Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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fortan noch zu predigen, daß der deutsche Krieg nur der mißregierenden Dynastie gelte, über welche hin man der bethörten großen Nation die Bruderhand reichen müsse. Nein, das deutsche Volk kämpft gegen das Volk Frankreichs, um dessen Uebermacht für immer zu vernichten!
Wahrlich, es mußte Schweres, Ungeheures über uns kommen, um uns Deutschen, uns treuesten Anbetern kosmopolitischer Völkerversöhnung den ewig geschwungenen Becher allgemeinster Menschenliebe aus der Hand zu reißen. Aber es ist auch geschehen und unser Haß macht uns keine Schande. Ja, heute noch würden wir zu einem milderen Urtheil über den Feind gestimmt werden können, wenn wir dort wirklich eine große, menschenwürdige Erhebung sähen, wenn das Volk seine Dränger von sich stieße, wenn es Gericht hielte über zwanzigjährige Verbrechen an seiner Würde, wenn es dastünde, wie das geknechtete Deutschland im Jahre Dreizehn dastand. Aber nirgends zeigt sich etwas Anderes, als die Verkommenheit eines in Grund und Boden verwahrlosten Geschlechts – oben und unten und überall. Wo das Volk aufsteht, ist es nicht zu ehrlichem männlichem Kampfe, sondern zu Mord und Raub, zu bübischer Mißhandlung Verwundeter und feiger Meuchelei der Masse gegen den Einzelnen. Und in den Höhen, die der Thron einst mit seinen Strahlen beleuchtet, herrscht der gemeine Abfall: die Ratten verlassen das Schiff! Die einst im Rath der Krone saßen und die in den Finanzen wühlten, wohin man blickt, nur Ratten, Ratten! Wer’s noch kann, bringt sein Liebstes in Sicherheit, aber nicht wie die Frauen von Weinsberg, sondern in kluger Flucht und im Portefeuille und Portemonnaie – hier Frau Ollivier, dort Prinz Plonplon – lauter Ratten, Ratten! Selbst die französischen Centralbehörden fühlen das Schaukeln des großen Schiffs „Paris“ – sie schwimmen nach Tours, und Andere schwimmen nach Calais, überall Ratten! –
Unser Wochenrapport kann nicht schließen, ohne wenigstens mit einigen Worten das Treiben der hohen Diplomatie beachtet zu haben. Die deutschen Fortschritte werden allerdings nicht ohne Neid und nicht ohne Besorgnisse wegen entstehender Uebermächtigkeit der Deutschen betrachtet. Daß aber ein Zusammengehen der übrigen vier Großmächte, Englands, Italiens, Oesterreichs und Russlands, bereits gesichert und namentlich, daß dasselbe dahin gerichtet sei, jede Gebietsverkleinerung Frankreichs zu hintertreiben, ist wohl eine verfrühte Nachricht; was aber wäre der europäischen Diplomatie unmöglich? Sie wird allerdings Deutschlands und Frankreichs Angelegenheit auf den grünen Tisch zu legen suchen, um sie nach ihrer Weise zu „ordnen“. Dem steht nur die Kleinigkeit entgegen, daß für die Diplomatie selbst eine neue Zeit anbricht, denn die alte Diplomatie, deren Haupt, Lehre und Führung seit dem westphälischen Frieden nur in Paris zu suchen war, ist vernichtet, seitdem es dem deutschen Michel gelang, Frankreich zu der ersten Geige, die es im „europäischen Concert“ spielte, den Fiedelbogen zu zerbrechen. Das Deutschland von 1870 hat keinen Wiener Congreß von 1815 zu befürchten. So hoch hat diese größte Zeit der Weltgeschichte Deutschlands Volk und Heer, Fürsten und Staatsmänner gehoben, daß fortan eine andere, als eine deutschnationale Politik für sie eine Unmöglichkeit ist; die gegenseitige Gefälligkeit der Cabinete auf Kosten der Völker hat ein Ende, und eben damit ist der alten feilen Diplomatie Grund und Boden entzogen. Die neue Staatskunst geht den Wünschen der Nation voraus, dafür legt das erste Zeugniß ab: die Einsetzung deutscher Generalgouverneure in Elsaß und Lothringen, und das Verheißen deutscher Gesetze in diesen fortan deutschen Ländern. Die Nation aber spricht bereits in einer Zuschrift an den Schirmherrn des deutschen Reichs ihre Gesinnung und Meinung aus, deutsches Recht von keiner Macht beeinträchtigen zu lassen. Gute Nacht, Congreß! Vor dem alten Giftpfuhl der Diplomatie hält fortan zum Heil der Völker Deutschland Wacht.
