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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ihres Schlafzimmers. Eine Erscheinung schaute ihr daraus entgegen, die ihr selbst fast fremdartig erschien. Die elegante, in den Schultern so volle, um die Taille so graziöse Figur war in eine Atlasrobe eingespannt. Auf dem weichen, glänzenden, chocoladefarbenen Stoffe liefen die hochgestickten Guirlanden aus Apfelblüthen in Windungen hin, in denen sich die Formen ihres Körpers zeichneten. Und die Blüthen zitterten hin und her, als würden sie vom leisen Windhauche des Frühlings berührt – so erregt hob sich die Brust der jungen Frau, als sie ihr Bild von einstmals wieder zum ersten Male erblickte. Alle Lust und aller Reiz der Welt kehrten ihr mit diesem Schauen zurück.

„Des Leibes Schönheit ist der Götter Gabe,“ sagte eine Stimme hinter ihr.

Es war die Regina’s. Unhörbar war diese eingetreten, oder vielmehr Doris war so sehr in ihr eigenes Bild versunken, daß sie das Erscheinen der Freundin nicht wahrgenommen hatte. Alles Blut goß sich ihr über’s Gesicht, als sie sich umdrehte und Regina bewillkommte.

„Dir hätte nichts Günstigeres zu Theil werden können,“ lachte die Freundin, „als die Zurückgezogenheit hier draußen – fern von allem aufregenden Trouble des Gesellschaftstreibens und den damit verbundenen Intriguen, die sich dem Körper wie dem Gemüthe aufprägen. Die andern Frauen Deines Alters sind schon welke Blumen – Du blühst noch in frischer Pracht.“

Doris gestand offen, warum sie die Robe angelegt hatte, die sie von ihrem früheren Glanze noch zurückbehalten.

Regina schwebte das Wort schon auf den Lippen, das die Freundin von dem gefaßten Entschluß abbringen sollte. Da hielt sie inne – ein kurzer Kampf der Gedanken in ihr, und sie sprach die Warnung nicht aus. Doris stand vor ihr in aller Anmuthsfülle, die einem Weibe nur gegeben werden kann, und sie – sie hatte nur ihr Herz, das dem Körper keine äußere Schöne aufzustempeln vermochte, das Herz, unter dessen leidenschaftlichem Wogen sie so unendlich litt. Doris war im Begriffe, gegen das Verbot ihres Mannes zu handeln, an seinem Willen zu sündigen; sie stand vielleicht an einem Abgrunde, den sie, die Freundin, vor ihr sah, und sie riß sie nicht zurück, rief ihr selbst nicht einmal im entscheidenden Moment den Warnungsruf zu. Regina wußte selbst nicht, wie ihr geschah, aber von einer dämonischen Schadenfreude wurde sie erfaßt; sie drängte Doris fast hinab, war ja deren Fehltritt vielleicht ihr Glück!

Sie half Doris am Tage des Festes auch noch in den Wagen, der diese nach dem Landhause des Präsidenten brachte.




7.

Das Landhaus des Präsidenten Lideman lag eine Viertelstunde vor der Stadt. Der Weg dahin führte durch Villen und Gartenanlagen. Dann machte er eine große Biegung von der Hauptstraße ab und mündete in einen Pfad, der etwas thalwärts führte. Plötzlich sah man sich vor einem großen Wasserspiegel. Grüne Waldesufer zogen sich rings um die fast unbewegte stahlblaue Fläche, auf der nur Schwäne und ab und zu das weiße Segel eines Bootes sichtbar wurden. Man hielt vor einem einstöckigen Landhause, dessen Inneres nur einen Raum, allerdings in der Ausdehnung eines großen Saales, hatte. Durch diesen ging man hinab in den Garten, der sich terrassenförmig nach dem Ufer des Sees hin erstreckte. Eine Allee hoher Rüstern, dazwischen seltene dunkle Fichtenarten – eine Pergola mit Schlinggewächsen, in einen Pavillon mündend, der auf einer Landzunge vom See umspült da stand; über das buntbemalte Balkenwerk hing Clematis in üppiger Wucherung herab, sodaß der Pavillon das Ansehen eines riesigen Busches bekam.

Der weibliche Instinct der jungen Frau hatte richtig geahnt. Von des Präsidenten Seite war durch nichts ein Anhalt geboten worden, welcher die Geheimräthin berechtigt hätte, eine Verlobung in so nahe und bestimmte Aussicht zu stellen, wie sie es Doris gegenüber gethan. Lideman war über alle Vorgänge im Rechting’schen Hause sehr gut unterrichtet – auch über die Abreise des Assessors. Wenige Tage darnach hatte er der Geheimräthin die Idee einer Abendgesellschaft in seinem „Berggarten“ unterschoben, und diese hatte sofort zugegriffen. Was konnte dieser Vorschlag nach ihrer Meinung Anderes bedeuten, als eine Verlobung? Naturen wie die Geheimräthin sind von ihren Gedanken derart befangen, daß sie weder links noch rechts schauen. Sonst hätte ihr doch die Frage aufstoßen müssen, warum Lideman so lebhaft und bestimmt auf der Einladung der Frau von Rechting bestand?

