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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

uns aber, als wir vor Jahren durch die Straßen Straßburgs gingen, die nun von den festen Schritten der deutschen Landwehr wiederhallen, die Tricolore an den öffentlichen Gebäuden und die munteren Rothhosen, die unbekümmert um unsre Stimmung mit den Händen in den Taschen und den Pfeifenstummeln zwischen den Lippen dahin „wiesselten“, indem sie sich völlig heimisch geberdeten in der Stadt Erwin’s von Steinbach und in der des Mönchs Otfried, der unserer deutschen Sprache gleichsam erst ihre literarische Tiefe gegeben.

Wenn sich auch der Elsässer politisch für den besten Franzosen hielt, lebt und webt doch überall im Lande noch deutsche Sage und Sitte. Wie sehr dies der Fall ist, hat uns August Stöber in seinem elsässischen Sagenbuch, in der Alsatia und anderen Schriften bewiesen. Man darf nur flüchtig das Land durchstreifen, um durch malerische Volkstrachten überrascht zu werden, welche einzelne Gegenden sich noch bewahrt haben. Die reizenden Kochersbergerinnen, die Bäuerinnen von Seebach und die rothröckigen Mädchen bei Schlettstadt schaffen der milden, fruchtreichen Landschaft vor den Vogesen allenthalben die schönste Staffage. Und nun das Land selbst – ein Garten in der Ebene, ein vierundzwanzig Meilen langer Weinberg am Gebirgshange!

Das Elsaß ist eines der schönsten und fruchtreichsten Länder. Besonders vom Odiliensberge an aufwärts bis Mülhausen ein paradiesisches Frucht- und Weinland mit stattlichen Berghöhen voller Wälder und mit prächtigen Thälern, reich an Industrie und Verkehr. Wie eine Perlenreihe schließen sich im Weingürtel der Vogesen Städte und stadtähnliche Dörfer an einander. Fast jedes Städtchen hat sein altes Münster, jedes Thal seine schönen Klosterreste, fast jeder Berg seine Burgruine, zumeist höchst sehenswerthe, architektonisch schöne Zeugen einer culturreichen Vergangenheit. Selbst der Eisenbahnreisende, der bei Schlettstadt und Colmar sich dem Fuße der Vogesen nähert, wird mit Ueberraschung die Pracht eines Landes gewahr, von dessen Naturschönheiten die Welt noch nicht besonders viel gehört hat, obgleich die Vogesen den Schwarzwald darin noch überbieten. Und gerade bei den genannten Städten, die in der reichen Ebene vor den Eingängen der schönsten Thäler liegen und als Hauptstapelplätze des Weinsegens gelten können – bei Schlettstadt und Colmar verewigt sich gleichsam die Herrlichkeit des Landes zu einem großen Bilde. Dort entstand auch der Spruch vom Wahrzeichen des Elsasses:

„Drei Schlösser auf einem Berg,
Drei Kirchen auf einem Kirchhof,
Drei Städt’ in einem Thal:
So ist das Elsaß überall.“

Und dem schärfern Beobachter wird alsbald auffallen, daß die Elsässer sich in Sitten und Gebräuchen deutsches Wesen da und dort treuer bewahrt haben, als so viele andere Stämme des alten Reichs; daß die Trachten noch immer so schön und ansprechend sind, wie irgendwo; daß es beim Erntetag und Feierabend, bei der Weinlese und Kirchweih klingt und singt in echt deutschen Liedern und Weisen; ja daß durch die Spinnstuben noch überall die Schatten der germanischen Götterwelt schauern und die ahnungsvollen Reden laut werden von der entscheidenden Weltschlacht auf elsässischem Boden, wo die Pferde bis an die Knöchel im Blute waten und der Herrscher von Frankreich von dem Könige der Deutschen geschlagen werden wird. Wo aber in solcher Weise noch deutsches Wesen wurzelt, läßt sich der französische Firniß leicht von der Oberfläche lösen, und er wird um so rascher entfernt werden können, je mehr das alte Vaterland den wiedergewonnenen Kindern Liebe und Ehre zurückbringt. Und statt halb verstohlen und halb verschollen, wie der Straßburger Dichter Karl Bernhard im Bivouac der algerischen Sahara, kann der Elsasser laut über den Rhein in’s große Vaterland hinein singen:

„Miin Muedersprooch isch lieb mir, werth,
I kann’s halt nit verhehle,
und wenn au Mancher drum sich scheert,
Wer wird sich dorum quäle!
Merr redde ditsch! d’ Kindskinder noch,
In viele hundert Johre,
Redde mit Freud’ ihr’ Muedersprooch,
Nein, nie geht die verlore!“




Aus dem Lager unserer Heere.
Von Otto von Corvin.
Siebenter Brief. Meine ersten Tage in Versailles.

