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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

aufrecht und stolz, daß Victor sie befremdet anblickte. „Die Mühe spare Dir,“ sagte sie kalt und klar; sie hatte in dem Augenblick viel, was an ihre Mutter erinnerte.

„Wieso, weshalb?“ frug Victor betroffen.

„Weil ich den Adel nicht annehmen würde.“

„Und weshalb nicht?“

„Weil ich so stolz bin auf den alten Namen der Hösli, den meine lieben Eltern tragen und den die ganze Schweiz kennt und ehrt, daß ich jeden andern, wenn auch noch so hohen Namen, zu schlecht für mich halte!“

„Theuerste, was fällt Dir ein, Du würdest durch eine solche Weigerung den Fürsten auf’s Aeußerste erzürnen und mich in die Lage bringen, entweder Dich zu verlassen oder die Ungnade meines Fürsten zu wählen!“

„Nun, und wenn Dir nur diese Wahl bliebe - wofür würdest Du Dich entscheiden?“

Victor erbleichte und erröthete abwechselnd. „Natürlich für Dich und die Ungnade. Aber bevor Du mich in diese Alternative stürzest, bedenke, was Du thust: Ich bin arm, Anna, ich bin auch kein Genie, wie Du glaubst - ich bin hülflos, wenn der Fürst mir seine Protection entzieht. Vermähle ich mich gegen seinen Willen, so breche ich mit meiner Familie, die ihm anhängt, und mit meinen ganzen Verhältnissen; ich werde vom Hofe verbannt, in eine kleine Garnison versetzt und so lange im Avancement übergangen, bis ich meinen Abschied nehmen muß; dann, beste Anna, bin ich nichts als ein Bettler, dem Dein Vater seine Tochter sicher nicht geben würde - und wenn er es thäte - würdest Du einen Mann achten und lieben können, der sich von seiner Frau ernähren ließe?“

„O!“ rief Anna freudig, „dahin wird es nicht kommen! Ein Officier wie Du findet überall eine neue Stelle. Wer Talent und Muth hat, der ist kein Bettler. - Sollte Dir jedoch wider Erwarten und Verschulden Alles mißglücken - so schwöre ich Dir, daß es mein Stolz wäre, dem Manne, den ich liebe, eine gesicherte Zukunft zu bieten!“

„Großes, edles Mädchen!“ sagte Victor. „So würdest Du denken - aber die Leute?! Erwäge einmal, was es für mich wäre, wenn ich keinen andern Dienst fände und man mir nachsagen würde, ich hätte einer Geldheirath wegen meine Hofstellung und meine militärische Carrière geopfert, gerade jetzt, wo wir einem Kriege entgegengehen!“

Anna machte eine heftige Bewegung.

„Mißversteh’ mich nicht, Anna; wer Dich kennt, wird keinen Augenblick zweifeln, daß ich Dich aus Liebe wählte - aber der Neid ist geschäftig und wird nicht säumen, meiner Verbindung mit Dir die eigennützigsten Motive unterzuschieben. Bedenke, was das für einen Officier und Edelmann wäre - und frage Dich dann - ob Du mich um eines kindischen Dünkels willen so weit treiben darfst? Ich harre mit klopfendem Herzen Deines Urtheils. Ich kann es Dir nicht verhehlen, ich liebe Dich mehr als mein Leben, das habe ich Dir heute bewiesen, aber nicht mehr als meine Ehre, - denn, Anna, der Officier und Edelmann, der irgend etwas in der Welt mehr liebt als diese - ist werth, daß man ihm Degen und Wappenschild zerbreche.“

Victor schwieg beklommen. Anna ging hoch und stolz neben ihm her. „So giebt es doch etwas,“ begann sie mit einem mitleidigen Lächeln, „was mein Ritter sonder Furcht und Tadel fürchtet, und zwar etwas Unsichtbares, das ihm kein Haar auf dem Haupte krümmen kann: das Urtheil oder vielmehr das Vorurtheil der Menschen. Und das nennst Du Ehre, und die Feigheit, mit der Du das Heiligste, die Wahl Deines Herzens, von diesem Vorurtheil abhängig machst, nennst Du Ehrgefühl? Sieh, Alfred ist ein kranker schwacher Mensch, dem wir nicht viel zutrauen - aber das weiß ich gewiß, nicht einmal Alfred würde so gehandelt haben, Alfred würde sich um nichts auf der Welt kümmern und nach Niemandes Erlaubniß fragen, wenn ich ihn heirathen wollte!“

