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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

unablässige Aerger dieser Conflicte hatte die Gesundheit des weichherzigen Grafen von Brühl untergraben, dem zum Ueberfluß das Hausministerium Wittgenstein die härtesten Kränkungen bereitete. Aus Anlaß eines Deficits, an dem die Spontini’schen Ausstattungsforderungen gewiß den größten Antheil hatten, setzte man dem edlen Manne ein Curatorium, an dessen Spitze sich der dem Spontini’schen Hause befreundete Geheimrath Tschoppe befand, ein Mann, nur zu bekannt durch sein Verdienst um die Demagogenriecherei jener Zeit und um die Einkerkerung der deutschen Jugend. Dieses Curatorium nahm nicht nur die Ueberwachung der Finanzverhältnisse des Theaters in die Hand, sondern kündigte sich selbst dem Kunstpersonal als eine neue Autorität – als die dritte – an, verfügte Gratificationen, um bei dem Personal Partei zu machen, ja der Geheimrath Tschoppe ermunterte die Künstler, Beschwerden und Anzeigen von Mißständen bei dem Curatorium anzubringen. Die Denunciation des eigenen Chefs war also verdienstlich geworden! Daß in allen diesen Dingen Spontini seine Hand im Spiele hatte, war Niemandem zweifelhaft, über den Ausgang derselben sollte er aber sehr getäuscht werden.

Der Graf von Brühl mußte sich in Folge einer gefährlichen Leberkrankheit – bald nach Aufführung des ersten Actes von Agnes von Hohenstauffen – den Geschäften geraume Zeit entziehen. Eine Commission von Theatervorständen führte die Geschäfte und zog sich, Spontini’s Verlangen gegenüber, hinter ihre unvollkommene Competenz zurück, was diesem sehr unbequem wurde. Als der Graf von Brühl im Frühjahr 1829 von der Hoftheater-Intendanz erlöst und zum Intendanten des neuerrichteten Museums eingesetzt worden, hatte sich der junge Graf von Redern durch vielfaches und gewichtiges Andringen bewegen lassen, die General-Intendanz provisorisch zu vertreten. Er wußte genug von den obwaltenden Verhältnissen, um nicht eine wesentlich veränderte Dienstcompetenz zu verlangen, und war ein zu begüterter und selbstständiger Cavalier, als daß er die Stelle übernommen hätte, ohne seiner Autorität sicher zu sein. So verging noch Jahr und Tag, bevor Graf von Redern sich zur definitiven Annahme entschloß. Er hatte sich bis daher zurückhaltend gegen Spontini verhalten, aber deutlich gezeigt, daß er schlechterdings nicht geneigt sei, über sich ergehen zu lassen, was der Graf von Brühl ertragen hatte. Indessen scheinen die Competenzen der Intendanz und der Musikdirection auch bei Graf von Redern’s definitiver Ernennung nicht klar und ausdrücklich geordnet worden zu sein, wenigstens wurde dem Personal des Hoftheaters darüber nichts mitgetheilt, und Spontini verfuhr, als ob seine Stellung nicht die mindeste Beschränkung erfahren hätte.

Compositionen brachte er gar nicht mehr zu Stande, unbedeutende Abänderungen der Partitur von Ferdinand Cortez abgerechnet, welche eine scenische Veränderung der letzten Hälfte des letzten Actes erforderlich machte. Indessen ließ er immer neue Arbeiten erwarten. So sprach er neuerdings wieder viel von seinem kleinen Pariser Idyll „Milton“, das er schon vor zehn Jahren geschrieben und das er nun umarbeiten wollte; er wußte nur immer nicht wie. Er suchte mit diesen sich nie erfüllenden Projecten das übrige Repertoire des Grafen Redern zu stören, und da dieser sich gegen die Beredsamkeit Spontini’s sehr unempfindlich zu zeigen begann, so gerieth der Letztere, dessen einzige Sorge war, seine grands ouvrages in Achtung und Beifall zu erhalten, in Gemeinschaft und Abhängigkeit von der Clique und Claque der untergeordnetsten Journalisten, welche Saphir’s Beispiel in Berlin hervorgebracht hatte. Denn der angesehenste Kritiker, Rellstab, der den nachtheiligen Einfluß Spontini’s unerbittlich verfolgte, war nicht umzustimmen, nicht zu gewinnen. Dies brachte bei Spontini eine so leidenschaftliche Erregung hervor, daß er im Corridor des Opernhauses eines Abends Rellstab zur Rede stellte, einen lebhaften Wortwechsel herbeiführte und für irgend eine seiner Angaben sein Ehrenwort verpfändete. Rellstab, der sich in den Nachtheil versetzt hatte, mit unvollkommenem Französisch auf diesen Streit einzugehen, vermochte nicht seine Geringschätzung fein zuzuspitzen, sondern fuhr heraus: „Votre parole d’honneur! Je n’en donne pas le sou!“ Nun erhob Spontini gerichtliche Klage. Die Beleidigung war im königlichen Hause gegen einen königlichen Beamten geschleudert worden, Rellstab wurde also zu vierzehntägigem Hausvogteiarrest verurtheilt. Hier aber, wie nach seiner Befreiung in der ganzen Stadt empfing er so viele Zeichen der Theilnahme, die allgemeine Schadenfreude war von seinem Ausfall gegen den verhaßten Mann so befriedigt, daß er, als Märtyrer der öffentlichen Meinung, nur mehr in Ansehen kam.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Marie Petersen’s, der vor einem Jahrzehnt verstorbenen Dichterin, reizendes Märchen „Prinzessin Ilse“ wird jetzt in’s Englische übersetzt, und zwar von einer Dame Miß Lizzi Selina Eden, die aber leider nicht so viel Gerechtigkeitsgefühl hat, den Namen der Verfasserin zu nennen. Die englische Kritik lobt die Schönheit und Anmuth des Gedichts, ohne zu ahnen, daß es aus einer weiblichen Feder geflossen ist und daß „die Irrlichter“, die sehr unverdient getadelt werden, von derselben Verfasserin sind. Marie Petersen gehörte zu den Veilchenseelen, die nur in der Verborgenheit erblühen können; sie war eine echt poetische Natur, die durch äußere Leiden zu inneren Freuden gelangt. Sie war ein Stiefkind des Glücks; das Leben in der Welt bot ihr keine Glanzseiten. Mit Ergebung, Sanftmut und wahrhafter Liebenswürdigkeit gegen ihre Umgebung hatte sie ihre Jugend freudlos hinschwinden sehen. Da lernte sie an der Grenzscheide derselben eine unverweltliche Freude kennen, die Poesie, die Gabe auszusprechen, was ihre Seele bewegte. Eine Reise in den Harz wurde für sie entscheidend; in dem Waldesduften und Quellenrauschen des deutschen Wunderberges dichtete sie die „Prinzessin Ilse“ und gewann sich alle Herzen damit, denn es war gleichsam die Quintessenz der Harzpoesie darin verkörpert.

