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verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Blätter und Blüthen.

Opfer des Fanatismus. Bis jetzt haben wir gegen die französische Armee Krieg geführt, nun werden wir gegen den Fanatismus, gegen die Volksleidenschaft, gegen den Haß unsere Waffen kehren müssen. Der französische Soldat wurde gefangen, besiegt, nun aber müssen diese neuen Feinde, welche auf unsere als Patrouillen oder Ordonnanzen die Straße ziehenden Truppen mit meuchlerischer Kugel lauern, bekämpft und vernichtet werden.

Vor ungefähr zwei Wochen wurden zwei Officiere des zwölften Dragonerregiments, zwei Brandenburger, abgeschickt, um die Verbindung mit dem Kronprinzen von Sachsen aufzusuchen. Zur Begleitung hatten sie vier Dragoner ihres Regiments. Die Officiere waren Graf Haslingen und von Tauentzien, der dritte Nachkomme der großen Generale des siebenjährigen Krieges und der Freiheitskriege, Beide zwei frische, kühne Reiter, zu jedem Wagniß aufgelegt, vor keiner Gefahr zurückschreckend, Gott die Ehre gebend und dem Teufel sein gebührend Theil, aller Welt vertrauend, am meisten einem tüchtigen Gaul, in der ganzen Armee gekannt und geliebt. Sie hatten den Auftrag bekommen, die Festung Verdun zur Seite liegen zu lassen, die Maas zu passiren und von da retour in der Richtung nach Nordwest weiter vorzugehen. Sie setzten bei Bras über die Maas und kamen nach Herny am jenseitigen Ufer. Dort waren keine preußischen Truppen. Die Officiere fragten nach dem Maire; man wies sie zu demselben. In einem Garten, der von der Straße durch ein Stacket abgeschlossen war, lag ein stattliches Haus, an welches im rechten Winkel ein Flügel angebaut war, der bis an die Straße ging und dort einen Ausgang hatte; der Eingang in die Wohnung des Maire’s war durch die Gartenthür und von da durch die Thür des Hauptgebäudes; aus demselben kam den beiden jungen Leuten ein ältlicher freundlicher Mann entgegen, welcher sich ihnen als der Maire des Ortes vorstellte.

Der kleine Mann erwies sich freundlich gegen die Preußen, die nichts von ihm verlangten, als ein einfaches Mittagsmahl. Diesem Verlangen wurde vom Seiten des Vorstandes der Gemeinde auf das Bereitwilligste entsprochen. Die jungen Officiere hatten ihren Leuten den Befehl gegeben sich beim Maire ebenfalls zu essen geben und dann den Pferden in der Schmiede am Ende des Dorfes neue Eisen auflegen zu lassen; sie selbst versäumten nicht, zu ihrem Diner auch ihren Wirth zu laden. Sie hatten einen langen und scharfen Ritt gemacht und einen tüchtigen Hunger mitgebracht; es schmeckte ihnen vortrefflich. Wer konnte ihnen sagen, wann sie wieder zu einer solchen Stunde ruhigen, behaglichen Genusses kommen sollten? Nach dem Dessert wurde der Kaffee servirt. Sie hatten sich eine Cigarre angezündet und kamen mit ihrem Wirthe in’s Plaudern. Der Mann war Oekonom oder Cultivateur, wie es in Frankreich heißt. Sie erzählten ihm von daheim, von ihren heimischen Sitten, von der Art und Weise, wie dort die Landwirthschaft getrieben würde zum Unterschiede von der Art der Felderbebauung, die ihnen hier zu Lande aufgefallen sei; ob sie auch, wie Alle, die von Bodenbewirthschaftung etwas verstehen, davon sprachen, daß das gepriesene Culturland Frankreich darin noch weit gegen Deutschland zurück sei? Genug, beim behaglichen Mittagsessen, beim Duft der Cigarren war ihnen das Herz aufgegangen, und sie dachten gewiß nun auch an die Ihrigen, die vielleicht um dieselbe Stunde um den traulichen Familientisch saßen und von den geliebten Familiensöhnen, die fern im Feindeslande, sich unterhielten. Die Liebe und die Herzen haben so ihre Fühlungen und Verbindungen über Berg und Thal, den Wolken und den Lüften voraus. Da werden die Officiere durch laute Stimmen von der Straße her aus ihrer behaglichen Tischstimmung aufgeweckt – sie springen auf, an das Fenster und sehen draußen einen bewaffneten Haufen in den Garten eindringen. Nach der Kleidung, der Bewaffnung mußten es Franctireurs sein, Freischützen, Genossen jener zügellosen, nichtuniformirten Haufen, welche meuchlerisch aus dem Hinterhalte auf den deutschen Soldaten schießen und darum auch von der preußischen Regierung nicht als Kriegführende anerkannt worden sind, sondern, wenn sie in die Hände der der deutschen Truppen fallen, als Mörder verurtheilt und niedergeschossen werden.

