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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


aus, empört über den Despotismus. ‚Ich will mich nicht verleiten lassen, Handlungen zu begehen, welche nicht nur einer Nonne, sondern selbst jedes ehrenhaften weltlichen Menschen unwürdig sind. Im Gegentheil will ich die arme alte Dame über ihre wahren Interessen aufklären. Glauben Sie denn, daß ich mich an den Manipulationen zur Mitschuldigen machen werde, durch welche Sie das Vertrauen einer eingesperrten alten Dame mißbrauchen und sie täuschen wollen?‘

‚Sie schwatzen Unsinn,‘ erwiderte die Oberin. ‚Sie hoffen, durch Ihre Unverschämtheit nach Paris zurückgesandt zu werden, doch das paßt nicht in meine Pläne. Wir werden Sie hier behalten und mit Gottes Hülfe Herr werden über Ihren erschrecklichen Charakter. Wenn Sie bei Ihrer Weigerung beharren, so schicken wir Sie morgen auf’s Land. Ein paar Wochen ländlicher Arbeit werden Ihnen den Stolz schon austreiben. Ueberlegen Sie sich das wohl und wählen Sie!‘

Sie ward durch einen Besuch abgerufen, sagte mir aber, ich sollte auf ihre Rückkunft warten, da sie mit mir noch nicht fertig sei.

Ich fand mich in der größten Aufregung. Die Drohung, mich auf’s Land schicken zu wollen, war seltsam. Natürlich war darunter das Landhaus des Klosters verstanden, welches nur von fünf bis sechs Nonnen und ebensoviel Laienschwestern und Laienbrüdern bewohnt wurde. Als ich im letzten Jahre mit einer jener Laienschwestern im Garten des Hauses lustwandelte, zeigte sie mir einen unterirdischen Kerker und sagte lachend: ‚dahinein werden die Schwestern gesteckt, die sich nicht geziemend aufführen. Sie sehen, wie unsere Mutter für unser Seelenheil sorgt; sie ist auf alle Fälle gehörig vorbereitet.‘ Es überlief mich kalt bei dieser Erinnerung. ‚Sie ist im Stande, das zu thun,‘ sagte ich mir; ‚denn sie hat weder Herz noch Gewissen noch Gottesfurcht und weiß, daß sie am Mutterhause einen Rückhalt findet.‘“

Leider brechen die Aufzeichnungen hier allzu rasch ab; es kam ihrer Verfasserin nur darauf an, das zu schildern und zu sagen, was sie hinter der Klosterpforte Alles geduldet und getragen. Den Höhepunkt ihrer moralischen Leiden bildete das eben geschilderte letzte Gespräch mit der Oberin, welches ihr eine so verhängnißvolle Zukunft in Aussicht stellte. Nun war keine Zeit zu verlieren, und in diesem Augenblick galt es, alle Kräfte zusammenzuraffen und einen Entschluß zu fassen.

Es war sieben Uhr Abends und ganz dunkel; nur im Cabinet der Oberin brannte ein kleines Nachtlicht. Schwester X. öffnete das Fenster, stieg hinaus und drückte es hinter sich leise wieder zu; dann ließ sie sich am Spalier der Mauer hinab. Als sie den Erdboden erreichte, ward sie schwindlig, doch rasch gewann sie wieder Muth und Kraft. Sie entdeckte eine Lücke in der Mauer, welche eben in der Ausbesserung begriffen war, und zwängte sich durch einen dicken Weißdornzaun. Zwar kam sie geschunden, zerrissen und blutend auf der andern Seite an, – aber sie war frei!




Blätter und Blüthen.