Else sah an diesem Abende auffallend niedergeschlagen aus.

„Ich muß Dir sagen, liebes Kind,“ bemerkte in einem Moment des Zusammentreffens die Mutter, in ihrem Anzuge die Schleifen und Garnituren mit geschäftiger Hand zurechtrichtend, „Du bist heute wieder einmal so unliebenswürdig, wie nur möglich.“

„Aber Mama, ich habe mich doch bemüht, nicht nur höflich, sondern auch artig zu sein.“

„Das nennt sie artig, wenn sie vor dem Bankpräsidenten immer wie Minchen vom Lande die Augen niederschlägt! Warum schlägst Du die Augen nicht offen zu ihm auf? Die sind doch das Schönste an Dir. Warum hast Du heute überhaupt keinen Glanz, nicht einmal einen feuchten Schmelz in Deinen Blicken?“

„Aber Mama, ich kann doch nicht, wenn die Natur es mir versagt hat.“

„Alles muß ein Mädchen können. Wofür bist Du jung? Freilich, Du bist ja leider in Allem Deinem Vater nachgeschlagen. Aber einem Manne, wie dem Präsidenten, giebt man zu jeder Tasse Thee das süßeste Lächeln; dem macht man ein Bischen deutliche Avancen –

„Verlange Alles von mir, Mama, nur das nicht! Ich kann nicht lächeln, wenn Thränen mir das Herz schwer machen.“

„Thränen! Wieso, mein Kind? Was brauchst Du zu weinen? Halten nicht ich und Dein Vater Dich wie ein liebes Kind? Was ist’s? So sprich doch!“

„Nichts, nichts! Dringe nicht in mich, liebe Mama!“ Und Else warf sich in die Arme ihrer Mutter.

„Ich meine es doch nur gut mit Dir, Elschen. Bedenke doch die Villa und die Equipage mit den Apfelschimmeln! Jetzt kannst Du die Rolle in der Gesellschaft übernehmen, die früher Frau von Rechting in unserem Kreise gespielt hat. Bedenke doch – er Präsident – Du Präsidentin und immer ein volles Portemonnaie in der Tasche! Und bis jetzt, wenn Du eine neue Balltoilette brauchtest, mußte ich mir das Herz absorgen, wie sie zu beschaffen wäre, ohne daß man sich in Schulden steckte –“

Um die Familienscene vollständig zu machen, kam in diesem Augenblicke auch Elschen’s Vater dazu, ein kleiner, magerer Herr mit dem Gesichte einer Spitzmaus. Unter der goldenen Brille schauten ein paar graue Aeuglein aus dem mageren, fast fahlen Gesichte; sie erhielten jetzt ihren Widerschein aus dem vollen Glase Ananasbowle, das er in der Hand hielt.

„Mutter, ich muß Dir sagen, ich amüsire mich außerordentlich. Na, auf Dein Wohl, Frau Geheimräthin!“

Er wollte trinken, sie aber zog ihm das Glas von den Lippen weg.

„Trinke nur nicht zu viel, Alterchen! Du weißt – Deine Zerstreutheit, Deine Gedächtnisschwäche – Wein ist Gift für Dich.“

„Aber das Gift schmeckt vorzüglich – und wenn ich denn vergiftet werden soll, dann am liebsten so. Auf Dein Wohl, Constanze!“

„Menagire Dich, Wandelt!“ sagte die Geheimräthin. „Es könnte heute der Fall eintreten, daß Du noch eine Rede halten müßtest. Und dazu gehört vollkommene geistige Concentration. Nimm Dich zusammen! Es wird wohl heute noch etwas werden mit dem Bankpräsidenten.“

Da hob der Geheimrath seine Brille hoch und schaute seine theure Hälfte überrascht an.

„Ich habe Dir doch schon eine Andeutung gemacht. Wofür giebt der Präsident die Gesellschaft? Fünfzig Personen – Thee – zwei Bowlen – Souper mit Sect – Musik drüben im Bosquet – Heimfahrt auf dem See und zum Schlusse zwanzig Raketen? Wozu? Es betrifft Else.“

Constanzens Gatte schob bei dieser Andeutung die Brille noch höher.

„Ja, ja – der Bankpräsident, Alterchen! Wofür hätte er heute diese Gesellschaft auch gegeben, als um –“

„Er – er wollte wirklich – der Postdirector?“

„So nimm Dich doch zusammen, Präsident, Bankpräsident ist er.“

„Das wäre ja reizend, Constanze – einen Schwiegersohn mit solchen Cigarren!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_110.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)
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