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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

der Redenden noch länger erschien, so überging sie doch, wie mir dünkte, einige Abschnitte ihrer Handschrift, da gegen den Schluß, von der Galerie aus, das Girren wieder ärger wurde.

Als sie geendet, stand Niemand auf, um den üblichen Dank vorzuschlagen. Dagegen sangen die jungen Helden im „Juchhe“ wieder die „Kreuzfidelen Hunde“ und „Frei und lustig“ (Free and easy) im Chorus ab. – Am anderen Tage wurde eine Anzahl derselben, die nach der Vorlesung in eine Musikhalle gegangen waren und dort unter dem Rufe: „Dr. Mary Walker!“ Polsterstühle und Glasscheiben zertrümmert hatten, vor den Polizeirichter gebracht, aber mit geringer Strafe gnädig genug entlassen. Die Rohheit der hiesigen Studenten der Medicin ist leider wohlbekannt. So kam es unlängst vor, daß in St. Mary’s Hospital mehrere derselben den Leichnam eines Mannes in Gegenwart der bekümmerten Wittwe mit Stöcken herumstießen und ekelhafte Witze über den Todten rissen. Der Obmann der Todtenschau sagte ihnen in’s Gesicht, daß sie Ohrfeigen dafür verdienten.

Es wäre ungerecht, gegen eine so schmählich mißhandelte Dame, wie Dr. Mary Walker, eine eingehende Kritik zu richten; doch kann ich nicht verhehlen, daß der neben mir sitzende Freund der Frauenrechte die Bemerkung machte: „Die Dame vergißt zu sehr, was sie einem englischen Publicum sagen kann.“ Es giebt auch hier – die Verhandlungen im Congreß des social-wissenschaftlichen Vereins haben es bewiesen – nicht Wenige, die eine Reform in der Stellung der Frau wünschen und weiblichen Rednern, die in dieser Frage sehr entschieden auftreten, das willigste Gehör leihen. In der Provinz wenigstens ist es Dr. Mary Walker seitdem gelungen, einmal ohne Störung ihren Vortrag zu halten. Gegen die Vermischung der Kleidertrachten aber – und darüber verbreitete sich die Vorlesung in der St. James-Halle nur allzu sehr – sind Alle, die ich noch gehört, und zwar aus guten Gründen. Die Ueberzeugung, daß für Frauen- und Kinderkrankheiten weibliche Aerzte unbedingt erforderlich seien, bricht sich in England immer mehr Bahn. Andererseits bringt es die Natur der Dinge mit sich, daß diejenigen Frauen, die sich zur Laufbahn der Dr. Mary Walker gedrängt fühlen, stets mehr oder weniger auch auf der Grenzlinie der männlichen Charaktere stehen und daher eine numerisch geringe Ausnahme bilden werden.

Im wohlgeordneten Staate muß aber für die Entwickelung Solcher ebenfalls Platz sein; und wenn die „Times“ sagt: „Dr. Mary Walker habe, da sie einmal in die Stellung des Mannes getreten, auch die Folgen über sich nehmen müssen,“ so ist dies eine ganz unlogische Darstellung und zugleich eine Aeußerung, die einen traurigen Einblick in die Macht der herrschenden Vorurtheile thun läßt.




Der Rauchmaler.
Ein Bild aus dem Münchener Künstlerleben.

Im Oberpollinger Gasthaus in München war es in den vierziger Jahren wie immer sehr lebhaft, es war Abend, das Local gedrängt voller lärmender Gäste, die dem edlen Gerstensafte wacker zusprachen; dazwischen tönte eine Dreikreuzermusik, ein Bockwalzer oder ein Ländler von „Harpfen, Flöt’ und Geig’n“. In einem Winkel des Locals ging es besonders lebhaft zu, es waren junge Münchener Künstler, welche ganz in Tabaksdampf eingehüllt sich um einen Tisch gruppirt hatten. Einige spielten Tarok, andere waren im lebhaftesten Discurs über politische und sociale Zustände begriffen. Das Hauptwort führte unter ihnen ein Mann mit lautem und stark markirten oberbaierischen Accent, er trug wie immer eine derbe, rauhe Kochler Joppe mit hochaufgeschlagenem Kragen und ein paar gigantische Wasserstiefeln, die fast bis an die Lenden hinaufreichten. Plötzlich wurde er ernst und ruhig, blies unter seinem martialischen Schnauzbart mächtige Rauchwolken hervor und saß grimmig und in sich gekehrt da. Man hätte seine Gestalt für einen bärbeißigen Oberförster halten können, wenn er nicht der geniale Thiermaler Schleich gewesen wäre, dessen Bilder schon seit Jahren bewundert und hoch gepriesen wurden. Er zog ein Fetzchen Papier aus der Tasche, skizzirte darauf, in sich hineinbrummend, allerlei und vollendete seine Zeichnerei mit einem angebrannten Schwefelholz, da ihm der Bleistift abgebrochen war. Befragt, warum er plötzlich so ernst, brummte er wieder, zerriß die gezeichnete Skizze und, das Papier als Fidibus für seine Cigarre benutzend, sagte er: „Es muß Alles in Rauch aufgehen.“

„Hast wohl wieder keinen Kreuzer im Sack, weil Du so daher red’st?“ fragte einer der Freunde.

