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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Das war vor drei Wochen, und da spricht der von ‚hatte ich einmal‘“ – unterbrach ihn der Feldwebel.

Vor drei Wochen noch mitten in Deutschland, hundert Meilen von hier – heute im Herzen Frankreichs, seine Armee, die sich rühmte, die erste der Welt zu sein, unaufhörlich zurückgedrängt und geschlagen in Zeiträumen, die für das bloße Marschiren zu kurz erschienen! Ein stolzes Gefühl, das Alle durchzog! „Deutschland soll leben!“ Darauf wurde mit französischen Gläsern angestoßen, die sich zufällig irgendwo gefunden hatten.

Das Feuer wurde frisch angeschürt, ein paar alte Radspeichen, die letzten von dem Karren, den wir mit unseren Nachbarn getheilt, darauf geworfen und mitgesungen in den vollen Chorus.

Nach und nach aber wurde es stiller. Einer nach dem Andern machte sich sein Lager. Wir hüllten uns in unsere Decken und Mäntel und streckten uns lang aus. Die Gespräche zwischen Zweien wurden leiser geführt. Von fernher konnte man noch den Gesang einzelner Gruppen unterscheiden, die länger munter blieben. Das Feuer brannte langsam in sich zusammen, und Ruhe und Schweigen senkten sich herab vom Himmel, an dem einzelne Wolken nach der Heimath zogen.




Blätter und Blüthen.

Aus den Tagen von Speicheren und Saarbrücken. (Mit zwei Abbildungen.) Es war schon tief in der Nacht, als ich durch das Dorf Speicheren wanderte, todtmüde und bis in’s Innerste erschüttert durch alle die gräßlichen Eindrücke, die ich im Anblick des Kampfes um die Speicherer Höhen, im Anblick all’ der blutigen Todesgräuel empfangen hatte. Trotzdem schien mir das Schlimmste noch vorbehalten. Ich näherte mich durch die nachterfüllten Straßen des Dorfes der Kirche; kein Choral tönte aus der offenen Pforte, kein Orgelklang durchzitterte das Schweigen der Nacht, und doch waren die hohen Bogenfenster hell erleuchtet und warfen ihren schmalen Widerschein heraus in das Dunkel; wenn auch kein Geistlicher am Altare zu so ungewohnter Stunde seine priesterlichen Functionen verrichtete, so war doch Leben in der Kirche oder – eben trug man drei Leichen an mir vorbei die paar Steinstufen herunter – der Tod!

Ich überschritt die Steinstufen; sie waren rot gefärbt; sie waren mit einem Purpurteppich bedeckt, kostbarer als der ist, über welchen der Geistliche am Fronleichnamstage zur Procession hinwegschreitet; es war das Blut von Tapferen, von Helden, von Unglücklichen; ich beachtete es dennoch nicht weiter; ich hatte so viel Blut heute schon gesehen, man gewöhnt sich auch an diesen Anblick.

Ich trat ein; die großen eisenbeschlagenen Thore waren geöffnet, ich übersah den ganzen Raum, dessen Luft mich kalt und frostig anwehte. Die Kirche war in eine Stätte des Jammers und der Schmerzen umgewandelt, in ein Lazareth, und zwar in ein solches für Schwerverwundete. Da lagen sie in den schwach erleuchteten Gängen und in den Kirchenstühlen umher, die Tapferen mit ihren Todeswunden, Einer neben dem Anderen, auf dem blutbedeckten Stroh, sich krümmend in ihren unendlichen Schmerzen mit ihren zerschossenen und zerfetzten Leibern, im letzten Kampfe, der ihnen für dieses Leben noch übrig blieb, nickend, stöhnend, schweigend, verendend. Wer hierher gebracht worden war, dessen Haupt umschwebten die Boten des Todes und der Vernichtung. Aerzte waren ringsum bemüht, diese Würgengel zu vertreiben; ihre Kräfte waren bei der Menge der Verwundeten nicht ausreichend. Verbindend, helfend, tröstend eilten sie von Einem zum Andern, von jedem ersehnt, von jedem gerufen, mit still stehendem Auge oder mit Flüchen und Verwünschungen. Sanitätssoldaten beleuchteten mit ärmlichen Talgkerzen die unheimliche Scene; bald da, bald dort mit ihren düster brennenden Lichtern erhellten sie bald den, bald jenen Raum der Unglücksstätte, und in stetem Wechsel stiegen schwarze, immer bewegliche Schatten an den weiß getünchten Wänden der Kirche empor bis hinauf zur gewölbten Kuppel, die trotz der Lichter unten in undurchdringlicher Nacht lag.

