Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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nicht, wie es dazu kam. Vielleicht schwebte mir im Momente eine Situation wie die gegenwärtige im Geiste vor. Kurz, ich gab meinem Buchhalter den Auftrag. Aber denken Sie nichts Arges dabei! Ihre Frau Gemahlin ist über alle Verleumdung erhaben. Daß Ihnen die Sache nicht sehr angenehm – kann ich mir lebhaft denken, aber sagen mußte ich es Ihnen – aus alter Freundschaft.“
Lange saß Erich regungslos da; er ließ Gedanken und Empfindungen wirr und wild durch Gehirn und Herz jagen. Wie verworrene Träume, wie visionäre Vorstellungen wirkten die Worte Lideman’s in ihm nach; jeder klare Begriff entwand sich ihm in diesem Chaos von Schuld, Anklage und Jammer. Das Geschenk des Schurken – der Name seiner Frau in den Büchern – vor der Welt bloßgestellt – von ihrem Urtheile beschmutzt, geschändet! Als er sich erhob, sah, er, daß er allein war. Er schlug die Hände vor das Gesicht. Doris – Doris!
Eines stieg aus den dunklen Wogen in seinem Innern auf, ein Gedanke, klar, scharf wie die Schneide eines Richtschwertes. Sollte ein Mensch wie dieser, fragte er sich, ein derartiges Geschenk spenden, ohne etwas empfangen zu haben? Warum gerade betonte er ihre Schuldlosigkeit? O Gott, o Gott! Wie auf einen Fels hatte er auf Doris gebaut! Die Fittige eines Engels der Offenbarung hätten nach seinen Gedanken nicht reiner sein können, als der Wandel seiner Frau in Pflicht, Ehre und Zucht. Kein Argwohn, kein Mißton, am wenigsten ein Zweifel hatten in seiner Seele Platz gefunden – und nun? Der vertraute Verkehr Lideman’s in seinem Hause, der Vorschlag desselben auf Betheiligung an seinen Geschäften, das Fest in seinem Landhause – Glied reihte sich an Glied zu einer Kette.
Er sprang auf und hielt sich den Kopf mit beiden Händen, als wollte er alle ferneren Gedanken niederhalten. Die weiteren Consequenzen hätten ihn dem Wahnsinne nahe gebracht. O Doris – Doris , rief es in ihm, habe ich Dich nicht gekleidet mit meiner Ehre, mit der Sorge meiner Liebe? Habe ich Dich nicht gesättigt mit meinem ganzen Herzen? Unglückseliges Weib, was hat Dich getrieben, diesen Schritt zu thun? Die Schande hatte seine Schwelle überschritten, sie wohnte bei ihm, und er – er hatte vielleicht schon von ihren Tellern gegessen. Doris – Doris!
Dann ging die Brandung in ihm nieder. Doris erschien vor seinem inneren Blicke, so, wie er sie zum ersten Male gesehen auf der Düne im Abendsonnenglanz, da er sich gesagt hatte: Du bist mein. Reizvoll, sanft lächelnd, die Unschuld auf ihrer Stirn. Konnte dieses von ihm so heiß geliebte Wesen, konnte sich dieses in das Geschöpf umwandeln, um das er jetzt die Angst seines Herzens trug? Nie, nie! rief es in ihm. Mit aller Kraft der Empfindung hielt er jenes Bild von ihr fest. Wie wohl wurde ihm auf einmal um’s Herz! Und dann so ruhig, daß er aufathmete, als hätte sich jegliches Schwere von ihm abgewälzt. Wie hätte sie sich auch so weit vergessen können? Sein Weib, die Mutter seines Kindes! Mochte es immerhin wahr sein, was Lideman da von dem Geschenk gesprochen, mochten die Bücher den Ruf von Doris in dem Auge der Welt brandmarken – für ihn wenigstens mußte sich eine befriedigende Aufklärung finden. Der Strom der alten Liebe floß mit voller Macht in ihn zurück und spülte alles Unreine hinaus, allen Zorn, allen Verdacht und alle Anklagen.
Da klopfte es an die Thür. Der Bureaudiener war es in Begleitung des Unterbeamten, welcher die Bücher des Bankvereins an sich nehmen sollte und die amtliche Ermächtigung von ihm verlangte. Mit zitternder Hand gab Erich das Verlangte und ermahnte zur Eile. Sie sollten die Bücher schnell zur Stelle schaffen, so rasch wie möglich.
Die Beamten kamen nach einer Weile mit den Büchern zurück. Sie legten eine ganze Last der großen in graues Leder mit Messingbeschlägen gebundenen Folianten vor dem Staatsanwalt nieder.