Mein heutiger Brief wird in seiner ersten Hälfte nicht viel mehr enthalten, als eine Reisebeschreibung; allein die Reise ging durch Feindes Land und auf einer Straße, welche der Kriegsbesen rauh genug gefegt hat, und wenn ich dabei meine Erlebnisse erzähle, so geschieht das nicht, weil ich mir einbilde, daß die lieben Leser A- bis Zmeyer sich für meine Person interessiren, sondern einfach, weil eine persönliche Erzählung lebhafter ist und weil das, was ich erlebe, ungefähr ebenso von anderen Leuten erlebt wird, welche dieselbe Straße gehen, und weil – endlich die Erzählung des Erlebten die beste Schilderung der Zustände ist.

Jeden Tag geht jetzt, schon früh am Morgen, ein Personenzug von Saarbrücken nach Remilly, der ziemlich schnell fährt. Diesen benützte ich, um von Remilly nach Pont à Mousson zu fahren, von wo ich mich nach kurzem Aufenthalt in Jouy nach Nancy begab. Nancy ist eine sehr schöne Stadt. Wer indessen behauptet, daß es eine deutsche Stadt sei, der irrt sich, trotz des deutschen Namens Nanzig. Die Stadt ist fast französischer als Paris. Schon früh am Abend waren die breiten Straßen wie ausgestorben, nur im Cafe Stanislas fand man es gedrängt voll von Officieren aller Grade.

Am nächsten Tage passirten wir Toul und Vitry und kamen spät Abends in der Champagnerstadt Epernay an, wo es mir mit Mühe gelang, mir einen Platz in einem Gasthofe zu sichern. Nach mir Kommende wurden abgewiesen. In dem großen, dunkeln Speisesaal fand ich zwei Herren in glänzender Uniform, die ich für baierische hohe Officiere hielt, und denen ich mich gebührend vorstellte. Dasselbe thaten später preußische Capitains, was die betreßten Herren veranlaßte, sich als baierische Eisenbahnconducteure zu erkennen zu geben.

In Chateau Thierry fand ich am folgenden Tage einen jungen Arzt aus Berlin, der als Delegirter des dortigen Centralvereins mit drei Wagen nach Versailles ging und dort in drei Tagen anzukommen hoffte. Ich schloß mich ihm an, und trotz der ermüdenden Langsamkeit, mit welcher die Fahrt vor sich ging, erreichten wir doch am nächsten Abend noch Villeneuve le Roi, welches ein Stündchen jenseits der Seine liegt. Es war Nacht, als wir in dem jämmerlichen Neste ankamen, welches wohl nur bei dem Regenwetter und tiefem Schmutz so elend erschien, denn es waren darin sehr große und schöne herrschaftliche Besitzungen, die bei gutem Wetter und im Sommer reizend sein mußten. Durch den tiefen Schmutz gingen wir zum Etappencommando, wo ein gefälliger Gefreiter für unsern Wagen uns einen Platz in einem ungeheuren Gehöfte anwies, wo man bis über die Knöchel im Lehm versank. Quartier für uns war nirgends zu finden, denn in dem Orte lagen der Stab des dritten Armeecorps und einige Tausend Mann, die es sich in den verlassenen Häusern so bequem gemacht hatten, wie es nur anging. Der Doctor fand endlich ein Unterkommen mit siebenzehn Soldaten in einem Zimmer ebener Erde, wo im Kamin ein Feuer brannte. Mir bot ein Unterofficier in einer elenden Küche einen Platz auf einer Matratze neben sich an, weil sein Camerad auf Wache sei.

Im Nebenzimmer lagen sechs Schlesier in einer Reihe; prächtige Jungen, die sehr guter Laune waren. Ehe wir noch unser Lager suchten, hielten vor unserer Thür sechs oder acht städtisch aussehende Wagen, auf deren jedem eine weiße Flagge wehte und die von Armeegensdarmen begleitet waren. Es verbreitete sich das Gerücht, daß Parlamentaire von Paris angekommen seien, und die Soldaten liefen von allen Seiten herbei. In einigen der Wagen sah ich Damen, und da diese nicht wohl Parlamentaire sein konnten, so trat ich näher, mich zu erkundigen. Es war eine Anzahl amerikanischer Familien und die portugiesische Gesandtschaft, welche Erlaubniß erhalten hatten, Paris zu verlassen. Selbst die Kutscher waren Herren,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 788. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_788.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
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