Als solche Freischützen erkannte auch der Maire die Herannahenden. „Retten Sie sich!“ rief er den jungen Leuten zu, die vielleicht ebenso durch ihr liebenswürdiges, offenes und frisches Wesen sich seine Sympathie erworben haben mochten, als er sich der Verantwortung klar sein mußte, die ein Ueberfall in seinem Hause nach sich zöge; die Franctireurs kamen durch zu Garten auf das Haus zu.

„Sie sollen uns finden, wir werden unserer Haut uns wehren,“ riefen die Officiere, zu den Säbeln und Revolvern greifend. „Sie sollen nur kommen.“

„Sie sind etwa in zehnfacher Uebermacht,“ erwiderte Maire.

„Wir werden dennoch mit ihnen fertig werden.“

„Suchen sie wenigstens zu Ihrer Mannschaft zu kommen. Einige Augenblicke noch und sie werden hier im Zimmer sein. Hier“ – damit öffnete er eine Seitenthür – „dieser Ausgang führt in das Flügelgebäude – dort können Sie den Ausgang nach der Straße und die Verbindung mit ihren Leuten finden – aber nur schnell – um’s Himmelswillen schnell!“

Unterdeß waren die Franctireurs durch den Haupteingang bereits in das Haus eingedrungen und die Preußen durcheilten das Seitengebäude, nur von dort aus auf die Straße zu gelangen. Sie fanden auch richtig, den Ausgang, aber als sie die Thür öffneten, knallten ihnen schon Schüsse entgegen. Die Franctireurs hatten auch den Ausgang des Seitengebäudes besetzt und wollten durch denselben den Ueberfallenen nachdringen. Aber diese fanden noch Zeit, die Thür zu verrammeln, und zogen sich dann zurück, um durch eine kleine Pforte in einen kleinen Garten hinter dem Hause ihren Verfolgern zu entkommen. Dieser Garten hatte eine Mauer die nicht zu hoch war, als daß ein Mann sie überklettern konnte. Ebenso schnell waren aber auch die Angreifenden durch das Hauptgebäude in den Garten vorgedrungen und hier kam es zum blutigen Handgemenge. Die beiden tapferen Officiere wehrten sich, in der einen Hand den Säbel, in der andern den Revolver, wie die Löwen gegen die Franctireurs, deren wenigstens fünfundzwanzig waren. Ihre letzte Hoffnung mochte die auf ihre Leute sein, welche durch den Lärm der Schüsse zur Hülfe herbeigerufen werden mußten.

In dieser Zuversicht wurde im Garten des Maires der Kampf der Verzweiflung fortgeführt – die Officiere wollten sich den Ueberfallenden, die wie gesagt, nach ihrer Auffassung keine Soldaten waren, nicht ergeben, und diese waren nach ihrer Beute gierig, wie der Tiger nach einem edeln Wilde. Mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, kämpften die Officiere den Kampf um ihr junges Leben, aber schon fallen von ihrer Seite keine Schüsse mehr – sie wehren sich nur noch mit ihren blanken Säbeln, und die Mannschaften kommen noch immer nicht! Da erhält von Tauentzien einen Schuß unten von der Kinnlade in den Kopf – er sinkt sterbend zusammen. Die Franctireurs fallen über ihre Beute her und diesen Augenblick erfaßt Graf Haslingen, um sich über die Mauer zu retten. Er klettert schnell empor; er kommt glücklich auf dem Rande derselben an – da treffen auch ihn drei Schüsse und entseelt fällt der Körper wieder in den Garten hernieder, dicht neben die Leiche des Jugendgefährten, des Freundes, des treuen Cameraden im Leben wie im Tode.

