Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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Rom, um dort die Entwürfe zu den Bildern der vom Könige geplanten großen Friedhofshalle zu fertigen, welche die Gräber des Hohenzollerngeschlechts aufnehmen sollte. Als er nach etwa zwei Jahren zurückkehrte, brachte er dieselben vollendet mit, bei der kolossalen Ausdehnung der Arbeit ein Beweis der außerordentlichsten Schaffenskraft in so vorgerücktem Alter – um so mehr, als sie in Bezug auf Conception unzweifelhaft das Bedeutendste sind, was nicht nur er, sondern was die ganze neuere Zeit nach dieser Seite hin hervorgebracht hat. Bestimmt, die Grundlehren des Christentums den Menschen vor Augen zu führen, wurde dieser Vorwurf von Cornelius mit einer Hoheit des Gedankens, mit einer erhabenen Anschauung menschlicher Geschicke ausgeführt, die ihres Gleichen eigentlich nirgends mehr findet. Diese Entwürfe sind so allgemein verständlich, gehen so entschieden auf die ersten Bedingungen und Bedürfnisse der menschlichen Natur zurück, daß auch der größte Materialist von der Mehrzahl derselben ganz ebenso ergriffen werden kann und muß, wie der gläubigste Christ.
Erbarmen, Liebe, Duldung, Abscheu vor dem Gemeinen, Pflichterfüllung und Demuth sind niemals eindringlicher und mit hinreißenderer Beredsamkeit gepredigt, die letzten und höchsten Fragen des Daseins sind nie in erhabenerer, ehrfurchtgebietenderer Form zu lösen versucht worden, als hier in diesen wunderbaren Compositionen. Jede Spur von Confessionalismus ist ausgetilgt und aus dem alten wie neuen Testament nur dasjenige ausgewählt, was entweder unmittelbar verständlich, oder doch als Allegorie bei nur einiger Aufmerksamkeit nicht mißzudeuten ist. Es gehört zu den mancherlei Unbegreiflichkeiten unserer Zeit, daß man aus dem Ganzen dieses herrlichen Cyclus nicht längst ein Andachtsbuch, eine Art Nationalschatz gemacht hat, der Allen erreichbar, in Jedermanns Händen sein müßte, wie es einst die Holzschnitte Dürer’s oder Holbein’s Todtentanz waren, denen sie an ethischem Gehalte doch so weit überlegen sind. Jene reinigende und erhebende Wirkung, die das Ziel aller echten Kunst ist, sind diese wunderbaren Schöpfungen jedenfalls besser auszuüben befähigt, als, nächst denen Raphael’s, irgend welche andere ähnliche Kunstwerke. Es ist daher tief beschämend, daß unsere Zeit, in der man doch so viel von der Nothwendigkeit der Zurückführung der Nation zu Glauben und Sitte spricht, nichts weiter mit den Cartons anzufangen gewußt hat, als sie in ein Museum als „Sehenswürdigkeit“ zu verpflanzen, statt den Bau, den zu schmücken sie bestimmt waren, endlich zu errichten.
Zu den berühmtesten unter diesen Compositionen zählen die Apokalyptischen Reiter, Pest, Kriege und Theuerung, die als Genossen des Todes die sündige Menschheit niederwerfen. Hier übertrifft er Dürer’s furchtbaren Realismus noch durch die Gewalt und Größe seiner Auffassung und den wilden Humor in der Schilderung der Vernichtung. Ferner zählt dazu ganz besonders das himmlische Jerusalem, jene herrliche Figur der Seligkeit, die herniedersteigt, um die Guten und Herzensreinen zu belohnen. Diese Versinnlichung eines solchen ganz innerlichen Vorganges läßt an Deutlichkeit und Ueberzeugungskraft ihrer wunderbar edel erfundenen Figuren nichts zu wünschen übrig. Nicht minder Petrus und der Kämmerer, die Ausgießung des heiligen Geistes und einige entzückende Idyllen unter den Werken der Barmherzigkeit in den Predellen, den Sockelbildern, zu den zwölf Hauptscenen. Diese selber werden wieder durch die Gestalten der acht Seligkeiten geschieden, von denen mehrere eines Michel Angelo vollkommen würdig erscheinen.
Cornelius selber, der von 1848 an fast mehr in Rom als in Berlin gelebt und dort nach dem Tode seiner zweiten Frau sich mit dreiundsiebenzig Jahren sogar noch zum dritten Male verheirathet hatte, kehrte endlich 1861 heim, um Berlin fortan nicht mehr zu verlassen. Aber er zog sich jetzt von einer Gesellschaft, die ihn nicht verstand und nicht zu würdigen wußte, allmählich immer mehr zurück und lebte blos der Ausführung seiner Entwürfe. Das Bild des Greises, wie er unermüdlich, mit sinkender Kraft, aber ungebrochenem Vertrauen auf die unvergängliche Dauer seiner Werke fortarbeitet, unbekümmert um die drängende und treibende Welt rund um ihn herum, nur dem Ewigen zugewendet, hat etwas großartig Ergreifendes. Endlich, am 6. März 1867, entsank der Stift der müden Hand, und er schlief sanft und schmerzlos ein, es ruhig seinen Werken überlassend, ein dauerndes Zeugniß der Größe seiner Kraft, seines Strebens und Charakters abzulegen. – Und sicher muß man sagen, daß, wie Vieles ihnen auch fehlen mag, um absolut classisch zu sein, sie bis jetzt doch ihres Gleichen an Hoheit der Gesinnung und schlichter Größe weder bei uns, noch bei anderen modernen Völkern gefunden haben.