Bonapartes an allen Ecken und Enden. – In den letzten Tagen machte durch alle Zeitungen eine Nachricht aus Bern die Runde, die auch unseren Lesern nicht entgangen sein wird, und die zur Befriedigung eines dringenden Bedürfnisses nichts Geringeres als das Auftauchen eines neuen Bonaparte verkündet, welcher ein Enkel Napoleon’s des Ersten sein will, und sich „Prince royal Louis Napoleon Bonaparte“ nennt. Er soll dem jetzigen Kaiser (in jüngeren Jahren) auffallend ähnlich sehen, und sammelt Subscribenten für eine Schrift: „La société et mon droit“, welche der französischen Nation gewidmet ist. Man wird gerne zugeben, daß der neue Bonaparte keinen unglücklicheren Augenblick für sein Auftreten wählen konnte, als den gegenwärtigen, da die Franzosen Veranlassung genommen, gelegentlich der Ermordung Noir’s Betrachtungen über die Eigenthümlichkeiten einer corsischen Natur anzustellen – indeß giebt uns die Nachricht aus Bern Gelegenheit, die Aufmerksamkeit unserer Leser auf einen anderen „Bonaparte“ hinzulenken, der bereits vor einigen Monaten in Stuttgart aufgetreten ist, und dessen Erscheinen weniger Beachtung gefunden hat, als der Anspruch auf eine so nahe Verwandtschaft mit dem Cäsar Frankreichs erwarten durfte. Was uns darüber geschrieben wurde, lassen wir unverkürzt hier folgen, und es braucht kaum der Versicherung, daß die Gartenlaube keinerlei Verantwortlichkeit für die Richtigkeit der ihr gewordenen Mittheilung übernehmen kann:

„Verschiedene die öffentliche Aufmerksamkeit im höchsten Grade beschäftigende Ereignisse lassen es begreiflich finden, daß die Nachricht von dem Auftreten eines neuen Napoleoniden in Stuttgart fast ohne Eindruck vorüberging. Derselbe behauptet in einer an das Wiener Landesgericht in Strafsachen erlassenen Schrift: er sei der Sohn des verstorbenen Herzogs von Reichstadt, und als solcher macht er Ansprüche auf Rechte, Titel und Vermögen, wie sie ihm als legitimen Prinzen gebührten. Von seiner Mutter sagt er, sie stamme aus einer ungarischen Grafenfamilie.

Da mir das Leben und Treiben des Herzogs von Reichstadt, zumal in den letzten Jahren vor seinem Tode, ziemlich genau bekannt ist, weil ich mich zu jener Zeit in Wien befand, auch von seinen damaligen theils überall bekannten, theils geheim gehaltenen Liebschaften genaue Kenntniß hatte, interessirte es mich nicht wenig, Näheres über diesen angeblichen Prinzen zu erfahren, umsomehr, da ich es nicht für unmöglich halte, daß ein Nachkomme des Herzogs leben könnte und zwar, wie ich aus sehr zuverlässiger glaubwürdiger Quelle erfahren habe, einer aus gesetzlicher Ehe. Ich wandte mich demnach brieflich an den Prätendenten des Titels eines Prinzen nach Stuttgart und erhielt nach wenigen Tagen von seinem Beauftragten, Herrn Paul von B–m–r, ehemaligem bairischen Officier, eine bestätigende Antwort darauf, daß dieser Prinz wirklich sich für einen Sohn des Herzogs von Reichstadt ausgebe und daß er im Jahre 1833 nach dem – wie er annimmt – gewaltsam erfolgten Tode seines Vaters auf böhmischem Boden heimlich zur Welt gekommen sei. Außerdem aber, behauptet der genannte Briefsteller, sei eine unverkennbare Familienähnlichkeit mit den Napoleons in den Zügen dieses prinzlichen Individuums im Profil zu finden. Von Kindheit an wurde derselbe in Wurzen unweit Leipzig bei einem Schneider, Namens Ludwig, erzogen, der ihn adoptirt hatte, später arbeitete er bei einem Stuttgarter Schneider als Lehrling. Daß er seine Geburt und die Ermordung des Herzogs von Reichstadt auf das Jahr 1833 angiebt, hält sein Beauftragter für einen Anachronismus.

Das, was ich nun selber noch zu Lebzeiten des Herzogs von Reichstadt während seines Aufenthaltes in Wien erfahren und später von einem Herrn gehört, welcher zu den vertrautesten Officieren des kaiserlichen Generals Grafen von G… gehörte, der hinwieder mit dem Herzog von Reichstadt sehr intim gewesen, ist das Folgende und ich muß es den Lesern der Gartenlaube überlassen, wie weit sie es mit den Angaben des prätensiven Prinzen in Uebereinstimmung bringen können und wollen.