„Alles ist verraucht und verdampft,“ rief Schleich mit erhobener Stimme, „und mein ganzes Leben soll verdampfen und verrauchen und auch mein biss’l Kunst soll in Rauch aufgehen.“

Die Anwesenden verstanden die doppelsinnige Rede Schleich’s nicht, bald aber sollten sie erfahren, was Schleich hatte andeuten wollen. Er wurde plötzlich redseliger, trank ein Glas Glühwein nach dem andern und erging sich in humoristisch-philosophischen Auslassungen über die Verderbtheit der Welt, über die Reichen und über die Armen und Elenden, und daß er sich vorgenommen, für reiche Leute nun keine Bilder mehr zu malen, am wenigsten aber für Ausländer. Dann sagte er wieder mit ruhigerer Stimme: Er wisse ein armes Weiberl, eine Wittib mit ein paar Kindern, denen es elendiglich schlecht gehe. Er habe da schon heute etwas hergegeben, aber mehr sei besser, und dabei deutete er ziemlich verständlich an, daß die „Companei“ zusammenlegen solle, damit dem armen Weiberl ein wenig ausgeholfen würde. Seine Ermunterung fand aber nicht den gewünschten Erfolg, worauf er sich nicht weiter äußerte, und anstatt wie gewöhnlich vom Jähzorn hingerissen zu werden, blieb er ganz ruhig, nahm dann einen Teller zur Hand und schwärzte die innere Fläche desselben über einer brennenden Lichtflamme, ergriff ein Stückchen Schwefelholz, fing an auf der Rauchfläche zu skizziren und in unglaublicher Schnelligkeit war da ein Hirsch mit Waldumgebung zu sehen, welcher mit gewaltigem Satze vorübereilt. Das Bild war in unvergleichlicher Lebenswahrheit wiedergegeben; die Zeichnung, welche in ihren weißen Contouren reizend vom Dunkel abstach, erregte allgemeine Sensation. Schleich rief selbstgefällig und siegesbewußt dazwischen: „Ja, Brüaderln, jatz hätte mir amoi das Rechte ‘rausstudirt. Mit diesem Büldl[1] beginnt eine ganz neue Zeitrechnung der Kunst! Seagt’s jatzt ein,[2] ös Trottel,[3] daß die Kunst in Rauch aufgehn muß?“

Ein nicht endenwollendes Halloh und Bravo belebte die Gesellschaft, der Teller machte die Runde durch das ganze Local, man gratulirte dem Künstler zu dieser neuen Erfindung, und Schleich erwiderte, das sei sein erstes Stück, und wenn er nicht gerade Moneten brauche, so gäbe er den Teller gar nicht her, so aber wolle er denselben der Versteigerung unterwerfen, ihn „verlicitiren“.

Da wurde die Steigerungslust auf der Stelle wach, Schleich steigerte selbst mit, die Gemüther erhitzten sich immer mehr und in kurzer Zeit hatte er für seinen Teller einen hübschen Haufen Guldenstückl. Er schob das Geld in die Tasche, stieg mit seinen schweren Wasserstiefeln auf den Tisch, daß die steinernen Bierkrüge wackelten, und donnerte über die Schlechtigkeit und Erbarmlosigkeit der heutigen Welt; unsere Vorfahren seien lauter christliche und wohlthätige Leut’ gewesen, aber heut zu Tage gäbe in seiner Irreligiosität und Verderbtheit keiner ein Kreuzerstück her, wenn er nicht zugleich ein Plaisir davon hätte; da wäre man gleich bei der Hand und kaufe einen skizzirten Hirsch um einen Haufen Silbergulden.

Nun kann man sich das Halloh der Umgebung denken, welche immer höher wuchs, als der Künstler, den der Beifall erhitzte, in eine classisch improvisirte Capuzinerpredigt verfiel und schließlich zum Erstaunen der Anwesenden herunter donnerte: ob da etwa einer von der irreligiösen Companei glaube, daß er das artistisches Rauchsündengeld für sich behalten wolle; der solle sich nur melden, er werde schon fertig mit ihm, das erlicitirte Rauchhonorar gehöre dem armen Weiberl und ihren kleinen Kinderln. Mit einem


  1. Bildchen.
  2. Seht Ihr jetzt ein.
  3. Dumme Kerle.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_311.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)
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