Anonym ging das Gedicht in rasch aufeinander folgenden Auflagen durch die gebildete Lesewelt; man rieth hin und her, ohne die bescheidene Marie Petersen als Verfasserin zu vermuthen. Sie lebte in Frankfurt an der Oder, einer sogenannten Haupt- und Handelsstadt der Provinz Brandenburg; ihr Vater war der Erbe einer Jahrhunderte alten Apotheke und führte den Doctortitel. Ihr elterliches Haus war ein uraltes Meßhaus mit Gewölben und Läden, die zu den dreimal alljährlich stattfindenden Messen an Handelsleute vermiethet wurden. Das seltsame geschnörkelte Gebäude mit feinen Thürmchen, Treppchen und Gallerien war schon frühzeitig eine Fundgrube für die Phantasie des dichterisch begabten Mädchens gewesen, und eine kleine Monographie des alten Meßhauses findet sich in einer Schauernovelle à la Hoffmann unter ihren Schriften der letzten Zeit. Sie schilderte darin die dumpfen geheimnißvollen Gewölbe und malte die Schrecken einer Feuersbrunst, die auf den schwindelerregenden Gallerien und halsbrechenden engen Stiegen des alten Gemäuers in der That ein grauenhafter Gedanke war. Er hatte in schlaflosen Nächten die kleine, schwächliche Dichterin oft geängstigt.

Es war als wenn sie vorgeahnt hätte, daß die von ihr gefürchteten Gewölbe einst ihre Grabesschauer über sie selbst ausschütten würden. Sie starb in heißer Sommerzeit während des Lärms einer sehr frequenten Messe, und es war in dem überfüllten Hause kein anderer Raum für ihren Leichnam, als das düstere, kühlste und grausigste der Gewölbe. Wie ein rührendes Gedicht lag sie im Sarge von Sommerblumen bedeckt und von Wachskerzen umstanden, die an den feuchten Kellerwänden wie klagende Geister emporflackerten, gleich den Irrlichtern ihres tiefsinnigen Märchens. Wenige Jahre später, wieder zur Zeit des Meßgewühls, trat auch die Feuersbrunst ein, die sie vorahnend geschildert hatte. Die Flammen züngelten wie Schlangen an den Gallerien entlang, und das graue, ehrwürdige Gebäude sank in einer stürmischen Nacht in Trümmer. Die alte Handelsstadt Frankfurt an der Oder besitzt noch manches denkwürdige Haus, von dem sich viel erzählen läßt, aber keins, das wir so gern in seinen Wunderlichkeiten erhalten gesehen hätten, wie das Geburts- und Sterbehaus der Dichterin Marie Petersen.


Zur Ehrenrettung deutschen Erfindungsgeistes. In der Gartenlaube Nr. 11 dieses Jahres erzählten wir, daß Newton schon vor zweihundert Jahren einen Wagen erfunden habe, den der darin Sitzende ohne äußere Hülfe in’s Fahren bringen konnte. Wie uns nun der Stadtbibliothekar in Nürnberg, Herr Lützelberger, in dankenswerter Weise schreibt, ist Newton keineswegs der Erste, der so Etwas erdachte. In Doppelmaier’s „Historischer Nachricht von dem Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, Nürnberg 1730“ findet man geschrieben, daß der Mechaniker Johann Hantsch, geboren 1595 in Nürnberg, einen Wagen mit vier Rädern verfertigte, auf dem man ohne Pferde, nur mit Beihülfe eines im Wagen befindlichen Räderwerks, auf den Straßen, wohin man wollte, sich führen lassen konnte, und daß er mit diesem Wagen anno 1649 in der Stadt bergauf und bergab öfter Proben abgelegt und in einer Stunde zweitausend Schritt weit gelangte, wobei vorn am Wagen ein Drache Wasser ausspie, um das Menschengedränge auseinander zu treiben, und zwei Engel die Posaunen bliesen.

Ebenso erzählt Doppelmaier, daß der Uhrmacher Stephan Farfler in Altdorf, geboren 1633, sich erst einen vierrädrigen und dann einen dreirädrigen Wagen machte, auf dem er sich selbst ohne eines Andern Beihülfe zur Kirche fuhr, weil er, von Jugend auf gelähmt, nicht gehen konnte. Der dreirädrige Wagen steht heute noch als Merkwürdigkeit auf der Stadtbibliothek in Nürnberg, und von beiden Wagen, wie von dem des

Mechanikers Hantsch, giebt Doppelmaier Abbildungen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_304.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
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