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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

kommt und sein Quantum mehr als abißt an der reichbeladenen Tafel, und das zarte Mädchen, das kaum berührt, was ihm präsentirt wird – sammt und sonders zahlen sie einen und denselben Preis.

So lange in den Vereinigten Staaten das Geld so leicht gewonnen und mit so freigebiger Hand verausgabt wird, wie jetzt, so lange wird das amerikanische Hôtelsystem sicher keine Aenderung erleiden, um so weniger, als echt republikanischen Sinnes Jedermann darauf besteht, mit den Ersten im Lande sich auf gleichem Fuße behandelt zu sehen. Zum Reisen hat der Amerikaner, der Nomade der Civilisation, immer Geld, und für dies sein Geld verlangt er auf reichen Teppichen in einer Fluth von Gas zu wandeln, von Spiegeln und Vergoldung, von kostbaren Möbeln und Geräthen umgeben zu sein und an einer Tafel zu sitzen, welche schier bricht unter der Last aller Delicatessen der Jahreszeit. Zu Hause begnügt er sich vielleicht mit Bohnen und Schweinefleisch oder mit Kohl und Wurst, und zieht seinen Rock aus, wenn er speist; sobald er aber reist, gerirt er sich als Gentleman in feinstem schwarzen Anzug, der sich in Bezug auf Speise und Trank weit wählerischer und den Dienern gegenüber viel herrischer zeigt, als der hochgebildete Herr, welcher von seinem Landsitze am Hudson oder von seiner Zuckerplantage am Mississippi zur Stadt kommt.

Uebrigens dürfen wir nicht vergessen, daß nach amerikanischen Begriffen und Anschauungen die Hôtels des Landes wirklich Muster von Vollkommenheit sind. Sie sind geräumige und luxuriöse Gebäude, oft aus weißem Marmor errichtet und immer verschwenderisch geschmückt mit architektonischer Zierrath. Weite Hallen und Vestibule mit prächtigen Treppen nach den oberen Etagen verleihen dem Ganzen einen palastartigen Anstrich, während die endlose Reihe von Zimmern einen Glanz von Ameublement entfaltet, der selbst den Habitué von Fenton’s und Mivart’s Hôtel in London und des Grand Hôtel in Paris verblüfft. Die Frühstücks- und Theezimmer strahlen von mächtigen Spiegeln und bunten Fresken, während der kolossale Speisesaal mit brillanten Ornamenten überladen ist. Die Reichlichkeit der Mahlzeiten selbst übersteigt alle europäischen Begriffe; dagegen läßt die Zubereitung der einzelnen Schüsseln nicht selten zu wünschen übrig, was kaum anders zu erwarten ist, wo zu gleicher Zeit so ungeheure Speisenmengen zubereitet werden müssen. Was aber dem Fremden stets am meisten aufzufallen pflegt, ist die förmlich schrankenlose Ueppigkeit des Desserts, welches aus zahllosen Pasteten und Kuchen aller Art und aus einer überschwänglichen Fülle der herrlichsten Früchte des Landes zu bestehen pflegt.

Das Hauptmerkmal des amerikanischen Hôtels bleibt die Vollständigkeit, mit welcher es für alle möglichen Bedürfnisse und Bequemlichkeiten seiner Gäste sorgt. Ein höchst eleganter Salon, häufig der reichst decorirte Raum des Hauses, enthält einen Schänktisch, wo eine Schaar wohlerfahrener Männer eine unendliche Mannigfaltigkeit von einfachen und complicirten Getränken verabreicht – Getränke, welche man in Europa meist nicht einmal dem Namen nach kennt – während Rauch- und Lesezimmer dicht daneben liegen und alle erdenklichen Einrichtungen und Materialien zum Briefschreiben in Hülle und Fülle und vorzüglichster Beschaffenheit vorhanden sind. Ein specielles Postbureau fehlt ebenso wenig wie eine Telegraphenexpedition, und ein gut ausgestatteter Buchladen liefert einen Ueberfluß von Zeitungen, Journalen und Büchern. Ferner giebt es ein Bureau, wo sich der Fremde mit Billets für jedwede Reise zu Lande und zu Wasser, von einem Ausflug nach der nächsten Stadt bis zu einer Fahrt auf der Pacificbahn nach dem fernen Californien, versehen kann. Fortwährend sind außerdem mehrere Commis beschäftigt, Briefe und Pakete in Empfang zu nehmen, welche für die Gäste des Hôtels anlangen und von diesen abgesandt werden, während im Vestibul immer eine ganze Schaar von Dienern sitzt, des Rufs der zahllosen Glocken und Schellenzüge des Hôtels gewärtig. Braucht der Fremde einen Barbier, so hat er sich nur in ein luxuriöses Local im Erdgeschoß des Hauses zu verfügen; Haarkräusler und sämmtliche zur Toilette gehörige Apparate und Gegenstände befinden sich in den verschiedenen Etagen. Schneider und Hutmacher, Schuhmacher und Kurzwaarenhändler haben Magazine im Hause, und so giebt es buchstäblich nichts, was ein Mensch im gewöhnlichen Laufe des Lebens braucht und was er sich nicht im Hôtel selbst beschaffen könnte.