„Straßburg eine deutsche Stadt.“ Unter diesem Titel schrieb der Dichter des „Camoens“ und des „Columbus“, unser geschätzter Mitarbeiter Herman Schmid schon vor Jahren ein Drama, welches damals überall gefiel, aber bald wieder von der Bühne verschwand; denn auch die frische Luft, der es sein Leben verdankte, war nur allzu rasch wieder verweht. Die Sorge, den Franzosen zu mißfallen und die eigenen Gemüther nicht in Wallung zu bringen, unterbrach es im ersten Anlauf.
Das war im Jahre 1849. Wie anders ist der Lauf der Zeiten geworden und wie herrlich hat er sich zum Bessern gewendet! Weil es aber Pflicht der deutschen Theater ist, auch von ihren erhabenen Bühnen herab zum Volke zu sprechen, würdig der großen Gegenwart, in welcher wir leben, und weil es ihre Aufgabe ist, gerade jetzt mitzuschüren am Sturme der unbesiegbaren Begeisterung, der uns die Errungenschaften der blutigen opferreichen Kämpfe – einer ränkevollen Diplomatie zum Trotz – erhalten muß, so freut es uns berichten zu können, daß Schmid’s Drama von verschiedenen Theatern in Deutschland wieder hervorgesucht worden ist und zur Aufführung vorbereitet wird. Es sind dies das Münchner Hoftheater, das Darmstädter Hoftheater, das Thaliatheater in Hamburg und das Stadttheater in Nürnberg. Wohl werden auch die übrigen größeren Bühnen Deutschlands, diesem Beispiele folgend, gerne zu dem Drama greifen, welchem die Eigenschaft, wirklich „zeitgemäß“ zu sein, vor Allem zuerkannt werden muß und dessen Wirkung auf das deutsche Volk den patriotischen Absichten des begabten Verfassers gewiß entsprechen wird.
Von Interesse dürfte das Handbillet sein, welches kurz nach dem Erscheinen von „Straßburg eine deutsche Stadt“ König Ludwig der Erste von Baiern an den von ihm hochgeschätzten Autor schrieb, und welches – von der vaterländischen Gesinnung wie von der bekannten eigenthümlichen Stilweise des königlichen Briefschreibers ein genügendes Zeugniß ablegend – also lautet: – „Ein in Straßburg Gebohrener spricht tief ergriffen seine Anerkennung aus dem Verfasser des Trauerspiels ‚Straßburg‘. Soeben ich es zu lesen geendigt und Thränen drangen aus meinen Augen. Ernste Wahrheit in herrlicher Dichtung zeigen Sie uns. Ja, Straßburgs Verlust ist ein Trauerspiel, welches nicht verklungen. Dieses dramatische Werk ist des Verfassers des Camoens würdig. Man kann nur wünschen: fahren Sie fort. Der Ihnen wohlgewogene Ludwig. München, 19. November 1849.“
Vom Schauplatze des Friedens. Während auf französischem Boden unsere tapferen Soldaten für ihres Vaterlandes Ehre und Wohlfahrt bluten und kämpfen, geschehen doch auch hinter den Bergen noch merkwürdige Dinge. In dem Reservelazareth für Verwundete in Diez (Nassau) hat ein protestantischer Geistlicher – der zudem noch nicht einmal das formelle Recht dazu hatte – es verboten, daß den Soldaten die Gartenlaube zum Lesen gereicht würde, „er dürfe es nicht dulden, daß solche Blätter den Verwundeten verabfolgt würden.“ (!!!)
Wir wollen hoffen – und mögen es nicht fromme Wünsche bleiben –, daß außer den anderen Früchten, die Deutschland von diesem blutigen Kriege ernten wird, auch der Fortschritt der Humanität und des freien geistigen Denkens zu den goldenen Früchten gehören möge, die unser theures Vaterland über sein vergossenes Herzblut trösten und von den unwürdigen Fesseln befreien werden, in denen es leider nur zu lange geschmachtet. Wenigstens würde es für den unglücklichen Verwundeten auf seinem Schmerzenslager kein tröstlicher Gedanke sein, solche Früchte emporwachsen zu sehen aus dem Saatfelde, das auch er mit seinem Blute getränkt.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_607.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)