Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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die Person zu sein, welche in bornirter und stupider Bigotterie in den Händen ihres Beichtvaters sich zu Allem gebrauchen läßt. In einem jeglicher beleckenden Cultur entbehrenden Dialecte antwortete sie auf meine Frage, ob sie sich fortwährend wohl befinde:
„Die heilige Jungfrau Maria hat mi g’heilt.“ Weiteres brachte ich nicht aus ihr heraus. Sie wiederholte stehend diese Antwort. Dann kramte sie geschäftig in einem mit allerhand Plunder gefüllten Kasten umher und brachte endlich die von mir begehrten „Heftele“ zum Vorschein. Ich legte eine Anzahl blanker Zehner auf den Tisch. Meine Zahlung mochte ihre Erwartungen übersteigen, denn sie durchwühlte noch einmal das Chaos ihres Kastens und zog eine kleine photographische Nachbildung des vornehmsten Gemäldes im „Betstüble“, Maria die Immaculata darstellend, hervor.
„Da, nehmen’s das zum Andenken an die Gnadenstätt’ mit,“ sprach sie, mir das Kunstwerk überreichend, „und jetzt b’hüt’ Sie die allerheiligste Jungfrau.“
Damit entließ mich das Wundermädchen von Philippsdorf, an welchem mir als das einzige Wunderbare erscheint, daß die Mutter Jesu gerade es in so besondere Affection genommen hat. „Unsereinem freilich,“ meinte der brave Dießner, „passirt so etwas nicht, weil wir nicht in Glauben stehen.“ –
Als ich am Nachmittag von meiner „Wallfahrt ohne Heiligenschein“ wohlbehalten in meinem Rumburger Wirthshause wieder anlangte, frug mich die runde Besitzerin desselben:
„Nun, haben’s sich den ganzen Philippsdorfer Scandal mit ang’schaut?“
Diese Frage drückte die Ansicht des gesammten aufgeklärten Theils der Bevölkerung der Gegend aus, und dieser bildet zum Glück nicht die Minderzahl derselben. Das Philippsdorfer Wunder ist in der That ein Scandal, welcher der ganzen Landschaft zur Schande gereicht. Auch mehrere unbefangene Geistliche des Bezirks haben die Sache ohne Weiteres als solchen anerkannt. So hat, wie ich aus zuverlässiger Quelle erfuhr, unter andern der zuständige Priester von Nixdorf, auch einem der kleinen Industrieorte Nordböhmens, seiner Gemeinde jedwede Wallfahrtsprocession nach der neuen „Gnadenstätte“ ausdrücklich untersagt.
Die an der Gnadenstätte bewirkten Heilungen sind mannigfaltiger Natur, betreffen indeß meistens Frauen und Mädchen aus Philippsdorf und Georgswalde, die mit „Krämpfen“ behaftet, lange Zeit leidend gewesen und nun plötzlich gesund und frisch von dem Wunderorte heimgewandelt sind. An ärztlichen Ausweisen – man achte wohl auf dieses Hauptmoment! – fehlt es in allen diesen Fällen fast gänzlich, und es dürfte schwer zu entscheiden sein, in wie weit die erwähnten Leiden in die Kategorie der Einbildung, der Simulirung und des Selbstbetrugs gehören.
Daß aber sogar der „bekannte Professor Bock in Leipzig“, der leibhaftige Bock der Gartenlaube, von dem hochwürdigen Stiftscaplan als Autorität citirt wird, dürfte jenen selbst und die Leser unseres Blattes nicht wenig amüsiren. Der Arzt des Wundermädchens hatte, wie erwähnt, nach der Behauptung des Paters, die „geheimnißvolle“ Krankheit für ein Ekzem erklärt – eine Behauptung, welche der Doctor in seiner öffentlichen Entgegnung nachher entschieden in Abrede stellt. Nun wußte der gute Caplan nicht, was das fremde Wort bedeute, scheute sich jedoch, als studirter Mann, den Arzt nach dem Sinne des medicinischen Ausdrucks zu fragen. Da finden er und die anderen Geistlichen von Georgswalde „die deutsche Bedeutung des Wortes Ekzem in einem medicinischen oder vielmehr anatomischen Werke des bekannten Leipziger Professors Dr. Bock als Bläschengeflechte bezeichnet.“ So verirrt sich denn „das Buch vom gesunden und kranken Menschen“ auch bis in die wunderschaffende Stiftscaplanei von Georgswalde und hilft den frommen Vätern „auf den Trichter“.