„Alfred und immer Alfred!“ rief Victor, „wenn es nicht zu lächerlich wäre, so könnte ich eifersüchtig werden. Theuerste. Anna, willst Du denn so wenig meinem Standpunkt Rechnung tragen - kannst Du, die für Ritterthum und Ritterehre schwärmt, nicht begreifen, welche heilige Verpflichtungen mir die Traditionen meiner Familie auferlegen? Geh hin und frage Deinen stolzen Vater, ob ein Mann von Ehre unter Verhältnissen heirathen darf, wo er der Frau als Bettler gegenübersteht, und er wird Dir sagen, daß ich recht gethan, da ich Dir offen bekannt, wie sich die Sachen verhalten. Du bist ein romantisches Kind, das an die Dinge dieser Welt seinen phantastischen Maßstab legt, und das gerade macht Dich so bezaubernd, macht es aber auch so schwierig, mit Dir zu verkehren. Du forderst einen Aufschwung, eine Exaltation, die uns alltäglichen Menschen nicht zu Gebote steht, und wenn Du uns mit den Factoren dieser prosaischen Wirklichkeit rechnen siehst, dann hältst Du uns für kleinlich und lieblos! Glaube mir, ich liebe Dich aufrichtig und treu und werde Alles für Dich thun, was in meinen Kräften steht. Nur verlange keinen Kampf mit den Ideen und Verhältnissen, in denen ich aufgewachsen bin, denn - ich kann es nicht leugnen - dazu bin ich zu schwach.“

Anna hatte ihn zu Ende gehört. Ihre scharf gezeichneten Brauen waren zusammengezogen, ihr rosiger Mund trotzig aufgeworfen. „Spare die Redensarten, Victor, und höre mein letztes Wort,“ sagte sie. „Wenn Dir die einfache bürgerliche Anna Hösli zu gering ist, wenn Du nicht den Muth hast, um ihretwillen allen Stürmen zu trotzen und Dir im Falle des Verlustes Deiner Protection eine neue ehrenvolle Stellung zu schaffen aus eigener Kraft - dann bist Du für die Anna Hösli gestorben und begraben, als lägst Du da drunten im See, und kein Regenbogen wird Deine Seele jemals vor meinen Augen gen Himmel führen, wie ich es vorhin geträumt. Jetzt weißt Du, was ich von dem Manne fordere, dem ich angehören soll - und kannst danach handeln!“

Victor war wie vom Donner gerührt bei dieser Rede Anna’s. Er begann sie mehr zu fürchten als alles Andere, und sein nächstes Bestreben war, sie zu versöhnen. Er zog das abgeschnittene Stückchen von dem Ruder hervor und zeigte es ihr. „Nun gebe Gott, daß sich der Talisman bewähre,“ sagte er und sank vor Anna in den feuchten Kies auf das Knie. „Wenn ich Dich beleidigt – um dieses Talismans willen, den Du mir selbst gegeben - sei barmherzig! Ich will ja Alles thun, was Du willst - werde nur wieder mein süßes Lieb von vorhin, da Du glaubtest, es sei Gott selbst, der uns einander in die Arme gelegt. Aennchen, kannst Du Deinen Retter verstoßen?“

Sie schaute ihm lange in das schöne Gesicht, und das Mitleid kam wieder über ihr junges gutes Herz. Sie legte den Arm um seinen Hals und schüttelte traurig den Kopf. „Ich verstoße Dich nicht, dies Leben, das Du gerettet, ist Dein, so lange Du Dich seiner werth zeigst. Ich kann nicht in dieser Minute hassen, was ich in der vorigen geliebt. Aber Victor, mir ist doch die Freude an Dir verdorben, denn Du bist bei all’ Deiner Stärke ein schwacher abhängiger Charakter voll Menschenfurcht und kleinlichen Rücksichten, und ich sehe jetzt, daß man ein Riese sein kann, ohne doch ein Mann zu sein! Wer mir das Alles von Dir gesagt hätte, als Du mich durch den Sturm und das wilde Wasser steuertest, den hätte ich einen nichtswürdigen Verleumder genannt - und nun! Schau, Victor, um jenes Augenblicks da draußen willen“ - sie deutete nach dem umschatteten See - „sei Dir’s verziehen, daß Du mir den schönsten Traum meines Lebens zerstört hast, den, einen großen Mann zu lieben!“ Sie wandte sich von ihm und ging dem Hause zu. Victor folgte ihr in höchster Bestürzung.

(Fortsetzung folgt.




Die Hüterin des Rheins.
Von J. Venedey.

Wir warteten in Müllheim auf den Zug von Basel nach Kehl. Es war Verspätung eingetreten; um so ungeduldiger nahmen wir die Nachricht auf, daß der angekommene Zug ein paar Schritte vor dem Bahnhofe stillstehen müsse, bis alle Wagen durchsucht seien. Ein preußischer Kürassierlieutenant mit zwei Ulanen trat an jede Wagenthür, sah sich die Reisenden alle scharf an und bat endlich Einen derselben auszusteigen. Dieser war ein stattlicher Mann, der rothes Haar hatte; an dem hatte man ihn erkannt. Eine telegraphische Depesche hatte den Stab der in Müllheim liegenden Bataillone benachrichtigt, daß mit dem nächsten Zuge ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_712.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)
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