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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 44. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Manöverbild.
Von Ernst Keil.

Es war eine finstere Nacht. Wir hatten am Tage viel manövrirt, und uns wacker mit dem Feind herumgeschossen, der durch unser furchtbares Feuer, das freilich die Reihen nicht lichtete, glücklich aus seiner Stellung getrieben worden war. Wir wußten indeß nicht, ob der Feind in der Nacht einen neuen Angriff wagen würde, die Scharte auszuwetzen, und waren gezwungen, durch eine starke Vorpostenkette unser Lager vor jedem Ueberfall zu schützen. Unglücklicherweise traf unser Bataillon das wenig angenehme Loos, die Kette zu bilden, und kaum hatten wir uns von der Anstrengung des Tages ein wenig erholt, als auch schon der Signalist wieder „Sammeln“ bließ, und das Bataillon, an der Spitze „der Alte auf der Hippel“, zur Beiwacht ausmarschirte.

Allen meinen damaligen Kameraden in der Festung E–t wird der „Alte auf der Hippel“ noch im frischen Gedächtniß leben. Er war Bataillonschef und nebenbei Bataillonsquäler. Unser Bataillon war das geplagteste und am meisten gequälte in der ganzen Garnison. Der Alte wollte fortwährend exerciren und Parademarsch üben, und frug dann weder nach Sonnenschein oder Regen, Kälte oder Hitze. Die Leute konnten stürzen vor Müdigkeit und Anstrengung, es kümmerte ihn nicht, wenn der Parademarsch oder eine Schwenkung weniger gut als gewöhnlich gingen. Seinen Namen hatte er von seinem Pferde erhalten, das alt und steif, wie er, wie ein Ziegenbock (in der Bauernsprache: „Hippel“ genannt) vor den Reihen des Bataillons herumtanzte. Wenn der Alte räsonnirte und fluchte und mit dem Degen in der Luft herumfocht, stand die alte Hippel ruhig wie ein Sägebock und rührte sich nicht. Der älteste Mann im Bataillon konnte sich nicht entsinnen, die Hippel stutzen gesehen zu haben. Der Alte hatte noch zwei bessere Pferde im Stalle stehen, er ritt aber nur die Hippel, die kaum das Ohr hob, wenn das ganze Bataillon feuerte.

Was die Hippel geduldig war, war der Alte ungeduldig. Er lobte nie das Bataillon, er nannte es das „schlechteste, maladroiteste“ im ganzen Regiment. Kein Gewehrgriff war ihm recht, keine Bewegung prompt genug, kein Marsch nach dem Reglement. Er richtete sich sogleich in den Bügeln in die Höhe, schlug seine Schenkel mit der flachen Hand und rief mit kreischender, näselnder Stimme: „Haalt – haalt! Aber, meine Herren Kapitains, das jeht nicht, die Leute haben keinen Schritt, kein Tempo – Donnerwetter, ich sehe Bayonnettwackeln im Bataillon – das jeht ja nicht! Ruhe im Bataillon, drei Tage Mittelarrest – wer sich muckt! Wart, ich will Euch kriegen! Aa–achtung!“ dabei hob er sich noch mehr in den Bügeln seiner bockbeinigen Rosinante. „Stillstand! Wer rührt sich!“

Todtenstille rings umher. Unter Fluchen, Schreien und Donnerwettern kommandirte er dann das Bataillon, das ihn weder fürchtete noch liebte, und ihn nur um seiner Exercirwuth willen haßte. Man ließ ihn räsonniren, exercirte wie gewöhnlich und hütete sich, seine Aufmerksamkeit durch Gewehrwackeln oder Kopfbewegungen zu erregen, welche Fehler er sogleich mit drei Tage Mittelarrest bestrafte. Die Feldwebel hatten bei jedem Exerciren im Bataillon vollauf solcher Strafen zu notiren, die dann gewöhnlich eben so rasch wieder ausgestrichen wurden, wie sie notirt waren. Oft aber erinnerte sich der Alte andern Tags der diktirten Strafe, und befahl dann dem Kapitain, streng darauf zusehen, daß seine Befehle befolgt würden, worauf dann freilich der unglückliche Gewehrwackler drei Tage bei Wasser und Brot feiern mußte.

Ich wurde der Feldwache des Lieutenants L. zugetheilt, eines blutjungen Offiziers, der kaum acht Tage die Epaulettes trug. Der Unteroffizier Sommer, mein alter Freund, war mit mir. Wir hatten auf Befehl des Lieutenants ein großes Feuer angeschürt, das hell aufloderte und die nächste Gegend grell beleuchtete. Die Mäntel unter uns, den Tschako als Kissen, lagerten wir im Kreise in den verschiedenartigsten Gruppen; einige aßen, andere rauchten, wieder andere spielten Karte oder erzählten sich Erlebnisse der jüngsten Zeit. Unter den Letzteren waren auch wir, der Unteroffizier Sommer und meine Wenigkeit, die wir etwas abseits vom großen Haufen lagerten, und bei einer guten Cigarre die Zeit mit Plaudern und Träumen todtschlugen. Sommer schien heute besonders mild und sanft gestimmt, und strich einmal über das andere seinen langen Schnurrbart, wie seine Gewohnheit war, wenn er eine lange Geschichte aus seinem vielbewegten Kriegerleben erzählen wollte.

Die Nacht war indeß immer dunkler geworden, und die kalte Luft fing nach und nach an, lästig zu werden. Wir versuchten zu schlafen, und wickelten uns in unsere Mäntel. Der Lärm um und neben uns verhinderte es. Sommer ward unruhig.

„Wollen wir ein wenig promeniren?“ fragte er leise.

Ich gab meine Einwilligung, und bezweifelte nur, daß der Lieutenant die Erlaubniß zum Austreten geben werde.

„Ah Spaß,“ renommirte Sommer, „so ein junges Offizierchen schlägt einem gedienten Unteroffizier, dem zwei Kreuze auf der Brust liegen, nichts ab. Sind alle nicht taktfest im Felddienst und brauchen unser eins. Geben Sie Acht!“

Nach wenigen Minuten schon kehrte er mit der Erlaubniß des Lieutenants zurück. Wir Übergaben unsere Mäntel einem Mann unserer Abtheilung, und gingen dem Walde zu; keiner sprach ein Wort.

„Hm,“ begann endlich Sommer, „es ist doch halt alles Spielerei dieses Exerciren und Manövriren, Bivouakiren und Schikanieren!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_589.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2022)
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