Und das Endurtheil über das Wunder von Philippsdorf? Die Eingangsworte meiner Skizze enthalten es: „Der Unsinn ist unsterblich!“ Aber ein Jeder von uns hat die Pflicht, sein Scherflein dazu beizutragen, daß dieser Satz hinfällig werde und daß allenthalben auf Vernunft und Wissen gebaute Erkenntniß jenen auf Unkenntniß und Denkfaulheit sich gründenden blinden Glauben verdränge, dessen liebstes Kind das – Wunder ist.
Mögen diese Zeilen ein solches Scherflein werden!
Am rechten Ufer der Zschopau, eine halbe Stunde von der Stadt Frankenberg gegen Mittag gelegen, erhebt sich aus den bewaldeten Hügelreihen, welche den Fluß geleiten, ein malerischer Felsen. Jäh steigt er aus den Wellen, die seinen Fuß bespülen, bis zu einer Höhe von hundertfünfzig Fuß empor, während auf der andern Seite sanft ansteigende Waldpfade auf seinen Scheitel führen.
Ist’s der Liebreiz der Gegend allein, der so manchen Wanderer anlockt, seine Schritte auf diese Höhe zu lenken? Wohl bietet sich von hier aus ein ungemein anmuthiges Landschaftsbild den erfreuten Blicken. Unten im Thale zieht sich in sanften Windungen das breite blitzende Silberband des Flusses hin. Rechts erweitert sich die Aussicht. Dort liegt in gesegneten Fluren das freundliche Dorf Niederlichtenau; dahinter erheben sich Anhöhen, auf deren Kamme die Dampfwagen der Chemnitz-Riesaer Eisenbahn dahineilen. Kehrt das Auge von diesem Ausblicke in das enge Flußthal zurück, so verliert es sich in ein grünes Meer von dichten Baumkronen, welche die Ufer und die Abhänge der von ihnen aufsteigenden Hügel allenthalben schmücken. Zur Rechten, gegenüber, zur Linken, wo ein quer vorstehender Berg die Aussicht begrenzt – überall üppiges Laubwerk, besonders von mächtigen Eichen und reichästigen Linden, dazwischen auch dunkles Nadelholz. Kaum daß die Thürme und rothen Dächer des Schlosses drüben auf der Bergeshöhe und dort die Mühle im kühlen Grunde daraus hervorzuschimmern vermögen; kaum daß hie und da ein durch die Zweige leuchtendes helles Kleid verräth, wie unten auf dem lauschigen Uferpfade manche jugendliche Gestalt lustwandelt. Nur an einer Stelle hebt sich aus der Waldung das Grün einer Wiese hervor, die sich, immer schmaler werdend, am gegenüberliegenden Hügel hinanzieht.
Die Natur hat diese Höhe, indem sie vor ihr ein so liebliches Landschaftsbild ausgebreitet, besonders bevorzugt. Aber größer noch ist der Reiz, mit welchem die Sage diese Stätte überkleidet und für das ganze deutsche Volk denkwürdig gemacht hat.
Die Sage vom muthigen Springer Harras, die unser patriotischer Sänger Theodor Körner so anmuthig besungen, ist durch ihn jedem deutschen Schulkinde bekannt geworden. Wer hat nicht in früher Jugend mit Enthusiasmus die Verse gelesen:
Unbezwingbar nur, eine Felsenburg,
Kämpft Harras noch und schlägt sich durch,
Und sein Roß trägt den muthigen Streiter
Durch die Schwerter der feindlichen Reiter.
Und er jagt zurück in des Waldes Nacht,
Jagt irrend durch Flur und Gehege;
Doch flüchtig hat er des Weges nicht Acht,
Er verfehlt die kundigen Stege.
Da hört er die Feinde hinter sich drein,
Schnell lenkt er tief in den Forst hinein,
Und zwischen den Zweigen wird’s helle,
Und er sprengt zu der lichteren Stelle.
Da hält er auf steiler Felsenwand,
Hört unten die Wogen brausen;
Er steht an des Zschopauthals schwindelndem Rand
Und blickt hinunter mit Grausen.
Aber drüben auf waldigen Bergeshöhn
Sieht er seine schimmernde Veste stehn;
Sie blickt ihm freundlich entgegen,
Und sein Herz pocht mit lauteren Schlägen.
Ihm ist’s, als ob’s ihn hinüber rief,
Doch es fehlen ihm Schwingen und Flügel,
Und der Abgrund, wohl fünfzig Klafter tief,
Schreckt das Roß, es schäumt in die Zügel.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_334.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)