Von dem Hause des Maires zogen die Franctireurs nach der Schmiede. Dort waren zu gleicher Zeit mit den Officieren die Dragoner von den mit Knütteln bewaffneten Dorfbewohnern angefallen und zweien von ihnen Schlingen um den Hals geworfen worden; der eine aber hatte sich von derselben wieder losgemacht und hieb mit seinem Säbel wacker um sich, bis er und sein Camerad mit denselben Klingen, welche den zwei anderen Dragonern im Sinken und Sterben unter den Schlägen der wüthenden Cannibalen entglitten waren, Hiebe über die Köpfe erhielten, welche sie niederstreckten und ihnen die Besinnung raubten.

In diesem Augenblicke trafen die Franctireurs ein. Faßt sie ein menschliches Rühren und hat sie die erste Blutthat so entsetzt – oder was ist es sonst, daß sie die fast Sterbenden den Händen ihrer Landsleute entreißen und in Sicherheit bringen? Genug, es geschieht. Die beiden Dragoner sind allein dem Gemetzel entkommen und befinden sich wieder beim Regimente. Nach ihrer Aussage sind die Franctireurs von den Einwohnern herbeigerufen worden.

Einige Tage darauf ritt abermals ein preußischer Officier desselben Regiments, von welchem die Gefallenen waren, v. Schulenburg, des Weges nach Verdun. Er hatte von dem Höchstcommandirenden, Prinzen Friedrich Karl, den Auftrag erhalten, über den schrecklichen Vorfall genaue Erkundigung einzuziehen. Es war gemeldet worden, daß die Leichen der Preußen in Verdun begraben worden waren. Den Wällen sich nahend, steckte er das Parlamentärzeichen, die weiße Fahne, auf. Mit verbundenen Augen wurde er in die Festung vor den Commandanten derselben geführt, des ihm gewordenen Auftrags sich entledigend. Durch den Commandanten erfuhr er den Hergang der Sache mit allen Einzelheiten, wie ich ihn berichtet habe. Die einzige Quelle war der Maire von Herny. Der Commandant händigte dem preußischen Officier auch Uhr und Werthsachen der Gefallenen aus und ließ ihn dann an deren Gräber führen. Dieselben waren den beiden Cameraden zwischen den Wällen der Festung gegeben worden unter hohen, alten, rauschenden Bäumen. Kränze lagen auf den Erdhügeln, und Holzkreuze trugen Namen und Charge der da Ruhenden mit dem Datum des Todestages und dem Beisatze: „tué à l’ennemi“.

„Ich habe Ihre tapferen Cameraden, mein Herr,“ hatte der Commandant zum Abschiede Herrn von Schulenburg gesagt, „mit allen militärischen Ehren begraben lassen. Wer kämpfend stirbt und sterbend noch kämpft, wie diese beiden jungen Helden, der ist der höchsten Ehre voll und werth und an dessen Grabe senke ich meinen Degen!“

Pont à Mousson, 18. Septbr. 1870.

Georg Horn. 






„Die Wacht am Rhein“ befindet sich gewiß, schön oder schlecht gedruckt, bereits in Aller Händen. Trotzdem dürfen wir hoffen, daß unsere Leser den in der heutigen Nummer enthaltenen ganz genauen Ueberdruck der Abschrift, in welcher Max Schneckenburger das Gedicht einem seiner Freunde mitgetheilt hat, mit größtem Interesse aufnehmen werden. Der Brief, mit welchem der Dichter seine Zusendung begleitete, ist vom achten December 1840 datirt und uns gleichfalls im Original vorgelegen. Außerdem geben wir das nachstehende Gedicht als Probe aus den demnächst bei Metzler in Stuttgart erscheinenden „deutschen Liedern“ von Max Schneckenburger:

Letzte Bitte.

Wenn ich einmal sterben werde
Weit von meinem Vaterland,
Legt mich nicht in fremde Erde,
Bringt mich nach dem heim’schen Strand.

5
Meines Herzens Flamme lodert

Einzig dir, Germania,
Drum, wenn einst mein Leib vermodert,
Sei mein Staub den Vätern nah.

Wenn die Nebel dann zergehen

10
Ob dem heil’gen deutschen Reich,

Laß, o Gott, ihn auferstehen.
Meinen Schatten still und bleich:
Daß er seinen Blick erlabe
An dem herrlichen Gesicht,

15
Ruhig wiederkehr’ zu Grabe,

Harrend auf das Weltgericht!


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1870, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_668.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)
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