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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Die zweihundertste Auflage eines deutschen Schulbuches.
Von Adolf Ebeling.


Es war zu Anfang der dreißiger Jahre, als eines Tages ein junger Mann dem Buchhändler Dumont in Köln ein kleines Manuscript zum Verlegen anbot. Der Titel dieses Manuscripts lautete: „Praktischer Lehrgang zur schnellen und leichten Erlernung der französischen Sprache“, und der Name des Verfassers Franz Ahn. Der Verleger fand Gefallen an dem strebsamen und intelligenten jungen Manne, der mit großer Klarheit seine neue Methode kurz und bündig aus einander setzte und dessen Ansprüche, wie sein ganzes Auftreten dabei sehr bescheiden waren. Man einigte sich leicht. Es galt gewissermaßen einen Versuch, die veralteten französischen Lehrbücher, die fast durchweg mit dem abstracten theoretischen Theil, speciell der Grammatik, begannen, durch eine rein praktische Unterrichtsweise zu ersetzen.


Franz Ahn.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.


Der Erfolg des kleinen, kaum hundert Druckseiten umfassenden Buches war gleich bei seinem ersten Erscheinen ein ganz außergewöhnlicher und hat im Laufe der Jahre in so kolossalen Proportionen zugenommen, daß in diesem Jahre, also nach kaum etwas über vier Decennien, die zweihundertste Auflage erscheinen wird. Ein solches, selbst bei den bedeutendsten und weitest verbreiteten Schulbüchern fast beispielloses Resultat dürfte wohl ein hinreichender Grund sein, dem großen Leserkreise der „Gartenlaube“ den Verfasser und sein Werk in kurzen Umrissen vorzuführen.

Franz Ahn wurde im Jahre 1796 in Aachen geboren, also nur wenige Jahre vor dem Frieden von Campo-Formio und dem späteren von Lüneville, wodurch bekanntlich Belgien und das linke Rheinufer an Frankreich kamen. Aachen wurde die Hauptstadt des Roer-Departements und Ahn’s Vater zum Bureauchef bei der Präfectur ernannt. Die französische Regierung, oder richtiger der General Bonaparte, blieb auch hier dem alten Princip getreu, die tüchtigen Beamten der neuerworbenen Länder in ihren Stellen zu lassen oder zu höheren Aemtern zu befördern. Im Uebrigen wurde Aachen aber bald ganz französisch, so auch in Bezug auf die Schulen, in welchen die vorgeschriebene Unterrichtssprache die französische wurde, was in jenen deutschen Grenzländern, die im steten und directen Verkehr mit Frankreich gestanden hatten, nur auf geringe Schwierigkeiten stieß. Dieser Umstand wird jedenfalls nicht ohne Einfluß auf die Entwickelung des Knaben in Bezug auf die französische Sprache geblieben sein und erklärt zugleich seine Vorliebe für dieselbe und für das geistige Leben in Frankreich, obwohl er stets seinem deutschen Vaterlande aus vollem Herzen zugethan war. Soll er doch in späteren Jahren, wenn die Rede auf die Befreiungskriege kam, oft beklagt haben, wegen seines allzu jugendlichen Alters davon ausgeschlossen gewesen zu sein, und mehr als einmal hat er als Mann seine echt deutsche und patriotische Gesinnung an den Tag gelegt.

Auf den Wunsch seiner Eltern trat der junge Ahn bei einem Aachener Kaufmann in die Lehre, aber nur für kurze Zeit, denn sein innerer Beruf wies ihn auf andere Bahnen. Zunächst suchte er seine tüchtige Kenntniß der französischen Sprache zu verwerthen, und da gerade am Gymnasium seiner Vaterstadt eine diesbezügliche Lehrerstelle neu besetzt werden sollte, bewarb er sich um dieselbe und erhielt sie auch, obwohl er der jüngste unter den zahlreichen Concurrenten war.

Aber der enggezogene Wirkungskreis eines bloßen Lehrers der neueren Sprachen genügte ihm nicht, und er gründete einige Jahre darauf eine Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für junge Leute mit dem speciellen Zweck einer praktischen Vorbereitung derselben für den Handelsstand. Diese Anstalt, die bald bekannt wurde und florirte, ist schon insofern interessant, als man sie mit Recht „einen Vorläufer des späteren Realschulwesens“ nennen darf, denn schon gegen Ende der zwanziger Jahre stellte der junge Ahn für seine Schule fast ganz dasselbe Programm auf, das in den vierziger Jahren (und strenggenommen erst durch die neue preußische Schulordnung vom 6. October 1859) für die Realschulen in den Rheinlanden vom Unterrichtsministerium in Berlin festgesetzt wurde. Als später die Stadt Aachen die Ahn’sche Anstalt übernehmen, ihr aber, Gott weiß aus welchem Motiv, einen anderen Director und dem Gründer nur die erste Lehrerstelle geben wollte, ließ sie dieser, da sie ohne ihn nicht bestehen konnte, lieber ganz eingehen und folgte im Jahre 1843 einem Rufe nach Neuß als Lehrer der neueren Sprachen an der dortigen Realschule, wo er bis zu seinem Tode (1865) auf das Segensreichste gewirkt hat.

Wir haben indeß für unseren heutigen Artikel weit weniger jenen Wirkungskreis im Auge, als das bereits oben erwähnte Lehrbuch, das den Namen des Verfassers bald durch ganz Deutschland trug und später zu einem europäischen machte, ja mehr als das, denn das Ahn’sche Lehrbuch, oder richtiger die Ahn’sche Methode, ist so ziemlich in der ganzen Welt, wo es Schulen und Unterrichtsanstalten giebt, verbreitet. Wie neuerdings in Japan, so war schon früher in Peking die Ahn’sche Methode zur Erlernung fremder Sprachen in Anwendung gekommen, und Schreiber dieses hat noch in den letzten Jahren an der ägyptischen Kriegsschule zu Kairo den deutschen Unterricht nach dem arabischen Ahn geleitet. Doch davon weiter unten noch einige nähere Notizen.

Die Ahn’sche Methode könnte man wirklich mit dem Ei des Columbus vergleichen. Als sie da war und sich schnell und mit überraschend günstigem Erfolge bewährte, gab es nicht wenig Schulmänner, die über die Einfachheit derselben lächelten und fast geringschätzend sagten: „Wenn es weiter nichts ist – das begreift ja jedes Kind, was braucht es da groß Kopfzerbrechen?“ Gewiß, ihr Herren, und jetzt hattet ihr gut reden, wo das Ei auf der Spitze stand. Die neue Methode war auch nur für Kinder, aber sowohl für die kleinen wie für die großen, denn im Gebiete des Lernens ist jeder Anfänger, und wäre er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_533.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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