Die innere Verwaltung des amerikanischen Hôtels endlich ist zu einem Grade von Vollkommenheit gebracht worden, der mit Recht die Verwunderung jedes Ausländers erregt, und erfordert so viel Talent und Energie, daß „die Kunst ein Hôtel zu führen“ in Amerika nachgerade gleichbedeutend geworden ist mit der Entwickelung großer administrativer Befähigung.

In Europa pflegen die meisten Gasthöfe ihre bestimmte Classe von Kunden zu haben; in Amerika ist dies, mit einigen wenigen Ausnahmen in Newyork, nicht der Fall. Hier wählt sich Jedermann sein Hôtel nach Lust und Belieben oder vielmehr das, welches gerade Mode und en vogue ist. In den großen Städten wird das zuletzt erbaute immer das fashionablere; dahin strömt Alles, um den Glanz zu bestaunen und nachher zu Hause sich rühmen zu können, daß man das prachtvolle Etablissement auch gesehen habe. Dagegen besitzen die amerikanischen Hôtels ihre eigene Art von Gästen, die Boarders oder Pensionäre. In Amerika bietet der eigene Haushalt so große Schwierigkeiten dar und ist so kostspielig, daß eine Menge von Junggesellen nicht nur, sondern auch von Familien es vorziehen, sich keinen eigenen Hausstand zu gründen, vielmehr im Hôtel zu leben. Dies geschieht hauptsächlich, weil es nahezu unmöglich ist, gute Dienstboten zu finden, und die Anforderungen derselben nachgerade bis zum Unerschwinglichen und Unerträglichen steigen. Welchen verderblichen Einfluß auf die Entwickelung eines gesunden Familienlebens dieses beständige Nomadisiren im Gasthofe hat, darüber bedarf es, namentlich für unsere deutschen Frauen und Mütter, keines Wortes und namentlich geschieht mit dieser amerikanischen Unsitte den Kindern, die dadurch der Heimath, des Elternhauses beraubt werden, das grausamste Unrecht.

Wie alle Einrichtungen der transatlantischen Republik gleich- und einförmig sind, so sind dies auch die Hôtels durch das gesammte weite Land. Von Osten nach Westen, von Norden nach Süden ist das „gute Hôtel“ in jeder Stadt genau dasselbe; dasselbe in seinen hohen Preisen, ohne Rücksicht auf den Verbrauch des Gastes, dasselbe in seiner vom Wirthe gegen den Fremden ausgeübten Tyrannei und dasselbe in der wunderbaren Menschenrasse, die sich unablässig in ihm herumdrängt. Offenbar hat der Amerikaner eine Leidenschaft, den Hôtelier zu spielen, und ein eigenthümliches Talent dafür, und was auch sonst der Fremde für Eindrücke aus den Vereinigten Staaten mit nach Hause bringen mag, sicher wird er nicht ohne Bewunderung des amerikanischen Hôtels gedenken.




Ein Tempel der Hauscultur.

Im Herbst 1828 verweilte Ludwig Börne auf der Rückreise von Hamburg einige Tage in Kassel. Er war überrascht, ja geängstigt von der damaligen Stille der schönen Stadt und ihrer herrlichen Umgebungen. Auffallend menschenverödet erschien ihm auch die berühmte Karlsaue, dieses wundervolle Stück landschaftlicher Poesie. Um zu erproben, wie groß die Einsamkeit des Parks sei, ließ Börne eines Tages beim Herausgehen dort auf einer Bank einen Sechsbätzner liegen. Als er nach drei Tagen die Aue wieder besuchte, fand er das Geldstück noch auf derselben Stelle.

Die Verwunderung über die Stille des öffentlichen Lebens, über den Mangel an heiterem, bewegtem Menschenverkehr in und um Kassel bildet einen stehenden Refrain in den älteren Schilderungen der Stadt von berühmten und unberühmten Besuchern. Sie gleiche einer spanischen Stadt, wo man gerade Siesta halte, oder einer schönen Frau, die Alles anwende, Fremde zu bezaubern, und darüber den Mann vergesse, bemerkt Demokritos-Weber, und der bekannte Aesthetiker Bouterweck, welcher eine Leidenschaft hatte, Alles mit poetischen Stichworten zu stempeln, nannte Kassel einen „Tempel des Schweigens“. Es hat freilich auch ehedem dann und wann Zeiten gegeben, während deren es in diesem Tempel eine Weile sehr rührig und laut wurde, und die Kasseler Siesta hat stellenweise äußerst lebendige Unterbrechungen erfahren; aber die Dämpfung, welche das öffentliche Leben der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_171.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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