarfestlandes hält, konnten von den Seefahrern meist nur aus der Entfernung von einigen Meilen beobachtet werden, und lassen daher über Zusammenhang der Küste und Oberfläche derselben Vieles unentschieden. Es fand der Kapitain eines londoner Handlungshauses, der beherzte Viscon, südlich von Madagascar unter dem 65. Grad eine bergige Küste, die er nach der Firma seines Hauses Enderbysland nannte (1830), entdeckte 1832 die zackige Insel Adelaide, welche auf demselben Breitengrade, südlich unter Feuerland liegt und vielleicht die Ecke des Polarlandes ist, welches als Grahams- und Alexanderland nach Südwest, als Trinity- oder Palmersland nach Nordost sich ausdehnt und als weiter Felsenvorsprung südlich Louis Philippsland hat, wogegen die von Russen entdeckten Alexander- und Peterinseln nördlich an der Grahamsküste sich hinziehen.
Diese Entdeckungen erweckten großes Interesse, da sie die Frage über die Beschaffenheit des Südpoles wieder lebhaft anregten, so daß die englische, nordamerikanische und französische Regierung den Entschluß faßten, das Südpolarmeer im Interesse der physikalischen Wissenschaften durchforschen zu lassen. Am Frühesten hatte die französische Regierung die erforderlichen zwei Schiffe dem Zwecke und den zu bestehenden Gefahren gemäß ausgerüstet und deren Führung dem bewährten Kapitain Jules Dumont d’Urville übertragen, welcher ein wissenschaftlich vielseitig gebildeter Mann war und mit dem Kapitain Duperrey, und kurz darauf selbständig Reisen um die Welt gemacht hatte. Als die Julirevolution ausbrach, war er einer der ersten Offiziere, welcher dem König Louis Philipp seine Dienste anbot, den verbannten König Karl X. nach England brachte und dann 1837 beauftragt ward, die Expedition in’s Südpolarmeer zu befehligen. Kaum hatte er den 63. Grad südlicher Breite erreicht, so befand er sich in der schweigsamen, schauerlichen Eiswelt der schwimmenden Gletscher und meilenlangen Eisbänke. Grauenhaft waren die Scenen, die ihn umgaben. Unheimliches Schweigen lagerte über der Meereswüste, nur von Zeit zu Zeit vom dumpfen Rauschen verborgener Wogen und ferner Brandungen unterbrochen. So weit das Auge und das Fernrohr reichten, so weit dehnte sich eine Eiswüstenei aus, die aus vielgestaltigen Eisblöcken bestand. Ohne Ordnung waren sie an einander gedrängt oder dicht zusammengekeilt wie das Eispflaster einer Riesenstraße. Hier ragte eine stumpfe Pyramide, dort die Trümmer einen Würfels empor, zwischen denen sich ungeheuere tafelförmige Schollen, 90–120 Fuß, aufgerichtet hatten, während an andern Stellen die gegen einander gelehnten Eisplatten Höhlen und Gallerien bildeten oder unförmliche Eisklumpen in Haufen über den Blöcken zerstreut lagen; und hier und da gewaltige Blöcke über die übrigen hervorragten wie Marmormauern eines dachlosen Palastes. Scharf und senkrecht wie eine Mauer stand der Eiswall, doch zeigten sich hier und da zwischen den einzelnen Eisblöcken schmale Wasserstraßen, durch welche wohl ein Schiff hindurch schlüpfen konnte.
Während die Riesenwand still zu stehen schien, waren die kleineren Eisstücken, welche vor derselben schwammen, in beständiger Bewegung, indem sie mit den Wogen stiegen und sanken, gegen einander prallten, untertauchten, in die Luft geschleudert wurden und klirrend auf den großen Schollen dahin glitten, auf welche sie etwa beim Herabstürzen fielen. Die Seeleute wurden nicht müde, den Wechsel dieser grotesken Scenen zu bewundern, die mit jedem Wechsel der Beleuchtung und mit jeder Veränderung der Windrichtung andere wurden. Jetzt lagen die Eisstraßen unter wallendem Nebel, durch den ihre grauen Gestalten in unheimlicher Formlosigkeit schauten und wunderbare Perspektiven eröffneten, wenn der Nebelflor zerriß und einzelne Strecken auf Augenblicke aus der Dämmerung mit scharfen Umrissen hervortraten.
Sobald aber die Nebel wichen und die helle Sommersonne ihr volles Licht über die Eisblöcke goß, schimmerte und blitzte es weithin wie von polirtem Marmor und Alabaster. Da sah man sich plötzlich in eine verzauberte Riesenstadt versetzt, man befand sich mitten in einem Venedig des Eismeers. Hüben und drüben standen kolossale Eismassen in Ordnung neben einander wie die Marmorfronten gewaltiger Paläste. Ganz deutlich glaubte man Thüren und Thore, Erker und Mauerzinnen unterscheiden zu können. Palast stand neben Palast, von Zeit zu Zeit ragte ein Obelisk, ein Thurm, eine Säulenhalle, eine Mauerzinne, eine
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_201.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)