Wie leicht war es ihm, den guten Ruf seiner Frau vor der Welt zu retten! Ein Blatt – ein Riß! Er öffnete eines der großen Bücher und blätterte darin mit zitternder Hand. In dem Gewirre von Summen und Zahlen suchte er. Dann aber warf er das Buch bei Seite. Eine Fälschung! Auf welche Irrwege drohten ihn Angst und Verzweiflung zu bringen! – In seinem Schmerzgefühle um seine Frau, in dem Haß gegen den Verbrecher fühlte er es wie eine tiefe Genugthuung, daß der Verbrecher am Staate, der Verbrecher an seinem Eheglück, ihm, dem Staatsanwalt, in die Hände geliefert war. Aber bei weiterer Ueberlegung der Sachlage stellte sich Rechting die Nothwendigkeit dar, den Minister um seine Demission zu bitten. Wo ein derartiger Beweis gegen die Frau dessen vorlag, der die öffentliche Anklage zu führen hatte, ergab sich diese Nothwendigkeit von selbst. Für ihn blieb gewiß die Ehre seiner Frau unbefleckt – er wollte dann Doris und Liddy mit sich an einen fernen Ort nehmen, wo Niemand ihr und dem Kinde mit einem Verdachte in den Weg kommen würde. Er war nur noch unschlüssig, ob er geraden Weges zum Minister gehen sollte, oder nach Hause. Nach letzterem verlangte sein Herz, und dem folgte er. Sein Weg führte ihn an dem Hause des Bankvereins vorüber. Es war ein reges Ab- und Zugehen. Die Verhaftung des Präsidenten hatte den Ruf des Hauses erschüttert, und die Meisten holten sich ihre Depositen ab. Zehn Schritte vor ihm kam eine hohe weibliche Gestalt heraus, in einem dunklen Mantel, der die Gestalt vollständig einhüllte. „Regina!“ sagte sich Erich und beschleunigte seine Schritte, um sie zu erreichen. Er hatte Mühe. An einer Ecke, um die sie bog, war er ihr nahegekommen und hatte ihren Namen angerufen. Sie wandte sich um. Die Züge, in die Erich schaute, konnten Regina gehören, jawohl, aber jetzt waren sie verfallen, verzerrt, erdfahl. Ein fremdes Wesen stand vor ihm, das ihn mit den großen grauen Augen anstarrte, als hätte es eine plötzliche Vision. War es Regina oder eine Fremde? fragte sich Erich. Aber dann kam ein flehender Blick so thränenschwer zu ihm herüber, als wollte er sagen: Störe meine Bahn nicht! Laß mich ruhig meines Weges gehen! Ohne Zweifel – es war die Freundin seines Hauses, so unerklärlich ihm auch diese stumme Bitte, dieses leise Abwinken mit der Hand erschien. Dann war sie seinen Blicken entschwunden.
Sollte er ihr folgen? Nein, sie hatte ihm ja abgewinkt – sie schien ihm seltsam unnahbar. Jede Heimsuchung des Herzens drückt dem davon betroffenen Wesen, und wäre es auch noch so schwer von Schuld beladen, eine Weihe auf, die es außerhalb des gewöhnlichen Empfindens stellt. Seine Gedanken gingen ihr auch nicht weiter nach. Dazu war er zu sehr mit seiner Frau beschäftigt. Regina war ihm nichts weiter als eine Freundin.
So wie jetzt hatte es ihn lange nicht nach Hause gedrängt, und seine Schritte waren von der Furcht beflügelt, es möchte jetzt, wo die alte Liebe wieder neue, frische Keime zu treiben begann, Doris etwas begegnet sein.
Zu Hause angekommen, fragte er fast athemlos nach seiner Frau. Sie war ausgegangen, lautete der Bericht des Mädchens. Allein? Nein, Fräulein Else hatte sie abgeholt – vervollständigte das Mädchen ihren Bericht. Damit wurde Erich ruhiger. Er versuchte zu arbeiten, aber er fand keine Ruhe. In dieser Situation war es ihm nicht unlieb, daß ihm der Besuch des alten Buchhalters, des Herrn Warbusch, angemeldet wurde.
„Die Bücher des Hauses sind in Ihren Händen, Herr von Rechting,“ begann dieser. „Da ein Geschäft, wie das unsere, Ordnung verlangt, und selbst solche unliebsame Zwischenfälle den Fortgang der Geschäfte nicht stören dürfen, so wollte ich ergebenst fragen, wann wir Hoffnung hätten, dieselben zurück zu erhalten.“
Die Antwort Rechting’s lautete dahin, daß die Bücher wohl noch eine Weile unter den Augen des Gerichts bleiben würden.
Herr Warbusch wollte sich mit diesem Bescheide schon empfehlen, als Erich ihn noch einen Augenblick zu bleiben bat. Seine Stimme war unsicher, als er das Wort an ihn richtete:
„Wissen Sie wohl von einer Summe, die auf meinen Namen gebucht ist?“
„Auf Ihren Namen, Herr Staatsanwalt? Weiß ich nichts – nein – aber auf den Ihrer Frau Gemahlin.“
Rechting mußte die Hand auf das Herz drücken – fest – um nicht den Klageschrei seines Innern lautbar werden zu lassen.
„Sie wissen, der Herr Präsident ist ein generöser und galanter Mann. Da ließ er mich – am Nachmittag vor seiner Verhaftung war’s – zu sich in sein Cabinet kommen. Vor ihm stand ein Korb mit köstlichen weißen Blumen – Magnolien heißt man sie. Ich war schon verwundert, daß mir so etwas zu Theil werden sollte. Es war doch mein Geburtstag nicht – und Baares ist mir lieber als Blumen. Aber für mich war das Präsent auch gar nicht. In seiner Hand hielt der Präsident ein
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_187.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)