Joseph von Sz.m…ti, ehemals kaiserlich österreichischer Uhlanenofficier, später während des ungarischen Unabhängigkeitskrieges Honved-Major ad latus des Generals Dembinski, hat im Beisein vieler seiner Verbannungsgenossen in London, unter welche auch ich gehörte, erzählt, sein ehemaliger Chef, damals noch Oberst Graf G…, sei Zeuge bei der Vermählung des Herzogs von Reichstadt mit der ungarischen Comtesse Marie S… gewesen; der andere Zeuge war der auch als Schriftsteller berühmte Fürst Fritz Sch…, ein ebenso intimer Freund des Herzogs. Die Bekanntschaft und nachherige Verlobung und Trennung habe sich folgendermaßen zugetragen.

Der junge Herzog machte die Bekanntschaft der Comtesse S…, welche zu den ersten Schönheiten Wiens und Ungarns gezählt wurde, während der großen Ueberschwemmung im März 1830, in der Vorstadt Rossau, wo er sie auf einem Kahne aus einem Hause rettete. Bei der Gräfin Louis K…, welche dem Prinzen als Liebesvertraute diente, wurde dann die Bekanntschaft weiter fortgesetzt. Die Comtesse hielt viel zu sehr auf ihren guten Ruf, als daß sie es nicht eingesehen hätte, daß eine solche prinzliche Bekanntschaft diesen nur gefährden würde, und sie hielt den Prinzen stets in der gebührenden Entfernung von sich. Ob dies aus Berechnung geschah, um seine Flamme zu steigern, oder ob sie von ihrem Vater hierzu gezwungen wurde, das ist schwer zu entscheiden, wahr ist es jedoch, daß sie sich damals mit dem ungarischen Leibgardisten-Lieutenant Baron Ferdinand von H–ky verlobte und Wien verließ. Der Herzog war über ihre Abreise untröstlich, und um die Bekanntschaft mit ihr erneuern zu können, bat er sogar seinen Großvater, den Kaiser Franz, ihn in ein anderes Regiment, zu den Sachsen-Kürassieren, die damals in und um Oedenburg herum lagen, folglich in unmittelbarer Nähe der Gräflich S…’schen Domäne, zu versetzen. Der Kaiser jedoch wollte seinen Enkel nicht aus den Augen lassen und man gab sich Mühe, seine Neigung in einen andern Canal zu lenken. Der ehemalige Erzieher des Herzogs von Reichstadt, Montbel, erzählt in seinen Memoiren, wer die Blitzableiterin des herzoglichen Elektrons gewesen: es war eine der berühmtesten Tänzerinnen Europas.

Zu jener Zeit spielten am Wiener Hofe zwei erbitterte Gegner ihr politisches Schach: es waren die Kaiserin Carolina Augusta und der Reichskanzler Fürst Metternich. Die Kaiserin, um den letzteren zu chicaniren, da sie wußte, daß die neue Flamme des Herzogs von Reichstadt vom allmächtigen Minister nach Wien verschrieben worden, um den jungen Prinzen von seiner ersten Liebe abzuleiten, brachte es dahin, daß die Tänzerin, nachdem ihr eine Beleidigung widerfahren war, Wien verließ. Es wäre nun schwer gewesen, den aalschlüpfrigen Prinzen in Wien zu behalten, ja wenn man es ermöglichen wollte, so genügten kleine Mittel nicht, sondern man mußte zu heroischen greifen, um so mehr, da sich die Napoleonisten in Paris nach der Thronbesteigung Ludwig Philipp’s zu regen begannen, und sogar, wie weltbekannt, einen ihrer thätigsten Agenten, den Grafen S…r, welcher schon zu Zeiten Napoleon des Ersten einige Jahre in diplomatischen Missionen an verschiedenen Höfen und auch in Wien zugebracht, dahin absendeten, um den Prinzen nach Frankreich zu entführen. Metternich, welchem ein Budget von zwölf Millionen Gulden jährlich für geheime Ausgaben zu Diensten stand, hatte den Tag der Abreise des französischen Emissärs erfahren; er durfte ihm nicht Zeit lassen, mit dem Prinzen zu sprechen, und als Gegenzug ließ er die Comtesse S… nach Wien holen. Der Vorwand hierzu war leicht gefunden, indem ihrem Vater eine Stelle im Staatsrathe angeboten wurde, um die sich dieser schon längst bewarb. Comtesse Marie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_095.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)
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