Der Mund dient dem Menschen, außer zu den höheren Zwecken der sprachlichen Mittheilung, als vorbereitende Werkstätte der Ernährung, sowie als Durchgangsraum für die zum Leben des Organismus notwendige atmosphärische Luft.
Wir haben in einem früheren Aufsatze („Gartenlaube“ Nr. 4, 1879) nachgewiesen, daß die gesammte Natur, besonders aber die großen Sammelstätten der Menschen, die volkreichen Städte, in Luft und Boden von Milliarden mikroskopischer Lebewesen, den Mikrokokken und Bakterien, bevölkert sind. Man kann sich von der Menge dieser Gebilde einen Begriff machen, wenn man in ein dunkles Zimmer einen Sonnenstrahl einfallen läßt. In dem Lichtstrahle erglänzen alsdann viele Tausende auf- und abfliegender Pünktchen, die sogenannten Sonnenstäubchen. Diese bestehen nicht allein aus Staubtheilen, wie deren Name besagt, sondern auch aus zahlreichen schwebenden Pilzkeimen, welche größtentheils, wie schon früher erörtert, einer Gattung angehören, die im Gegensatze zu denjenigen Arten, welche epidemische Krankheiten hervorrufen sollen, dem menschlichen Organismus keinen directen Schaden zufügen. Ebenso wie in der Luft, finden sich solche Keime auch im Wasser, im Boden und durch fortwährendes Niederschlagen des mikroskopische Staubes, welchem sie beigemengt sind, an allen Gegenständen, die wir berühren, mithin auch an den Nahrungsmitteln, die wir genießen.
Gelangen Luft und Speisen in den Mund, so werden gleichzeitig Millionen von, wenn auch unschädlichen, Pilzkeimen dem Organismus zugeführt, im Munde finden sowohl einzelne Theile der Speisen wie auch die mit denselben dahin gelangenden Lebewesen zwischen den Zähnen und auf der rauhen Oberfläche der Zunge eine Haltestätte. Kleine, daselbst einige Zeit verweilende Speisereste gehen allmählich durch Vermittelung der in den Mund übergeführten Bakterien in Fäulniß über. Es wird dadurch ein Nährboden für die Entwickelung und Fortpflanzung einer Unmasse niederer, nur mit den stärksten Mikroskopen sichtbarer Thierchen und Pflänzchen gebildet. Bringt man etwa den zehnten Theil der Größe eines Stecknadelkopfes von dem an dem Grunde der Zähne bei vielen Menschen sich findenden gelben Zahnschleime auf ein Objectglas, zerdrückt die Masse zu einer möglichst dünnen Schicht und legt, geschützt durch ein sogenanntes Deckgläschen, das auf diese Weise gewonnene Präparat unter das Mikroskop[1], so macht das Bild den Eindruck eines mit allen möglichen Pflanzenwucherungen bedeckten und durch Thiere belebten kreisrunden Teiches.
Zwischen gegliederten Halmen wimmelt es von Tausenden kleiner Würmchen, welche hin- und herstürmen, sich gegenseitig zu verfolgen oder mit einander Spiel zu treiben scheinen, sich zeitweise vermehren, zeitweise vermindern und dem Auge stundenlang das Bild eines wunderbar wilden Naturlebens im Kleinen darbieten. Die vielen glasig-durchsichtigen, im Wachsthume sich spaltenden Halme stellen Fäden mikroskopischer Pilzwucherungen dar, welche im Munde überall angetroffen werden, wo sie Ruhe zu weiterer Entwickelung finden. Infusorienartige Keime, welche in dem Sehfelde des Mikroskopes sich tummeln, bilden theils die mit den Pilzwucherungen in einem ursächlichen Zusammenhange stehenden Spirillen, Bakterien und Mikrokokken, theils sind es wirklich kleine Thierchen (Infusorien), welche ihr fruchtbares
- ↑ Zu den unbestreitbar hervorragendsten Fabrikanten von Mikroskopen zählen in Deutschland gegenwärtig Hartnack in Potsdam, Zeiß in Jena und Seibert (Seibert u. Krafft) in Wetzlar; von letzterem wurde das vorzügliche Instrument gebaut, mit Hülfe dessen die unsere Mittheilungen begleitenden mikroskopischen Abbildungen angefertigt worden sind.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_505.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)