Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
|
No. 19. | 1879. |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.
„O ja,“ antwortete Lucile, „den Fürsten Konsky sehen wir tagtäglich bei uns; das heißt bei Mama – denn der Papa lebt in Petersburg. La grand’ mère hält große Stücke auf ihn, weil er so vornehm ist und unseren Empfangsabenden Lustre giebt. Aber der Mama geht es wie mir: sie macht sich nicht viel aus ihm – er ist so alt und so geckenhaft, wissen Sie. Mich füttert er wie ein Baby mit Confitüren, und die Mama erstickt er stets am Morgen nach der Vorstellung förmlich mit Blumen –“
„Wann?!“ fragte die Baronin, als höre sie nicht recht.
„Mein Gott – nach der Vorstellung! Ach so – Sie wissen nicht? – Ist Ihnen denn mein Name nicht aufgefallen?“ rief Lucile naiv belustigt. „Oder waren Sie nie in Berlin?“
„Da bin ich gewesen.“
„Nun, dann ist es undenkbar, daß Sie Mama nicht kennen sollten. Die berühmte erste Tänzerin, Manon Fournier –“
„So?!“ schnitt die junge Frau lakonisch die lebhafte Rede ab und rollte ihre Arbeit zusammen. „Ich besuche sehr selten das Theater,“ fügte sie gedehnt und trocken hinzu – eine leichte Röthe war in ihre Wangen getreten, und ihre Augen vermieden es, die Sprechende anzusehen. Sie stand auf und ging nach dem bereits hergerichteten Theetisch, der inmitten des Zimmers unter der Ampel stand und mit seinem eleganten Geschirr in dem niederfließenden Licht blitzte und flimmerte.
„Himmel, wie lang!“ sagte Lucile’s weitgeöffneter, erstaunter Blick, mit welchem sie die lautlos dahingleitende, schmale Gestalt verfolgte. Das bequeme, staubfarbene Hauskleid schlotterte über der flachen Büste und dem stark vorgeneigten Rücken und fiel als lange Schleppe weich auf den Teppich. Aber trotz ihrer häßlich langen Arme, ihrer nachlässig müden Haltung waltete die junge Frau doch mit vornehmer Grazie am Theetisch. Sie entzündete den Spiritus unter der silbernen Maschine, musterte mit kritischem Blick die Tassen, die aufgestellt waren, und maß von peinlicher Sorgfalt die Theeportion ab. Kein Blick fiel mehr auf das junge Mädchen, das, mit der versöhnten Minka spielend, dennoch aufmerksam das Thun und Walten der jungen Frau beobachtete.
„Zu Hause ist das mein Amt,“ plauderte sie. „Alle Welt lobt meinen Thee; nur Baron Schilling hat mir immer das Leben schwer gemacht – er ist der penibelste Theetrinker, den ich kenne.“
Jetzt fuhr der gesenkte blonde Kopf wie mit einem Ruck empor – es war, als spanne sich jeder Muskel dieser scheinbar apathischen Frau in athemlosem Aufhorchen „Mein Mann ist im Hause Ihrer Mutter aus- und eingegangen?“
„O, sehr viel! Wissen Sie das nicht? Felix sagte immer, er mache als Maler seine Studien in Mamas Salon. Wir sehen sehr viele hübsche und interessante Frauen bei uns. Er hat ja auch die Mama gemalt –“
„Er hat die Tänzerin Fournier gemalt, sagen Sie?“
Dem jungen Mädchen ging plötzlich ein Licht auf. Die Frau dort sprach mit einer Stimme, als koche es in ihrer eingesunkenen Brust – und mit welcher schneidenden Mißachtung sie die „Tänzerin Fournier“ betonte! Dabei klirrte das Geschirr unter ihren lebendig gewordenen, überschlanken Händen, als solle es sammt und sonders im nächsten Augenblicke auf den Boden rollen..... Wie, diese lange, häßliche Person unterstand sich auch noch, eifersüchtig zu sein? Wie die meisten gefeierten, schönen jungen Mädchen, war Lucile erbittert gegen die Unschönen, die sich anmaßten, gleichberechtigt zu sein. Ihre großen Augen schillerten plötzlich im entschiedensten Grün – das Sprühteufelchen der Bosheit glühte darin auf. Sie erhob sich, strich lächelnd ihr Kleid glatt und trat dem Theetisch um einige Schritte näher, eine Bewegung, welche die Baronin sofort in ihre krankhaft gebeugte und doch so unnahbare Haltung zurücksinken machte.
„Ist es denn gar so verwunderlich, daß Baron Schilling eine schöne Frau gemalt hat?“ fragte Lucile zurück, und hinter den grausam lächelnden Lippen blinkten die kleinen, spitzen Perlzähnchen. „Man sagt, es sei Race in Mamas Erscheinung – sie ist weder verschwommen blond, noch lang und dürr in ihren Formen. Sie hat das reichste schwarze Haar, das sich denken läßt, und die Linien ihrer Schultern und Arme sind berühmt unter den Künstlern. Baron Schilling hat sie nicht in einer ihrer Rollen, sondern als Desdemona gemalt – es ist geradezu sinnberückend, wie der weiße Atlas von der einen Schulter gleitet, wie der Arm sich von der Harfe hebt.“
Sie hielt einen Moment inne – ihr fiel gerade ein, wie verächtlich hingeworfen die Skizzenmappe zu den Füßen der „gnädigen Frau“ gelegen hatte.
„Baron Schilling malt sehr schön,“ fügte sie hinzu, und ihre Augen strahlten triumphirend auf; denn über die graubleichen Wangen dort jagte fortwährend die Röthe inneren Aufruhrs hin. „Professor W. sagt von ihm, er habe den Dilettanten längst hinter sich – er sei ein eminentes Talent und werde sich einen großen Namen machen.“
Die Baronin hatte sich währenddem auf einen hinter ihr stehenden Stuhl gleiten lassen. Die Rechte über die Augen gelegt
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_313.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)