Auf dem Altar fehlte die Monstranz; der Geistliche des Ortes mochte sie hinweg gerettet haben. An ihrer Stelle brannte eine Kerze und warf ihr Licht auf die Stöhnenden und Aechzenden, welche hier rings an den Simsen des Altars niedergelegt worden waren. Das Licht dieser Kerze reichte kaum bis hinüber zu den Bildsäulen der Heiligen, die, von langen, weißen Laken verhüllt, gleich drohenden, dem Grabe entstiegenen Gespenstern in den finsteren Nischen standen. Auch hier war die besorgte Hand des Ortspfarrers zu erkennen; er war es gewesen, der beim Herannahen der preußischen Colonnen in kluger Voraussicht dessen, was kommen konnte, die Statuen der Heiligen mit dem bergenden Linnen umhüllt und so verhütet hatte, daß ein ketzerisches Auge mit neugierigem oder spottendem Blick den Gegenstand frommer Anbetung entweihe.

Und überall, bis aus den entferntesten Ecken, vernahm man nur Winseln und Jammern, in den Räumen, die bis jetzt nur von Weihrauch erfüllt gewesen waren und wohl seit ihrem Aufbau Jahr um Jahr nur Lob und Danklieder vernommen hatten, wurden heute nur Klagen laut, die bis in’s Herz schnitten, Seufzer, die ein ganzes Menschenleben von Elend in einen einzigen Augenblick zusammenzufassen schienen.

Es waren lauter Franzosen, die hier lagen, Gefangene, am Eingange der Kirche standen, das Bajonnet aufgepflanzt, preußische Posten. Verwundet und gefangen! Wohl Manchem mochte zu jener Stunde der Tod doppelt als der Erlöser erscheinen, welcher zur ewigen Freiheit führt.

Wenige Tage nachher kam ich zurück nach dem Bahnhofe von St. Johann-Saarbrücken. Auch hier Verwundete, auch hier Gefangene. Aber doch schon mitten in Licht, Luft und Bewegung! Schon wieder ein dämmernder Schein der Hoffnung, der auf Gefangenschaft und Krankheit fällt, der auf ein Ende hoffen läßt und das Schlimmste schon als vollendet und überstanden gern hinter sich sieht!

Das Gewühl, das auf dem Bahnhofe herrschte, war unbeschreiblich – Kommende, Gehende, Fragende, Auskunftgebende, Alles drängte sich durch einander. Daß Saarbrücken nicht von den abziehenden Franzosen zusammengeschossen worden ist, wissen Sie bereits; aber auch der Bahnhof, obwohl ziemlich stark mit Granaten beworfen, hat viel weniger gelitten, als die ersten Zeitungsberichte, die freilich heute noch immer verbreitet und geglaubt werden, meldeten. Am stärksten sind die beiden Thürme beschädigt worden, die zur Stunde noch die leicht erkenntlichen Spuren der Verwüstung tragen, und außerdem gerieth der Flügel in Brand, welcher die sogenannten Damensalons enthält und gegenwärtig mit einem Nothdach versehen ist.

Ich vermochte kaum mitten in dem Gewühl Richtung zu behalten; schon oben auf dem hoch ausgemauerten Perron, hinter dem sich der Bahnhof wie ein stolzes Schloß, mit der norddeutschen und preußischen Flagge geschmückt, erhebt, war nicht durchzukommen: noch schlimmer fand ich es aber auf der Straße unten, auf welcher der eben angekommene Transport von Verwundeten und Gefangenen den Lazarethen und provisorischen Gefängnißräumen zugebracht wurde auf Wagen mit dem rothen Kreuz, auf breiten Tragbahren, gefolgt von den schon zur Hülfe bereiten „soldats du bon dieu“, den barmherzigen Schwestern, deren frommes, stilles, anspruchsloses und aufopferndes Wirken gar nicht genug erkannt werden kann. Zur Seite der Straße lagerten Proviantcolonnen, gegenüber Abtheilungen Dragoner, die im Abmarsch nach dem Kriegsschauplatz begriffen waren. Kräftige, handfeste Gestalten, kriegslustig und voll guten Willens, ebenso brav ihre Schuldigkeit zu thun, als diejenigen sie gethan haben, die mit Wunden bedeckt eben von treuen Cameraden an ihren Augen vorübergetragen wurden.




Die ersten Mitrailleusen in Berlin. Der Tag, an welchem die ersten „Demoiselles“ der französischen Armee ihren Einzug in Berlin hielten, fiel für einen großen Theil des Residenzpublicums gerade so schwer in’s Gewicht, als gar mancher jener anderen Jubeltage, die uns der Krieg schon so zahlreiche gebracht hat. Und begreiflich. Nicht allein der richtige „Berliner Junge“, auch sonst interessirte sich wohl jedermann dafür, ein Geschütz zu Gesicht zu bekommen, das so lange vom Schleier des Geheimnisses umgeben war und nun – Dank der Tapferkeit unserer Truppen – auch deutschen Augen fortan schonungslos preisgegeben werden sollte. Ueberdies verdiente es die Mitrailleuse, mit allem Respect betrachtet zu werden; denn sie war, das können wir uns heute gestehen, vor dem Kriege offenbar unterschätzt worden.

Zugleich mit den vier Mitrailleusen waren dreiundzwanzig andere erbeutete französische Geschütze auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin angekommen. Zu ihrer feierlichen Einholung – es war Mittags um zwölf Uhr – haben die Ersatzbataillone von drei Regimentern die erforderlichen Begleitcommandos gestellt, die zu einer Compagnie formirt und mit der Musik des Cadettencorps nach dem Anhalter Bahnhofe marschirt waren. Das Garde-Feldartillerieregiment hatte die erforderlichen Artilleriemannschaften bei jedem Geschütz, sowie die Bespannung, und zwar für jedes Geschütz vier Pferde, gestellt. Früher noch war der einige Tage vorher in Berlin eingebrachte eroberte französische Adler des sechsunddreißigsten französischen Infanterieregiments auf dem Zeughause durch eine Fahnensection abgeholt und nach dem Anhalter Bahnhof überbracht worden. Dieser Adler war noch überdies darum bemerkenswert, weil er das Kreuz der Ehrenlegion trug. Diese Decoration aber erhalten bekanntlich nur die Adler und Standarten solcher Truppentheile der französischen Armee, welche durch hervorragende Auszeichnung vor dem Feinde, durch Eroberung von Fahnen etc. sich besonders ausgezeichnet haben. In der ganzen feindlichen Armee sind sieben Adler bei der Infanterie und nur eine Standarte bei der Cavallerie derartig decorirt.

Die Geschütze wurden unter dem Commando des Major von Notz, Vorstands des Artilleriedepots, und umjauchzt von einer zahlreichen begeisterten Menge zur Schloßbrücke gebracht, von welcher links auf dem am Wasser gelegenen Theil des Lustgartens zwischen den dort befindlichen Bäumen sie ausgestellt wurden.

Der Zug wurde überall mit enthusiastischen Hurrahs begrüßt. Als er sich dem königlichen Palais näherte, stimmte die Musik „die Wacht am Rhein“ an. Die Königin erschien auf dem Balcon des königlichen Palais, von dem Publicum mit jubelndem Zuruf empfangen, und verweilte daselbst so lange, bis der Zug vorüber war.




„Unser Fritz“, der Führer der dritten Armee. In dieser Zeit eines so furchtbar waltenden Schicksals, daß im kämpfenden Deutschland kein Rang und kein Stand, nicht Reichthum und nicht Armuth, nicht Glanz und nicht Elend vor dem herzbrechendsten Jammer schützt, den die „Verlustlisten“ so einfach mit „T.“ verkünden, in einer solchen Zeit betrachtet man mit doppelter Theilnahme ein Menschenbild, dessen Bedeutung Millionen vor Augen steht und dessen Wohl und Wehe auf das einer ganzen Generation des Vaterlandes bestimmend einwirken kann.

Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen ist ein solches Menschenbild, und seine Bedeutung gewinnt noch in ungewöhnlichem Maße dadurch, daß sein persönlicher Werth, sowie sein schönes häusliches und sein glänzendes äußeres Glück die allgemeine Theilnahme an ihm fesseln.

Es ist keine Frage, daß König Wilhelm einen der glücklichsten Griffe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_647.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
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